Turnaround

Buch Turnaround

Aus der Krise zum Top-Unternehmen

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Interessant, dass Autor Roman Löw das Unternehmen, um das es in diesem Büchlein ausschließlich geht, kein einziges Mal beim Namen nennt. Die vornehme Zurückhaltung – ansonsten nicht eine von Löws of­fenkundig­sten Eigen­schaften – überrascht, denn auf den Au­to­mo­bilzulief­erer Gestamp Griwe kommt man dank Internet heute innerhalb weniger Sekunden. Das Buch ist denn auch in erster Linie eine Beschrei­bung davon, wie es dieses Unternehmen im Zeitraum 2004–2007 von einem Krisen- zum Top-Un­ternehmen gebracht hat. Diese Fallstudie ist in manchen Punkten lehrreich, obwohl man anfügen muss, dass sie genau in jene Zeit fällt, in der die Au­to­mo­bilin­dus­trie ohnehin wie von selbst lief. Auch wenn der beschriebene Turnaround beachtlich ist: Die Leser des Buchs dürften kaum eine ähnliche Begeis­terung entwickeln wie der ve­r­ant­wortliche Werkleiter Roman Löw. Ein paar Scheibchen von seiner Erfahrung abschneiden kann man sich aber allemal, meint BooksInShort – und empfiehlt das Buch allen un­ternehmerischen Entschei­dungsträgern, vor allem solchen im pro­duzieren­den Gewerbe.

Take-aways

  • Ein Turnaround zu einem vorbildlich geführten Unternehmen ist selbst aus einer Krise heraus machbar.
  • Ein Unternehmen kann nur „lean“ (schlank) sein, wenn jeder Einzelne seine Aufgaben und Ve­r­ant­wortlichkeiten genau kennt.
  • Starten Sie den Turn­around-Prozess mit einer Ansprache. Ermuntern Sie Ihre Mitarbeiter, Kritik jederzeit zu äußern.
  • Ein Veränderung­sprozess muss „trainiert“ werden. Ziehen Sie hierfür notfalls externe Trainer hinzu.
  • Folgen Sie dem Train-the-Trainer-Prinzip: Jede Maßnahme wird kaskadenförmig von oben nach unten weit­er­ver­mit­telt.
  • Die Trainer geben ihr Wissen an den „Lean-Agen­ten“ weiter. Setzen Sie für diese Stelle einen ihrer besten Köpfe ein.
  • Halten Sie sich an den „5S-Prozess“: Sortieren, Sta­bil­isieren, Sauberkeit, Stan­dar­d­isieren, Selb­st­diszi­plin.
  • Indem Sie Ihre Tagesabläufe stan­dar­d­isieren, schaffen Sie eine Ver­gle­ichs­ba­sis.
  • Erfassen Sie die wichtigsten Kennzahlen zu Ar­beitssicher­heit, Qualität, Wertstrom, Kosten, Moral und Ökologie mit einer Scorecard.
  • Richten Sie ein In­for­ma­tion­szen­trum ein, wo die aktuellen Zahlen einsehbar sind und neue Ideen besprochen werden können.
 

Zusammenfassung

Er­fol­gre­iche Aufholjagd

Unternehmen durchlaufen Zyklen: Entweder sie geraten durch un­vorteil­hafte äußere Umstände in eine lebens­bedrohliche Krise − oder durch eigenes Verschulden. Gerade im Au­to­mo­bilsek­tor ist der Wettbewerb hart. Das Beispiel eines rhein­land-pfälzischen Zulieferers, der statt auf Re­struk­turierungsmaßnahmen auf altbewährte Tugenden gesetzt hat, macht deutlich: Die Meta­mor­phose zum einem Top-Un­ternehmen ist jederzeit möglich – auch aus der Krise heraus.

„Fir­men­sanierung basiert zu 90 % nicht auf Einsparung, sondern auf technischen Kennzahlen.“

Am Ende einer zweijährigen Turn­around-Phase stand der Gewinn mehrerer in der Au­to­mo­bilzulief­ererbranche angesehener Ausze­ich­nun­gen, darunter der „Sonderpreis Best Practice Lean Start-up“. Das Unternehmen avancierte innerhalb eines Jahres vom C-Liefer­an­ten – die unterste Kategorie bei Zulieferern – zum A-Liefer­an­ten, wodurch es auf einen Schlag in das Portfolio zweier global tätiger Au­to­mo­bil­her­steller aufrückte. Der Turnaround war geschafft.

Or­gan­isieren der Or­gan­i­sa­tion

Wie war das innerhalb so kurzer Zeit möglich? Der Weg von der Theorie zur Praxis sah konkrete Maßnahmen vor. Punkt eins: Or­gan­isieren. Ein Unternehmen besteht aus Menschen, und das große Ganze ist die Or­gan­i­sa­tion. Um diese möglichst schlank („lean“) zu halten, muss jeder Einzelne seine Ve­r­ant­wortlichkeiten und Aufgaben genau kennen. Er muss wissen, wer sein Kunde ist und welche Abteilungsziele (oder auch in­di­vidu­ellen Ziele) als Messlatte ve­r­an­schlagt sind. Die so genannte Teamratio, das Verhältnis zwischen Teamführer und Team­mit­gliedern, sollte in einem vernünftigen Rahmen liegen, etwa eins zu 15.

Train the Trainer

Die Belegschaft muss auf die anstehende Turn­around-Sit­u­a­tion vorbereitet werden. Damit befasst sich Punkt zwei: Trainieren. Zunächst bedarf es eines „Trainers“. In der Regel ist das ein externer Fachmann, der die Mitarbeiter in einem mehrtägigen Seminar auf die anstehenden Veränderungen vorbereitet.

„Heute besser als gestern – und morgen besser als heute.“

Darüber hinaus müssen Sie eine neue Funktion schaffen: den „Lean-Agen­ten“. Er sollte einer der Besten aus Ihrer Führungs­man­nschaft sein. Auf ihn überträgt sich das Train-the-Trainer-Prinzip, dem zufolge kaskadenförmig jede neu gelernte Maßnahme von oben nach unten weit­ergegeben wird.

Jede neue Maßnahme kann im Rahmen von Pi­lot­pro­jek­ten zunächst einmal geübt werden. Erst im Anschluss, mit den zuvor gewonnenen Erfahrungen, sollten neue Methoden oder Techniken auf die gesamte Fabrik übertragen werden. Vergessen Sie nicht, sämtliche Trainings innerhalb eines vernünftigen Rahmens wiederholen zu lassen. Ein wichtiger Tipp: Übertragen Sie die Funktion des Lean-Agen­ten auf keinen Fall jemandem, der sonst womöglich beschäftigungslos wäre. Der Lean-Agent muss einer Ihrer besten Köpfe sein, ein Spezialist, der sich fortan voll und ganz auf diese Schlüsselrolle konzen­tri­eren kann.

Mitmachen und mit­gestal­ten

Verbesserun­gen liest man an Standards ab, Standards wiederum an Scorecards. Darum geht es in Punkt drei: Stan­dar­d­isieren. Als Fir­men­lenker müssen Sie für einen kon­tinuier­lichen Tagesablauf sorgen. Nur so lässt sich eine Ver­gle­ichs­ba­sis erstellen. Der Lean-Agent hat dann die Umsetzung der Verbesserun­gen im Tagesgeschäft zu ve­r­ant­worten. Er muss seine Aufgabe mit Herzblut erledigen und sich voll mit ihr iden­ti­fizieren.

„Ohne Standards gibt es keine Verbesserung.“

Das Herzstück des Turn­around-Prozesses ist der Im­ple­men­tierungsvor­gang, bei dem Sie die graue Theorie in den Alltag umsetzen. Der Lean-Agent erstellt dazu einen Aktionsplan, der auflistet, wer welche Aufgabe bis wann zu erledigen hat. Noch davor sollten Sie als Vorstand, Geschäftsführer oder Werkleiter daran denken, eine Eröff­nungsansprache zu halten. Ermuntern Sie Ihre Mitarbeiter, Vorschläge und Kritik jederzeit äußern zu können. Im­ple­men­ta­tion lebt vom Mitmachen.

Der 5S-Prozess

Beim 5S-Prozess (Sortieren, Sta­bil­isieren, Sauberkeit, Stan­dar­d­isieren, Selb­st­diszi­plin) stehen Sauberkeit und Ordnung im Vordergrund. Beides sind keine Alibi-Beschäftigungsmaßnahmen, sondern die Grundlage zur Vermeidung von Übel aller Art, speziell in einem Zulief­ererbe­trieb.

„Der Mensch ist mit­tler­weile die einzige natürliche Ressource, über die wir in Deutschland verfügen.“

Wichtig ist, dass Sie rigoros alles aus­sortieren, was Sie nicht mehr gebrauchen können. Setzen Sie sich eine zeitliche Frist, kennze­ich­nen Sie die fraglichen Dinge und entsorgen oder ver­schrot­ten Sie sie dann. Vergessen Sie nicht die Pausenecken, die Kantine, die Umkleideräume etc. Ihre Mitarbeiter sollten sehen und spüren, dass Sie Sauberkeit und Ordnung wirklich ernst nehmen. Doku­men­tieren Sie das! Machen Sie Fotos vom Vorher- und Nach­her-Zu­s­tand.

„Informieren Sie zunächst den Betriebsrat und dann die gesamte Belegschaft über Ihr Vorhaben. Ab dann haben Sie sich selbst unter Zugzwang gestellt. Es gibt kein Zurück mehr!“

Bekämpfen Sie auf jeden Fall eines der weiteren Grundübel einer Fabrik: Ver­schwen­dung. Machen Sie regelmäßige Rundgänge mit Ihrem Abteilungsleiter, um Sünden in diesem Bereich aufzudecken. Die unan­genehmen Folgen von Ver­schwen­dung dürften Ihnen bekannt sein: Überpro­duk­tion, lange Warte- und Rüstzeiten, fehlerhafte Teile, vermeidbare Reparaturen oder auch Übertech­nisierung. Schlecht or­gan­isierte Firmen ohne schlanke Fertigung kommen auf ein Verhältnis zwischen Ver­schwen­dung und Wert­steigerung von 10 000 zu eins – japanische Unternehmen dagegen durch­schnit­tlich auf eines von 400 zu eins. Überlegen Sie auch, auf welche überflüssigen Maschinen Sie künftig verzichten können.

Zeigen Sie, was Sie geschafft haben

Ihre Vorher-Nach­her-Fo­tos mögen den Veränderung­sprozess doku­men­tieren. Nach außen sichtbar wird er allerdings erst, wenn Sie einen konkreten Anlass, beispiel­sweise ein Be­trieb­s­fest, nutzen, um die Veränderung zu kom­mu­nizieren. Laden Sie – sofern vorhanden – Ihre Konz­ern­spitze, Ihre Geschäftspartner, Ihre Kunden und Ihre Zulieferer ein. Sie alle sollten sehen, wie aus einem hässlichen Entlein ein schöner Schwan werden kann. Aber bleiben Sie ehrlich und betrügen Sie sich trotz allen Fortschritts am Ende nicht selbst. Der Erfolg wird für Ihre Gäste sicher erkennbar sein.

Qualitätszentrum

Schaffen Sie einen Raum, in dem Sie (oder Ihr Lean-Agent) sich regelmäßig mit wichtigen Mi­tar­beit­ern versammeln, um mögliche Qualitätsprobleme zu besprechen. Hin­ter­fra­gen Sie, weshalb ein Problem mit Teil X besteht. Vergessen Sie nicht die Frage nach der Lösung. Was schlagen Ihre Mitarbeiter vor? Sie sind es schließlich, die sich am besten mit der Maschine oder dem Prozess auskennen. Im Team besprechen Sie dann, wie man fortfahren soll.

Zielvor­gaben

Nutzen Sie ein Daten­er­fas­sungssys­tem für die wichtigsten Kennzahlen zur Ar­beitssicher­heit, zur Qualität, zum Wertstrom, zu den Kosten sowie zu moralischen und ökologischen Aspekten. Dazu gehört als Aus­gangs­ba­sis eine Scorecard mit den Daten und einem Schätzwert, der ein gemeinsames Ziel für beispiel­sweise die nächsten zwölf Monate sein soll. Die Abteilungs-, Team- und in­di­vidu­ellen Ziele müssen fortan laufend überprüft werden. Schreiten Sie ein, sobald sich Ab­we­ichun­gen ergeben. Sie können die Ziel­er­re­ichung an ein Prämiensystem knüpfen. Wenn nötig, sollten Sie interne oder externe Schulungen in Erwägung ziehen.

Kein Platz für Zufall

Nicht akzeptabel ist, wenn es nach einem Arbeits- oder Beina­he­un­fall heißt, men­schliches Versagen oder Un­acht­samkeit seien dafür ve­r­ant­wortlich gewesen. Suchen Sie technische Lösungen, die eine Wieder­hol­ung so un­wahrschein­lich wie möglich erscheinen lassen. Ratsam ist es zudem, eine Fachkraft eigens für Ar­beitssicher­heit, Ergonomie und Umwelt von ihrer sonstigen Arbeit freizustellen. Lassen Sie beispiel­sweise Ihre Teams die potenziell größten Ar­beitssicher­heit­srisiken benennen – und vermindern Sie diese dann durch vorbeugende Maßnahmen.

„Vergessen Sie nicht, Fotos vom Zustand Ihres Un­ternehmens vor dem Aus­sortieren und Aufräumen und von der Ordnung danach zu machen.“

Nehmen Sie eine lange Zeitspanne ohne Unfälle auch mal zum Anlass, ein Frühstück für die unfallfreie Abteilung zu spendieren oder entsprechende Kennzahlen ebenfalls an das Ent­gelt­sys­tem zu binden. Damit zeigen Sie Ihren Beschäftigten, wie ernst Sie es meinen. Gleiches gilt für die Qualität Ihrer Produkte oder die Wertschöpfung (Umwandlung von Rohmaterial in Fer­tig­pro­dukte). Neue Abteilungsreko­rde sollten Sie ausgiebig würdigen und publik machen.

Das In­for­ma­tion­szen­trum

Richten Sie als Herzstück Ihres Veränderung­sprozesses ein In­for­ma­tion­szen­trum ein. Vorteilhaft ist es, wenn sich dieses mitten in den Pro­duk­tionsräumen befindet – schließlich treten dort auch die Probleme auf; dort werden Werte geschaffen oder vernichtet.

„Es ist besser, Entschei­dun­gen zu treffen, auch auf das Risiko hin, dass Fehlentschei­dun­gen dabei sein mögen, als gar keine Entschei­dun­gen zu treffen.“

Lassen Sie es im In­for­ma­tion­szen­trum aber nicht zu bequem zugehen: Be­sprechun­gen sollten effektiv, ziel­gerichtet und kurz abgehalten werden. An den Wänden können Sie Tafeln aufhängen, auf denen die aktuellen Kennzahlen stehen. Vermitteln Sie Ihren Mi­tar­beit­ern, dass sie von Ihnen Unterstützung bekommen, wenn sie diese benötigen. Als Grundregel sollte der Werkleiter zu mindestens 60 % im Betrieb anzutreffen sein, der Meister aber zu 100 %.

„Im In­for­ma­tion­szen­trum steht lediglich ein ovaler Stehtisch zur Verfügung, damit Be­sprechun­gen so kurz wie möglich erfolgen.“

Eine ähnliche Symbolkraft kann eine „Zukun­ftswerk­statt“ ausstrahlen. Richten Sie diese in der Nähe Ihres In­for­ma­tion­szen­trums ein. Täglich zu einem festen Zeitpunkt treffen sich dort einige Spezial­is­ten, z. B. die besten Elektriker oder Mechaniker, um Ideen auszu­tauschen und Aktivitäten zu besprechen. Im Anschluss können sie bei einem Rundgang den Mi­tar­beit­ern vor Ort ihre Ideen weitergeben. Die hellsten Köpfe sollten es auch sein, die Sie monatlich zu In­no­va­tion­s­meet­ings laden. Dort präsentieren sie mögliche Neuerungen und ergründen Wege, wie diese in die tägliche Praxis umgesetzt werden könnten.

Definieren Sie Teams

Zeitgleich zu den ersten Trainingsmaßnahmen sollten Sie Team­struk­turen einführen, wobei Sie das Train-the-Trainer-Prinzip als Grundlage nehmen. Beziehen Sie ruhig – falls vorhanden – den Betriebsrat mit ein. Auch er muss schließlich den Veränderung­sprozess mittragen.

„Der Standort des In­for­ma­tion­szen­trums inmitten der Produktion hat hohe Symbolkraft.“

Das darf aber nicht so weit führen, dass Teambe­set­zun­gen sozialen Kriterien unterworfen werden. Ihre Team-Leader sollten auch wirklich Ihre Besten sein. Lassen Sie das Pilot-Team vom engagierten externen Fach­spezial­is­ten Ihres Vertrauens am Wochenende trainieren. Dieses Team gibt in der Folge sein neu erworbenes Wissen und seine Fer­tigkeiten der gesamten direkten und indirekten Belegschaft weiter, die ebenfalls in Teams eingeteilt ist.

Durchhalten!

Auf Widerstand werden Sie im Veränderung­sprozess un­weiger­lich stoßen. Manche Mitarbeiter werden geschockt reagieren, wenn Sie diese oder jene Veränderung konkret einfordern. Genauso gut kann eine Veränderung aber in Spaß am Mitmachen umschlagen, wenn der Prozess erst einmal angelaufen ist.

„Das Unternehmen sicherte sein Überleben allein dadurch, dass Kunden von seinen Produkten abhängig waren und nicht ohne Weiteres einen anderen Hersteller suchen konnten.“

Ein mentaler Tiefpunkt wird er­fahrungs­gemäß erreicht, wenn der Veränderung­sprozess mit seinen Folgen der Belegschaft richtig bewusst wird. Dann gilt es eisern durchzuhal­ten, und dabei hilft nur eines: Sie müssen als Werkleiter, Fabrik- oder Konzernchef mit bestem Beispiel vorangehen.

Über den Autor

Roman Löw ist Ingenieur und arbeitete 20 Jahre im Management der Ford Werke AG, bevor er 2004 Werkleiter bei Gestamp Griwe wurde, einem deutschen Au­to­mo­bilzulief­erer.