Neues Wachstum

Buch Neues Wachstum

Größenvorteile nutzen, Komplexität meistern, Flexibilität entwickeln

Verlag Industrielle Organisation,


Rezension

Unternehmen auf dem Wach­s­tum­sp­fad sollten sich vor „Spaghetti-Prozessen“ hüten, sagt Un­ternehmens­ber­ater Andreas Suter. Damit ist nicht verklebte Pasta gemeint, sondern eine komplett verwirrte Or­gan­i­sa­tion. Die daraus re­sul­tieren­den Kopf­schmerzen für das Management sind beachtlich, die Heilmittel dagegen hat der Autor in Neues Wachstum zusam­menge­tra­gen. In Fall­beispie­len schildert er konkrete Praxis­si­t­u­a­tio­nen, sucht und findet die tiefer liegenden Probleme und scheut nicht davor zurück, an Dogmen zu rütteln – etwa an jenem, dass den Kunden jeder Wunsch erfüllt werden soll. Auch wenn er sich die eine oder andere Wieder­hol­ung seiner Thesen hätte sparen können: Suters Buch ist ein sehr tauglicher Leitfaden, der wachsenden Unternehmen den Weg aus dem Or­gan­i­sa­tions­d­schun­gel weist. BooksInShort empfiehlt es allen Managern, die ein kleines oder mittleres Unternehmen führen – oder die in einem großen aufräumen müssen.

Take-aways

  • Nur Klei­n­un­ternehmen können sich Flexibilität und spontanes Management leisten.
  • Ab einer bestimmten kritischen Größe muss das Management struk­turi­ert werden: Nötig sind verbindliche Prozesse und eine Ein­lin­ienor­gan­i­sa­tion.
  • Die Komplexität wird erhöht durch eine heterogene Kundenbasis, eine breite Pro­duk­t­palette, Prozessvielfalt und eine verzettelte Or­gan­i­sa­tion.
  • Um die Komplexität einzudämmen, muss sich das Unternehmen auf eine Kun­den­gruppe konzen­tri­eren.
  • Bevor Sie den Kunden jeden Wunsch erfüllen, bedenken Sie die Mehrkosten, die durch Pro­duk­t­vari­anten entstehen.
  • Bieten Sie Ihre Leistungen in Modulen an, die voneinander unabhängig sind.
  • Auch im Innenverhältnis sollten Auf­tragge­ber-Auf­trag­nehmer-Beziehun­gen gelten.
  • Je weniger Schnittstellen es gibt, desto besser.
  • Entscheiden Sie, ob Sie klein und flexibel bleiben oder groß und struk­turi­ert werden wollen. Einen Erfolg ver­sprechen­den Mittelweg gibt es nicht.
  • Haben Sie sich für eine struk­turi­erte Or­gan­i­sa­tion entschieden, bilden Sie ein Steuerung­steam aus bis zu zwölf Personen. 20–30 weitere Leute arbeiten an den Details.
 

Zusammenfassung

David und Goliath

Was ist besser: ein kleines, flexibles Unternehmen oder eines, das auf Größe setzt? Im Idealfall profitiert ein großes Unternehmen von seiner Bekanntheit, seiner Marktmacht und dem ausgebauten Ver­trieb­sap­pa­rat. Oft stehen sich solche Or­gan­i­sa­tio­nen jedoch selbst im Weg, weil die Komplexität mit der Größe zunimmt und Kosteneinsparun­gen sowie Skalen­ef­fekte nicht realisiert werden. Die Unternehmen müssen ihre Flexibilität gegenüber den Kundenwünschen zurückfahren und eine klare Or­gan­i­sa­tion­sstruk­tur mit verbindlichen Regeln schaffen.

„Jedes er­fol­gre­iche Klei­n­un­ternehmen überschre­itet früher oder später die kritische Betriebsgröße. Management auf Zuruf reicht dann nicht mehr aus, um die durch Flexibilität erzeugte Komplexität zu meistern.“

Das Er­fol­gs­ge­heim­nis der Kleinen ist ihre Flexibilität: Sie bieten maßgeschnei­derte Lösungen an, reagieren rasch auf Änderungswünsche und können eine Fülle von Neben­leis­tun­gen erbringen. Der Gründer bzw. Inhaber dominiert das Geschehen und entscheidet ohne lange Dienstwege. Das Geschäft funk­tion­iert mittels „Management auf Zuruf“: Wegen der kurzen Kom­mu­nika­tion­swege entsteht kein erheblicher Ko­or­di­na­tion­saufwand. Damit alles reibungslos abläuft, sind leis­tung­sori­en­tierte, belastbare und teamor­i­en­tierte Mitarbeiter gefragt. Wichtig sind auch ein Wir-Gefühl, eine gemeinsame Sprache (Be­trieb­s­jar­gon) und Mitarbeiter, die sich gut kennen. Am besten sitzen die Angestell­ten räumlich nahe beieinander. Studien haben nämlich gezeigt, dass bei einer Ar­beit­splatzdis­tanz von nur zehn Metern die Kom­mu­nika­tion um 90 % abnimmt.

Gefährliches Wachstum

Ab einer gewissen Mi­tar­beit­erzahl funk­tion­iert das Management auf Zuruf nicht mehr. Wo liegt die kritische Größe? Im Baugewerbe sind es etwa 20–40 Mitarbeiter, im Einzel­han­del können es bis zu 100 sein. Auss­chlaggebend ist die Anzahl derjenigen, die beim Management auf Zuruf direkt beteiligt sind: das operative Kernteam. Erreicht ein Klei­n­un­ternehmen die kritische Größe, hat es ein Problem: Die Flexibilität ist dahin, doch die Vorteile eines Großun­ternehmens fehlen noch.

„Die Unternehmen haben zu entscheiden, ob sie flexibel und klein bleiben oder struk­turi­ert und groß sein wollen.“

Wachsen wollen alle. Größe wird mit mehr Gewinn gle­ichge­setzt. Allerdings konnte eine Un­ter­suchung der Otto Beisheim School of Management im Zeitraum 1990–2002 keinen positiven Zusam­men­hang zwischen Wachstum und Erfolg feststellen. Die Un­ter­suchung von 600 In­dus­triebe­trieben zeigte: Will ein wachsendes Klei­n­un­ternehmen seine Flexibilität behalten, bedeutet das or­gan­isatorischen Mehraufwand, größere be­triebliche Hektik, steigende Fehleranfälligkeit und zunehmende Rei­bungsver­luste.

Typen von Komplexität

Komplexität können Sie jeden Tag im Verkehrsstau beobachten: Es wird gedrängelt, die Spur gewechselt und damit alles blockiert. Im Unternehmen zeigt sich unbewältigte Komplexität darin, dass der Überblick verloren geht, Zuständigkeiten ungeklärt bleiben und Maßnahmen zur Ef­fizien­zsteigerung ergebnislos verpuffen. Komplexität entsteht durch Vielfalt, d. h. dann, wenn Altes nicht durch Neues ersetzt wird, sondern Neues neben Altem existiert. Vier Arten der Komplexität machen dem Unternehmen in diesem Fall zu schaffen:

  1. Mark­tkom­plexität ergibt sich aus einer Vielzahl an Kun­denseg­menten und Absatzkanälen sowie aus der Zyklizität und Saisonalität der Märkte. Der Marketing- und Ver­trieb­saufwand steigt.
  2. Pro­duk­tkom­plexität tritt auf, wenn sich die Produkte von Markt zu Markt un­ter­schei­den. Dies führt zu höheren Ausgaben für Marketing, Vertrieb, Fertigung und Ange­bot­sle­gung. Die Pro­duk­tkom­plexität lässt sich durch Mod­u­lar­isierung der Produkte eindämmen.
  3. Prozesskom­plexität bedeutet, dass Methoden und Prozesse ständig punktuell angepasst und erweitert werden. Minimieren Sie die Schnittstellen und bündeln Sie die Zuständigkeiten bei möglichst wenigen Personen.
  4. Or­gan­i­sa­tion­skom­plexität entwächst der Markt-, Produkt- und Prozesskom­plexität. Sie zeigt sich an Mehrspurigkeiten und Überlas­tun­gen in allen Bereichen.

Heterogene Kunden und Produkte

Es ist ein Teufel­skreis: Komplexität erzeugt sich selbst. Ist etwa die Kundenbasis wenig homogen, braucht es mehr Pro­duk­t­vari­anten. Komplexitätstreiber Nummer eins ist daher eine heterogene Kundenbasis. Kunden sind heutzutage nicht mehr mit einem Stan­dard­pro­dukt zufrieden, sondern wollen auf sie zugeschnit­tene Lösungen. Kommt das Unternehmen jedem Kun­den­wun­sch nach, anstatt seine Ziele zu fokussieren, ver­schwen­det es Energie und die Mark­tkom­plexität nimmt zu.

„Das Geheimnis der Komplexitätsreduktion liegt in der Ent­flech­tung und Entkopplung.“

Eine heterogene Kundenbasis bringt Unternehmen in die Bredouille: Sie müssen eigene Varianten kreieren, auf kulturelle Gepflo­gen­heiten Rücksicht nehmen, viele Sprachen sprechen und alternative Preis- und Liefer­mod­elle anbieten. Die daraus entstehende breite Pro­duk­t­palette ist der Komplexitätstreiber Nummer zwei. Sie denken vielleicht, die Kun­den­zufrieden­heit sei wichtiger als alles andere, doch übersehen Sie die Mehrkosten der vielen Pro­duk­t­vari­anten in der Entwicklung, der Produktion, der Logistik und der Verwaltung nicht. Wie rasch ein paar Zugeständnisse an die Kunden überhand­nehmen können, zeigt das Beispiel des Au­to­mo­bil­her­stellers VW: In den 1970er Jahren hatte der Kunde die Wahl zwischen vier Modellen, und er konnte seine Wünsche in Bezug auf die Mo­tor­leis­tung, die In­nenausstat­tung und die Lackierung äußern. 2008 waren es bereits 14 Modelle, und Sonderwünsche wurden zudem bei der Karosserie, den Tech­nikkom­po­nen­ten, der Lackierung, den Felgen und sogar der Fenstertönung berücksichtigt. Am Ende gleicht kein Auto dem anderen – und die Komplexität ist nicht mehr zu handhaben.

Prozessvielfalt und Verzettelung

Die wachsende Prozessvielfalt ist der Komplexitätstreiber Nummer drei. Lässt man den Mi­tar­beit­ern die Freiheit zu wählen, auf welche Art und Weise sie ihre Aufgaben erfüllen, wird sich keine Effizienz einstellen – Effizienz braucht Wieder­hol­ung! Es entstehen vielmehr „Spaghetti-Prozesse“ mit unzähligen Schnittstellen, bei denen der Überblick verloren geht. Vielleicht meinen Sie es gut, wenn Sie die Mitarbeiter an der Prozess­find­ung teilhaben lassen. Doch damit erreichen Sie nur, dass jede Abteilung ihre eigenen Abläufe optimiert und das Unternehmen als Ganzes vernachlässigt wird.

„Je größer die Komplexität wird, desto geringer sind die Hand­lungsspielräume des Un­ternehmens.“

Vierter und letzter Komplexitätstreiber schließlich ist die Verzettelung. Die funktionale Or­gan­i­sa­tion, die sich an den Fachkom­pe­ten­zen ausrichtet, birgt die Gefahr unnötiger Schnittstellen. Die per­so­n­en­be­zo­gene Or­gan­i­sa­tion ist nicht viel besser. In diesem Fall richtet sich das Unternehmen nach verdienten Einzelper­so­nen. Zuständigkeit­skon­flikte und Mehrspurigkeiten sind vor­pro­gram­miert.

Weg mit Ladenhütern und Extrawürsten

Krempeln Sie die Ärmel hoch, entflechten und entkoppeln Sie! Setzen Sie bei der Mark­tkom­plexität an, indem Sie sich auf eine bestimmte Kun­den­gruppe konzen­tri­eren. Schneiden Sie Ihre Produkte auf die Bedürfnisse dieser konkreten Einheit zu. Stan­dar­d­isieren Sie Ihr Angebot zur Senkung der Pro­duk­tkom­plexität, und bieten Sie dann Module von voneinander unabhängigen Leistungen an. Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Sys­tem­gas­tronomie: Dort gibt es nur wenige Haupt­speisen, doch der Kunde kann unter einem re­ich­halti­gen Angebot an Beilagen und Getränken wählen. Also weg mit den Ladenhütern und den Extrawürsten!

„Die Vorteile von Wachstum und Ar­beit­steilung können nicht Schritt halten, d. h. die Vol­umen­ef­fekte werden durch die rascher steigenden Ko­or­di­na­tion­skosten kompensiert.“

Was Sie brauchen, sind durchgängige, verbindliche Prozesse mit so wenigen Schnittstellen wie möglich, denn bei jeder Schnittstelle geht ein Teil der In­for­ma­tio­nen verloren. Die Or­gan­i­sa­tion­sstruk­tur und die Prozesse müssen aufeinander abgestimmt sein. Wählen Sie eine kun­de­nori­en­tierte Ein­lin­ienor­gan­i­sa­tion, in der jeder Mitarbeiter nur einer Stelle bericht­spflichtig ist. Es darf hin­sichtlich der Aufgaben keine Überschnei­dun­gen geben. Im besten Fall ist ein Prozess in nur einer Or­gan­i­sa­tion­sein­heit zusam­menge­fasst, die einen von anderen Einheiten unabhängigen Auf­gaben­bere­ich betreut.

Auf die Schnittstellen kommt es an

All diese Lösungsansätze lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: das Schnittstel­len­man­age­ment. Damit die Schnittstellen effizient sind, darf es an ihnen keine Rol­len­missverständnisse unter den Beteiligten geben. Es muss klar sein, welche Aufgaben der Kunde, welche der Lieferant und welche das Unternehmen übernimmt. Damit haben Sie das Außenverhältnis geklärt und brauchen sich um die Prozesse beim Kunden nicht mehr zu kümmern. Zur Festlegung der Rollen im Innenverhältnis bestimmen Sie einen Ansprech­part­ner für die Kunden. Klären Sie, wer etwa für Ange­botsin­halt und Pre­is­find­ung, für die Erreichung des Gewinnziels und für die Liefer­an­te­nauswahl zuständig ist.

„Ein Unternehmen, welches seine Geschäftsprozesse durchgängig und mit der Auf­tragge­ber-Auf­trag­nehmer-Beziehung festgelegt hat, gewinnt strate­gis­che Manövrier­barkeit.“

Führen Sie auch im Innenverhältnis Auf­tragge­ber-Auf­trag­nehmer-Beziehun­gen ein. Hat eine Abteilung eine Schnittstelle zu einer anderen, gelten dieselben Regeln wie bei Un­ternehmensfrem­den: Aufträge sind verbindlich und sollten nicht mehr verändert werden. Prüfen Sie deshalb im Voraus, ob der Auftrag verständlich, vollständig, richtig und machbar ist. Prob­lema­tisch wird es, wenn eine Aufgabe bzw. ein Auftrag von mehreren Abteilungen bearbeitet wird. Wer ist dann der Auf­tragge­ber? Wer der Auf­trag­nehmer? Und vor allem: Wer übernimmt die Ve­r­ant­wor­tung, wenn etwas schiefläuft?

„Nicht alle Unternehmen schaffen den Sprung aus freier Einsicht. An einigen Orten braucht es vorgängig eine Un­ternehmen­skrise.“

Soll das Unternehmen eine Wertschöpfungs­mas­chine werden, denken Sie es sich als Blackbox, die nach Geschäft­sprozessen in mehrere kleinere Blackboxes unterteilt ist. Diese sind miteinander durch Auf­tragge­ber-Auf­trag­nehmer-Beziehun­gen verbunden.

Groß werden oder klein bleiben?

Management auf Zuruf mit größter Flexibilität kann in Klei­n­un­ternehmen wunderbar funk­tion­ieren. Bei Großunternehmen allerdings führt es ins Chaos. Ist ein kleines Unternehmen erfolgreich, stellt sich un­weiger­lich die Frage, ob es lieber klein und flexibel bleiben oder groß und struk­turi­ert werden möchte – einen Mittelweg gibt es nicht. Die Umstellung von Management auf Zuruf zum struk­turi­erten Management verändert die Rollen diverser Mitarbeiter auf allen Ebenen des Un­ternehmens empfindlich. Deshalb stellt das Management die Frage selten von sich aus, sondern erst, wenn eine Un­ternehmen­skrise die Entschei­dung notwendig macht.

„An der Un­ternehmensspitze muss sich ein Team formieren, welches sich der Thematik annimmt, den umfassenden Hand­lungs­be­darf akzeptiert und in der Lage ist, ein großes Un­ternehmensen­twick­lung­spro­jekt vo­ranzutreiben.“

Wenn Sie sich für die Option „groß und struk­turi­ert“ entschließen, machen Sie sich auf einige Veränderungen gefasst. Ab sofort sind Vere­in­barun­gen verbindlich und können nicht mehr spontan verworfen werden. Sie müssen prägnant sein, damit Missverständnisse aus­geschlossen werden. Das Unternehmen muss strategisch entscheiden, welche Märkte es wie bearbeiten möchte. Daraus entwickelt sich dann das Pro­duk­t­port­fo­lio mit stan­dar­d­isiertem Leis­tungskat­a­log. Das Management einigt sich weiterhin auf verbindliche Prozesse und darüber, wer in welchen Abteilungen welche Aufgaben hat. Bauen Sie darauf Ihre Or­gan­i­sa­tion­sstruk­tur mit einfachen Schnittstellen auf.

„Zusammen mit vielen Wissensträgern, den Kollegen aus der Basis, werden Lösungen so detailliert, dass sie breit abgestützt sind.“

Siedeln Sie das Projekt an der Un­ternehmensspitze an und binden Sie die betroffenen Mitarbeiter – bzw. die Schlüsselleute – so früh wie möglich ein. Das Steuerung­steam für die Grobkonzep­tion wird aus acht bis zwölf Personen aus dem Management bestehen. Weitere 20–30 Personen aus der Basis arbeiten dann an den Details und den Teil­pro­jek­ten. Er­fahrungs­gemäß benötigt der Wandel zum struk­turi­erten Management etwa zwei Jahre.

Über den Autor

Andreas Suter ist Partner des Be­ratung­sun­ternehmens GroNova und hat langjährige Man­age­menter­fahrung. Als Professor für Un­ternehmensführung und Or­gan­i­sa­tion an der Technischen Universität in Graz entwickelte er das Konzept der Wertschöpfungs­mas­chine.