Die neuen Werkzeuge der Produktentwicklung

Buch Die neuen Werkzeuge der Produktentwicklung

Hanser,


Rezension

Die Pro­duk­ten­twick­lung in vielen Unternehmen ist nicht pro­fes­sionell. Versuche, die nicht gleich zu einer Lösung führen, werden verworfen; En­twick­lungszeiten ziehen sich ins Unendliche. Budgets werden überzogen und Probleme übersehen. Pro­duk­ten­twick­lung ist entgegen aller Vorurteile keine Voodoo-Beschwörung. Leider sind die meisten En­twick­lung­sprozesse nicht bewusst entworfen worden. Man probiert etwas aus, und wenn es funk­tion­iert, macht man es weiter so. Das passiert in kleinen Unternehmen genauso wie in grossen. Donald G. Reinertsen bietet Ihnen dazu sinnvolle Gegen­strate­gien an. Von "Best Practices" hält er nichts. Reinertsen präsentiert sinnvolle Methoden, die die Faktoren Qualität, Kosten und Zeit unabhängig von der Art des Produkts kon­trol­lieren helfen. Konkrete An­wen­dungs­beispiele aus un­ter­schiedlichen Bereichen zeigen die Übertrag­barkeit des Konzepts in die Praxis. BooksInShort.​com empfiehlt das Werk Führungskräften im Bereich Management und Pro­duk­ten­twick­lung.

Take-aways

  • In der Fer­ti­gungs­fab­rik produzieren Sie industriell den Kuchen, in der En­twick­lungs­fab­rik die dazu nötigen Rezepte.
  • Es kostet viel Geld, ein neues Produkt zu entwickeln. Noch mehr Geld kostet die Wartezeit innerhalb des En­twick­lung­sprozesses.
  • Pro­duk­ter­probung, Pro­to­typen­bau und Kon­struk­tion sind die Prob­lem­zo­nen Ihrer Pro­duk­ten­twick­lung.
  • Auch wenn es absurd klingt: Sie brauchen eine hohe Fehlerrate, um die richtigen, wichtigen, wertvollen In­for­ma­tio­nen zu erzeugen.
  • Der Kalen­der­spruch "Das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile" ist gar nicht falsch.
  • Un­ter­gliedern Sie den En­twick­lung­sprozess in möglichst viele Prozesss­chritte und Subprozesse.
  • Entdecken Sie Ihre poten­ziellen Kunden.
  • Sie können nicht alles kon­trol­lieren: Konzen­tri­eren Sie sich auf die relevanten Projekt- und Un­ternehmenskenn­zahlen.
  • Die Risikoanfälligkeit sinkt, je kürzer der En­twick­lung­sprozess ist.
  • Verlassen Sie Ihren Schreibtisch und gehen Sie öfters mal in die En­twick­lungsabteilung.
 

Zusammenfassung

Die En­twick­lungs­fab­rik

Stellen Sie sich vor, Sie wollen Kuchen verkaufen. In der Fer­ti­gungs­fab­rik produzieren Sie industriell den Kuchen, in der En­twick­lungs­fab­rik die dazu nötigen Rezepte. In beiden Fällen haben Sie einen Output, nur besteht dieser in der En­twick­lungs­fab­rik aus In­for­ma­tio­nen. In der En­twick­lungs­fab­rik kämpfen Sie mit steigenden Änderungskosten, d. h. ein gutes Änderungs­man­age­ment ist gefragt. Typisch für eine schlechte Pro­duk­ten­twick­lung ist, dass Sie mitten im Prozess sind und plötzlich Daten eintreffen, es aber sehr teuer sein wird, darauf zu reagieren. Sie brauchen demnach ein effektives In­for­ma­tions­bere­it­stel­lungs­man­age­ment. Die Fer­ti­gungs­fab­rik lebt von immer wiederkehren­den Arbeitsabläufen. Ein guter Manager bemüht sich deshalb, die Streuung zu verringern. Für die En­twick­lungs­fab­rik kann diese Strategie tödliche Folgen haben, weil Sie so die für den En­twick­lung­sprozess notwendige Variabilität untergraben. Wie können Sie En­twick­lung­sprozesse effektiv managen? Es gibt drei klassische Werkzeuge, mit denen Sie umgehen sollten. Das Berech­nungsmod­ell auf Pro­jek­tebene ist gut geeignet, um Kosten, Leistung, Aufwand und Zeitplan als Parameter richtig einzustufen. Das Modell, das auf der Kun­den­per­spek­tive aufbaut, ist ein wichtiges Werkzeug, um die Pro­duk­t­merk­male zu beleuchten. Beachten Sie, dass es eben nur ein Modell ist und längst nicht jeder Kunde für den Kauf der Zahnpasta umfassende Überlegungen anstellt. Das dritte Modell beschreibt die Prozess­gestal­tung und beinhaltet den Blick über das Einzel­pro­jekt hinaus auf das Gesam­tun­ternehmen.

Bitte hinten anstellen!

Es kostet viel Geld, ein neues Produkt zu entwickeln. Noch mehr Geld kostet die Wartezeit innerhalb des En­twick­lung­sprozesses. Sobald das Eintreffen oder die Dauer von Arbeiten ungewiss sind, sind Warteschlangen im Prozess gewiss. Ob Sie nun eine Tele­fon­schaltzen­trale entwickeln oder überlegen, den Schal­ter­bere­ich Ihrer Bank neu zu konzipieren, Sie werden mit Warteschlangen kämpfen. Wie reagieren Sie darauf? Es gibt Ansätze: Sie erhöhen die Kapazität, d. h. im einfachsten Fall machen Sie in Ihrer Bank einen weiteren Schalter auf. Managen Sie die Nachfrage, indem Sie die Anzahl der akuten Projekte überdenken. Wichtig ist, auch immer ein Sicher­heitsven­til zu haben, um den Nach­frage­druck gegebe­nen­falls zu reduzieren. Wer mag schon Schwankun­gen im En­twick­lung­sprozess? Schauen Sie sich die Ab­we­ichun­gen genau an. Nutzen Sie Steuerungssys­teme, um Warteschlangen zu überwachen. Denken Sie daran, dass die Losgrössen eine Rolle spielen im En­twick­lung­sprozess. Hohe Stückzahlen am Anfang verursachen fast automatisch Warteschlangen. Grosse Chargen sollten Sie so einplanen, dass Sie erst am Ende des Prozesses damit arbeiten. Warteschlangen fallen nicht vom Himmel, beobachten Sie sie. Machen Sie sich klar: Wo treten sie üblicher­weise auf? Pro­duk­ter­probung, Pro­to­typen­bau und Kon­struk­tion sind die Prob­lem­zo­nen Ihrer Pro­duk­ten­twick­lung.

Machen Sie Fehler!

Auch wenn es absurd klingt, Sie brauchen eine hohe Fehlerrate, um die richtigen, wichtigen und wertvollen In­for­ma­tio­nen zu erzeugen. Legen Sie Tests so an, dass Erfolg und Misserfolg gleich wahrschein­lich sind. Vergessen Sie den ehernen Anspruch, beim ersten Mal alles richtig zu machen. Dabei werden Sie feststellen, dass es zwei Sorten von Fehlern gibt. Die neuen Fehler bringen die wertvollen In­for­ma­tio­nen, während die anderen Fehler In­for­ma­tio­nen erzeugen, die Sie schon vorher hatten. Diese so genannten alten Fehler entstehen, weil Sie etwas vergessen haben, was Sie bereits wissen. Ex­per­i­men­tieren Sie mit etwas Neuem und das Experiment schlägt fehl, erzeugen Sie dabei wertvolle neue In­for­ma­tio­nen. Nicht umsonst sollten Sie die Ergebnisse Ihres Experiments nicht als Be­trieb­s­ge­heim­nis betrachten. Sie wollen bestimmt nicht, dass Fehler wiederholt werden. Kehren Sie also auf keinen Fall Ihre Fehler unter den Teppich, sondern sorgen Sie dafür, dass diese kom­mu­niziert werden innerhalb Ihres Un­ternehmens. Im Fokus Ihrer Projektüberwachung muss die Etappe sein, wo die meisten In­for­ma­tio­nen produziert werden und somit das höchste Risiko besteht. Führen Sie deshalb eine Risikoabschätzung durch.

Man nehme etwas Feedback

Der Kalen­der­spruch "Das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile" ist gar nicht falsch. Für die Pro­duk­ten­twick­lung sind die zwei Systemarten relevant, von denen Sie auch als Nicht-In­ge­nieur schon gehört haben: das System als offener oder geschlossener Regelkreis. Sie wollen ein Zimmer heizen. Verwenden Sie dazu eine Heizung und einen Zeitgeber, der die Heizung für eine bestimmte Minutenzahl pro Stunde einschaltet. Bei diesem offenen Regelkreis reagiert das System nicht auf Umwelt­fak­toren, d. h. das System arbeitet unabhängig davon, ob gerade Winter oder Sommer ist. Mit diesem System ist der Raum an kalten Tagen zu kalt und an warmen Tagen überhitzt. In einem geschlosse­nen Regelkreis arbeitet für Sie ein Thermostat, das als Steuerungsin­stru­ment und -signal die Raumtem­per­atur misst und die Heizung einschaltet, sobald die Temperatur unter die angestrebte Temperatur fällt. Ein solches rück­gekop­peltes System reagiert zeitnah auf Veränderungen im Umfeld. Für die Pro­duk­ten­twick­lung sollten Sie beachten, dass ein geschlossener Regelkreis ein komplexes System ist, das die Fehlersuche schwierig macht. Die Erklärung dafür ist, dass das System zeitnah reagiert und Sie so glauben macht, dass es optimal funk­tion­iert.

Auf der Suche nach der richtigen Or­gan­i­sa­tion

Wie sieht die optimale Or­gan­i­sa­tion des Un­ternehmens für die optimale Pro­jek­ten­twick­lung aus? Wahrschein­lich arbeitet Ihr Unternehmen als funktionale Or­gan­i­sa­tion, d. h. Mitarbeiter werden nach beruflichen Disziplinen eingeteilt, sodass Sie eine eigene En­twick­lungsabteilung haben. Das so genannte autonome Team wird eingesetzt, wenn die funktionale Or­gan­i­sa­tion nicht klappt. Autonome Teams sind von ihrer Schnel­ligkeit her unschlagbar, sie sind durch­schnit­tlich zweimal so schnell wie ein funktional gegliedertes Team. Der entschei­dende Nachteil autonomer Teams liegt in der Autonomie. Die Mitglieder eines solchen Teams sehen Probleme nur durch die Brille ihres eigenen Projekts. Die gesam­tun­ternehmerische Perspektive ist ihnen fremd. Kom­pat­i­bilitätsfragen in­ter­essieren sie nicht. Effizient sind diese Teams leider auch nicht, da sie das vorhandene Wissen innerhalb des Un­ternehmens nicht anzapfen und so Gefahr laufen, das Rad neu zu erfinden. Verteilt sich die Macht sowohl entlang der funk­tionalen als auch entlang der Teamachsen, erzielen solche so genannten hybriden Or­gan­i­sa­tions­for­men eine gute Pro­duk­tleis­tung und niedrige Pro­duk­tion­skosten. Sie funk­tion­ieren aber nur unter einer Bedingung: Ve­r­ant­wor­tun­gen müssen klar abgegrenzt sein.

„Der En­twick­lung­sprozess ist jetzt für einen Par­a­dig­men­wech­sel reif.“

Welche An­forderun­gen werden an die Kom­mu­nika­tion gestellt? Sie brauchen nicht viele Meetings, Doku­men­ta­tio­nen und Mails, um eine gute Kom­mu­nika­tion innerhalb Ihres En­twick­lung­steams zu gewährleisten. Sorgen Sie für klare Strukturen, Ve­r­ant­wortlichkeiten und engagierte Mitarbeiter. Dann spielt es keine Rolle, ob Sie nun alte oder eher neue Kom­mu­nika­tion­stech­niken wie E-Mails bevorzugen. Die Kom­mu­nika­tion lässt sich ausserdem steigern durch die räumliche Zusam­men­le­gung der Teams.

Den En­twick­lung­sprozess entwerfen

Was macht ein gutes Prozess­de­sign aus? Es gibt nicht den einen immer gültigen Entwurf für En­twick­lung­sprozesse. Das Geheimnis eines guten Prozess­de­signs liegt in modularen Prozessstruk­turen. Der Umgang mit so genannten Mustern ist der andere Weg hin zum Prozess­de­sign. Sollen Sie ein Gebäude entwickeln, haben Sie un­weiger­lich mit einer Reihe von Mustern zu tun, z. B. dass ein Raum möglichst von zwei Seiten Licht bekommen soll. Un­ter­gliedern Sie den En­twick­lung­sprozess in möglichst viele Prozesss­chritte und Subprozesse.

Pro­duk­tar­chitek­tur

Für die optimale Pro­duk­tar­chitek­tur ist wichtig, wie modular das angestrebte Produkt aufgebaut sein soll. Dazu kommt, dass Sie eine Risikoabschätzung vornehmen, Risikofelder eingrenzen und diese im Zeitplan berücksichtigen. Sie werden bei Ihrer Pro­duk­ten­twick­lung mehr als einen En­twick­lung­sprozess gestalten müssen bzw. Sie sehen sich kon­fron­tiert mit mehreren Sub­prozessen. Ein effizientes Management der Schnittstellen ist notwendig.

Die richtige Pro­duk­t­spez­i­fika­tion

Niemand entwickelt ein Produkt im luftleeren Raum. Entdecken Sie Ihre poten­ziellen Kunden. Drei Fragen sollten Sie stellen: Was und warum wollen die Kunden (es)? Und wie läuft der Entschei­dung­sprozess ab? Versuchen Sie Ihre Kunden zu verstehen, denn sie sollen demnächst Ihr neues Produkt kaufen. Sinnvolle Tools dafür sind Kun­den­in­ter­views, eine genaue Beobachtung des Kunden während des Kauf­prozesses per Videokamera und die Arbeit mit Fokus­grup­pen, d. h. Sie arbeiten mit einer Gruppe von Kunden, die gemeinsam befragt werden. Testen Sie Ihre Pro­duk­t­botschaft. Sind Sie in der Lage, mit höchstens 25 Worten klar die Botschaft zu ar­tikulieren?

Kontrolle ist besser

Wie kon­trol­lieren Sie den En­twick­lung­sprozess? Auch wenn Sie jeden Tag 12 oder 14 Stunden arbeiten, Sie können nicht alles kon­trol­lieren: Konzen­tri­eren Sie sich auf die relevanten Projekt- und Un­ternehmenskenn­zahlen. Das so genannte Kon­troll­dreieck ist ein nützliches Tool. Jedes Projekt lässt sich auf drei Bedingungen zurückführen: Ar­beit­sum­fang, Ressourcen und Zeitplan. Legen Sie zwei Seiten des Dreiecks fest, das dritte wird zu Ihrem Sicher­heitsven­til.

Risiken managen

Risiken lauern überall. Das Marktrisiko besteht in der Gefahr, dass Ihr Pro­duk­ten­twurf den Kun­de­nan­forderun­gen nicht gerecht wird, während ein technisches Risiko besteht, wenn Ihr Entwurf die Spez­i­fika­tion nicht erfüllt. Unternehmen stecken viel Geld in die Reduzierung des technischen Risikos, anstatt zu lernen, das Marktrisiko zu managen. Risiko­man­age­ment heisst, evtl. mit Er­satzpro­duk­ten zu arbeiten, aber v. a. heisst es auch, schnell zu sein. Die Risikoanfälligkeit sinkt, je kürzer der En­twick­lung­sprozess ist. Um das technische Risiko klein zu halten, kon­trol­lieren Sie zunächst mögliche Risiken in Ihren Subsystemen, bevor Sie die der Sys­tem­inte­gra­tion in­newohnen­den Gefahren minimieren.

Die ersten Schritte

Es soll ja immer wieder vorkommen, dass Entschei­dung­sprozesse von der Intuition bestimmt werden. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und treffen Sie Ihre Entschei­dun­gen aufgrund von harten Fakten. Stellen Sie immer wieder Gewinn-und-Ver­lust-Rech­nun­gen auf. Ihre Mitarbeiter werden Sie nachahmen. Nehmen Sie Abschied von der Angst vor dem Un­vorherse­hbaren. Zu einer er­fol­gre­ichen Pro­duk­ten­twick­lung gehören un­vorherse­hbare Ereignisse. Wertvolle In­for­ma­tio­nen entstehen aus der Un­sicher­heit und bereichern den En­twick­lung­sprozess. Dazu gehört ein effizientes Risiko­man­age­ment. Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile. Denken Sie immer in Systemen. Wer ausser Ihnen sollte es sonst tun? Die Mitglieder des leitenden Managements sind in der Regel die Einzigen, die die Gesamtzusam­menhänge kennen. Verstehen Sie Ihre Kunden. Achten Sie darauf, dass Sie während des gesamten En­twick­lung­sprozesses wissen, was Ihre Kunden wollen. Verlassen Sie Ihren Schreibtisch und suchen Sie die Mitarbeiter in der En­twick­lungsabteilung auf. Es ist kein wirkliches Problem, wenn sich Ihr technisches Verständnis dabei als bruchstückhaft her­ausstellt. Sie profitieren davon, wenn Sie zu den Entwicklern gehen.

Über den Autor

Donald G. Reinertsen war als Berater bei McKinsey tätig und ist nun Geschäftsführer und Inhaber von Reinertsen & Associates, einem Tech­nolo­gie-Be­ratung­sun­ternehmen, das sich auf die Pro­duk­ten­twick­lung spezial­isiert hat.