Lebensphasen statt soziale Schichten
In der Vergangenheit waren die gesellschaftlichen Klassen und Schichten klar definiert und deutlich voneinander abgrenzbar. Mittels Einkommen, Bildung und Stellung im Beruf ließ sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht schnell ermitteln. Ab den 70er- und 80er-Jahren rückten die so genannten „Milieus“ in den Mittelpunkt. Bei dieser Betrachtungsweise wurden auch die Werte und das Konsumverhalten der Menschen einbezogen. Heute reicht dieser Blickwinkel nicht mehr aus, um die Gesellschaft zu beschreiben. Denn globale Megatrends wie Individualisierung, neue Arbeitsformen und Alterung führen zu einer tief greifenden Veränderung der Lebensweisen:
- Die Phase zwischen Jugend und Erwachsenendasein verlängert sich erheblich.
- Familiengründungen erfolgen später: Die Zahl der Erstgebärenden zwischen Mitte und Ende 30 steigt konstant.
- Mehrfache Familiengründungen im Laufe eines Lebens werden beinahe normal.
- Es entstehen neue Familien- und Beziehungsmodelle.
- Oft herrscht ein lebenslanges Nebeneinander verschiedener Berufe und Beschäftigungsformen vor.
- Die Rentenphase ist häufig Sprungbrett für ein neues Durchstarten.
- Die aktuelle Situation eines Menschen ist entscheidender als seine soziale Zugehörigkeit. Die Lebensphase wird bestimmend für Konsumwünsche, Bedürfnisse und Interessen.
„Marketing 2020 heißt: Abschiednehmen von Milieudenken und klassischer Marktforschung.“
Starre Lebensmuster sind Vergangenheit, die klassischen Zielgruppen ebenso. Wer heute Marktforschung betreibt, muss sich die Lebensstile ansehen, denn Alter und Einkommen allein sagen nichts mehr aus über Konsumwünsche und Bedürfnisse.
Die junge Generation im 21. Jahrhundert
Elf Lebensstiltypen werden an Bedeutung gewinnen und eine Vorreiterrolle für neue Produkte und das Konsumverhalten einnehmen. In der Jugendphase sind dies:
- CommuniTeens: 3,2 Millionen CommuniTeens lassen sich aktuell in Deutschland ausmachen. 2020 werden des bereits rund 3,8 Millionen sein. Um sich den Anforderungen der mobilen Gesellschaft und des Erwachsenenlebens zu stellen, benötigen diese jungen Menschen soziale Kontakte, intakte Netzwerke und den permanenten Anschluss an Freunde. Das gelingt ihnen durch Mobiltelefon, SMS, Portale und Plattformen wie YouTube, StayFriends oder MySpace, Blogs und Instant Messengers. Bei der Mediennutzung ist Interaktivität angesagt: Wikipedia ist top, statische Angebote hingegen sind Flops. Auch Auslandsaufenthalte, Praktika und unterschiedliche Lebensentwicklungen überstehen die CommuniTeens, ohne ihre Freunde aus den Augen zu verlieren. Virtuelles Leben und echtes Leben gehen bei ihnen eine selbstverständliche Verbindung ein. Das gilt für die Kommunikation ebenso wie für Konsum und Lernen.
- Inbetweens: Zurzeit schätzt man ihre Zahl auf rund 1,7 Millionen. Für 2020 wird mit rund 2,9 Millionen gerechnet. Inbetweens zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwischen allen Stühlen sitzen, beruflich wie privat. Sie haben noch keine Familie und schon gar keinen festen Job. Die meisten hangeln sich von Praktikum zu Hospitanz oder befristeter Anstellung mit Ausblick auf mehr. Es kann sich aber auch um eine Phase zwischen zwei festen Anstellungen in unterschiedlichen Branchen handeln. Inbetweens befinden sich in einem schon fast dauerhaften Übergangsstadium. Sie wissen um die Notwendigkeit lebenslangen Lernens und schätzen Jobs mit Selbstverwirklichungspotenzial. Sie brauchen Produkte, die ihnen ihre zwangsläufige Mobilität erleichtern. Sie meiden finanzielle oder materielle Verbindlichkeiten. Andererseits haben sie ein Bedürfnis nach bleibenden Werten oder Objekten, die unterschiedliche Phasen der Sesshaftigkeit überdauern können.
- Young Globalists: 1,3 Millionen von ihnen lassen sich aktuell ausmachen. 2020 werden es rund 2,5 Millionen sein. Sie sind gebildete Weltbürger ohne Star-Allüren und auf der ganzen Welt zu Hause. Sie haben sich den Globus schon früh und systematisch zur eigenen Westentasche gemacht, gezielt weltweit Kontakte aufgebaut und gepflegt, ihre Lebensläufe international ausgerichtet. Für sie ist globales Denken, Leben und Kommunizieren an der Tagesordnung. Sie ziehen ihre Selbstbestätigung aus einem erfolgreichen internationalen Berufsleben, für das sie früh alle Weichen stellen, dem Internet sei dank. „Job = Selbstverwirklichung“, könnte ihr Motto heißen. Ausgleich finden sie in stabilen Beziehungen. Sprachangebote und Global Shopping sowie Dienstleistungen aller Art, die ihr Zeitbudget schonen, werden von Young Globalists gern angenommen.
Familie 2.0 – so kann sie aussehen
Der Wunsch nach Familie, nach Geborgenheit und Sicherheit, bleibt. Aber Familie wird in Zukunft anders aussehen als die klassische Einheit Vater-Mutter-Kind, wie diese neuen Familienkonstellationen zeigen:
- Latte-Macchiato-Familien: Von ihnen gibt es derzeit rund 1,9 Millionen. Bis 2020 werden es rund 2,6 Millionen sein. Sie leben in der Stadt (z. B. Prenzlauer Berg in Berlin oder Notting Hill in London) und versuchen mit Wunschkindern ihr hippes Stadtleben auch als neu gegründete Familie beizubehalten. Die Kinder sind bei vielen Aktivitäten dabei, und abends springt der Babysitter ein. Die Eltern sind gebildet, oft beide im Beruf. Kurze Arbeits- und Kindergartenwege sind wichtig, genauso wie Bioprodukte für den Nachwuchs. Alles, was hilft, Zeit zu sparen, ist bei Latte-Macchiato-Familien willkommen.
- VIB-Familien: Rund 1,7 Millionen „Very-Important-Baby-Familien“ gibt es zurzeit. 2020 werden es rund 2,4 Millionen sein. Die Eltern dieser Babys sind Mitte bis Ende 30 und beruflich etabliert. „Erst Karriere, dann Kind“, so könnte ihr Motto heißen. Für den Nachwuchs wird in Sachen Entwicklungsmöglichkeiten, Ausbildung und Förderung alles getan. Das Kind und dessen Erfolg sind Statussymbole. VIBs haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch und Lebensstandard. Service auf allen Ebenen, z. B. ein mehrsprachig und pädagogisch ausgebildetes Kindermädchen, ist sehr gefragt.
- Netzwerk-Familien: Rund 2,8 Millionen Netzwerk-Familien kann man aktuell identifizieren. Bis 2020 werden es rund 4,2 Millionen sein. Sie ersetzen die eher zwanghaft zusammengestellten Patchwork-Familien und bilden eine Neuauflage der früheren Großfamilie. Zur Netzwerk-Familie gehören einstige Ehepartner genauso wie Verwandte oder nahe stehende Freunde unterschiedlicher Kreise. Produkte wie mitwachsende Häuser oder Dienstleistungen wie „Kinder allein auf Tour“ (Begleitprogramm der Deutschen Bahn) werden sehr gefragt sein.
Die Zielgruppen des mittleren Alters
Es ist die „Rushhour“ des Lebens: Erwerbstätigkeit und Familienleben wollen gleichzeitig gemanagt werden.
„An die Stelle der Normalbiografie treten zukünftig Multigrafien.“
Dabei kommt es zu diesen Lösungsmöglichkeiten:
- Super-Daddys: Rund 2,9 Millionen Super-Daddys kann man aktuell identifizieren. Bis 2020 werden es rund 3,8 Millionen sein. Sie wollen in der dichtesten Phase des Lebens alles, und zwar gleichzeitig: beruflichen Erfolg, ein erfülltes Familienleben, ihre Rolle als Vater und ihre persönliche Selbstverwirklichung. Die neuen Männer wollen bessere Väter sein, als ihre eigenen es waren. Sie wollen der Vaterrolle voll gerecht werden und widmen sich sehr viel mehr als früher der Erziehungs- und Gefühlsarbeit in der Familie. Auch vor Haushalts- und Einkaufsentscheidungen machen sie nicht mehr Halt. Einkaufen für Vater und Kind unter einem Dach ist in den USA daher bereits der Renner.
- Tiger-Ladys: Diese Damen wollen alles: Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung, erfüllte Partnerschaft und erfolgreiches Berufsleben. Dabei dringen sie ganz selbstverständlich in bislang männliche Jobdomänen vor. Sie sind häufig um die 40, bereits Mutter und starten beruflich voll durch, ohne sich von Ehemännern oder einengenden Beziehungen bremsen zu lassen. Sie wissen ihr Potenzial auszuschöpfen, bewusst und mit Freude. Sie sind selbstständig und keineswegs auf die finanzielle Unterstützung eines Mannes angewiesen. Derzeit lassen sich rund 2,8 Millionen Tiger-Ladys ausmachen. 2020 werden es schon rund 4,3 Millionen sein.
Senioren von morgen
Die Generation der neuen Alten gestaltet ihr Leben weiterhin aktiv und erobert sich neue Bereiche. Bis 2030 wird rund ein Drittel der Bundesbürger älter als 60 Jahre sein. Drei Lebensstiltypen lassen sich hier identifizieren:
- Silverpreneure: Aktuell gibt es rund 4,2 Millionen Senioren, die zu den Silverpreneuren zählen. 2020 werden es rund 6,3 Millionen sein. Silverpreneure scheren sich nicht darum, dass sie bereits das offizielle Rentenalter erreicht haben. Sie machen beruflich weiter wie bisher, sei es ehrenamtlich, im Nebenerwerb, durch Beginn eines Studiums oder durch die erneute Gründung eines Unternehmens. Für sie ist Arbeit ein Lebenselixier. Silverpreneure möchten etwas Sinnvolles tun, ihren Horizont erweitern. So lassen sie sich z. B. als „Senior Experts“ für unterschiedlichste Projekte weltweit einsetzen, in denen ihre Erfahrung gefragt ist. Silverpreneure stehen neuen Technologien sehr aufgeschlossen gegenüber, sie verfügen über ein großes soziales Netzwerk, und die typischen Seniorenklischees (Langeweile, Technikferne, Einsamkeit) belächeln sie. Sie sind wissensdurstig und informationshungrig. Auch für Sport und neue Medien, wie beispielsweise für die Nintendo Wii-Konsole, sind sie keineswegs zu alt. Im Gegenteil: Das Gerät ist in zahlreichen US-Altenheimen der Renner für die Bowling- und Tennis-Simulation.
- Super-Grannys: Derzeit zählen rund 4,1 Millionen Seniorinnen zu den Super-Grannys. 2020 werden es rund 6,2 Millionen sein. Super-Grannys sind erfolgreiche, aktive und vitale Frauen jenseits der 55. Sie haben ein Leben als Ehefrau, Mutter und oft auch als Berufstätige erlebt und starten im Ruhestand noch einmal richtig durch, befreit von Mutterdasein, Ehefraurolle oder Karrierefrau-Erfolgszwang. Mit ihrem Alter gehen sie realistisch und pragmatisch um, es ist für sie kein Problem. Sie kleiden sich modisch und nutzen Kosmetika sowie Wellness- und Sportaktivitäten. Reisen, Kultur und anspruchsvolle, beratende Werbung treffen bei Super-Grannys ins Schwarze (Beispiele: die Dove-Kampagne, 50-plus-Hotels, Studiosus-Reisen).
- Greyhopper: Aktuell gibt es rund 4,9 Millionen Greyhopper, 2020 rechnet man mit rund 6,1 Millionen. Greyhopper wagen im Ruhestand einen neuen Aufbruch, und zwar auf sportlich-körperlich-geistiger Ebene. Sie können männlich oder weiblich sein und versuchen, sich die mentale wie körperliche Fitness bis ins hohe Alter durch eine aktive und ausgeglichene Lebensweise zu bewahren. Ob Marathon-Teilnahme, Sportarten wie Snowboarding oder Mountainbiking – für nichts fühlt sich der Greyhopper zu alt. Dabei achtet er auf eine ausgewogene biologische Ernährung, lebt ökologisch und hält sich in Bewegung. Nur den Austausch mit Gleichaltrigen meidet er, da er mit Lamentieren über Alter und Krankheit nichts anfangen kann. Greyhopper lieben einfache, qualitativ gute Produkte, die Individualität ermöglichen. Sie kaufen via Internet ebenso ein wie auf dem Wochenmarkt oder im Geschäft. Reisen, die mit körperlicher Aktivität verbunden sind (Kilimandscharo-Besteigung, Wanderungen, Safaris), gelten als besonders attraktiv.