Das Toyota-Produktionssystem

Buch Das Toyota-Produktionssystem

Campus,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Im Jahr 2008 war Toyota erstmals der weltgrößte Au­to­mo­bil­her­steller. Der Aufstieg, der in der Nachkriegszeit begann, ist nicht einem bestimmten Automodell zu verdanken, sondern einem Pro­duk­tion­ssys­tem. Die innovative Fer­ti­gungsmeth­ode wird in diesem Buch von einem ihrer maßgeblichen Erfinder geschildert. Auf sehr verständliche Weise erklärt der ehemalige Pro­duk­tion­sleiter die wesentlichen Elemente, z. B. Kanban oder Just-in-time-Pro­duk­tion. An vielen Stellen macht sich allerdings bemerkbar, dass das Buch den Wis­sens­stand der 80er Jahre abbildet. Seitdem hat sich das Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tem weit­er­en­twick­elt, und im Gle­ich­schritt auch die in­ter­na­tionale Konkurrenz: Sie hat das Toy­ota-Sys­tem seit den 90er Jahren reihenweise übernommen. BooksInShort empfiehlt das Buch dennoch allen Au­toman­agern und Meistern, die ihre tägliche Arbeit verstehen und weiterhin verbessern wollen.

Take-aways

  • Das Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tem wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt, ständig weit­er­en­twick­elt und in den 90er Jahren von vielen Wet­tbe­wer­bern übernommen.
  • Das System ermöglicht die flexible und effiziente Fertigung auch kleiner Serien.
  • Die Grund­prinzip­ien sind Just-in-time-Pro­duk­tion und autonome Automation.
  • Produktion und Logistik werden mithilfe von Kanban gesteuert: In­for­ma­tion­ss­childern, die jedes Teil begleiten.
  • Die größten Produktivitätsreserven stecken in Arbeitsabläufen, nicht in der Anschaffung neuer Maschinen.
  • Maschinen sollten intelligent genug sein, um Fehler selbst zu bemerken und sich abzuschal­ten, statt Ausschuss zu produzieren.
  • Die Rentabilität einer Maschine hängt nicht von ihrem Alter ab.
  • Das Zusam­men­spiel der Arbeitskräfte ist wichtiger als die Höchstleis­tung Einzelner.
  • Es ist ein Irrweg, die Produktivität durch immer größere Pro­duk­tion­s­men­gen zu steigern.
  • Mit dem Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tem lassen sich auch Phasen niedrigen Wachstums überstehen.
 

Zusammenfassung

Toyotas rätselhafter Aufstieg

Die Wet­tbe­wer­ber sahen dem Aufstieg des japanischen Au­to­her­stellers Toyota nach dem Zweiten Weltkrieg über viele Jahre tatenlos zu. Erst Anfang der 90er Jahre, als Volkswagen, General Motors und andere Platzhirsche in eine Absatzkrise geraten waren, begannen sie sich mit dem Phänomen zu beschäftigen. Zu of­fen­sichtlich war der Klasse­nun­ter­schied geworden: Während die ehemaligen Marktführer von Jahr zu Jahr Mark­tan­teile verloren hatten, schien der Absatz von Toyota keine Grenzen zu kennen, und das trotz Im­portbeschränkungen. Eine Studie des Mass­a­chu­setts Institute of Technology (MIT) förderte im Jahr 1990 den Hauptgrund zutage: das Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tem.

In­di­vidu­elle Fertigung statt Massen­pro­duk­tion

Der Preis von Autos ist dank der Massen­pro­duk­tion amerikanis­cher Prägung bis in die 70er Jahre zwar gesunken. Doch Toyota ging einen anderen Weg: Statt immer mehr von ein und demselben Modell zu bauen, sollte die effiziente Klein­se­rien­fer­ti­gung zunächst für den überschaubaren japanischen Markt möglich werden. Das Ziel war die Herstellung vieler ver­schiedener Typen in kleiner Stückzahl. Die erste Ölkrise beendete 1973 die Zeit der hohen volk­swirtschaftlichen Wach­s­tum­sraten – und damit die Ära der kon­ven­tionellen Massen­pro­duk­tion. Die bis dahin prak­tizierte Kostensenkungsmeth­ode, immer möglichst hohe Stückzahlen zu produzieren, erzeugte zu viel Ver­schwen­dung.

Oberstes Ziel: Ver­schwen­dung beseitigen

Die Produktivität japanischer Arbeiter lag während des Zweiten Weltkriegs bei einem Drittel der deutschen und einem Neuntel der amerikanis­chen Arbeitskräfte. Der Sohn des Firmengründers Toyoda gab daher nach dem Krieg die Marschrich­tung an: Die Produktivität sollte um das Zehnfache gesteigert werden. Dieses ehrgeizige Ziel führte die japanischen Manager zum Kerngedanken des „Toyotaismus“: der Ausmerzung ver­schwen­derischer Arbeitsabläufe. Es wurde zwischen Arbeit mit und ohne Wertschöpfung un­ter­schieden. Beispiele für Letzteres sind die langwierige Suche nach Teilen im Lager oder unnötige Handgriffe in der Produktion. Solche Bewegungen sollten in Arbeit mit Wertschöpfung verwandelt werden. Zwei Leit­prinzip­ien halfen dabei, dieses Vorhaben umzusetzen: Just-in-time-Pro­duk­tion und die so genannte autonome Automation.

Lagerbe­stand: null

Wenn Sie Toyota in der Produktion nacheifern wollen, gestalten Sie den Ma­te­ri­alfluss zur Endmontage so, dass die benötigten Teile – und nur diese – in dem Moment am Fließband ankommen, in dem sie gebraucht werden. Damit erreichen Sie ide­al­er­weise einen Lagerbe­stand von null. Das sagt sich leichter, als es getan ist. Fehler, die Sie zu Beginn der Pro­duk­tions­kette übersehen, werden später irgendwo auftauchen. Pro­duk­tion­sstopp und teure Nacharbeit sind die Folge. Kon­ven­tionelle Man­age­ment­tech­niken werden mit dieser komplexen Pro­duk­tion­sweise nicht fertig.

„Das Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tem entstand in dem Moment, als ich das alte System infrage stellte.“

Mit der Methode Kanban (japanisch für „Schildchen“) gelingt es, die Kom­mu­nika­tion zwischen den Arbeitsgängen so zu steuern, dass jeder nur die im nächsten Arbeitsgang benötigte Menge produziert. Die Teile werden nicht mehr automatisch von Station zu Station befördert, sondern nur noch auf Anforderung. So kommt der Ma­te­ri­alfluss nicht ins Stocken, außerdem sind die Arbeiter nicht mehr ständig auf der Suche nach Teilen im Lager. Zerlegen Sie den Fer­ti­gung­sprozess in einzelne Ar­beitss­chritte und denken Sie ihn rückwärts, also vom Endprodukt her. Über die Schildchen an den Zwis­chen­pro­duk­ten teilen sich die Arbeiter gegenseitig mit, welche Teile sie entnommen haben, welche also neu gebraucht werden.

Vermeiden Sie Fehler beim Kanban

Damit Kanban funk­tion­iert, müssen Sie die Arbeitsabläufe so or­gan­isieren, dass ein gleichmäßiger Fluss entsteht. In­dus­triear­beiter arbeiten dann wie bei einem Staffellauf. Die Be­gleitscheine mit den In­for­ma­tio­nen über Mengen, Zeitpunkte, Verfahren und Bes­tim­mung­sorte, die die Teile durchs Werk begleiten, können aber auch zu Problemen führen:

  • Häufig regen sich erhebliche Widerstände gegen das Prinzip, nicht mehr so viel wie möglich zu produzieren, sondern nur noch das, was die nachge­lagerte Pro­duk­tion­sstufe anfordert.
  • Das Prinzip hat eine häufigere Umrüstung der Maschinen und damit ein neues Pro­duk­tion­ssys­tem kleiner Losgrößen zur Folge. Starke Auf­tragss­chwankun­gen bedrohen diese vernetzte Kette, die Pro­duk­tion­sniv­el­lierung ist daher eine wichtige Aufgabe.
  • Die Zahl der Schildchen ist möglichst klein und damit überschaubar zu halten.
  • Die Zulieferer müssen eingebunden werden; ohne sie wird Kanban scheitern. Toyota hat das System 1962 im gesamten Unternehmen eingeführt – und 20 Jahre gebraucht, um es auch bei den Zulieferern zu etablieren.

Die Maschine denkt mit

Moderne Maschinen sind sehr schnell und leistungsfähig. Bei kleinen Ab­we­ichun­gen produzieren sie deshalb aber auch rasch Unmengen von Ausschuss. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Maschinen automatisch stoppen, wenn sie von der Norm abweichen. Die Idee stammt aus der Tex­til­fer­ti­gung des Toyota-Gründers, der seine Webstühle mit einem au­toma­tis­chen Stopp­mech­a­nis­mus ausrüstete. Dieses Prinzip der Nar­ren­sicher­heit („Poka Yoke“) hilft Ihnen bei der autonomen Automation: Ist ein Werkstück fehlerhaft, sollte es nicht in das Werkzeug der nächsten Bear­beitungsstufe passen – der Fehler wird also von der Maschine automatisch bemerkt. Sie verleihen damit Ihren Automaten eine Art Intelligenz. Auf solche Maschinen müssen Ihre Mitarbeiter nicht mehr ständig aufpassen. Stattdessen können sie mehrere Maschinen überwachen und im Schadenfall eingreifen. Machen Sie die Ausfälle sichtbar: Wenn Arbeiter bei Unregelmäßigkeiten das Fließband anhalten können, werden vo­r­ange­gan­gene Fehler of­fen­sichtlich. Erst wenn Vertuschung oder hastige Reparaturen nicht mehr möglich sind, erfahren Sie von Schwach­stellen und können die Prozesse optimieren.

Tea­mar­beiter statt Einzelkämpfer

Anfangs protestierten die Toy­ota-Ar­beiter gegen die Idee, mehrere – auch un­ter­schiedliche – Maschinen bedienen zu müssen. Trotzdem war es in Japan einfacher als in den USA oder in Europa, die Arbeiter an ver­schiede­nen Ar­beitssta­tio­nen einzusetzen, z. B. heute an einer Drehmas­chine, morgen an einer Fräsmaschine und übermorgen beim Schweißen. Denn in Japan beharrten die Gew­erkschaften nicht auf einer strikten Trennung der Tätigkeiten. Während in den USA ein Dreher immer ein Dreher blieb, konnte sich der japanische Kollege neue Fähigkeiten aneignen. Das steigerte seine Zufrieden­heit und Produktivität und befähigte ihn zur Teamarbeit.

„Für die Einführung des Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tems in Ihr eigenes Unternehmen muss eine hohe Sensibilität gegenüber der Ver­schwen­dung entwickelt werden.“

Hilfen bei der Umsetzung

  • Fünffaches Warum: Geht in der Fabrik etwas kaputt, reparieren Sie es nicht einfach. Fragen Sie sich, warum der Schaden eintreten konnte – und das möglichst so lange, bis Sie eine Wieder­hol­ung ausschließen können. Die Frage, warum eine Maschine angehalten hat, führt Sie beispiel­sweise zu einer durchge­bran­nten Sicherung, und durch weitere Warum-Fra­gen gelangen Sie zur Ursache der Überlastung.
  • Arbeitsblätter selbst machen: Innerhalb von drei Tagen sollte ein Mitarbeiter in neue Arbeitsabläufe eingear­beitet werden können. Auf Stan­dard-Ar­beitsblättern findet er an jeder Ar­beitssta­tion die nötigen In­for­ma­tio­nen über Taktzeit und Ar­beitsab­folge. Diese Angaben müssen die Arbeiter verstehen und selbst verfassen können.
  • Maschinen neu aufstellen: Kombinieren Sie Ihren Maschi­nen­park neu. Die Reihenfolge der Maschinen sollte der Reihenfolge der Bear­beitungss­chritte entsprechen.
  • Rasch umrüsten: Die gleichmäßige Produktion möglichst kleiner Losgrößen zwingt zum häufigen Umrüsten der Maschinen. Der Wechsel der Werkzeuge konnte in Toy­ota-Press­werken schon Ende der 60er Jahre von vorher zwei bis drei Stunden auf drei Minuten gedrückt werden.
  • Spezialein­rich­tun­gen und -maschinen vermeiden: Höchstleis­tungs­maschi­nen sind nicht gle­ichzuset­zen mit Höchst­pro­duk­tivität. Mit der durch­dachten Ra­tio­nal­isierung von Arbeitsabläufen schaffen Sie große Ef­fizien­zsteigerun­gen auch ohne kost­spielige neue Roboter.
  • Alte Maschinen in Schuss halten: Eine gut gewartete Maschine ist, sofern sie an der richtigen Stelle eingesetzt wird, rentabler als die Anschaffung einer neuen, zumal wenn diese nicht ausgelastet wird.
  • Den In­for­ma­tions­fluss ra­tio­nal­isieren: Pro­duk­tion­spläne sind schön und gut, sollten jedoch nur die nötigsten In­for­ma­tio­nen enthalten und bei Nachfrageänderungen anpassungsfähig sein. Die Autos von Toyota führen die zur Montage nötigen In­for­ma­tio­nen per Kanban mit sich.

Ford vs. Toyota

Mit dem Ford-Pro­duk­tion­ssys­tem, dem ersten Massen­pro­duk­tion­ssys­tem der Welt, hat Toyota vieles gemeinsam – z. B. das Augenmerk auf den Ar­beits­fluss und die Wertschöpfung bereits auf der Stufe der Rohstoff­bear­beitung. Allerdings war Toyota kon­se­quenter: Während Ford die Lagerbestände entlang dem Fließband verteilte, hat Toyota sie ganz abgeschafft. Das Ford-System steigert die Produktivität durch die Fertigung einer möglichst hohen Menge eines Teils. Toyota konzen­tri­ert sich dagegen auf die effiziente Fertigung von kleinen Serien, ja von Einzel­teilen. Das ist in der heutigen Zeit mit in­di­vidu­ellen Konsumwünschen ein großer Vorteil. Ford hat seine Fer­ti­gungsmeth­ode kaum je angepasst, selbst als die Firma nicht mehr nur das Modell T, sondern eine ganze Palette von Fahrzeugen produzierte. Inzwischen haben die amerikanis­chen und europäischen Hersteller zwar ebenfalls ihre Prozesse verbessert, sind jedoch nicht so weit gekommen wie Toyota.

Profitabel trotz Niedrig­wach­s­tum

Vielleicht wird es Ihnen schw­er­fallen, sich von Ihrem Lager zu trennen. Machen Sie sich bewusst: Das Horten von Rohstoffen und Halb­fab­rikaten entspricht der Mentalität einer Agrarge­sellschaft. In der modernen In­dus­triege­sellschaft müssen Sie lernen, sich darauf zu verlassen, jederzeit das bestellen und kaufen zu können, was Sie für Ihre Produktion brauchen. Andernfalls führt Ihr Lager zu nichts anderem als zu Ver­schwen­dung. Es zwingt Sie in Zeiten niedrigen Wachstums zur Überpro­duk­tion. Zudem schlummern in Ihrem Lager auch fehlerhafte Vorprodukte. Wozu?

„Ein Problem, das zu Beginn des Pro­duk­tion­sprozesses entsteht, führt später un­weiger­lich zu einem fehler­haften Produkt.“

Obwohl Kanban in einer Zeit eingeführt wurde, als die japanische Wirtschaft sehr hohe Wach­s­tum­sraten aufwies, eignet sich das System gerade auch für Jahre mit niedrigem Wachstum. Das fiel zum ersten Mal im Verlauf der Ölkrise von 1973 auf. Toyota überstand diesen Nach­frageschock besser als viele andere japanische In­dus­triebe­triebe.

„Dass sich Arbeiter bewegen, bedeutet nicht unbedingt, dass sie arbeiten.“

In der Folge in­ter­essierten sich etliche Firmen für das Pro­duk­tion­s­mod­ell, das Toyota wiederum weit­er­en­twick­elte. So verstärkte der Konzern die Versuche, Maschinen autonomer zu machen, um die Zahl der mit der Überwachung beschäftigten Mitarbeiter senken zu können. Ebenso sollte bei niedriger Auslastung die Zahl der Team­mi­tar­beiter am Fließband reduziert werden; darum musste jeder Teamkollege lernen, auch die Arbeit der anderen zu verrichten.

„Ich rate allen Managern, Meistern, Vo­rar­beit­ern und Arbeitern in der Fertigung, in ihrem Denken flexibler zu werden.“

Leider sind die Beschäftigten in vielen Unternehmen in ihrem Denken viel zu unflexibel, um sich der Her­aus­forderung permanenter Kostensenkung mit Ein­fall­sre­ich­tum zu stellen. Diese Abneigung gegen un­kon­ven­tionelle und unbequeme Denkweisen hegen sowohl Arbeiter am Fließband als auch Manager in der Chefetage.

Über den Autor

Taiichi Ohno (1912–1990) war Pro­duk­tion­sleiter des Au­to­mo­bil­her­stellers Toyota und gilt als der Erfinder des Toy­ota-Pro­duk­tion­ssys­tems. Auf seinen Ideen beruhen die Lo­gis­tik­meth­o­den Kanban und Just-in-time-Pro­duk­tion. Auch das Man­age­men­tkonzept Kaizen geht auf ihn zurück.