Bionade

Buch Bionade

Eine Limo verändert die Welt

Eichborn,


Rezension

Ein kleiner, ver­schulde­ter und maroder Fam­i­lien­be­trieb wird zur Konkurrenz für Coca-Cola, Sinalco und Red Bull – wie das? Um der unglaublichen Story auf den Grund zu gehen, begleitete die Jour­nal­istin Bettina Weiguny die Bion­ade-Brauer ein Jahr lang. In ihrem daraus ent­stande­nen Buch zeigt sie hautnah, ausführlich und kurzweilig, dass der in den Medien gefeierte plötzliche Aufstieg und Höhenflug von Bionade in Wirk­lichkeit ein lang­wieriger und steiniger Weg voller Rückschläge und Angriffe, aber auch voller glücklicher Fügungen war. Die Autorin geht nicht streng chro­nol­o­gisch, sondern nach the­ma­tis­chen Schw­er­punk­ten vor und gewährt dabei in­ter­es­sante Einblicke in die Mechanismen des Getränkehandels, des Marke­nauf­baus und der Eigenart von Kult­pro­duk­ten. BooksInShort meint: ein Buch nicht nur für Bion­ade-Fans, sondern auch für alle, die selbst gerne eine Überflieger-Marke am Start hätten.

Take-aways

  • Bionade ist eine gebraute, gesunde Limonade – und der Ursprung einer Marken­er­fol­gs­geschichte.
  • 1986 erfunden, passte das un­kon­ven­tionelle Getränk in keine Schublade, der Absatz hinkte.
  • Ein philip­pinis­cher Getränkekonzern sicherte sich die Weltrechte – und fiel einem politischen Umsturz zum Opfer.
  • Erst als man Bionade in Hamburger Szenelokale schleuste, startete die Marke durch.
  • Später lieferte man das Getränk in die Kantinen der führenden Me­di­enkonz­erne: der perfekte PR-Trick.
  • Um ihre Eigenständigkeit zu bewahren, schlugen die Bion­ade-Brauer ein Übernah­meange­bot von Coca-Cola aus.
  • Mit­tler­weile steht Bionade kurz davor, selbst einer der Großen zu werden.
  • Gegen Nachahmer wird per Gerichtsver­fahren rigoros vorgegangen.
  • Mehrere Imitate scheiterten, weil ihnen die Glaubwürdigkeit von Bionade fehlte.
  • Eine Erhöhung des Flaschen­preises um 30 % brach dem Unternehmen fast das Genick.
 

Zusammenfassung

Geburt eines neuen Getränks

In seinem Minilabor bastelt Dieter Leipold 1986 an einer gebrauten Limonade: Nicht einfach eine neue Marke soll es werden, sondern ein komplett neues Getränk. Der Tüftler isoliert aus Kombucha einen Bak­te­rien­stamm, der Zucker nicht zu Alkohol, sondern zu Gluconsäure vergärt. Seine Vision: eine gesunde Limonade. Gle­ichzeitig forscht Leipold nach ungewohnten Geschmack­srich­tun­gen. Wie beim Wein produziert er eine weiße und eine rote Sorte. Zu den beiden Varianten mit Litschis und Hol­un­der­beeren gesellen sich im Lauf der Zeit vier weitere.

„Eine bankrotte Brauerei trotzt allen Widrigkeiten und fordert Giganten wie Coca-Cola heraus.“

Die anderen Säulen des Bion­ade-Teams sind Leipolds Ehefrau, Sigrid Pe­ter-Leipold, die die Dorf­brauerei in Ostheim vor der Rhön von ihrem Vater übernommen hat, sowie deren Söhne Peter und Stephan Kowalski.

Der Manila-Flop

Als das Getränk endlich fertig ist, gestaltet sich dessen Einführung schwierig: Es passt in keine Schublade. Doch der deutschstämmige Direktor des größten Getränkekonzerns in Südostasien, eines halb­staatlichen Un­ternehmens in Manila, liest in einer Brauereizeitschrift von dem neuen Produkt, besucht die Familie und sichert sich für zehn Jahre die Lizenz zum Weltver­trieb – mit Ausnahme von Europa, das die bayerischen Brauer nicht aus der Hand geben.

„Wer eine Flasche kauft, trinkt nicht nur eine Limo. Er legt ein Bekenntnis ab.“

Der Erfinder erhält sofort eine Million Garantiehono­rar. Damit werden Gläubiger bedient und In­vesti­tio­nen getätigt. Pro Quartal bekommen die Brauer bis zu 30 000 $ an Lizenzgebühren, bis nach einem Jahr der Geldfluss plötzlich versiegt und die Ver­tragspart­ner nicht mehr erreichbar sind. Ve­r­ant­wortlich für den Bion­ade-Pro­duk­tion­sstopp ist ein politischer Umsturz auf den Philippinen: Nicht nur die Regierung wurde aus­ge­tauscht, sondern auch der Direktor des Un­ternehmens. Von Mi­tar­beit­ern des Konzerns erfahren die deutschen Brauer, dass überdies Coca-Cola als Teilhaber seine Hände im Spiel hat. Ein Lottogewinn von mehr als einer Million DM, den Sigrid Pe­ter-Leipold einfährt, hilft dem Unternehmen über die Runden.

Bio schafft Auftrieb

Biobauern attackieren die Brauer­fam­i­lie. Sie fordern: Wo Bio draufsteht, muss auch Bio drin sein. Leipold, der den Namen seiner Brause selbst erfunden hatte, bezog den Ausdruck Bio auf den chemiefreien Her­stel­lung­sprozess. Doch an den Paragrafen der EU-Verord­nung kommt auch er nicht vorbei. Da die Änderung des gerade eingeführten Namens außer Frage steht, bleibt den Herstellern tatsächlich nichts anderes übrig, als auf ökologisch angebaute Rohstoffe zurückzugreifen. Dafür bekommt das Getränk im Jahr 2000 allerdings auch das Biosiegel und profitiert vom Bio- und Well­ness­boom.

„Erfolge wie die von Bionade sind kaum planbar, nicht math­e­ma­tisch ableitbar.“

Ein Passauer Großhändler ermöglicht den Bion­ade-Brauern 1997, ihr Getränk aus­nahm­sweise auf einer Sitzung des Getränkeverbands in Hamburg vorzustellen. Daraufhin schleust ein Hamburger Getränkehändler, der 70 % der örtlichen Lokale beliefert, Bionade in die Szenelokale ein, wo sie sich zum Lieblings­getränk der lokalen Werber und Kreativen mausert.

„Mit dem Slogan vom ‚offiziellen Getränk einer besseren Welt‘ haben die Ostheimer die Messlatte für Bionade und sich selbst hoch gelegt.“

Aus Versehen bekleben die Ostheimer einen Teil der Hamburger Bion­ade-Flaschen mit ungarischen Etiketten. Dieser Fehler erweist sich als Segen: Er heizt Gerüchte und Speku­la­tio­nen um das sonderbare Getränk an, das bald in aller Munde ist. Nachdem sich das Getränk auch in einer Drogeriekette der Hansestadt hat etablieren können, übertragen die Bion­ade-Brauer diese Erfahrungen auf andere Großstädte und erobern als nächstes Berlin, das ähnliche Szen­estruk­turen aufweist wie Hamburg.

Bionade als Kultmarke

Viele zukun­ftsweisende Ideen werden nicht von En­twick­lungsstrate­gen großer Konzerne konzipiert, sondern von Außenseitern, die von ihrer Vision überzeugt sind. Und Bionade konnte nur in dieser kleinen maroden Brauerei heranreifen, deren Besitzer nichts anderes hatten als das Konzept eines Getränks und die Ausdauer, es über zehn Jahre hinweg zu verfolgen. Ein nach be­trieb­swirtschaftlichen Gesetzen arbeitendes Unternehmen hätte das Projekt längst einge­stampft. Bionade weist alles auf, was eine Kultmarke benötigt: ein au­then­tis­ches Image, das die Geschichte vom naturver­bun­de­nen Underdog erzählt, der sich auf seiner Mission mit den Großen anlegt.

Medien und Werbung

Ein Frankfurter Werbeprofi, der an das Getränk glaubt, liefert den Ostheimern honorarfrei die zündende Idee, Bionade in die Kantinen der Medienhäuser zu schleusen. Die Rechnung geht auf und eine Lawine wird losgetreten: Jour­nal­is­ten namhafter Medien pilgern in die Rhön, und deren Berichte ziehen weitere Medien an. Die Ostheimer werden von Gerhard Schröder zum Tag der offenen Tür der Bun­desregierung eingeladen, um sich in einem Ideenpark als weg­weisendes Unternehmen zu präsentieren.

„Das Bier lief nicht mehr, die Bionade noch nicht – in dieser gefährlichen Zwis­chen­zeit verdingt sich die Brauereifam­i­lie als Disco-Be­treiber.“

Im Jahr 2007 plant ein Vermarkter von Ra­diower­bung eine Studie zur Wirkung von Rund­funkspots. Bionade, denkt er, wäre ein gutes Beispiel. Da sich das Bion­ade-Team aber keinen Funkspot leisten kann, schenkt ihnen der Vermarkter Werbezeit sowie die Produktion eines Spots durch eine Agentur ihrer Wahl.

„Die meisten Kultmarken beginnen mit einer Un­der­dog-Story, als so genannter ‚Rebell‘ oder ‚Freak‘.“

Daraufhin lässt sich das Bion­ade-Team gleich eine ganze Kampagne entwerfen. Es handelt den Preis zu einem Bruchteil des üblichen Honorars herunter mit dem Argument, die Wer­beagen­tur könne sich in der Folge ebenfalls mit Bionade als Referenz schmücken. Die Agentur kreiert den Slogan „Bionade: Das offizielle Getränk einer besseren Welt“. Als bald darauf Glob­al­isierungskri­tiker gegen den G-8-Gipfel in Heili­gen­damm demon­stri­eren, beziehen sie den Spruch auf sich und schmücken sich mit Bion­ade-Kro­nko­rken. Die Biobrauer schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, doch das Polit­spek­takel geht vorbei und die Bion­ade-Wer­be­wirkung bleibt.

Von der Ver­gan­gen­heit eingeholt

Mitten im Freuden­taumel über die Biona­disierung der Gesellschaft werden die Ostheimer von Altlasten überrollt. Sie hatten ihre Kredite, wann immer es ging, zurückgezahlt. Als sie einer Bank nur noch 35 000 € schulden, leitet diese die Zwangsvoll­streck­ung ein, denn genauso viel erhält sie als erster Gläubiger risikolos aufgrund der einge­tra­ge­nen Grundschuld in gleicher Höhe. Um nicht leer auszugehen, klinken sich weitere Geldin­sti­tute mit einer Gesamt­forderung von über 600 000 € ein. In letzter Sekunde werden sich die Brauer mit den Banken einig, nachdem sie sich in der Not für einen Teilhaber entschieden haben: den Min­er­al­wasser-Abfüller RhönSprudel. Dieser verlangt für seine Hilfe eine Mehrheits­beteili­gung ohne Einlage, worauf es zwischen beiden Unternehmen wiederholt zu In­ter­essenkon­flik­ten kommt. RhönSprudel zielt auf schnelle Gewinne, die Ostheimer fa­vorisieren In­vesti­tio­nen und rasches Wachstum.

Die Eroberung von Handels- und Restau­ran­tket­ten

Jahr für Jahr klopft Peter Kowalski beim Rewe-Han­dels­man­ager an, doch es wird keine Einigung erzielt. Vor allem verwehren sich die Brauer, das im Lebens­mit­tel­han­del übliche so genannte Lis­tungs­geld zu bezahlen, um überhaupt in die Regale der Supermärkte zu gelangen. Manche Produzenten zahlen bis zu 2,4 Millionen Euro dafür. Als jener Han­dels­man­ager von sich aus anruft, ahnt Kowalski, dass er gewonnen hat. Vermutlich geben die Nachfragen der Endkunden den Ausschlag. Gehört Bionade jetzt zu den Großen? Das wäre gut, denn in all den Jahren hat Kowalski gelernt, dass die Großen die Spielregeln vorgeben und die Kleineren sich danach richten.

„Ohne Großkonzerne als Partner gibt es keine schnelle Mark­t­durch­dringung.“

Ikea vertreibt als erster Großkunde Bionade in seinen Restaurants. Beide Unternehmen sprechen in etwa die gleiche Zielgruppe an. Wie aber reagieren die Fans auf die Allianz zwischen Bionade und McDonald’s? Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Beide Unternehmen erhoffen sich von der Zusam­me­nar­beit eine Erweiterung ihres Kun­den­stamms. Die erwarteten Protest­briefe an Bionade halten sich in Grenzen. Kowalski recht­fer­tigt sich damit, eine Volkslimo zu produzieren und das Angebot von McDonald’s zum Guten zu wandeln.

Coca-Cola bläst zur Übernahme

Der Coca-Cola-Konz­ern kriegt mit, wie gut das Geschäft mit Bionade läuft, weil die Brauer den Giganten als einen von vielen Ver­trieb­spart­nern nutzen. Gezwun­genermaßen, denn um junge in­tel­li­gente Menschen als Mei­n­ungs­bild­ner zu gewinnen, will das Bion­ade-Team die Uni-Mensen beliefern, wofür sich allerdings Coca-Cola bereits das Exk­lu­sivrecht gesichert hat. Als der Konzern Peter Kowalski die Übernahme von Bionade anbietet, lehnen die Brauer ab. Sie wollen das Zepter nicht aus der Hand geben und ihre Identität behalten.

Die Krux mit den Nachahmern

2007 ahmen bereits 25 Unternehmen Bionade nach. In ihrem Labor ver­i­fizieren die Ostheimer zwar, dass sich die Imitate mangels In­sid­er­wis­sen inhaltlich von ihrem Produkt un­ter­schei­den, aber optisch und vom Namen her sind die Kopien zu nah am Original. So strengt der Fam­i­lien­be­trieb eine erste große Klage gegen Krombachers „Bionaris“ an – und gewinnt. Weitere Nachahmer werden mit einst­weili­gen Verfügungen und außerg­erichtlichen Einigungen in ihre Schranken gewiesen.

„Kowalski wird gefeiert als Ökomanager des Jahres, als Mittelständler des Jahres, als Mar­ket­ing-Mann, als Newcomer im Bereich Design & Management.“

Coca-Cola startet mit einem 60 Meter langen Werbeschiff eine Pro­mo­tion­s­tour für sein neu en­twick­eltes Getränk „Spirit of Georgia“ in Hamburg. Der Konzern hebt demon­stra­tiv hervor, dass dieses Er­frischungs­getränk keine Konkurrenz zu Bionade sei. Wenige Tage zuvor erstellt das Bion­ade-Team bewusst gegenüber den Landebrücken, wo das Werbeschiff einlaufen wird, aus fast 7000 Bion­adek­isten ein riesiges „Danke Hamburg“-Denkmal. Die Pro­mo­tion­s­tour der Weltmarke steht auch weiterhin unter keinem guten Stern: Der absackende Wasserpegel der Elbe verhindert die Weiterfahrt und es kommt zu einer Rückrufaktion wegen erhöhten Flaschen­drucks. Bereits nach wenigen Monaten brechen die Verkauf­szahlen des Nachah­mer­pro­dukts rapide ein.

Nach den USA kommt der Rückschlag

Um Bionade in den USA einzuführen, präsentieren die Brauer ihr Getränk auf der größten Lebens­mit­telmesse Amerikas. Ähnlich wie übrigens auch in Deutschland will den amerikanis­chen Behörden­mi­tar­beit­ern nicht in den Kopf, dass ein gebrautes Getränk keinen Alkohol enthält. Sicher­heit­shal­ber schicken die Behörden Proben der Biobrause ans Militär. Erst als dieses feststellt, dass die Flüssigkeit nicht als B- oder C-Waffe taugt, gibt das Land der un­be­gren­zten Möglichkeiten grünes Licht für den Bion­ade-Verkauf. Der geplante Bau einer Pro­duk­tion­sstätte in Amerika verzögert sich. Vielleicht ist es ein Segen, denn der Wirtschaft­sein­bruch wirft Zukun­ft­sprog­nosen über den Haufen.

„Ganz so fix, wie die Rhöner das in ihrem Brauerei-Büro auf Papier gebracht haben, stampft kein Europäer in Amerika eine Fabrik aus dem Boden.“

Das Pro­fil­ierungsstreben der jungen Marke ist einigen ökologischen In­ter­es­sen­grup­pen ein Dorn im Auge. Sie prüfen Bionade auf Herz und Nieren und stellen Ab­we­ichun­gen zu den Angaben des Produzenten fest. Dieser stoppt die Be­haup­tun­gen durch eine einst­weilige Verfügung und bekommt vor Gericht Recht. Doch in der Öffentlichkeit bleibt hängen: Die Bion­ade-Brauer sind Prozesshansel, und hinter dem idyllischen Image verbergen sich knallharte Geschäftsleute.

„2009 ist ein Schick­sal­s­jahr. Rasch muss die Bion­ade-Fam­i­lie die Tapsigkeit der ehemaligen Dorf­brauerei abstreifen.“

Als das Bion­ade-Team im Sommer 2008 auch noch den Flaschen­preis um 30 % erhöht – ein harter Schlag ins Gesicht der Händler und Kunden –, halbiert sich der Absatz. Die Brauer recht­fer­ti­gen sich damit, als Original teurer sein zu müssen als die Imitate. Die Medien deuten die Bion­ade-Er­fol­gs­geschichte um und sprechen plötzlich von Dilet­tan­tismus. Doch die Brauer arbeiten an positiven Schlagzeilen. Gerade werfen sie die heimische Quitte als neue Geschmack­srich­tung auf den Markt.

Über die Autorin

Bettina Weiguny berichtete als EU-Ko­r­re­spon­dentin in Brüssel für Focus. Heute schreibt sie als Wirtschaft­sjour­nal­istin u. a. für FAZ und Stern. Sie verfasste die Un­ternehmens­bi­ografie Die geheimnisvollen Herren von C&A.