Konzeption des Kunden-Rückgewinnungs-Managements (KRM)
KRM ist eine unternehmerische Zukunftsaufgabe. Eine in den letzten Jahren stattfindende Neuorientierung des Managements lässt Themen des Kundenbindungs- und des Relationship-Managements immer mehr in den Fokus des modernen Managements rücken: Der Aufbau einer dauerhaften Geschäftsbeziehung, hohe Kundenzufriedenheit und eine möglichst enge und langfristige Kundenbindung sind die Herausforderungen, denen sich das moderne Dienstleistungsunternehmen stellen muss. Dem verstärkten Bindungswettbewerb der Unternehmen stehen aber auf Seiten der Nachfrager immer öfter sinkende Loyalitätsraten gegenüber. Die zunehmende Dynamik und Verschärfung des Wettbewerbs in den meisten Branchen, nicht zuletzt aufgrund neuer Vertriebsformen wie Direct Banking oder E-Commerce, tragen zur steigenden Bereitschaft der Kunden zum Anbieterwechsel bei. Deshalb muss sich ein Unternehmen, das eine klare Kundenorientierung anstrebt, dem Segment der Ex-Kunden zuwenden.
Ziele des KRM
Wiedergewinnungs-Ziel: Durch jede Kündigung verliert das Unternehmen den gesamten Kundenwert, der neben den entgangenen Gewinnen aus den bestehenden Verträgen auch das Cross-Selling-, das Referenz- und das Informations-Potenzial des Kunden umfasst. Und: Die Kosten der Neukunden-Akquisition übersteigen die der Kundenbindung um ein Vielfaches.
„Systematisches Kunden-Management beinhaltet neben der Neukunden-Gewinnung und der Kunden-Bindung auch die Kunden-Rückgewinnung.“
Präventions-Ziel: Die Auseinandersetzung mit den Gründen eines Kundenverlustes bietet für das Unternehmen die Chance, sich mit den eigenen betrieblichen Schwächen und Fehlern auseinander zu setzen. Das Feedback abgewanderter Kunden und dessen systematische Analyse gibt Hinweise zur Reduzierung zukünftiger Abwanderungen.
„Das Kunden-Rückgewinnungs-Management zielt nicht nur auf die Wiedergewinnung verlorener Kunden, sondern hat darüber hinaus die Prävention und Schadensminimierung zum Inhalt.“
Schadensminimierungs-Ziel: Negative Mund-zu-Mund-Propaganda und schlechte Referenzen unzufriedener Kunden können zu weiteren Umsatzeinbussen führen und Auswirkungen auf das Neukundengeschäft und den bestehenden Kundenstamm haben. Ein wichtiges Ziel des KRM ist deshalb, Kunden, die nicht zurückgewonnen werden konnten, zumindest zu beschwichtigen und die Beziehung so weit zu klären, dass sie keinen weiteren bzw. möglichst geringen Schaden verursacht.
Erfolgsfaktoren für eine rentable Rückgewinnung
Motivation sowie fachliche und kommunikative Fähigkeiten der Mitarbeiter: Die wichtigsten Erfolgsfaktoren des KRM sind die Mitarbeiter. Umso mehr, wenn fernmündliche Kommunikationskanäle zur Kundenansprache genutzt werden, sei es im Rahmen eines Call-Centers oder über Aussendienstmitarbeiter. Nur hoch motivierte Mitarbeiter sind in der Lage, kompetent und flexibel auf die unterschiedlichsten Persönlichkeitsstrukturen und Gründe der Kündiger einzugehen.
„Ein professionelles (!) Rückgewinnungs-Management verspricht hohe Erfolgsquoten; bestehende Erfolgsquoten lassen sich durch eine weitere Optimierung des Managements häufig noch steigern.“
Ausgereifte Datenbank/EDV-Unterstützung: Eine geeignete Software ist für die Effektivität des KRM unabdingbar. Sie unterstützt die Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit, ermöglich aber auch die Segmentierung der Kündiger und damit den Aufbau einer effizienten Zielkunden-Selektion.
Kundenindividuelle Anreize zur Rückkehr: Eine flexible Reaktion des Unternehmens auf eine Kündigung gestaltet die Rückgewinnung erfolgversprechender. Je unkomplizierter und spezifischer dem Kunden ein neues Angebot unterbreitet wird und je mehr zusätzliche Vorteile dieses Angebot verspricht, umso eher ist die Bereitschaft des Kunden da, auf die Rückholbemühungen einzugehen.
„Die Top-Erfolgsfaktoren des KRM sind eine hohe Motivation sowie fachliche und kommunikative Fähigkeiten der Mitarbeiter.“
Möglichst frühzeitige Kündigeransprache (Timing): In der Praxis hat es sich gezeigt, dass es einfacher ist, einen Kunden zurückzugewinnen, wenn die Zeitspanne zwischen Kündigung und einer Kontaktaufnahme seitens des Unternehmens möglichst kurz ist. Die Optimierung der Zeitstrecken innerhalb des Unternehmens, sprich: vom Eingang des Kündigungsschreibens bis hin zum tatsächlichen Kontakt mit dem Ex-Kunden, ist hierfür unabdingbar.
Analyse der Lost Customers
Die Gründe für eine Abwanderung von Kunden lassen sich in drei Kategorien einteilen:
- Pushed-away-Reasons: Hierzu zählen alle subjektiven Mängel der Unternehmensleistung aus der Sicht der Kunden, wie etwa unfreundliche Mitarbeiter, schlechte oder späte Informationspolitik und die Erhebung von Gebühren für Kleinigkeiten. Insbesondere in der Dienstleistungsbranche sind diese Gründe ausschlaggebend für einen Wechsel.
- Pulled-away-Reasons: Kunden können von attraktiv erscheinenden Angeboten von Konkurrenzunternehmen regelrecht weggezogen werden. Bei einer Häufung dieses Wechselgrundes ist es wichtig, schnell zu reagieren, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nicht zu gefährden.
- Broken-away-Reasons: Bei diesen Kündigungsgründen entfällt aus Kundensicht die Notwendigkeit der Geschäftsbeziehung, sei es wegen Geschäftsaufgabe, Umzug o. Ä. Dem Unternehmen bietet sich zwar keinerlei Fortsetzung der Kundenbeziehung; um aber Fehlinvestitionen in Kunden-Rückgewinnungsmassnahmen zu vermeiden, ist es notwendig, dieses Segment zu identifizieren.
Prozessstufen der Kunden-Rückgewinnung
Kontaktaufnahme mit dem Zielkunden: Der bestehende Vertriebsweg des Produktes oder der Dienstleistung bestimmt die Art der Kontaktaufnahme mit dem ehemaligen Kunden. Direkt-Marketing in Form von Telefon-Marketing, Direct oder E-Mailing bietet sich nur für Unternehmen mit Direktvertrieb an. Erfolgt der Vertrieb über Kundenberater, so sind diese sicherlich aufgrund ihres persönlichen Kontaktes prädestiniert, den neuerlichen Kontakt zum ehemaligen Kunden zu knüpfen. Oftmals lag jedoch der Grund für die Kündigung an Beziehungsstörungen zwischen den handelnden Personen. In diesen Fällen empfiehlt sich deshalb als Gesprächspartner eine neutrale Drittperson. Durch gezieltes Hinterfragen im persönlichen oder telefonischen Einzelgespräch, unter Verwendung der so genannten Root-Cause-Analyse, lassen sich die ausschlaggebenden und oft verdeckten Gründe für eine Kündigung ermitteln, die bei einer herkömmlichen Methode durch Fragebogen wahrscheinlich durch vorgeschobene Erklärungen überdeckt worden wären.
„Die Analyse der verlorenen Kunden, der Lost Customers, bietet die Grundlage zur Beantwortung der Frage, welche aus ökonomischer Sicht ‚richtigen’ Kunden ein Unternehmen zurückgewinnen sollte.“
Behebung der Kundenprobleme, die zur Kündigung führten: Liegt als Grund für die Kündigung ein konkretes Problem vor, wie z. B. Leistungsmängel, ungenügende Reklamationsbearbeitung oder lange Wartezeiten, so ist die Behebung unabdingbare Voraussetzung für eine Wiederanknüpfung der Geschäftsbeziehungen. Im Zweifel ist es dem Unternehmen geraten, wirtschaftlich vertretbare Kulanzlösungen zu finden und damit die Kundenorientierung am praktischen Beispiel zu verdeutlichen.
„Die ehemaligen Kunden eines Unternehmens bilden eine heterogene Gruppe, die ein Unternehmen im Hinblick auf deren Rückgewinnungsattraktivität in unterschiedliche Segmente unterteilen sollte.“
Anreize zur Rückkehr der Kunden: Immaterielle und finanzielle Anreize zur Rückgewinnung des Kunden sollten möglichst individuell gestaltet werden. Als Anhaltspunkte gelten die Gründe, die den Kunden zur Abwanderung veranlasst haben. Jeder Rückgewinnungsversuch sollte grundsätzlich mit einer Entschuldigung seitens des Unternehmens verbunden sein.
„Bei der Ermittlung der Kunden-Attraktivität müssen neben den ökonomischen Kriterien, wie Umsatz, Deckungsbeitrag und Rentabilität, auch vorökonomische Grössen wie Referenz- und Cross-Selling-Potenzial des Kunden berücksichtigt werden.“
Betreuung der zurückgewonnen Kunden: Auch nach erfolgreicher Rückgewinnung ist es wichtig, diesem Kundenkreis auch weiterhin besondere Aufmerksamkeit zu schenken, um das Image eines kundenorientierten Unternehmens zu konsolidieren. Je nach Struktur der Kundenbeziehung empfiehlt sich die Einbeziehung in gemeinsamen Projektteams, persönliche Betreuung, Einladungen und Formen der schriftlichen und telefonischen Befragung.
„Wir sind schon ein merkwürdiges Volk, wenn wir mit Freude Maschinen bedienen, aber jedes Lächeln gefriert, wenn es sich um die Bedienung von Menschen handelt.“
Controlling der zurückgekehrten Kunden: Nicht alle Kunden, die zum Unternehmen zurückkehren, sind auch wirklich "gute" Kunden. Es gibt sowohl notorische Nörgler als auch Kunden, die nach kürzester Zeit erneut mit Kündigung drohen, um die Vorteile eines Kunden-Rückgewinnungsprogramms nutzen zu können. Um sich vor solchen negativen Auswirkungen zu schützen, müssen zurückgekehrte Kunden auf ihr zukünftiges Kündigungsverhalten hin regelmässig kontrolliert werden. Bei Kunden, die innerhalb kurzer Zeit eine erneute Kündigung aussprechen, sollten Rückgewinnungsanstrengungen nur nach genauer und kritischer Prüfung unternommen werden.
Die Organisation eines call-center-gestützten KRM
Bei ganzjährig hohen Kündigungsraten empfiehlt sich eine permanente Verankerung des KRM in die Unternehmensstruktur. Jeder bzw. ganz bestimmte Mitarbeiter werden mit der Aufgabe betraut, ehemalige Kunden zu kontaktieren und zur Rücknahme der Kündigung zu bewegen. Die Beauftragung eines externen Call-Centers kann als Alternative sinnvoll sein, wenn der Kunden-Rückgewinnungsprozess keine umfangreicheren fachlichen Kompetenzen vom Kundenbetreuer verlangt und eine entsprechende technische Ausstattung den Kunden kaum merken lässt, dass er mit einem Externen spricht. Die telefonische Kontaktierung in der Kunden-Rückgewinnung bietet die Chance, den Kunden individuell anzusprechen. Hier kommt dem Mitarbeiter eine ausserordentlich wichtige Rolle zu, er wird zur Visitenkarte des Unternehmens.
Anforderungen an das Personal
Voraussetzung für ein erfolgreiches Recovery-Team ist die Professionalität der Mitarbeiter. In enger Absprache mit Projektleitung, Trainer und Telefonpersonal sollten Gesprächsleitfäden und die Entwicklung so genannter Einwandbehandlungen zur Konzipierung eines einheitlichen Gesprächsrasters beitragen, ohne jedoch durch zu grosse Standardisierung den Mitarbeiter einzuengen. Das Telefonpersonal muss offen und individuell auf die Kunden zugehen können und in der Lage sein, "am Telefon zu lächeln". Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt der Mitarbeiter neben fundiertem Know-how und grossen eigenen Entscheidungsspielräumen ein professionelles Umfeld, ein funktionierendes Team sowie eine aktive Unterstützung und Förderung durch die Teamleitung.
Kosten des KRM
Die Kosten einer Kunden-Rückgewinnungsaktion setzen sich aus folgenden Posten zusammen:
- Personalkosten für die operative Umsetzung
- Rückkehr-Anreize wie Rabatte, Give-aways usw.
- Mailing- und Telefonkosten
- Datenverarbeitungskosten
- Schulungskosten
- Dispositive Personalkosten wie etwa Planungs- und Kontrollkosten
„Im Unterschied zum offensiven Verkäufer zeichnet den Rückgewinner ein besonders ausgeprägtes Gespür für menschliche Befindlichkeiten aus.“
Im Durchschnitt sind die Kosten für die Akquisition eines Neukunden um ein Vielfaches höher als die Kosten der Kunden-Rückgewinnungsaktion. Jeder abwandernde Kunde ist aber im Hinblick auf seine Werthaltigkeit zu überprüfen und Rückgewinnungsaktionen im Hinblick auf in Vergangenheit und Zukunft gerichtete Kriterien zu selektieren.
Dr. Christa Sauerbrey ist Professorin für BWL mit dem Fachgebiet Marketing an der Fachhochschule Hannover. Aspekte des Customer-Relationship-Marketings sind Teil ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Dr. Rolf Henning ist Geschäftsbereichsleiter Online-Services bei der PDV Unternehmensberatung in Hamburg. Sowohl in der konzeptionellen Planung als auch in der operativen Praxis hat er sich intensiv mit dem Thema Kunden-Rückgewinnung befasst.