Marktentwicklung oder menschliches Versagen?
Wer sich mit den Aktivitäten der UBS in den vergangenen Jahren beschäftigt, den beschleichen rasch Zweifel, ob es sich bei der Finanzkrise tatsächlich um eine Art Naturgewalt handelt, die über die Märkte hereingebrochen ist. Die einst als besonders seriös und sicher geltende Schweizer Universalbank mischte ganz erheblich im Investmentbanking mit. Dieser höchst risikoreiche Markt wurde von der UBS noch kräftig angeheizt, denn sie war tief in das amerikanische Geschäft mit Hypothekenpapieren verwickelt. Dass diese renommierte Bank derart ins Trudeln geraten ist, hat sie Geldgier, Managementfehlern und dem wiederholten Verdrängen akuter Gefahren zu verdanken und keineswegs der Marktentwicklung. Denn die war sogar erkennbar.
Ignorierte Warnungen
Bereits im Jahr 2002 argwöhnten zwei UBS-Risikoexperten, dass es mit der zunehmenden Bilanzsumme der Bank, den anhaltenden Gewinnen im Investmentbanking und den undurchschaubaren Produkten zu risikoreich zugehe – insbesondere im Hypothekenmarkt. Sie fanden heraus, dass die amerikanischen Kollegen der Investmentsparte der UBS riesige Berge von US-Hypothekenpapieren aufgetürmt hatten. Und sie erkannten, dass die ausführende Abteilung PFCA & CRE (Principal Finance and Credit Arbitrage & Commercial Real Estate) zwar kaum mit der Schweizer Zentrale kooperierte, aber mit sämtlichem Know-how der Bank ausgestattet war und Zugriff auf die Informationen anderer Abteilungen hatte.
„Vorzeitig wollte niemand das Fest verlassen, schon gar nicht die UBS.“
Ende Mai 2002 hatte die UBS eine Hypothekenposition aufgebaut, die sich auf rund 24 Milliarden Dollar belief und die Bank damit zu einem der größten Wallstreet-Player machte. Das Risiko für die UBS war entsprechend gestiegen. In ihrem internen Bericht wiesen die beiden Risikoexperten darauf hin, dass der Bereich PFCA & CRE zwar hohe Gewinne eingefahren habe, dies aber auf der Basis von aggressiven und im Detail nicht nachvollziehbaren Handelsstrategien mit neuen Produkten, für die Erfahrungswerte fehlten.
„Die Wall-Street-Tüftler in ihren computerisierten Handelsräumen hatten Schrott in Gold verwandelt.“
Die obersten Verantwortlichen, in diesem Fall Kreditchef Marco Suter und Chief Risk Officer Walter Stürzinger, waren ab Herbst 2002 im Bilde. Sie beschlossen jedoch, die UBS weiter auf Wachstumskurs zu halten und die Hinweise auf ein so genanntes Klumpenrisiko zu ignorieren. Mehr noch: Den beiden Risikoexperten wurde nahegelegt, sich einen neuen Job zu suchen.
Der Hintergrund
Seit einigen Jahren hatten die Bürger in den USA Zugriff auf billiges Geld mit niedrigen Zinsen. Ein Hypothekendarlehen zu erhalten, um ein Haus zu kaufen, war für beinahe jedermann problemlos möglich. Den Banken gelang es, bildlich gesprochen, Exkremente zu verpacken und sie als Gold zu verkaufen. Denn nichts anderes war der Handel mit US-Hypothekenpapieren, der schließlich in der Subprime-Krise endete. In diesen Papieren befanden sich minderwertige Kredite aus überbewerteten Immobilien, Studentendarlehen, Auto- und Konsumkrediten und Kreditkartenschulden. Sie wurden mit anderen, risikoärmeren Krediten gemischt und in einzelnen Scheibchen, von Rating-Agenturen als besonders sicher bewertet, verkauft.
„Die UBS hatte sich in einen riesigen Durchlauferhitzer verwandelt. Auf der einen Seite strömten die Milliarden der vermögenden Anleger aus der ganzen Welt in die Finanzmaschine hinein, auf der anderen landete ein Teil des Geldes in undurchsichtigen Finanzkonstrukten.“
Auf dem entsprechenden Markt war die Gier nach solchen Papieren enorm, auch wenn kaum jemand mehr erkannte, welche Risiken darin verpackt waren. Die Kreationen an Finanzmarktprodukten hießen CDO, ABS, RMBS oder CMBS; ihre künftige Entwicklung war kaum vorhersehbar und für Außenstehende ohnehin nicht zu begreifen. Diese Papiere galten manchen als ebenso sicher wie Staatsanleihen, nur mit größeren Zinserträgen. So behielten sie viele Banken in ihren eigenen Büchern, mit horrend hohen Positionen.
Die UBS als Hedgefonds
2004 hatte sich die UBS im Investmentbanking in den USA, Europa und Asien innerhalb weniger Jahre auf die Plätze 8, 3 und 5 vorgearbeitet. „Vision 2010“ war die Bezeichnung für die Wachstumsstrategie, die auf einen der ersten Plätze im globalen Investmentgeschäft abzielte. Geleitet wurde das Investmentbanking von John Costas und seiner rechten Hand, Mike Hutchins. Beide waren exzellente Kenner der neuen Materie, hatten den Umsatz im US-Zinsengeschäft innerhalb weniger Jahre um 250 % gesteigert und der Bank – wie auch sich selbst – immense Gewinne beschert. Zusammen hatten sie eine Maschinerie geschaffen, die nur sie selbst wirklich durchschauten und sonst niemand in der gesamten UBS.
„Die reiche UBS mit ihren Millionen von Kunden in aller Welt sollte die Trägerrakete für die Investmentbank auf ihrem Weg zum Mond sein.“
Ab 2003 war die UBS im Geschäftsbereich Investmentbanking immer größere Risiken eingegangen und verfügte bald über bis zu 50-mal mehr Fremd- als Eigenkapital – wie ein Hedgefonds. Die Bilanzsumme schnellte nach oben, und gleichzeitig galt die UBS nach wie vor als eine der sichersten Banken der Welt. Die Bewertungen der Rating-Agenturen waren erstklassig, Kundengelder flossen weiterhin in Strömen, und zwar wiederum in das US-Investmentgeschäft. Das Ergebnis waren Zinserträge, die ein enormes Ausmaß erreichten, aber auch ein Haufen Verschuldungen in undurchsichtigen Finanzkonstrukten. Dem UBS-Verwaltungsrat schien die Konzentration auf risikoreiche Papiere in hoher Auflage wenig Sorgen zu bereiten.
Die UBS dreht weiter auf
2005 war die UBS eine der beiden größten Universalbanken der Schweiz, zudem zählte sie zu den wichtigsten Vermögensverwalterinnen (Private Banking) weltweit. Auch im Investmentbanking gehörte sie zu den Besten an der New Yorker Wall Street. Nach und nach machte die Unternehmensleitung publik, dass es das Ziel der UBS sei, zur führenden Investmentbank aufzusteigen. Das war für ein als risikoavers und konservativ geltendes Schweizer Bankhaus bemerkenswert, denn der klassische Kunde der UBS war eher an stabiler Vermögensverwaltung interessiert und dürfte das immer stärkere Engagement der UBS im Risikogeschäft und die damit einhergehende Verschuldung nicht gerade positiv bewertet haben.
„Die SNB übernahm das Risiko, um einen Systemkollaps zu verhindern.“
Im Juli 2005 gründete die UBS sogar einen eigenen Hedgefonds, Dillon Read Capital Management (DRCM). Damit lagerte sie ihr Geschäft aus dem Bereich PFCA & CRE aus. Nur: DRCM wurde von der UBS finanziert. John Costas und Mike Hutchins leiteten diesen bankinternen Hedgefonds und nahmen rund 120 Mitarbeiter mit. Das war für die Bank mit dem Image einer sicheren Festung eine Wendung um 180 Grad. So mancher Finanzmarktbeobachter wurde stutzig. Doch Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel tat in Interviews alles, um seine UBS weiterhin als vorsichtig und risikoarm zu präsentieren.
„Den Zeitpunkt für einen Neuanfang hat die Bank im Frühling 2008 verpasst.“
Obwohl sich die Schweizer Nationalbank (SNB) ab 2004 wiederholt besorgt äußerte und die UBS-Führung um Stellungnahmen bat, wurden Zweifel zerstreut. Die Sorge der SNB bezog sich auf die zunehmende Schere zwischen der wachsenden Bilanzsumme und dem schrumpfenden Eigenkapital der UBS. Die Unternehmensführung muss zu diesem Zeitpunkt das Risiko gekannt haben, das sich in ihren Papieren und Büchern verbarg, doch sie hielt weiter am Wachstumskurs fest, den sie sich auch von zwei großen Beratungsinstituten (McKinsey und Mercer Oliver Wyman) bestätigen ließ.
A-Team gegen B-Team
Die UBS nahm auf ihrem fatalen Kurs weiter Fahrt auf. Nachdem Costas und Hutchins ihr Know-how und ihre Milliarden in den Dillon-Read-Hedgefonds transferiert hatten und weiter als so genanntes A-Team sagenhafte Gewinne einfuhren, machte sich ein neues Team als Nachfolger in der UBS-Investmentsparte startklar.
„Bankgeheimnis und blühendes Offshore-Banking bedingen sich gegenseitig.“
Dieses B-Team eiferte dem A-Team nach – nur wusste es nicht so genau, was es tat. Binnen weniger Monate baute es neue Vorräte von rund 50 Milliarden Dollar an US-Hypothekenpapieren an. Fatal daran war, dass auf diese Weise viele der noch immer als sicher geltenden Papiere in den eigenen Büchern landeten. Die Risikoprozesse der UBS zur Prüfung der von der Bank gehaltenen Risiken waren zu diesem Zeitpunkt bereits unwirksam, denn hier wurde hauptsächlich auf das Rating der Papiere geachtet, und das war meist „AAA“, also hervorragend. Andere Kriterien wurden nicht geprüft.
Erster Alarm
Anfang des Jahres 2007 bekam die Bank den ersten Dämpfer auf der Gewinne-und-Boni-Party. Einige der verbrieften US-Hypothekenpapiere stürzten rasant ab. John Costas sendete ein Notsignal nach Zürich, in dem er einen Abschreiber von rund 40 Millionen Dollar bekannt gab. Doch die Talfahrt des Hedgefonds hatte gerade erst begonnen. Ende April beschloss CEO Peter Wuffli den Hedgefonds zu schließen, was die UBS weitere 314 Millionen Dollar kostete, Abfindungsprämien inklusive. Das Unverständliche in dieser Situation: Das UBS-B-Team kaufte weiter fleißig Hypothekenpapiere, während andere Finanzhäuser wie die Deutsche Bank oder Goldman Sachs versuchten, sich von ihren Positionen zu trennen. Niemand schien den Ernst der Lage zu erkennen.
Der Crash
Im Sommer 2007 kollabierte der Markt dann spürbar: Zwei Hedgefonds von Bear Stearns wurden geschlossen, Subprime-Papiere konnten nur noch zu Tiefstpreisen verkauft werden, und der UBS wurde klar, dass sie mehr Eigenkapital benötigte. Sie glaubte allerdings immer noch, weniger gefährdet zu sein als andere Banken. Dennoch führte die Gemengelage im Sommer dazu, dass CEO Peter Wuffli seinen Hut nehmen musste – inwieweit man ein finanzielles Debakel da schon ahnte, bleibt unklar.
„Als teilverstaatlichter Koloss mit beschädigter Marke droht der UBS ein Dasein als Dinosaurier, der sich bald überlebt haben könnte.“
Ab August ging es Schlag auf Schlag: Der neue CEO Marcel Rohner gab der Schweizer Bankenkommission zu verstehen, dass die UBS aktuell mit mehr als 107 Milliarden Franken in Form von verseuchten Papieren verschuldet war. Das war mehr als das Doppelte des Eigenkapitals. Anfang Oktober knallte es dann auch öffentlich: Rohner musste einen Abschreiber von vier Milliarden Dollar verkünden, wenige Wochen später folgte ein weiterer in der Höhe von zehn Milliarden Dollar: wertloser Müll, der aus der Bilanz entfernt werden musste. Die UBS brauchte nun dringend Hilfe; ihr Schiff war leckgeschlagen und sie hatte dies eingestanden. Sie fand den Retter in der Not in Form zweier Investoren aus Singapur und dem arabischen Raum. Diese halfen mit rund 13 Milliarden Franken aus. Doch die Abwärtsspirale ging weiter: Anfang April 2008 musste die UBS ein weiteres Loch von 19 Milliarden Dollar verkünden. Die Bankenaufsicht bedeutete dem UBS-Präsidenten Marcel Ospel, dass es besser sei, abzutreten.
Vor Gericht in den USA
Noch 2007 war die UBS mit 1294 Milliarden Franken an Kundengeldern die weltweit unumstrittene Nummer eins im Private Banking. Doch im April 2008 begann in den USA das Debakel um die Geschäfte mit US-Bürgern. Die Schweizer Bank hatte sich jahrelang wissentlich in einer rechtlichen Grauzone bewegt und hohe Gewinne durch die Verwaltung nicht deklarierter Vermögen von US-Bürgern eingefahren. In den USA wurde gegen die Aktivitäten der UBS im Offshore-Geschäft ermittelt. Einer der UBS-Topberater, Bradley Birkenfeld, wurde verhaftet. Seine Aussagen und Unterlagen bewiesen, dass die UBS jahrelang US-Gesetze umgangen hatte. In der Folge musste die Bank ihren Geschäftsbereich Private Banking aufgeben und schließlich Kundendaten an die US-Behörden aushändigen.
Quo vadis, UBS?
Der neue Verwaltungsratspräsident Peter Kurer musste im Oktober 2008 einen Rettungsplan von Schweizer Staat und Nationalbank annehmen, um die UBS vor dem Untergang zu bewahren. Es ging um 68 Milliarden Franken, also rund 15 % des Schweizer Bruttoinlandsprodukts, die der Staat bzw. die Steuerzahler aufbringen mussten, um die Bank zu retten und einen Systemkollaps der Wirtschaft zu verhindern. Die UBS ist quasi teilverstaatlicht worden. Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten.