Das Wesen des Internets
Die Etablierung des Internets als einer virtuellen Parallelwelt ("Endo-Welt") zur Aussenwelt ("Exo-Welt") birgt vielfältige Chancen und Möglichkeiten. Der zentrale Aspekt des Internets ist die weltweite Verbreitung von Wissen. Das Internet ist eine interaktive und offene Enzyklopädie, von dessen adäquater Nutzung auch der Erhalt des Planeten Erde sowie das Zusammenleben der Menschen weltweit abhängt. Die neue - virtuelle - Gesellschaft ist eine Wissensgesellschaft, die sich unter den Leitlinien von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit selbst organisiert.
„Das Internet ist kein Markt, sondern ein freier und globaler Treffpunkt von Menschen, die kommunizieren wollen. Das Netz gehört eigentlich niemandem, oder anders formuliert: Es gehört allen gemeinsam.“
Die Zugangstheorie zum Internet ist der Interfacebegriff. Er hat das Potenzial, Wissenschaft und Arbeitswelt neu zu interpretieren und zu transformieren, da er ein neuartiger Schlüssel zum Weltverständnis sein kann. Interface im konventionellen Sinn bedeutet Schnittstelle. In der Medientheorie ist damit die interaktive Verbindung von Menschen untereinander oder von Menschen und Maschinen bezeichnet. Auch intelligente Agenten, interaktive Enzyklopädien, virtuelle Gemeinschaften und andere Innenwelten (Endo-Welten) werden mit dem Begriff belegt. Schwerpunkt der Theorie ist die Analyse der Relativität von Parallelwelten, die momentan im Internet und in Simulationswelten (telematische Interfaces) stark emergieren. Im Gegensatz zu Systemen sind Interfaces immer offen, da aktive Teilnahme und Reaktionen permanent zu Veränderung führen.
„Die Spielregeln des Internets entwickeln sich jedoch nicht durch die Einmischung von Managern und Regierungen, sondern durch das Zusammenwirken der Teilnehmer in Diskussionsforen, interaktiven Teams, Intranets und Online-Communities. Das Internet ist nicht durch Planungsfetischismus zu dem geworden, was es heute ist, sondern durch genuine chaotische Interaktion.“
Das Internet ist keine Kopie der Exo-Welt, sondern besteht aus vielen virtuellen Parallelwelten, in die man als aktiver Teilnehmer von innen, "endohaft", eintauchen kann. Eines der wesentlichen Kennzeichen ist die Simulation. Das virtuelle und reversible Durchspielen antizipativer Lösungsmöglichkeiten in Simulationsvorgängen dient als Entscheidungshilfe, Kontrolle, Fehlervermeidung und als Analyse möglicher Auswirkungen von komplexen sozioökomischen und technischen Systemen. Simulation wird zu den wichtigsten Wachstumsmärkten gehören, da sie kostengünstig komplexe Systeme antizipativ untersuchen kann. Virtual Prototyping, CAD sind hier die aktuellen Stichwörter.
„Die telematische Gesellschaft hat deshalb einen neuen Beruf hervorgebracht, den des Teilnehmers. Dieser Beruf lässt sich nicht an Arbeitgebern festmachen, sondern nur an der Partizipation an Netzwerken, die das Ziel haben, Probleme zu lösen und die Zukunft neu zu erfinden.“
Trotz der zahlreichen ökonomischen Chancen des Cyberspace soll das WWW primär für Kommunikations- und Bildungszwecke benutzt werden. Ziel ist nicht, den "Netizens" etwas zu verkaufen, sondern die Kommunikation von Personen, der Austausch von Informationen und die Generierung neuer Erkenntnisse sind der Sinn des Internets. Die neue Gesellschaft ist eine Wissensgesellschaft. Im Netz wird das Wissen gebündelt und zugänglich abgelegt und durch die Netzbenutzer aktiviert und erweitert. Nie war die Distributionsgeschwindigkeit von Wissen und die Geschwindigkeit des Wissenschaffens so hoch wie heute. Die potenzielle Vergesslichkeit des menschlichen Gehirns wird, unterstützt durch Hyperlinks, korrigiert. Hyperlinks sind multidimensional und antihierarchisch angelegt und bilden die Gedächtnisstruktur des Internet.
„Solidarität ist in den Gemeinschaften kein Fremdwort mehr, sondern wird von den interaktiven Teilnehmern ständig praktiziert. Durch die Communities entsteht ein soziales Band, welches die Menschen in einer Zeit der Isolierung und des Egoismus wieder verbindet und den Zusammenhalt fördert.“
Die prinzipielle Freiheit des Internets ermöglicht die Selbstorganisation von Online-Gemeinschaften (Online-Communities) im virtuellen Raum. Communities sind temporär bestehende Zusammenschlüsse von Internetnutzern, die sich ihre Organisationsform im Netz selbst erarbeiten. In den virtuellen Gemeinschaften entsteht neues Denken, das Problemlagen neu bewertet und andersartige Lösungen entwickeln kann. Die dynamische Selbstorganisation ist flexibel, lokale Herkunft und der persönliche Status der Teilnehmer sind irrelevant. Relevant ist ihr solidarisches und kommunikatives Verhalten untereinander und ihre Leistung für die Communities. Vorteile dieser virtuellen Gemeinschaften sind Entwicklungsfähigkeit, Offenheit und Innovationsfähigkeit. Der Egoismus der heutigen Gesellschaft wird korrigiert durch ein solidarisches und hilfsbereites Verhalten. Kennzeichen sind kostenlose Hilfestellungen im Softwarebereich, bis hin etwa zum Betriebssystem Linux, das im WWW frei zu Verfügung gestellt wurde und permanent von einer vielfältigen Nutzergemeinschaft verbessert wird. Die Communities haben aufgrund ihrer Offenheit stark internationalen Charakter. In der Zukunft wird sich aus diesen Communities eine transnationale, transkulturelle Online-Gesellschaft, eine virtuelle Zivilisation im Cyberspace entwickeln. Sie sind die zur Zeit höchstentwickelten Interfaces. Community-Networks sind virtuelle Zusammenschlüsse, um die Kundenorientiertheit der lokalen Verwaltung zu optimieren. Den Bürgern wird der Netzzugang zum Erwerb von Wissen ermöglicht, gleichzeitig wird in ihnen gemeinsam an der Lösung örtlicher Probleme gearbeitet. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen speisen ihr Wissen in ein gemeinsames Netz, was zusätzlich den Zusammenhalt der Gemeinde fördert. Entscheidend für das Funktionieren sind Navigationssysteme, die das Wissensbedürfnis schnell befriedigen, und Kommunikationssysteme, die den Kommunikationsprozess organisieren. Ein weiteres Kennzeichen der Communities ist ihre Geschenk-Ökonomie. Der Austausch eines Produktes oder einer Dienstleistung wird nicht wie beim E-Commerce von einer Geldforderung begleitet. Eine Geschenktransaktion nutzt der Verbesserung der sozialen Beziehungen und dem offen gelegten Weltwissen.
Herausforderungen für das Management
Das Internet eröffnet ein ungeheures Wissens- und Phantasiepotenzial. Endorianer denken flexibel, stellen neuartige Beziehungen her, können aus vielen Alternativen auswählen und neue Verknüpfungen herstellen. Dieser kreative Prozess muss in Unternehmen gefördert werden, wenn Innovationen hervorgebracht werden sollen. Ein kreatives Umfeld beruht auf Diskussionen. Die Konsequenzen für eine interfaceorientierte Managementtheorie liegen im Umgang mit komplexen und instabilen Systemen, wie es auch das Internet darstellt. In sich permanent verändernden Problemlagen ist es wichtig, flexibel und nur in groben Zügen zu planen. Entscheidend ist daher die Fähigkeit des Managements, in dieser Ungewissheit zu Resultaten zu kommen. Das Internet verändert auch die Hierarchie der Entscheidungsfindung. Entscheidungen werden nicht mehr ausschliesslich im Führungsmanagement gefällt, sondern verlagern sich quer durch das Unternehmen in Netzwerkknoten. Nur so kann das gesamte Know-how des Unternehmens genutzt werden. Die Beteiligung vieler Mitarbeiter durch selbstverantwortliche Teilhabe an Entscheidungen ist Folge der telematischen Vernetzung des Unternehmens. Kreativität kann durchaus zu Fehlern führen, deren Akzeptanz jedoch um der Zukunftsfähigkeit willen gewährleistet sein sollte. Die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, muss gefördert werden.
„Der Mensch braucht neben der Fehlertoleranz, dem Einbeziehen des Zufalls, der Ungewissheit, der vielen Welten auch die Interferenz für seine Evolution, damit er den entscheidenden Link, den Link zum Neuen herstellen kann.“
Als Wissensdesign wird die Fokussierung auf Innovationen, auf die Hervorbringung des Neuen bezeichnet. Während der Designbegriff bislang eher auf Produktgestaltung angewandt wurde, wo gutes Design zu Umsatzsteigerungen, dauerhafter Marktpräsenz und Imagegewinn führte, geht es im neuen Kontext um das Design von Wissenswelten. Gutes Design ist keine Zutat, sondern entscheidend im Kampf um Marktanteile und Dienstleistungen, um den Erhalt und Neuerwerb von Kunden. Wissensdesign entsteht im interaktiven Prozess von Management mit dem Kunden, es ist ein sozialer Prozess. Wissensdesign umfasst alle menschlichen Wissensbereiche, um die Interdependenzen komplexer Prozesse bereits in der Entwurfsebene einbeziehen zu können, und ist insbesondere anwendbar in Bereichen, wo ganzheitliche Ansätze gefordert sind. Die Simulationstechniken und neue Kooperationsmöglichkeiten für Designteams - etwa in Intranets - eröffnen ganz neue Entfaltungsmöglichkeiten. Die Aufgabe des Wissensdesigns liegt in der Konstruktion neuer Interfaces für die Aufnahme von Informationen und für die Filterung von Daten auf ihren relevanten Gehalt hin. Wissensdesign geht über die optische Gestaltung hinaus und strukturiert komplexe Datenmengen und die Wissensnavigation.
„Wissensmanagement ist ein Schlüssel zum Unternehmenserfolg.“
Das Internet erfordert eine Veränderung der Managerausbildung. Die Managementausbildung muss auf Grundlagenforschung im Technologiebereich ausgerichtet werden. Telematische, physikalische und biologische Wissensbereiche müssen in ihr Geltung bekommen. Denken in veralteten Spielregeln - Bilanzstrukturen, Liquidität, Ertragslagen und Shareholder-Value - führt in die Sackgasse, da Innovationen und Kreativität hier keinen ausreichenden Freiraum bekommen. Spielkasino-Ökonomien und Fusionen leisten keinen Beitrag zur kreativen Wissensökonomie. Fusionen sind im Gegenteil Anzeichen für die Unfähigkeit der Unternehmen, neue innovative Lösungen oder Produkte zu schaffen. Weniger als die Hälfte der Fusionen glücken, in über 50 % tritt eine Wertevernichtung ein. Innovation ist das entscheidende Kriterium. Eine Basisinnovation wie das Internet integriert Innovationen aus verschiedenen Wissensbereichen, ist interdisziplinär und verfügt über soziale Komponenten, indem vorhandenes Wissen optimiert wird und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Unternehmen gestalten in dieser Hinsicht auch gesellschaftliche Innovationen und könnten Vorbildcharakter für die weitere Demokratisierung und Entbürokratisierung des Staates sein.
„Das Entscheidende für die Schaffung einer neuen Ökonomie ist, dass Kapital in Innovationen fliesst. Nur einer innovationsorientierten Ökonomie, die nicht primär von Betriebswirten, sondern von Wirtschaftsingenieuren gestaltet wird, kann es gelingen, allen Menschen einen grösseren Wohlstand zu sichern.“
Zukunftsszenario: In Endo-Valleys (virtuelle Technologietäler) können neuartige Wissens-Ökonomien errichtet werden. Viele Trends deuten darauf hin, dass ein Phasenübergang bevorsteht, analog der Einführung des PC in den 70er Jahren. Endo-Valleys sind virtuelle Industrieansiedlungen von High-Tech-Firmen im WWW, die Simulationssoftware, intelligente Agenten und Kryptographieprogramme entwickeln. Firmen, die derartige Netzwerke mit Software beliefern können, gehören zu den zukünftigen High-Tech-Märkten. Mit dieser Software lassen sich die notwendigen Bedingungen für virtuelle Städte, virtuelle Ökonomien, virtuelle Organisationen und auch virtuelles Geld erstellen. Wissens-Ökonomie oder Netzwerk-Ökonomie erweitert bisherige Sektoren um eine Komponente. Klassische Faktoren wie Arbeit, Land und Kapital werden durch den neuen Faktor Wissen ersetzt. Im Endo-Valley bestimmt der Wissensstand die Leistungsfähigkeit erfolgreicher Firmen.
„Es geht um Kommunikation, nicht um Gewinnmaximierung wie auf den physischen Märkten. Wer glaubt, dass ‚Electronic Business’ lediglich das virtuelle Pendant zu heutigen Gütermärkten darstellt, hat eine falsche Vorstellung. Es geht im Cyberspace nicht um den Aufbau digitaler Abbilder der Wirklichkeit, sondern um Online-Communities und den Aufbau virtueller Zivilisationen.“
Endo-Management zieht die Konsequenz aus den neuen Entwicklungen im Internet. Die Unternehmensführung im Cyberspace setzt auf interaktives und selbstverantwortliches Handeln. Bisher wurde linear gehandelt, das Netz lehrt interaktives Handeln in zirkulären, nichtlinearen und hypermedialen Formen. Arbeitsform des Endo-Managements ist die Gestaltung, Simulation und Lenkung virtueller Welten im WWW; Ziel ist es, partizipative, emanzipatorische und demokratische Interfaces zu schaffen. Ein erfolgreiches Beispiel gelungenen Endo-Managements sind die Online-Communities. Wissensmanagement gehört zu den integralen Aufgaben. In vielen Unternehmen wird das vorhandene Wissen nur zur Hälfte genutzt. Wissensressourcen müssen zur besseren Umsetzung der Unternehmensziele effizienter verbreitet werden, etwa über Intranets, das WWW, und mit Hyperlinks miteinander verknüpft werden (Hyperlinkorientiertes Wissensmanagement). Wissensmanagement schafft einen kostengünstigen und schnellen Zugang zu dem Rohstoff Wissen, vermeidet Doppelarbeiten, reduziert den Zeitaufwand für Recherchen, fördert Innovationen, Kommunikations- und Teamfähigkeit der Mitarbeiter. Auch die effektive Einbindung der Kunden in Unternehmensprozesse wird durch die offene Kommunikationsstruktur ermöglicht. Die Wissensstrategie des Unternehmens steuert das Wissensmanagement, beseitigt Wissensdefizite und erschliesst neue Wissensfelder. Kennzeichen ist aber auch, dass Wissen weitergegeben werden muss. Wer Wissen in Unternehmen speichert, ohne andere partizipieren zu lassen, schadet dem Unternehmen und der Wissensgesellschaft. Zur optimalen Nutzung und Generierung muss Wissen gesteuert werden. Unternehmen werden in Zukunft dem Kunden intelligente Agenten und Wissens-Navigatoren anbieten, die ihn mit den gewünschten Informationen versorgen. Neben Kultur-Sponsoring werden sie beispielsweise auch auf Wissens-Sponsoring setzen.