Geburt eines neuen Getränks
In seinem Minilabor bastelt Dieter Leipold 1986 an einer gebrauten Limonade: Nicht einfach eine neue Marke soll es werden, sondern ein komplett neues Getränk. Der Tüftler isoliert aus Kombucha einen Bakterienstamm, der Zucker nicht zu Alkohol, sondern zu Gluconsäure vergärt. Seine Vision: eine gesunde Limonade. Gleichzeitig forscht Leipold nach ungewohnten Geschmacksrichtungen. Wie beim Wein produziert er eine weiße und eine rote Sorte. Zu den beiden Varianten mit Litschis und Holunderbeeren gesellen sich im Lauf der Zeit vier weitere.
„Eine bankrotte Brauerei trotzt allen Widrigkeiten und fordert Giganten wie Coca-Cola heraus.“
Die anderen Säulen des Bionade-Teams sind Leipolds Ehefrau, Sigrid Peter-Leipold, die die Dorfbrauerei in Ostheim vor der Rhön von ihrem Vater übernommen hat, sowie deren Söhne Peter und Stephan Kowalski.
Der Manila-Flop
Als das Getränk endlich fertig ist, gestaltet sich dessen Einführung schwierig: Es passt in keine Schublade. Doch der deutschstämmige Direktor des größten Getränkekonzerns in Südostasien, eines halbstaatlichen Unternehmens in Manila, liest in einer Brauereizeitschrift von dem neuen Produkt, besucht die Familie und sichert sich für zehn Jahre die Lizenz zum Weltvertrieb – mit Ausnahme von Europa, das die bayerischen Brauer nicht aus der Hand geben.
„Wer eine Flasche kauft, trinkt nicht nur eine Limo. Er legt ein Bekenntnis ab.“
Der Erfinder erhält sofort eine Million Garantiehonorar. Damit werden Gläubiger bedient und Investitionen getätigt. Pro Quartal bekommen die Brauer bis zu 30 000 $ an Lizenzgebühren, bis nach einem Jahr der Geldfluss plötzlich versiegt und die Vertragspartner nicht mehr erreichbar sind. Verantwortlich für den Bionade-Produktionsstopp ist ein politischer Umsturz auf den Philippinen: Nicht nur die Regierung wurde ausgetauscht, sondern auch der Direktor des Unternehmens. Von Mitarbeitern des Konzerns erfahren die deutschen Brauer, dass überdies Coca-Cola als Teilhaber seine Hände im Spiel hat. Ein Lottogewinn von mehr als einer Million DM, den Sigrid Peter-Leipold einfährt, hilft dem Unternehmen über die Runden.
Bio schafft Auftrieb
Biobauern attackieren die Brauerfamilie. Sie fordern: Wo Bio draufsteht, muss auch Bio drin sein. Leipold, der den Namen seiner Brause selbst erfunden hatte, bezog den Ausdruck Bio auf den chemiefreien Herstellungsprozess. Doch an den Paragrafen der EU-Verordnung kommt auch er nicht vorbei. Da die Änderung des gerade eingeführten Namens außer Frage steht, bleibt den Herstellern tatsächlich nichts anderes übrig, als auf ökologisch angebaute Rohstoffe zurückzugreifen. Dafür bekommt das Getränk im Jahr 2000 allerdings auch das Biosiegel und profitiert vom Bio- und Wellnessboom.
„Erfolge wie die von Bionade sind kaum planbar, nicht mathematisch ableitbar.“
Ein Passauer Großhändler ermöglicht den Bionade-Brauern 1997, ihr Getränk ausnahmsweise auf einer Sitzung des Getränkeverbands in Hamburg vorzustellen. Daraufhin schleust ein Hamburger Getränkehändler, der 70 % der örtlichen Lokale beliefert, Bionade in die Szenelokale ein, wo sie sich zum Lieblingsgetränk der lokalen Werber und Kreativen mausert.
„Mit dem Slogan vom ‚offiziellen Getränk einer besseren Welt‘ haben die Ostheimer die Messlatte für Bionade und sich selbst hoch gelegt.“
Aus Versehen bekleben die Ostheimer einen Teil der Hamburger Bionade-Flaschen mit ungarischen Etiketten. Dieser Fehler erweist sich als Segen: Er heizt Gerüchte und Spekulationen um das sonderbare Getränk an, das bald in aller Munde ist. Nachdem sich das Getränk auch in einer Drogeriekette der Hansestadt hat etablieren können, übertragen die Bionade-Brauer diese Erfahrungen auf andere Großstädte und erobern als nächstes Berlin, das ähnliche Szenestrukturen aufweist wie Hamburg.
Bionade als Kultmarke
Viele zukunftsweisende Ideen werden nicht von Entwicklungsstrategen großer Konzerne konzipiert, sondern von Außenseitern, die von ihrer Vision überzeugt sind. Und Bionade konnte nur in dieser kleinen maroden Brauerei heranreifen, deren Besitzer nichts anderes hatten als das Konzept eines Getränks und die Ausdauer, es über zehn Jahre hinweg zu verfolgen. Ein nach betriebswirtschaftlichen Gesetzen arbeitendes Unternehmen hätte das Projekt längst eingestampft. Bionade weist alles auf, was eine Kultmarke benötigt: ein authentisches Image, das die Geschichte vom naturverbundenen Underdog erzählt, der sich auf seiner Mission mit den Großen anlegt.
Medien und Werbung
Ein Frankfurter Werbeprofi, der an das Getränk glaubt, liefert den Ostheimern honorarfrei die zündende Idee, Bionade in die Kantinen der Medienhäuser zu schleusen. Die Rechnung geht auf und eine Lawine wird losgetreten: Journalisten namhafter Medien pilgern in die Rhön, und deren Berichte ziehen weitere Medien an. Die Ostheimer werden von Gerhard Schröder zum Tag der offenen Tür der Bundesregierung eingeladen, um sich in einem Ideenpark als wegweisendes Unternehmen zu präsentieren.
„Das Bier lief nicht mehr, die Bionade noch nicht – in dieser gefährlichen Zwischenzeit verdingt sich die Brauereifamilie als Disco-Betreiber.“
Im Jahr 2007 plant ein Vermarkter von Radiowerbung eine Studie zur Wirkung von Rundfunkspots. Bionade, denkt er, wäre ein gutes Beispiel. Da sich das Bionade-Team aber keinen Funkspot leisten kann, schenkt ihnen der Vermarkter Werbezeit sowie die Produktion eines Spots durch eine Agentur ihrer Wahl.
„Die meisten Kultmarken beginnen mit einer Underdog-Story, als so genannter ‚Rebell‘ oder ‚Freak‘.“
Daraufhin lässt sich das Bionade-Team gleich eine ganze Kampagne entwerfen. Es handelt den Preis zu einem Bruchteil des üblichen Honorars herunter mit dem Argument, die Werbeagentur könne sich in der Folge ebenfalls mit Bionade als Referenz schmücken. Die Agentur kreiert den Slogan „Bionade: Das offizielle Getränk einer besseren Welt“. Als bald darauf Globalisierungskritiker gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm demonstrieren, beziehen sie den Spruch auf sich und schmücken sich mit Bionade-Kronkorken. Die Biobrauer schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, doch das Politspektakel geht vorbei und die Bionade-Werbewirkung bleibt.
Von der Vergangenheit eingeholt
Mitten im Freudentaumel über die Bionadisierung der Gesellschaft werden die Ostheimer von Altlasten überrollt. Sie hatten ihre Kredite, wann immer es ging, zurückgezahlt. Als sie einer Bank nur noch 35 000 € schulden, leitet diese die Zwangsvollstreckung ein, denn genauso viel erhält sie als erster Gläubiger risikolos aufgrund der eingetragenen Grundschuld in gleicher Höhe. Um nicht leer auszugehen, klinken sich weitere Geldinstitute mit einer Gesamtforderung von über 600 000 € ein. In letzter Sekunde werden sich die Brauer mit den Banken einig, nachdem sie sich in der Not für einen Teilhaber entschieden haben: den Mineralwasser-Abfüller RhönSprudel. Dieser verlangt für seine Hilfe eine Mehrheitsbeteiligung ohne Einlage, worauf es zwischen beiden Unternehmen wiederholt zu Interessenkonflikten kommt. RhönSprudel zielt auf schnelle Gewinne, die Ostheimer favorisieren Investitionen und rasches Wachstum.
Die Eroberung von Handels- und Restaurantketten
Jahr für Jahr klopft Peter Kowalski beim Rewe-Handelsmanager an, doch es wird keine Einigung erzielt. Vor allem verwehren sich die Brauer, das im Lebensmittelhandel übliche so genannte Listungsgeld zu bezahlen, um überhaupt in die Regale der Supermärkte zu gelangen. Manche Produzenten zahlen bis zu 2,4 Millionen Euro dafür. Als jener Handelsmanager von sich aus anruft, ahnt Kowalski, dass er gewonnen hat. Vermutlich geben die Nachfragen der Endkunden den Ausschlag. Gehört Bionade jetzt zu den Großen? Das wäre gut, denn in all den Jahren hat Kowalski gelernt, dass die Großen die Spielregeln vorgeben und die Kleineren sich danach richten.
„Ohne Großkonzerne als Partner gibt es keine schnelle Marktdurchdringung.“
Ikea vertreibt als erster Großkunde Bionade in seinen Restaurants. Beide Unternehmen sprechen in etwa die gleiche Zielgruppe an. Wie aber reagieren die Fans auf die Allianz zwischen Bionade und McDonald’s? Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Beide Unternehmen erhoffen sich von der Zusammenarbeit eine Erweiterung ihres Kundenstamms. Die erwarteten Protestbriefe an Bionade halten sich in Grenzen. Kowalski rechtfertigt sich damit, eine Volkslimo zu produzieren und das Angebot von McDonald’s zum Guten zu wandeln.
Coca-Cola bläst zur Übernahme
Der Coca-Cola-Konzern kriegt mit, wie gut das Geschäft mit Bionade läuft, weil die Brauer den Giganten als einen von vielen Vertriebspartnern nutzen. Gezwungenermaßen, denn um junge intelligente Menschen als Meinungsbildner zu gewinnen, will das Bionade-Team die Uni-Mensen beliefern, wofür sich allerdings Coca-Cola bereits das Exklusivrecht gesichert hat. Als der Konzern Peter Kowalski die Übernahme von Bionade anbietet, lehnen die Brauer ab. Sie wollen das Zepter nicht aus der Hand geben und ihre Identität behalten.
Die Krux mit den Nachahmern
2007 ahmen bereits 25 Unternehmen Bionade nach. In ihrem Labor verifizieren die Ostheimer zwar, dass sich die Imitate mangels Insiderwissen inhaltlich von ihrem Produkt unterscheiden, aber optisch und vom Namen her sind die Kopien zu nah am Original. So strengt der Familienbetrieb eine erste große Klage gegen Krombachers „Bionaris“ an – und gewinnt. Weitere Nachahmer werden mit einstweiligen Verfügungen und außergerichtlichen Einigungen in ihre Schranken gewiesen.
„Kowalski wird gefeiert als Ökomanager des Jahres, als Mittelständler des Jahres, als Marketing-Mann, als Newcomer im Bereich Design & Management.“
Coca-Cola startet mit einem 60 Meter langen Werbeschiff eine Promotionstour für sein neu entwickeltes Getränk „Spirit of Georgia“ in Hamburg. Der Konzern hebt demonstrativ hervor, dass dieses Erfrischungsgetränk keine Konkurrenz zu Bionade sei. Wenige Tage zuvor erstellt das Bionade-Team bewusst gegenüber den Landebrücken, wo das Werbeschiff einlaufen wird, aus fast 7000 Bionadekisten ein riesiges „Danke Hamburg“-Denkmal. Die Promotionstour der Weltmarke steht auch weiterhin unter keinem guten Stern: Der absackende Wasserpegel der Elbe verhindert die Weiterfahrt und es kommt zu einer Rückrufaktion wegen erhöhten Flaschendrucks. Bereits nach wenigen Monaten brechen die Verkaufszahlen des Nachahmerprodukts rapide ein.
Nach den USA kommt der Rückschlag
Um Bionade in den USA einzuführen, präsentieren die Brauer ihr Getränk auf der größten Lebensmittelmesse Amerikas. Ähnlich wie übrigens auch in Deutschland will den amerikanischen Behördenmitarbeitern nicht in den Kopf, dass ein gebrautes Getränk keinen Alkohol enthält. Sicherheitshalber schicken die Behörden Proben der Biobrause ans Militär. Erst als dieses feststellt, dass die Flüssigkeit nicht als B- oder C-Waffe taugt, gibt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten grünes Licht für den Bionade-Verkauf. Der geplante Bau einer Produktionsstätte in Amerika verzögert sich. Vielleicht ist es ein Segen, denn der Wirtschaftseinbruch wirft Zukunftsprognosen über den Haufen.
„Ganz so fix, wie die Rhöner das in ihrem Brauerei-Büro auf Papier gebracht haben, stampft kein Europäer in Amerika eine Fabrik aus dem Boden.“
Das Profilierungsstreben der jungen Marke ist einigen ökologischen Interessengruppen ein Dorn im Auge. Sie prüfen Bionade auf Herz und Nieren und stellen Abweichungen zu den Angaben des Produzenten fest. Dieser stoppt die Behauptungen durch eine einstweilige Verfügung und bekommt vor Gericht Recht. Doch in der Öffentlichkeit bleibt hängen: Die Bionade-Brauer sind Prozesshansel, und hinter dem idyllischen Image verbergen sich knallharte Geschäftsleute.
„2009 ist ein Schicksalsjahr. Rasch muss die Bionade-Familie die Tapsigkeit der ehemaligen Dorfbrauerei abstreifen.“
Als das Bionade-Team im Sommer 2008 auch noch den Flaschenpreis um 30 % erhöht – ein harter Schlag ins Gesicht der Händler und Kunden –, halbiert sich der Absatz. Die Brauer rechtfertigen sich damit, als Original teurer sein zu müssen als die Imitate. Die Medien deuten die Bionade-Erfolgsgeschichte um und sprechen plötzlich von Dilettantismus. Doch die Brauer arbeiten an positiven Schlagzeilen. Gerade werfen sie die heimische Quitte als neue Geschmacksrichtung auf den Markt.