Wettbewerbsfaktor immaterielles Vermögen
Weltweit durchlaufen Unternehmen derzeit einen von der Öffentlichkeit zwar noch wenig beachteten, aber gravierenden Wandel. Die Wettbewerbsstärke einer Firma ist immer weniger vom konkreten Sachkapital, etwa von Maschinen oder Produkten, abhängig. Vielmehr ermittelt sich der Unternehmenswert zunehmend aus der Fülle von immateriellen Vermögensgegenständen wie Patenten, innovativen Mitarbeitern, Software oder Markenrechten. Laut einer Studie des US-Ökonomen L. I. Nakamura haben die amerikanischen Unternehmen bereits im Jahr 2000 rund 10 % des Bruttoinlandsproduktes in immaterielles Vermögen investiert. In Deutschland zeigt sich der Wandel von der rein technologieorientierten Wirtschaft zu einer Wissensgesellschaft an der steigenden Bedeutung immaterieller Vermögen. So verdoppelten sich z. B. die Einnahmen aus Patenten und Lizenzen von 1989 bis 2007 auf über fünf Milliarden Euro.
„Im Zuge des Wandels von der sachkapital- hin zu einer humankapitalintensiven Wissens- und Technologiegesellschaft kristallisiert sich vor allem das immaterielle Vermögen als wichtiger Werttreiber der Unternehmen und als Wachstumsfaktor der Volkswirtschaft heraus.“
Die Veränderung in der Wettbewerbssituation der Unternehmen findet ihren Niederschlag inzwischen auch in den internationalen Anforderungen an die Bilanzerstellung. So müssen bei einem Firmenkauf bestimmte immaterielle Werte in der Bilanz gesondert ausgewiesen werden, sobald internationale Rechnungslegungsvorschriften greifen. Die separate Bilanzierung ist jedoch mit dem Problem verbunden, dass viele immaterielle Vermögenswerte erst im Zusammenhang mit anderen Kapitalformen ihren spezifischen Wert erhalten. Diese Unsicherheit in der monetären Quantifizierung des immateriellen Vermögens ist die größte Herausforderung, will man diesen Wettbewerbsfaktor korrekt erfassen.
Klassifizierung der immateriellen Vermögenswerte
Grundsätzlich lassen sich immaterielle Vermögenswerte in die drei Gruppen Human-, Struktur- und Beziehungskapital unterteilen. Ersteres schließt etwa Fachwissen, Erfahrung oder kreative Ideen ein. Zum Strukturkapital zählen Softwareentwicklungen, die Firmenkultur oder die Art der Arbeitsprozesse. Und das Beziehungsvermögen umfasst sämtliche Vernetzungen, etwa mit dem Kundenstamm oder den Lieferanten. Diese grobe Klassifizierung lässt sich bis ins Detail spezifizieren. Das immaterielle Vermögen beinhaltet auch Aspekte wie die Kundenzufriedenheit, die Kreditwürdigkeit, Standortvorteile, Urheberrechte und die Qualitätssicherung. Allen immateriellen Werten gemeinsam ist, dass ihnen physische und monetäre Substanz fehlen. Grundsätzlich kann immaterielles Vermögen daher anhand von Schutzrechten, durch Verträge und durch ihren ökonomischen Wert genutzt werden.
„Immaterielle Vermögenswerte lassen sich von den materiellen Vermögenswerten (Maschinen, Fuhrpark, Immobilien etc.) durch ihre fehlende physische Substanz abgrenzen.“
Studien belegen, dass mit immateriellen Werten heute deutlich höhere Profite zu erzielen sind als mit herkömmlichem Sachkapital. Darüber hinaus hat diese Art des Vermögens den Vorteil, dass sein Einsatz weniger Beschränkungen unterliegt. Während eine Maschine jeweils nur an einem Ort verwendet werden kann, ist etwa eine Software gleichzeitig in zahlreichen Büros einsetzbar. Zwar zieht die Entwicklung immateriellen Vermögens oft hohe Fixkosten nach sich, dafür fallen in der Anwendung nur geringe Grenzkosten an, während mit steigender Nutzung die Grenzerträge wachsen. Nachteil des immateriellen Vermögens ist die Schwierigkeit, diese Werte vor dem unerlaubten Zugriff Dritter zu schützen.
Gründe für die Bewertung von immateriellem Vermögen
Die Anlässe für die monetäre Erfassung immaterieller Werte sind vielfältig. Häufig erfolgt eine Bewertung, wenn immaterielles Vermögen wie etwa Markenrechte verkauft oder gekauft werden soll. Gründe für diese Transaktionen können z. B. kartellrechtliche Auflagen, strategische Veränderungen des Geschäfts oder Liquiditätssicherung sein. Da immaterielles Vermögen meist nur im Zusammenhang mit anderen Werten seinen speziellen Nutzen entfaltet, stellt sich bei allen Transaktionen die Frage, ob das veräußernde Unternehmen durch die Abgabe einzelner Vermögenswerte seine Existenz aufs Spiel setzt. Umgekehrt muss der Käufer prüfen, ob er durch den Kauf wirklich den Nutzen erzielen kann, den er sich erhofft.
„Bei immateriellen Werten ist eine gleichzeitige Mehrfachnutzung oftmals typisch.“
Ein weiterer Grund für die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten ist deren beabsichtigte Lizenzierung auf Zeit. Diese Abtretung von Nutzungsrechten kann innerhalb eines Konzerns oder unter Geschäftspartnern erfolgen. Des Weiteren können bilanzrechtliche Anforderungen und die damit verbundenen steuerrechtlichen Vorgaben sowie Kreditwürdigkeitsprüfungen eine Bewertung auslösen. Es kann aber auch sein, dass das Management den Bewertungsprozess initiiert, um mehr Klarheit für eigene strategische Entscheidungen zu gewinnen. So kann es etwa für die Planung von Forschungsausgaben und Investitionen von Bedeutung sein, inwiefern das immaterielle Vermögen den Unternehmenswert steigert.
Die Bewertungsperspektive immaterieller Vermögenswerte
Immaterielles Vermögen hat keinen Wert an sich wie etwa Sachgüter. Vielmehr muss sein Wert erst anhand einer Berechnungsmethode gezielt ermittelt werden.
„Vor dem Hintergrund einer am Shareholder-Value ausgerichteten Unternehmensstrategie müssen sich Investitionen in das immaterielle Vermögen als wertsteigernde Projekte manifestieren.“
Dabei lassen sich zwei grundlegende Ansätze unterscheiden: die objektivierte oder die subjektive Bewertung. Im ersten Fall wird das Vermögen etwa mithilfe vergleichbarer Werte oder simulierter Marktpreise beurteilt. Ziel ist es, die Einschätzung des immateriellen Vermögens auf diese Weise auch für Dritte, etwa Richter oder Investoren, transparent zu machen. Dagegen legt bei der subjektiven Bewertung der Veräußerer den Preis für das immaterielle Vermögen anhand der eigenen Nutzen- und Risikoeinschätzung fest. Ziel ist hierbei die Ermittlung der Preisober- und -untergrenzen für Käufer und Verkäufer. Eine objektivierte Einschätzung des immateriellen Vermögens ist vor allem für bilanzrechtliche Anforderungen notwendig. Aus diesem Grund wurden international unterschiedliche Bewertungsstandards entwickelt, sodass die Beurteilung des immateriellen Vermögens einheitlich ist. Der in Deutschland gefragteste Standard ist der Ansatz des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW.
Verschiedene Bewertungsverfahren
Auf der Grundlage der klassischen Ansätze zur Wertermittlung von Kapital wurden zahlreiche Methoden zur Erfassung immateriellen Vermögens entwickelt. Die Verfahren richten sich entweder nach dem Kostenwert, dem Kapitalwert oder dem Marktwert. Alle drei Ansätze beginnen mit der grundsätzlichen Frage, ob nur ein einzelner Vermögenswert monetär erfasst werden soll oder ein ganzes Unternehmen. Danach wird der Umfang der betroffenen Schutzrechte ermittelt. Anschließend wird festgelegt, ob das immaterielle Vermögen im Zusammenhang mit anderen Kapitalarten beurteilt werden soll, und man bestimmt, welche Bewertungsperspektive eingenommen wird. Nicht selten werden sowohl die objektivierte als auch die subjektive Preisbestimmung gleichzeitig verfolgt. Der wesentliche Unterschied zwischen den drei Ansätzen liegt in der konkreten Berechnung der finanziellen Vermögenswerte.
„In Deutschland sind im Zuge der Umsetzung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte in Anlehnung an die International Financial Reporting Standards (IFRS) aktivierungsfähig.“
Beim kostenwertorientierten Verfahren liegt das Augenmerk auf den Reproduktionskosten. Der Wert von immateriellem Vermögen wird dabei aus den für ihr Angebot notwendigen Aufwendungen abgeleitet. Trotz seiner leicht nachvollziehbaren Berechnung und trotz der Beliebtheit dieses Ansatzes für die Bestimmung von Kaufpreisobergrenzen ist das kostenwertorientierte Verfahren kritisch zu sehen. So lassen sich einige Kostenarten wie die Entwicklungsausgaben nicht so einfach bestimmen und die Annahme, immaterielles Vermögen sei leicht kopierbar, entspricht nicht der Realität. Zudem berücksichtigt dieser Ansatz keine Gewinnpotenziale.
„Derzeit scheint das immaterielle Vermögen über die Ratingquote und die Kapitalkosten eher eine indirekte Finanzierungsfunktion zu besitzen.“
Der kapitalwertorientierte Ansatz hat die zukünftigen Erträge im Blick. Man errechnet den Wert immateriellen Vermögens anhand der auf die Gegenwart diskontierten künftigen Zahlungsströme (Barwerte). Die große Herausforderung liegt bei diesem Verfahren in der Bestimmung der relevanten Zahlungsströme, der Kapitalkosten und der Nutzungsdauer. Die einzelnen Methoden wie Cashflow- oder Residualwert-Berechnung sind aufwendig und müssen sehr sorgfältig durchgeführt werden.
„Die Grundlage der klassisch finanziellen Bewertungsmethoden bildet der Vergleich des Bewertungsobjektes mit einer Handlungsalternative.“
Im Gegensatz zu den beiden obigen Verfahren will der marktwertorientierte Ansatz einen Marktpreis ermitteln. Als Grundlage dienen dabei die Preise für vergleichbare immaterielle Vermögenswerte, die durch Angebot und Nachfrage auf dem freien Markt zu erzielen sind. Dabei wird angenommen, dass der Marktpreis den Nutzen dieser Kapitalwerte genau widerspiegelt. Obwohl der marktwertorientierte Ansatz durchaus realitätsnahe Ergebnisse liefert, hat er seine Grenzen. So basieren die aktuellen Werte immer auf vergangenen Preisvorstellungen, die für die momentane Situation und die konkreten Verhandlungen nicht unbedingt relevant sind. Zudem setzt die Anwendung dieses Ansatzes einen bestehenden Markt voraus, was nur selten der Fall ist.
Die Bewertung von Nutzungsrechten
Eine Besonderheit in der monetären Erfassung immateriellen Vermögens ist die Lizenzierung. Sie bezeichnet die zeitlich befristete Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes durch Dritte. Die Überlassung wird mithilfe eines Vertrages zwischen dem Eigentümer des immateriellen Vermögens und dem Lizenznehmer geregelt. Inhalt einer solchen Vereinbarung sind die Rechte und Pflichten beider Parteien sowie Ort, Zeitraum und Art der Nutzung. Zudem wird in dem Vertrag die Lizenzgebühr festgelegt.
„Fast 30 % der Marktkapitalisierung des Indexes S&P 500 sind durch Markenwerte zu erklären.“
Im Geschäftsalltag werden üblicherweise drei Methoden für die Bestimmung des Nutzungspreises unterschieden: die marktorientierte Lizenzbewertung, der Profit-Split und die Methode des umgerechneten IP-Werts. Im ersten Fall wird die Lizenzgebühr anhand ähnlicher auf dem Markt üblicher Raten ermittelt. Beim Profit-Split wird der wirtschaftliche Nutzen zwischen den beiden Vertragsparteien aufgeteilt, ausgehend vom Geschäftsmodell des Lizenznehmers. Und bei der Methode des umgerechneten Wertes wird die Lizenzgebühr aus dem vorher erfassten Wert des immateriellen Vermögens errechnet.
Wichtige immaterielle Vermögenswerte im Überblick
In der Praxis konzentriert sich die monetäre Erfassung des immateriellen Vermögens auf einige wesentliche Vermögensarten. Dazu zählen Marken, Internetadressen, Patente, Kundenbeziehungen, Mitarbeiterstamm sowie Softwareentwicklungen. Vor allem Marken spielen bei der Unternehmensbewertung eine entscheidende Rolle. Die monetäre Erfassung ist hier allerdings nicht einfach, da sich ihre Bedeutung auch durch die schwer zu quantifizierende Sympathie der Kunden bemisst. Mit den Marken eng verbunden sind die Domains oder Internetadressen. Um ihren Wert ermitteln zu können, muss zunächst ihr Nutzen konkret definiert werden. Dieser kann u. a. in der Erhöhung des Bekanntheitsgrades, der Veränderung des Image oder in der Kundengewinnung liegen.
„Der Kundenstamm ist als Vermögenswert nicht separat schutzfähig.“
Leichter als der Wert von Marken oder Domains ist jener von Schutzrechten wie Patenten oder Gebrauchsmustern zu bestimmen. Ihr Preis richtet sich vor allem danach, ob die Erfindungen umgesetzt werden oder die Schutzrechte nur beantragt wurden, um andere von Entwicklungen in den entsprechenden Technologiebereichen abzuhalten. Weitere Faktoren, die ihren Wert beeinflussen, sind die Laufzeit des Schutzes sowie der Umfang oder die Art der Umsetzung der gesicherten Ideen. Deutlich komplizierter ist die finanzielle Beurteilung von Kundenbeziehungen oder des Mitarbeiterstamms. Eine Bewertung dieser Vermögensarten kann etwa im Zuge eines Geschäftsbereichsverkaufs von Bedeutung sein. Informationen über das tatsächliche Ertragspotenzial sind in beiden Fällen schwer zu gewinnen. Gerade bei der Veräußerung von Geschäftseinheiten muss man zudem prüfen, ob Kundenbeziehungen und Mitarbeiterstamm vom Rest des Unternehmens abgespalten werden können.