Theorie und Praxis
Unternehmen investieren viel Zeit und Geld, um Strategien für die Zukunft auszuarbeiten. Doch diese werden in den wenigsten Firmen dann auch erfolgreich in konkrete Veränderungen umgesetzt. Die Unternehmensführung weiß meist sehr wohl, was zu tun wäre, um die Firma zukunftsfähig zu machen, doch bei der Realisierung hapert es. So bleiben die besten Strategien letztlich wirkungslos. Das Problem ist, dass die traditionelle Managementlehre Theorie und Praxis zu stark voneinander trennt: Erst arbeiten Fachleute eine Strategie aus, dann sollen andere die neuen Vorgaben umsetzen. Konflikte sind vorprogrammiert. Mit Trainingsmaßnahmen versucht man die Mitarbeiter für die Veränderungen zu gewinnen, und wenn das nichts hilft, lautet die Lösung: noch mehr Training. Am Ende hat man mit enormen Ausgaben wenig erreicht. Wenn Sie dagegen von Anfang an den Strategieentwurf und die praktische Umsetzung eng miteinander verzahnen, haben Sie bessere Aussichten auf Erfolg.
Die Evolution eines Unternehmens
Wenn die Theorie nicht reibungslos ins Alltagsgeschäft übersetzt werden kann, heißt das auch: Zwischen der aktuellen Situation des Unternehmens und der angestrebten Zukunft klafft eine Lücke. Diese Lücke nennen wir Missing Link. Der Begriff stammt aus der Evolutionsbiologie und bezeichnet ein fehlendes Bindeglied zwischen zwei Entwicklungsstufen von Organismen. Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es, das Unternehmen kontinuierlich weiterzuentwickeln und damit sein Überleben zu sichern. Doch während in der biologischen Evolution eher der Zufall regiert, müssen Sie die Zukunft Ihres Unternehmens aktiv planen und auf sie hinarbeiten. Dazu gehört, die Missing Links zu erkennen und zu beseitigen.
„Missing Links sind die Schlüssel zur Veränderung. Wer sie nicht kennt und überwindet, kann die Verbindung zwischen dem Status quo seines Unternehmens und den verfolgten strategischen Zielen nicht herstellen – seien die strategischen Ziele auch noch so sorgsam formuliert.“
Ein Beispiel für ein gut entwickeltes Unternehmen ist die Internetgemeinschaft Facebook. Gründer Mark Zuckerberg nahm neue Trends wie die freiwillige Mitarbeit von Nutzern nicht nur auf, sondern gestaltete sie aktiv mit. Innerhalb weniger Jahre hat Facebook sein Geschäftsmodell mehrfach verändert. Das Unternehmen ist mittlerweile in unzähligen Ländern vertreten und stiftet gesellschaftlichen Nutzen, indem es neue Formen sozialer Interaktion ermöglicht.
Auf der Suche nach Missing Links
Wie finden Sie die Missing Links, die Schwachstellen in Ihrem Unternehmen? Eine zukunftsfähige Firma kann sich schnell verändern, ist innovativ, agiert global, hat ein flexibles Geschäftsmodell und zeigt gesellschaftliches Engagement. Mit diesen fünf Dimensionen können Sie die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens bestimmen.
„Es gibt nur ein Problem: Wir wissen alles, aber wir tun es nicht.“
Dazu benutzen Sie Fragebögen. Zur Dimension „Veränderung“ stellen Sie z. B. die folgenden Fragen: Als wie wichtig schätzen Sie die Veränderungsfähigkeit in Ihrer Branche ein? Zählen Sie Ihr Unternehmen zu den Nachzüglern, zur trägen Mehrheit, zu den späten oder frühen Übernehmern oder zu den Innovatoren? Wie groß ist die Unsicherheit in Ihrer Branche für die kommenden fünf Jahre? Welche Bedeutung hat die Unternehmenskultur? Sind die Werte Ihrer Mitarbeiter ein Antreiber oder ein Hindernis?
„Erst dann, wenn man die aktuellen Konstellationen ebenso gut kennt wie das angestrebte Ziel, lassen sich die fehlenden Bindeglieder identifizieren.“
Für jede Frage gibt es die Antwortmöglichkeiten 1–5 („trifft nicht zu“ bis „trifft voll zu“). Schauen Sie jetzt, welches die drei höchsten Stufenwerte sind, die angekreuzt wurden. Aus deren Durchschnitt ergibt sich die Entwicklungsstufe, die Sie als Nächstes anstreben sollten.
In einem zweiten Schritt ermitteln Sie die Stufe, auf der Ihr Unternehmen momentan steht. Ein paar Beispielfragen aus dem Bereich „Veränderung“: Werden unprofitable Bereiche rasch eingestellt und Akquisitionschancen genutzt? Sind Ihre Strukturen transparent? Zeigen Ihre Mitarbeiter Eigeninitiative? Werden Unternehmensinitiativen schnell und kontrolliert umgesetzt? – Auch hier errechnen Sie den Durchschnitt der höchsten Stufenwerte. Schließlich vergleichen Sie die beiden Ergebnisse. Wenn der angestrebte Wert höher ist als der aktuelle, haben Sie ein Missing Link gefunden.
„Wir plädieren dafür, die Zukunft und die Ziele, die Gegenwart und die Überwindung der Missing Links grundsätzlich als Einheit zu betrachten, denn letztendlich sind sie untrennbar miteinander verbunden.“
Nun kommt die nächste wichtige Frage: Welche Veränderungen sind am dringlichsten? Analysieren Sie, auf welchen Entwicklungsstufen Ihre Wettbewerber stehen. Das setzt voraus, dass Sie Ihren Markt gut kennen. Stellen Sie sich dazu drei Fragen: Welches Bedürfnis befriedigt Ihr Unternehmen? Mit welcher Technologie macht es das? Und wer hat dieses Bedürfnis, wer sind Ihre Kunden? Dort, wo Sie der Konkurrenz deutlich hinterherhinken, sollten Sie zuerst aktiv werden. Solche Missing Links gibt es in jedem Unternehmen. Meistens treten sie gehäuft in einer oder zwei der fünf Dimensionen auf. Folglich müssen Sie nicht alles umkrempeln, sondern können sich auf diese Dimensionen konzentrieren.
Die erste Dimension: Veränderungsfähigkeit
Die Märkte verändern sich heute in immer schnellerem Tempo. Unternehmen, die nicht zu Veränderungen bereit sind, werden auf Dauer nicht überleben. Firmen, die in diesem Bereich auf der untersten Entwicklungsstufe stehen, reagieren nur auf Veränderungen, die ihnen von außen aufgezwungen werden, sind jedoch nicht bereit, selbst welche zu planen. Unternehmen auf Entwicklungsstufe zwei versuchen, mit einzelnen Projekten aktiv vorzugehen. Mit zunehmender Entwicklung werden Veränderungen dann immer selbstverständlicher, bis schließlich ein Unternehmen entstanden ist, das sich stetig weiter wandelt und seine Zukunft in den eigenen Händen hat.
„Die schlechte Nachricht ist, dass Missing Links überall im Unternehmen zu finden sind. Das macht ihre Identifikation und ihre Überwindung zu einem komplexen Problem.“
Um Veränderungen anzustoßen, müssen Sie in vier Bereichen aktiv werden: Strategie, Personal, Prozesse und Technologie. Jeder dieser Aspekte wird zur nächsten Evolutionsstufe hin entwickelt. Gehen Sie davon aus, dass jede Veränderung erst einmal auf Widerstände stößt. Sie können jedoch die Erfolgschancen erhöhen: Schon im Vorfeld müssen Ziele und Verantwortlichkeiten, mögliche Schwierigkeiten und Strategien zu ihrer Überwindung klar definiert sein. Bekennen Sie sich als Führungskraft deutlich zu den angestrebten Maßnahmen und binden Sie in deren Erarbeitung Ihre Mitarbeiter ein.
Die zweite Dimension: Innovation
Auch Innovationen wollen richtig gemanagt sein. Wer seiner Zeit zu weit voraus ist, erntet nur Unverständnis – wie die zahlreichen Künstler, die verarmt starben und erst von der Nachwelt gefeiert wurden. Wer sich hingegen nur an den Bedürfnissen der Kunden orientiert, verpasst möglicherweise die wirklich innovativen Entwicklungen. So konnte sich zunächst kaum jemand den Nutzen eines Telefons vorstellen. Doch Alexander Graham Bell führte keine Kundenbefragungen durch, er gründete eine Telefongesellschaft – und der Siegeszug des neuen Kommunikationsmittels begann.
„Auf welche Weise eine Transformation im Einzelnen vollzogen werden muss, ist davon abhängig, auf welchen Stufen des Evolutionsprozesses sich ein Unternehmen befindet und welche Stufen es zu erreichen gilt.“
Unternehmen, deren Innovationspotenzial nicht besonders entwickelt ist, müssen zunächst ihre Kunden besser kennen lernen. Bauen Sie Ihre Kontakte zu Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern aus und nutzen Sie die gewonnenen Informationen als Inspirationsquelle. So werden Außenstehende in die Innovationsprozesse immer besser eingebunden. Bei Daimler z. B. gibt es immer wieder so genannte Jamsessions, bei denen Tausende von Entwicklern an unterschiedlichen Standorten über das Internet Ideen austauschen und weiterführen. Die Mitarbeiter können ihr kreatives Potenzial optimal einsetzen.
Die dritte Dimension: Globale Aktivität
Das Unternehmen der Zukunft agiert global. Dabei wird es nicht mehr nur darum gehen, Waren in Billiglohnländern fertigen zu lassen oder in anderen Staaten neue Märkte zu erschließen. In Zukunft sind erfolgreiche Unternehmen global integriert. Das heißt, dass sie die Welt als einen einzigen großen Markt ansehen und entsprechend agieren. Prozesse laufen im gesamten Unternehmen weltweit einheitlich ab. Die einzelnen Ländergesellschaften sind so gut miteinander vernetzt, dass sie ohne Schwierigkeiten zusammenarbeiten können. Aufgaben werden für das gesamte Unternehmen dort erledigt, wo das beste Personal sie am günstigsten ausführen kann. Vor allem Verwaltungsarbeiten lassen sich damit wesentlich effizienter erledigen. Kulturelle Unterschiede werden akzeptiert und erfolgreich gemanagt.
„Facebook hat in einer sehr frühen Phase, als es noch nicht viel mehr war als ein studentisches Start-up, damit begonnen, sich methodisch gut durchdacht mit der eigenen Zukunft auseinanderzusetzen und seine weitere Entwicklung aktiv zu gestalten.“
Wenn Sie Ihr Unternehmen in Richtung Globalität entwickeln möchten, beginnen Sie zunächst einmal, Chancen für eine internationale Zusammenarbeit auszuloten. Bauen Sie dann erste Projekte immer weiter aus, entwickeln Sie die interkulturelle Kompetenz ihrer Mitarbeiter, sorgen Sie für eine gute Vernetzung und einheitliche Prozesse, bis schließlich – das ist die höchste Entwicklungsstufe – ein global vernetztes Unternehmen entstanden ist wie das chinesische Handelshaus Li & Fung, das für Unternehmen wie Esprit, Wal-Mart oder Walt Disney weltweit die Beschaffungsprozesse koordiniert.
Die vierte Dimension: Flexibilität
Unternehmen können heute nur noch dauerhaft Erfolg haben, wenn sie ihr Geschäftsmodell immer wieder infrage stellen und stets nach neuen Nischenmärkten suchen. Innovativ können Sie in Bezug auf Ihr Unternehmensmodell sein – etwa indem Sie sich zunehmend auf Ihre Kernkompetenzen konzentrieren und alles andere auslagern. Oder Sie setzen auf eine innovative Preisgestaltung, indem Sie z. B. Dienstleistungen für regelmäßige Gebühren anbieten statt für eine Einmalzahlung.
„Die Erwartungen seiner Kunden zu übertreffen birgt immer auch die Gefahr, seine Kunden zu verlieren.“
Eine andere Möglichkeit ist es, das Branchenmodell zu verändern: Ihr Unternehmen steigt in eine andere Branche ein, definiert sie neu oder schafft sich gar eine eigene. Einfacher ist es, die bewährte Branche umzugestalten.
Behalten Sie dazu stets neue Trends im Auge, um im richtigen Moment mit neuen Produkten Branchenführer zu werden. Fördern Sie die Kreativität Ihrer Mitarbeiter und experimentieren Sie mit neuen Geschäftsmodellen.
„In den meisten Fällen, in denen es einem Unternehmen gelingt, sich in seiner Branche eine dominante Stellung zu erarbeiten, liegt die Ursache nicht in einzigartigen Produkten oder Leistungen, sondern in einem überlegenen Geschäftsmodell.“
Wenn Sie Ihr Unternehmen in diese Richtung entwickeln möchten, testen Sie ein neues Modell zunächst in einem Pilotprojekt. Schaffen Sie mehr und mehr Raum für schöpferisches Handeln, bis die permanente Innovation des Geschäftsmodells zur Philosophie Ihres Unternehmens gehört.
Die fünfte Dimension: Soziale Verantwortung
Soziales und ökologisches Engagement wird für den Unternehmenserfolg immer wichtiger. Das musste z. B. der Ölkonzern Shell vor einigen Jahren erfahren: Als bekannt wurde, dass Shell die Ölplattform Brent Spar in der Nordsee versenken wollte, gab es harsche öffentliche Kritik, und die Umsätze brachen bis um ein Drittel ein. Inzwischen hat das Unternehmen durch bewusstes soziales Engagement seinen Ruf wiederherstellen können.
„Wird in naher Zukunft ein revolutionäres neues Geschäftsmodell Ihre Branche von Grund auf verändern? Was ist wahrscheinlicher – dass dieses Geschäftsmodell von Ihnen oder von Ihren Mitbewerbern stammt?“
Wenn Sie Ihr Unternehmen zukunftsfit machen möchten, dann vergessen Sie nicht, wie wichtig seine soziale Reputation ist. Nehmen Sie Umweltthemen ernst und sorgen Sie dafür, dass das Unternehmen sich entsprechend engagiert.
Dazu gibt es viele Möglichkeiten. Machen Sie sich bewusst, welche Anforderungen Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter in dieser Hinsicht an Ihr Unternehmen stellen. Wie können Sie ihnen begegnen? Haben Ihre Produkte und Dienstleistungen positive oder negative Auswirkungen auf die Umwelt? Können Sie negative Faktoren beseitigen oder positive deutlicher kommunizieren? Welche Gesellschafts- und Umweltthemen sind gerade wichtig? Können Sie in einem dieser Themenbereiche aktiv werden?
„Ökonomisch lohnt es sich, soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen.“
Ein Unternehmen, das ökologische und ökonomische Gesichtspunkte perfekt miteinander zu verbinden versteht, ist die EnBW. Der Energieversorger setzt Stromzähler ein, bei denen man den aktuellen Marktpreis des Stroms ablesen und so Geräte mit hohem Stromverbrauch zu günstigen Zeiten einsetzen kann. Günstig ist Strom dann, wenn viel produziert wird. EnBW sorgt dafür, dass man Windkraftanlagen nutzen kann, die sonst bei Überkapazitäten abgeschaltet werden müssten.