Die Multitaskingfalle – und wie man sich daraus befreit

Buch Die Multitaskingfalle – und wie man sich daraus befreit

Orell Füssli,


Rezension

Mul­ti­task­ing ist was für Computer, nicht für Menschen. Vieles gle­ichzeitig erledigen zu wollen, kann auf die Dauer nicht gut gehen; unser Gehirn ist dafür einfach nicht geeignet, wie die Autoren Schneider und Schubert überzeugend darlegen. In ihrem Buch steht der Büroalltag im Vordergrund. Da kann es bekanntlich passieren, dass mehrere An­forderun­gen und Aufgaben gle­ichzeitig auf einen einstürzen. Als Reaktion kultivieren viele Menschen das Bild vom Multitasker – so werden Aus­nahme­si­t­u­a­tio­nen zur Dauer­be­las­tung. Die Autoren plädieren dafür, sich von dieser Vorstellung zu befreien. Als Störer Nummer eins nennen sie die permanente E-Mail-Bere­itschaft an den Büroarbeitsplätzen. Zu Beginn liefern sie eine treffende und klare Analyse des Mul­ti­task­ing-Phänomens bis hin zu dessen Auswirkun­gen auf Gehirn­struk­turen. Als Gegenmittel gibt es Ratschläge („Prioritäten setzen“, „positiv denken“) aus dem Repertoire des Zeit­man­age­ments und der Selb­st­mo­ti­va­tion und einige nützliche Hand­lungsan­weisun­gen. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Berufstätigen, die bei weniger Stress effizienter arbeiten wollen.

Take-aways

  • Mul­ti­task­ing ist nicht effizient, da es dem men­schlichen Gehirn nicht entspricht.
  • Das Gehirn verarbeitet den permanenten In­for­ma­tion­sstrom auf drei Ebenen: Ul­tra­kurzzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis.
  • Das Ul­tra­kurzzeitgedächtnis filtert unwichtige Signale sofort aus, das Kurzzeitgedächtnis verarbeitet als Ar­beitsspe­icher Reize und In­for­ma­tio­nen.
  • Die Übertragung von In­for­ma­tio­nen ins Langzeitgedächtnis ist das Lernen.
  • Durch Lernen können Handlungen au­toma­tisiert werden.
  • Beim Mul­ti­task­ing ordnet das Gehirn die Reizflut lediglich durch ständiges Hin- und Herschalten in ein kurzfristiges Nacheinan­der.
  • Mul­ti­task­ing erzeugt nur eine scheinbare Effizienz. Die Gefahr von Fehlern und die Kosten für die Fehlerbe­sei­t­i­gung steigen.
  • Wichtige Aufgaben können nur durch aufmerk­sames Bearbeiten erledigt werden.
  • Um nicht nur fremdbes­timmt auf Reize zu reagieren, müssen Sie Ihre Prioritäten selbst definieren und Ihre Aufgaben vom Wichtigen zum weniger Wichtigen abarbeiten.
  • So finden Sie Freude und Be­friedi­gung in der Arbeit und können sich als Führungskraft auch der mo­ti­va­tion­ssteigern­den Mi­tar­beit­erführung widmen.
 

Zusammenfassung

Qualität gegen Quantität

Am Schreibtisch einen Vorgang bearbeiten, sich dabei von einer eingehenden E-Mail un­ter­brechen lassen, gleich die Antwort tippen und dabei auch noch ein dringendes Telefonat führen, den Hörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt: Alles wird gle­ichzeitig erledigt. Toll! Toll? Ganz im Gegenteil: Was Sie aus­nahm­sweise mal machen können, wenn es brennt, entartet allzu leicht zum Dauerzu­s­tand. Aber wird die Qualität der Arbeit dadurch besser? Oder arbeiten Sie dann total fremdbes­timmt, weil Sie nur noch auf Reize von außen reagieren? In der Tat, genauso ist es: Durch oberflächliches Mul­ti­task­ing gaukelt man sich und anderen Effizienz vor – Quantitätseffizienz. Qualitätvoll arbeiten und Freude daran haben können Sie aber nur dann, wenn Sie selbst Ihre Zeit sinnvoll einteilen. Wenn Sie verstehen, wie das Gehirn struk­turi­ert ist, werden Sie erkennen, welcher Unfug Mul­ti­task­ing ist.

Gehirn­funk­tio­nen verstehen und nutzen

Sie erinnern sich sicher, wie Sie in den ersten Fahrstunden versucht haben, den vielen An­forderun­gen des Straßenverkehrs gle­ichzeitig gerecht zu werden, und wie schwierig das war: Der Verkehr war zu beachten, dazu die Verkehrsze­ichen und zudem waren die ungewohnte Mechanik und Steuerung des Wagens zu bedienen. Das erforderte Ihre volle Konzen­tra­tion. Heute machen Sie das alles automatisch und hören dabei noch Radio oder führen ein in­ter­es­santes Gespräch mit Ihrem Beifahrer. Das spricht auf den ersten Blick für die Nützlichkeit des Mul­ti­task­ings.

„Mul­ti­task­ing ist eine der wirksamsten Methoden, Zeit zu vertrödeln und Kosten zu verursachen.“

Um das Phänomen des Lernens zu verstehen, müssen wir die Funk­tion­sweise unseres Gehirns betrachten. Zunächst filtert das Ul­tra­kurzzeitgedächtnis die tausendfältigen Sinneseindrücke, die der Mensch im Wachzustand ständig verarbeiten muss. Auf dieser Ebene vollbringt das Gehirn eine Steuerungsleis­tung und sortiert Wichtiges von Unwichtigem. Das Kurzzeitgedächtnis hingegen dient als „Ar­beitsspe­icher“, in dem Reize und In­for­ma­tio­nen verarbeitet werden. Die dem Gehirn eigene Kapazität zur In­for­ma­tionsver­ar­beitung ist groß, aber nicht unendlich. Gewisse Vorgänge lassen sich so weit au­toma­tisieren, dass sie den Ar­beitsspe­icher nicht mehr belasten; dadurch werden Kapazitäten für andere Aufgaben frei. Lernen ist ein solcher Vorgang. Es ist nichts anderes als die Übertragung von In­for­ma­tio­nen vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis. Zu Beginn erfordert es aber Ihre volle Aufmerk­samkeit.

„Unser Denkorgan ist mit Mehrfachauf­gaben schlicht überfordert, auch wenn wir das nur ungern zugeben.“

In der Psychologie und der Neu­rowis­senschaft gibt es ver­schiedene Theorien, wie die In­for­ma­tionsver­ar­beitung im Gehirn erfolgt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Aufnahmefähigkeit Grenzen gesetzt sind. Das Gehirn ist aber in der Lage, seine Ressourcen flexibel zu handhaben. Beispiel­sweise werden in Alarm­si­t­u­a­tio­nen abge­spe­icherte Muster blitzschnell reaktiviert. Oder es werden bei kreativen Prozessen bestimmte Muster bzw. ve­r­ar­beit­ete In­for­ma­tio­nen neu kombiniert. Männliche und weibliche Gehirne sind in dieser Hinsicht graduell un­ter­schiedlich struk­turi­ert.

Wahrnehmung und Ve­r­ar­beitung

Die In­for­ma­tionsver­ar­beitung erfolgt in drei Stufen:

  1. bewusste Wahrnehmung,
  2. Reaktion,
  3. In­for­ma­tionsver­ar­beitung im eigentlichen Sinn – durch Abgleich mit früheren Reizmustern, Erwartungen, Anpassungen.
„Je kom­plizierter eine Tätigkeit, desto höher ist die Beanspruchung der Aufmerk­samkeit und desto geringer fällt die Leistung aus.“

Es handelt sich dabei um Lern­prozesse, die ständig ablaufen; das Gehirn korrigiert sich dadurch dauernd selbst.

Lassen sich bestimmte Arbeitsvorgänge im Büroalltag so einüben oder trainieren, dass sie quasi automatisch ablaufen, ähnlich wie beim Erlernen eines Musikin­stru­ments? Das rein mechanische Öffnen einer E-Mail gewiss, aber bereits die Wahrnehmung der Be­tr­eff-Zeile erfordert Ihre Aufmerk­samkeit. Werden daneben auch noch andere Reize verarbeitet, „zappt“ das Gehirn hin und her und bringt die In­for­ma­tio­nen in ein verkürztes Nacheinan­der. Unsere Hirn­struk­tur ist zur Gle­ichzeit­igkeit gar nicht in der Lage, auch wenn es dem Multitasker so erscheinen mag. Durch die oberflächliche Behandlung der In­for­ma­tio­nen im Kurzzeitgedächtnis werden diese nicht richtig verarbeitet. Dadurch gehen evtl. wichtige Inhalte verloren. Es wird nichts langfristig abge­spe­ichert. Ständig müssen In­for­ma­tio­nen mit erneuter Anstrengung aufgear­beitet werden. Und das ist keine Zeit­erspar­nis. Der Multitasker widmet seine Aufmerk­samkeit allem – und nichts.

Wirtschaftliche Folgen

Aufmerk­samkeitsver­luste und künstlich gesteigertes Ar­beit­stempo führen zu ökonomisch quan­tifizier­baren Verlusten. Zu viel Zeit wird mit der oberflächlichen Bearbeitung überflüssiger Reize wie Cc-E-Mails oder Telefonaten regelrecht vertrödelt. Jeder weiß, wie schnell ein Vormittag, der eigentlich für andere Aufgaben vorgesehen war, verplempert ist. Dadurch steigen wiederum Zeit- und Termindruck, was zu weiterer Oberflächlichkeit führt. Dem Controlling entgehen oftmals solche Kosten – Millionen ver­schwen­de­ter Ar­beitsstun­den.

Menschliche Folgen

Die durch Mul­ti­task­ing ausgelöste Neg­a­tivspi­rale kann beim einzelnen Mitarbeiter im Extremfall bis zum Burnout führen. In men­schlicher Hinsicht können durch dig­i­tal­isiertes On­line-Kom­mu­nika­tionsver­hal­ten keine emotionalen Bindungen mehr entstehen, weil man das Gegenüber nur noch sehr reduziert, ohne Mimik, Körpersprache und Emotionen wahrnimmt. Die Gefahr von Missverständnissen steigt, von der De­mo­ti­va­tion von Mi­tar­beit­ern und Kollegen ganz zu schweigen.

So geben Sie Gegensteuer

Um der Mul­ti­task­ing-Falle zu entgehen, lassen Sie sich nicht mehr von außen treiben, sondern nehmen Sie das Heft des Handelns und Entschei­dens selbst in die Hand. Gehen Sie am besten so vor:

  • Definieren Sie Ihre Wünsche und Ziele und richten Sie sich danach. Durch Konformität und übe­rangepasstes Handeln können Sie sich kaum entwickeln, die Kreativität versiegt und die Freude an der Arbeit geht verloren. Ständiges Hin- und Herschalten zwischen An­forderun­gen ist keine Zielo­ri­en­tierung.
  • Berücksichtigen Sie bei der Zielo­ri­en­tierung auch Ihre persönlichen Wünsche und Bedürfnisse. Wenn Sie sich z. B. unbedingt einen Porsche leisten wollen, ist das ein mächtiger Motivator.
  • Arbeiten Sie lösung­sori­en­tiert, nicht prob­le­mori­en­tiert. Es ist nicht so wichtig, Fehler zu suchen. Finden Sie eine alternative Lösung.
  • Aus der Zielo­ri­en­tierung ergeben sich fast wie von selbst Prioritäten – im klaren Unterschied zu Dringlichkeiten aller Art. Konzen­tri­eren Sie sich auf das Wesentliche und langfristig Wichtige.
„Wir stehen in Verbindung, haben aber keine Beziehung zueinander.“

Erledigen Sie die anstehenden Aufgaben in dieser Reihenfolge:

  1. Kritische Situationen und feste Termine.
  2. Strate­gis­che We­ichen­stel­lun­gen und langfristige Planungen.
  3. Erst danach werden E-Mails, Anrufe, Post, Berichte, Meetings abgear­beitet.
  4. Die Beschäftigung mit ziellosem Surfen, Chatten, Info- und Werbe­ma­te­r­ial, Cc-E-Mails, sta­tis­tis­chen Ausar­beitun­gen usw. sollten Sie so weit wie möglich einschränken. Entfernen Sie von Ihrem Schreibtisch alles, was Sie ablenkt oder was Sie schnell noch nebenbei erledigen könnten.
„Dauerstress, auch bedingt durch das ständige Neuaus­richten unserer Aufmerk­samkeit, ist wahrlich kein guter Nährboden für Kreativität.“

Den Haupt­stress­fak­tor E-Mail können Sie bändigen, indem Sie eine bestimmte Zeit festlegen, in der Sie den Posteingang bearbeiten. Erklären Sie Ihrem Umfeld, dass auf diesem Weg von Ihnen keine Antworten im Minutentakt zu erwarten sind.

Das Ende der Gle­ichzeit­igkeit

Wenn Sie Ihre Ziele und Aufgaben definiert haben, ergeben sich die Prioritäten – und damit ein sinnvolles Nacheinan­der – wie von selbst. Das ist das Ende der Gle­ichzeit­igkeit: Ihr Gehirn arbeitet mit voller Aufmerk­samkeit an dem, was wichtig ist. Das Wichtigste ist aber oft auch das Schwierig­ste und Kom­plizierteste. Unterteilen Sie komplexe Aufgaben in kleinere Zwis­ch­ene­tap­pen. Deren Erledigung, also die schrit­tweise Bewältigung der Gesam­tauf­gabe, bringt Sie wirklich weiter. Das wird mit Gewinn und Erfolg belohnt – oder zumindest mit dem mo­tivieren­den, freudigen Gefühl, eine Aufgabe erfolgreich bewältigt zu haben. Und das ist der beste Motivator für die nächste Aufgabe.

Tipps für Führungskräfte

Als Vorge­set­zter sollten Sie auch Ihren Führungsstil kritisch betrachten und ihn nicht mehr unter Gle­ichzeit­igkeit­szwang stellen. Was für ein Cheftyp sind Sie?

  • Hochmo­tivierte Chefs arbeiten zwar ausdauernd und intensiv, verwechseln aber allzu leicht Anstrengung mit Leistung und Ergebnis. Vereinbaren Sie stattdessen mit Ihren Mi­tar­beit­ern die Ziele und überlassen Sie ihnen Freiräume zu deren Ver­wirk­lichung.
  • Hektische Chefs stehen ständig unter Strom und verwirren und de­mo­tivieren ihre Mitarbeiter. Nehmen Sie lieber das Tempo raus und kümmern Sie sich in Gesprächen und Erklärungen um die Belange Ihrer Mitarbeiter. Diese Art von Anerkennung führt zu starker Motivation und Leis­tungssteigerung.
  • Joviale Chefs sorgen zwar für gute Stimmung, aber den Mi­tar­beit­ern fehlen die Zielo­ri­en­tierung und die Prioritätensetzung. Dadurch entsteht die Gefahr einer gewissen Gle­ichzeit­igkeit. Stellen Sie Regeln auf und erklären Sie, was wichtig ist.
„Konformität lässt wenig Platz für selbstständige Entschei­dun­gen und echte Entwicklung.“

Generell empfiehlt es sich für Führungskräfte, den Kom­mu­nika­tions­fluss zu regeln. Durch offenen, direkten Umgang mit den Mi­tar­beit­ern lässt sich die informelle Kom­mu­nika­tion (Gerüchteküche, Flurfunk) eindämmen. Auch für das Versenden, Bearbeiten und Weit­er­leiten von E-Mails lassen sich Regeln aufstellen: Wer braucht welche Information? Wer bekommt eine Kopie? Wann werden Mails gelöscht? Der Aufwand, das interne In­for­ma­tion­ssys­tem zu struk­turi­eren und regelmäßig zu ak­tu­al­isieren, ist keine ver­schwen­dete Zeit.

Über die Autoren

Kom­mu­nika­tion­strainerin Beate Schneider und Dipl.-Kaufmann Martin Schubert sind Un­ternehmens­ber­ater und Busi­ness-Coachs. Beide beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit Be­wusst­se­in­strain­ing, Wahrnehmung­sprozessen von Menschen und Mo­ti­va­tion­spsy­cholo­gie.