Die Entwicklungsfabrik
Stellen Sie sich vor, Sie wollen Kuchen verkaufen. In der Fertigungsfabrik produzieren Sie industriell den Kuchen, in der Entwicklungsfabrik die dazu nötigen Rezepte. In beiden Fällen haben Sie einen Output, nur besteht dieser in der Entwicklungsfabrik aus Informationen. In der Entwicklungsfabrik kämpfen Sie mit steigenden Änderungskosten, d. h. ein gutes Änderungsmanagement ist gefragt. Typisch für eine schlechte Produktentwicklung ist, dass Sie mitten im Prozess sind und plötzlich Daten eintreffen, es aber sehr teuer sein wird, darauf zu reagieren. Sie brauchen demnach ein effektives Informationsbereitstellungsmanagement. Die Fertigungsfabrik lebt von immer wiederkehrenden Arbeitsabläufen. Ein guter Manager bemüht sich deshalb, die Streuung zu verringern. Für die Entwicklungsfabrik kann diese Strategie tödliche Folgen haben, weil Sie so die für den Entwicklungsprozess notwendige Variabilität untergraben. Wie können Sie Entwicklungsprozesse effektiv managen? Es gibt drei klassische Werkzeuge, mit denen Sie umgehen sollten. Das Berechnungsmodell auf Projektebene ist gut geeignet, um Kosten, Leistung, Aufwand und Zeitplan als Parameter richtig einzustufen. Das Modell, das auf der Kundenperspektive aufbaut, ist ein wichtiges Werkzeug, um die Produktmerkmale zu beleuchten. Beachten Sie, dass es eben nur ein Modell ist und längst nicht jeder Kunde für den Kauf der Zahnpasta umfassende Überlegungen anstellt. Das dritte Modell beschreibt die Prozessgestaltung und beinhaltet den Blick über das Einzelprojekt hinaus auf das Gesamtunternehmen.
Bitte hinten anstellen!
Es kostet viel Geld, ein neues Produkt zu entwickeln. Noch mehr Geld kostet die Wartezeit innerhalb des Entwicklungsprozesses. Sobald das Eintreffen oder die Dauer von Arbeiten ungewiss sind, sind Warteschlangen im Prozess gewiss. Ob Sie nun eine Telefonschaltzentrale entwickeln oder überlegen, den Schalterbereich Ihrer Bank neu zu konzipieren, Sie werden mit Warteschlangen kämpfen. Wie reagieren Sie darauf? Es gibt Ansätze: Sie erhöhen die Kapazität, d. h. im einfachsten Fall machen Sie in Ihrer Bank einen weiteren Schalter auf. Managen Sie die Nachfrage, indem Sie die Anzahl der akuten Projekte überdenken. Wichtig ist, auch immer ein Sicherheitsventil zu haben, um den Nachfragedruck gegebenenfalls zu reduzieren. Wer mag schon Schwankungen im Entwicklungsprozess? Schauen Sie sich die Abweichungen genau an. Nutzen Sie Steuerungssysteme, um Warteschlangen zu überwachen. Denken Sie daran, dass die Losgrössen eine Rolle spielen im Entwicklungsprozess. Hohe Stückzahlen am Anfang verursachen fast automatisch Warteschlangen. Grosse Chargen sollten Sie so einplanen, dass Sie erst am Ende des Prozesses damit arbeiten. Warteschlangen fallen nicht vom Himmel, beobachten Sie sie. Machen Sie sich klar: Wo treten sie üblicherweise auf? Produkterprobung, Prototypenbau und Konstruktion sind die Problemzonen Ihrer Produktentwicklung.
Machen Sie Fehler!
Auch wenn es absurd klingt, Sie brauchen eine hohe Fehlerrate, um die richtigen, wichtigen und wertvollen Informationen zu erzeugen. Legen Sie Tests so an, dass Erfolg und Misserfolg gleich wahrscheinlich sind. Vergessen Sie den ehernen Anspruch, beim ersten Mal alles richtig zu machen. Dabei werden Sie feststellen, dass es zwei Sorten von Fehlern gibt. Die neuen Fehler bringen die wertvollen Informationen, während die anderen Fehler Informationen erzeugen, die Sie schon vorher hatten. Diese so genannten alten Fehler entstehen, weil Sie etwas vergessen haben, was Sie bereits wissen. Experimentieren Sie mit etwas Neuem und das Experiment schlägt fehl, erzeugen Sie dabei wertvolle neue Informationen. Nicht umsonst sollten Sie die Ergebnisse Ihres Experiments nicht als Betriebsgeheimnis betrachten. Sie wollen bestimmt nicht, dass Fehler wiederholt werden. Kehren Sie also auf keinen Fall Ihre Fehler unter den Teppich, sondern sorgen Sie dafür, dass diese kommuniziert werden innerhalb Ihres Unternehmens. Im Fokus Ihrer Projektüberwachung muss die Etappe sein, wo die meisten Informationen produziert werden und somit das höchste Risiko besteht. Führen Sie deshalb eine Risikoabschätzung durch.
Man nehme etwas Feedback
Der Kalenderspruch "Das Ganze ist mehr als die Summe aller Teile" ist gar nicht falsch. Für die Produktentwicklung sind die zwei Systemarten relevant, von denen Sie auch als Nicht-Ingenieur schon gehört haben: das System als offener oder geschlossener Regelkreis. Sie wollen ein Zimmer heizen. Verwenden Sie dazu eine Heizung und einen Zeitgeber, der die Heizung für eine bestimmte Minutenzahl pro Stunde einschaltet. Bei diesem offenen Regelkreis reagiert das System nicht auf Umweltfaktoren, d. h. das System arbeitet unabhängig davon, ob gerade Winter oder Sommer ist. Mit diesem System ist der Raum an kalten Tagen zu kalt und an warmen Tagen überhitzt. In einem geschlossenen Regelkreis arbeitet für Sie ein Thermostat, das als Steuerungsinstrument und -signal die Raumtemperatur misst und die Heizung einschaltet, sobald die Temperatur unter die angestrebte Temperatur fällt. Ein solches rückgekoppeltes System reagiert zeitnah auf Veränderungen im Umfeld. Für die Produktentwicklung sollten Sie beachten, dass ein geschlossener Regelkreis ein komplexes System ist, das die Fehlersuche schwierig macht. Die Erklärung dafür ist, dass das System zeitnah reagiert und Sie so glauben macht, dass es optimal funktioniert.
Auf der Suche nach der richtigen Organisation
Wie sieht die optimale Organisation des Unternehmens für die optimale Projektentwicklung aus? Wahrscheinlich arbeitet Ihr Unternehmen als funktionale Organisation, d. h. Mitarbeiter werden nach beruflichen Disziplinen eingeteilt, sodass Sie eine eigene Entwicklungsabteilung haben. Das so genannte autonome Team wird eingesetzt, wenn die funktionale Organisation nicht klappt. Autonome Teams sind von ihrer Schnelligkeit her unschlagbar, sie sind durchschnittlich zweimal so schnell wie ein funktional gegliedertes Team. Der entscheidende Nachteil autonomer Teams liegt in der Autonomie. Die Mitglieder eines solchen Teams sehen Probleme nur durch die Brille ihres eigenen Projekts. Die gesamtunternehmerische Perspektive ist ihnen fremd. Kompatibilitätsfragen interessieren sie nicht. Effizient sind diese Teams leider auch nicht, da sie das vorhandene Wissen innerhalb des Unternehmens nicht anzapfen und so Gefahr laufen, das Rad neu zu erfinden. Verteilt sich die Macht sowohl entlang der funktionalen als auch entlang der Teamachsen, erzielen solche so genannten hybriden Organisationsformen eine gute Produktleistung und niedrige Produktionskosten. Sie funktionieren aber nur unter einer Bedingung: Verantwortungen müssen klar abgegrenzt sein.
„Der Entwicklungsprozess ist jetzt für einen Paradigmenwechsel reif.“
Welche Anforderungen werden an die Kommunikation gestellt? Sie brauchen nicht viele Meetings, Dokumentationen und Mails, um eine gute Kommunikation innerhalb Ihres Entwicklungsteams zu gewährleisten. Sorgen Sie für klare Strukturen, Verantwortlichkeiten und engagierte Mitarbeiter. Dann spielt es keine Rolle, ob Sie nun alte oder eher neue Kommunikationstechniken wie E-Mails bevorzugen. Die Kommunikation lässt sich ausserdem steigern durch die räumliche Zusammenlegung der Teams.
Den Entwicklungsprozess entwerfen
Was macht ein gutes Prozessdesign aus? Es gibt nicht den einen immer gültigen Entwurf für Entwicklungsprozesse. Das Geheimnis eines guten Prozessdesigns liegt in modularen Prozessstrukturen. Der Umgang mit so genannten Mustern ist der andere Weg hin zum Prozessdesign. Sollen Sie ein Gebäude entwickeln, haben Sie unweigerlich mit einer Reihe von Mustern zu tun, z. B. dass ein Raum möglichst von zwei Seiten Licht bekommen soll. Untergliedern Sie den Entwicklungsprozess in möglichst viele Prozessschritte und Subprozesse.
Produktarchitektur
Für die optimale Produktarchitektur ist wichtig, wie modular das angestrebte Produkt aufgebaut sein soll. Dazu kommt, dass Sie eine Risikoabschätzung vornehmen, Risikofelder eingrenzen und diese im Zeitplan berücksichtigen. Sie werden bei Ihrer Produktentwicklung mehr als einen Entwicklungsprozess gestalten müssen bzw. Sie sehen sich konfrontiert mit mehreren Subprozessen. Ein effizientes Management der Schnittstellen ist notwendig.
Die richtige Produktspezifikation
Niemand entwickelt ein Produkt im luftleeren Raum. Entdecken Sie Ihre potenziellen Kunden. Drei Fragen sollten Sie stellen: Was und warum wollen die Kunden (es)? Und wie läuft der Entscheidungsprozess ab? Versuchen Sie Ihre Kunden zu verstehen, denn sie sollen demnächst Ihr neues Produkt kaufen. Sinnvolle Tools dafür sind Kundeninterviews, eine genaue Beobachtung des Kunden während des Kaufprozesses per Videokamera und die Arbeit mit Fokusgruppen, d. h. Sie arbeiten mit einer Gruppe von Kunden, die gemeinsam befragt werden. Testen Sie Ihre Produktbotschaft. Sind Sie in der Lage, mit höchstens 25 Worten klar die Botschaft zu artikulieren?
Kontrolle ist besser
Wie kontrollieren Sie den Entwicklungsprozess? Auch wenn Sie jeden Tag 12 oder 14 Stunden arbeiten, Sie können nicht alles kontrollieren: Konzentrieren Sie sich auf die relevanten Projekt- und Unternehmenskennzahlen. Das so genannte Kontrolldreieck ist ein nützliches Tool. Jedes Projekt lässt sich auf drei Bedingungen zurückführen: Arbeitsumfang, Ressourcen und Zeitplan. Legen Sie zwei Seiten des Dreiecks fest, das dritte wird zu Ihrem Sicherheitsventil.
Risiken managen
Risiken lauern überall. Das Marktrisiko besteht in der Gefahr, dass Ihr Produktentwurf den Kundenanforderungen nicht gerecht wird, während ein technisches Risiko besteht, wenn Ihr Entwurf die Spezifikation nicht erfüllt. Unternehmen stecken viel Geld in die Reduzierung des technischen Risikos, anstatt zu lernen, das Marktrisiko zu managen. Risikomanagement heisst, evtl. mit Ersatzprodukten zu arbeiten, aber v. a. heisst es auch, schnell zu sein. Die Risikoanfälligkeit sinkt, je kürzer der Entwicklungsprozess ist. Um das technische Risiko klein zu halten, kontrollieren Sie zunächst mögliche Risiken in Ihren Subsystemen, bevor Sie die der Systemintegration innewohnenden Gefahren minimieren.
Die ersten Schritte
Es soll ja immer wieder vorkommen, dass Entscheidungsprozesse von der Intuition bestimmt werden. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran und treffen Sie Ihre Entscheidungen aufgrund von harten Fakten. Stellen Sie immer wieder Gewinn-und-Verlust-Rechnungen auf. Ihre Mitarbeiter werden Sie nachahmen. Nehmen Sie Abschied von der Angst vor dem Unvorhersehbaren. Zu einer erfolgreichen Produktentwicklung gehören unvorhersehbare Ereignisse. Wertvolle Informationen entstehen aus der Unsicherheit und bereichern den Entwicklungsprozess. Dazu gehört ein effizientes Risikomanagement. Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile. Denken Sie immer in Systemen. Wer ausser Ihnen sollte es sonst tun? Die Mitglieder des leitenden Managements sind in der Regel die Einzigen, die die Gesamtzusammenhänge kennen. Verstehen Sie Ihre Kunden. Achten Sie darauf, dass Sie während des gesamten Entwicklungsprozesses wissen, was Ihre Kunden wollen. Verlassen Sie Ihren Schreibtisch und suchen Sie die Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung auf. Es ist kein wirkliches Problem, wenn sich Ihr technisches Verständnis dabei als bruchstückhaft herausstellt. Sie profitieren davon, wenn Sie zu den Entwicklern gehen.