Animal Spirits

Buch Animal Spirits

Wie Wirtschaft wirklich funktioniert

Princeton UP,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Was sind die Ursachen für die Finanz- und Wirtschaft­skrise, die 2007 aus­ge­brochen ist? Wie kam es, dass selbst Experten die Entwicklung nicht rechtzeitig erkannten und dass kaum jemand vor der here­in­brechen­den Krise warnte? Die hochkarätigen Ökonomen George A. Akerlof und Robert J. Shiller versuchen Antworten auf diese Fragen zu finden. Ihrer Ansicht nach ist die Wirtschaft­s­the­o­rie viel zu lange von einem un­re­al­is­tis­chen, abstrakten Men­schen­bild ausgegangen. Es wurde völlig ignoriert, dass Menschen oft irrational handeln und dass gerade die so genannten „Animal Spirits“ die Wirtschaft ganz erheblich bee­in­flussen. Akerlof und Shiller stellen reihenweise Dogmen der Wirtschaft­s­the­o­rie auf den Prüfstand und zeigen, dass diese oft wenig mit der Realität zu tun haben. Ein kritisches und wichtiges Buch, das eine Fülle von Denkanstößen bietet. BooksInShort empfiehlt es allen, die sich nicht mit gängigen Erklärungsmustern zufriedengeben wollen.

Take-aways

  • Die Finanz- und Wirtschaft­skrise kam selbst für viele Fachleute völlig überraschend.
  • Die Wirtschaft­s­the­o­rie ging lange Zeit nur von rationalem Handeln aus und ließ irrationale Ver­hal­tensweisen unberücksichtigt.
  • Doch gerade die „Animal Spirits“ haben großen Einfluss auf das Wirtschafts­geschehen.
  • Wichtige Aus­drucks­for­men davon sind Vertrauen, Fairness, Korruption, Geschichten und die Geldil­lu­sion.
  • Rezessionen lassen sich meistens auf Ver­trauensver­luste zurückführen.
  • Diese basieren oft auf Korruption oder unfairem Verhalten.
  • Der Begriff Geldil­lu­sion bedeutet, dass Menschen sich nicht am realen, sondern am nominalen Wert einer Geldsumme orientieren.
  • Geschichten, die in einer Gesellschaft erzählt werden, bee­in­flussen das Denken und das Vertrauen der Menschen.
  • Wirtschafts­blasen entstehen meist dann, wenn Anleger zu viel Vertrauen haben und Korruption nicht bemerken.
  • Der Staat muss in Zukunft stärker eingreifen, um die Menschen vor den negativen Aspekten des Kap­i­tal­is­mus zu schützen.
 

Zusammenfassung

Wirtschaft und ir­ra­tionales Handeln

Die Wirtschaft­s­the­o­rie wird von den Arbeiten zweier großer Denker bestimmt: Adam Smith und John Maynard Keynes. Smith vertrat die Auffassung, dass wirtschaftliches Handeln von rationalen Überlegungen gesteuert wird und die Wirtschaft dann am besten funk­tion­iert, wenn man ihr möglichst freien Lauf lässt. Keynes dagegen – unter dem Eindruck der Weltwirtschaft­skrise in den 1930er Jahren – war der Ansicht, dass die Menschen auch in Wirtschafts­din­gen durchaus irrational handeln, was die Ökonomie erheblich bee­in­flussen kann.

„Keynes räumte ein, dass ökonomisches Handeln großenteils von rationalen ökonomischen Motiven bestimmt wird, setzte dem aber entgegen, dass es häufig von Instinkten beeinflusst wird, den von ihm so genannten Animal Spirits.“

In den Jahrzehnten des Aufschwungs geriet dieser Aspekt seiner Theorie in Vergessen­heit, doch spätestens die Probleme der Weltwirtschaft seit Ende 2008 haben in aller Härte gezeigt, dass die Wirtschaft nicht immer nach logischen Gesetzen funk­tion­iert. Zu den ir­ra­tionalen „Animal Spirits“, die auf die Wirtschaft wirken, zählen Vertrauen, Fairness, Korruption, die so genannte Geldil­lu­sion sowie Geschichten, die unser Denken bee­in­flussen.

Vertrauen und Fairness

Vertrauen spielt im Wirtschaft­sleben eine durchaus entschei­dende Rolle. Wenn Konsumenten op­ti­mistisch in die Zukunft blicken, geben sie Geld aus, und die Wirtschaft floriert. Leidet das Vertrauen, sinkt der Konsum – auch wenn sich die wirtschaftliche Lage faktisch überhaupt nicht geändert hat. Das Gefühl wirkt sogar als Mul­ti­p­lika­tor: Ein Klima des Vertrauens schafft die Basis für Stabilität und noch mehr Vertrauen. Ein Ver­trauensver­lust dagegen hat massive wirtschaftliche Folgen und zieht einen noch größeren Ver­trauensver­lust nach sich.

„Um die Funk­tion­sweise der Wirtschaft wirklich zu verstehen, müssen die Animal Spirits in die makroökonomische Theorie einbezogen werden.“

Auch das Empfinden von Fairness wirkt sich aufs Wirtschaft­sleben aus. Die Menschen sind bereit, einen Preis für etwas zu zahlen, wenn sie ihn als fair ansehen. Doch was als fair gilt, hängt von der Situation ab: Einen überhöhten Preis für ein Bier werden Sie z. B. in einem Nobelhotel eher akzeptieren als in einem Supermarkt.

Korruption

Auch negative menschliche Eigen­schaften kommen im wirtschaftlichen Handeln zum Tragen, so z. B. Korruption und bewusste Täuschung. In einer kap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft wird nicht unbedingt das produziert, was die Menschen brauchen und was ihnen gut tut, sondern das, was sich verkaufen lässt. Das heißt im Klartext: Solange es Kunden gibt, die für wertlose Produkte und Betrügereien Geld zahlen, werden diese auch angeboten. Oft kann der Kunde gar nicht erkennen, ob ein Produkt sein Geld wert ist, und nicht in allen Branchen gibt es aus­re­ichende Vorschriften für den Ver­brauch­er­schutz. Wenn Sie z. B. Ihr Geld in Wert­pa­pieren anlegen wollen, müssen Sie letztlich selbst entscheiden, wem Sie Ihre Ersparnisse anvertrauen. Sie können sich an den Un­ternehmen­szahlen orientieren, aber die sind u. U. gefälscht. Korruption und Täuschung blühen meist dann, wenn die Wirtschaft boomt und die Menschen ver­trauensvoll investieren. Sobald ein Betrug auffliegt, kommt es schlagartig zum Ver­trauensver­lust, mit allen negativen Folgen für die Wirtschaft. Rezessionen sind in der Regel eine Folge von Ver­trauensver­lus­ten.

Geldil­lu­sion und Geschichten

Der Begriff der Geldil­lu­sion bezeichnet das Phänomen, dass Menschen sich eher am nominalen als am realen Wert einer Geldsumme orientieren. Das heißt, sie sehen nur die Zahl als solche; der tatsächliche Wert, gemessen etwa an der Kaufkraft, tritt in den Hintergrund. Gängige Wirtschaft­s­the­o­rien nehmen an, dass die Geldil­lu­sion im wirtschaftlichen Handeln keine Rolle spielt, doch die Realität sieht anders aus. Wenn z. B. der Zinssatz eines Kredites über die gesamte Laufzeit unveränderlich bleibt und die Inflation nicht berücksichtigt wird, ist Geldil­lu­sion ebenso sehr im Spiel wie bei Un­ternehmens­bi­lanzen, die nur absolute Zahlen nennen und nicht in­fla­tions­bere­inigt sind.

„Der Glaube an die wundersamen Kräfte des Marktes ist nur eine jener Geschichten, die dazu beigetragen haben, die Berg- und Talfahrt an den Börsen und in der Re­al­wirtschaft anzuheizen.“

Geschichten sind ein wesentlicher Bestandteil des Alltags. Menschen speichern damit ihre Erin­nerun­gen, und sie erzählen sie, wenn sie miteinander kom­mu­nizieren. Die Geschichten, die in einer Gesellschaft verbreitet werden, bee­in­flussen das Weltbild der Menschen, ihr Vertrauen und damit auch ihr wirtschaftliches Handeln sehr stark. So gingen Mitte der 1990er Jahre Geschichten vom sagenhaften Reichtum, der sich mit dem Internet verdienen ließe, von Mund zu Mund – mit der Folge, dass sie kurzzeitig tatsächlich wahr wurden.

Wirtschaft­skrisen

Dass sich die beschriebe­nen Animal Spirits stark auf die Wirtschaft auswirken und sogar schwere De­pres­sio­nen auslösen können, lässt sich ex­em­plar­isch an den beiden schlimmsten Wirtschaft­skrisen in der Geschichte der USA nachweisen. In den 1890er Jahren machte die Regierung Pläne, Papiergeld auch durch Silber, nicht mehr nur durch Gold decken zu lassen. Die Menschen fürchteten, es könnte zu Banken­pleiten kommen, was in den Jahren zuvor mehrfach geschehen war. Sie stürmten die Banken, um ihre Ersparnisse rechtzeitig abzuheben. Prompt gerieten die Institute in Zahlungss­chwierigkeiten. Dies war der Auslöser für eine mehrere Jahre währende Depression. Vor der Großen Depression der 1930er Jahre war die Wirtschaft überhitzt, doch die Menschen glaubten die Geschichten vom anhaltenden Boom, in­vestierten sorglos und dachten nicht an Korruption. Es kam zum Kollaps und zur Deflation. Die Unternehmen drängten auf Lohnsenkun­gen, doch die Ar­beit­nehmer, ganz im Bann der Geldil­lu­sion, wehrten sich vehement dagegen und verschärften so die Krise.

Die Rolle der Zen­tral­banken

Nach den gängigen Wirtschaft­s­the­o­rien ist es Aufgabe der Zen­tral­banken, die Wirtschaft zu regulieren, indem über die Geldmenge der Zinssatz beeinflusst wird. Doch eigentlich haben die Zen­tral­banken eine ganz andere Aufgabe: Sie sind Teil des Sicherungssys­tems, das zu Beginn des 20. Jahrhun­derts aufgebaut wurde, um Bankpaniken mit ihren ver­heeren­den Folgen zu verhindern. Die Zen­tral­banken können in Notfällen andere Banken kurzfristig mit Bargeld versorgen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich allerdings ein System von Schat­ten­banken entwickelt, die diesem Sicherungssys­tem nicht angeschlossen sind: In­vest­ment­banken, Bankhold­ings, Hedgefonds. Sie wagten immer riskantere Geschäfte, und so kam es, wie es kommen musste: Die Anleger verloren das Vertrauen in diese Institute und zogen im großen Stil ihr Vermögen ab – ein Auslöser der Wirtschaft­skrise ab Ende 2008.

Inflation und Ar­beit­slosigkeit

Den gängigen Wirtschaft­s­the­o­rien zufolge orientiert sich der Preis für Ar­beit­skraft an Angebot und Nachfrage. Wer keine Arbeit findet, muss eben bereit sein, für einen geringeren Lohn zu arbeiten. Um Mitarbeiter zu halten und zu motivieren, zahlen Arbeitgeber mehr Lohn, als der Markt verlangt, und können deshalb weniger Menschen beschäftigen. Daher ist eine gewisse Ar­beit­slosigkeit un­ver­mei­dlich. Lohn­steigerun­gen orientieren sich im Rahmen dieser Theorie an der In­fla­tion­srate. Was dabei aber ignoriert wird, sind wiederum die Animal Spirits. Lohn­ver­hand­lun­gen sind nicht frei von der Geldil­lu­sion, was sich allein daran zeigt, dass auch bei einer Deflation Lohnkürzungen kaum durchzuset­zen sind, obwohl die Ar­beit­nehmer faktisch keine Verluste erleiden. Un­ter­suchun­gen haben gezeigt, dass die Menschen Lohn­steigerun­gen gar nicht als In­fla­tion­saus­gle­ich wahrnehmen, sondern als Belohnung für ihre Arbeit. Für einen Ar­beit­nehmer spielt bei der Entlohnung nicht der Marktpreis für Arbeit eine Rolle, sondern die Frage der Fairness: Er nimmt dann eine Arbeit an und bringt seine Leistung, wenn er seine Entlohnung als fair empfindet.

Sparsamkeit

Auch das Sparen wird stark von den Animal Spirits beeinflusst. Wirtschaft­s­the­o­retiker entwerfen gern das Bild des rationalen Sparers, der sich genau ausrechnet, wie viel er zurücklegen möchte, und seinen Konsum danach ausrichtet. Doch die wenigsten Menschen sparen wirklich nach Plan oder haben überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel sie sparen müssen, um einen bestimmten Ertrag zu erzielen. Stattdessen lassen sie sich von Gefühlen wie Angst oder Vertrauen bee­in­flussen, ebenso von der Kultur, in der sie leben. Deshalb sind die Sparquoten in den einzelnen Ländern sehr un­ter­schiedlich. So wird in den USA, die stark vom Kap­i­tal­is­mus geprägt sind, generell wenig gespart. Für die meisten Menschen dort ist es selbstverständlich, zu konsumieren und dafür Geld auszugeben. In China dagegen gilt Sparen als Tugend, entsprechend viel legen die Menschen auf die hohe Kante.

Preise, Märkte und Vertrauen

Die Aktienkurse spiegeln den Zustand der Wirtschaft wider, lautet eine verbreitete Auffassung. Doch in der Realität können die Kurse auch dann schwanken, wenn sich die wirtschaftlichen Grunddaten gar nicht geändert haben. Wirtschaftswis­senschaftler haben keine rationale Erklärung dafür; wieder einmal sind Instinkte am Werk. Denn Aktienkurse hängen eng mit Vertrauen zusammen. Solange sie steigen, kaufen die Anleger und treiben die Kurse damit weiter nach oben. Wenn sie fallen, führen sie dagegen zu Verkäufen, was den Abwärtstrend noch verstärkt. Steigende oder fallende Kurse sind also vor allem ein Gradmesser für das Vertrauen der Anleger, nicht für den tatsächlichen Wert der Aktien.

„Sogar jetzt noch verkennen viele Analysten und der größte Teil der Öffentlichkeit, dass es nicht damit getan ist, die gängige Wirtschaft­s­the­o­rie da und dort zu kitten, dass wir vielmehr eine ganz neue brauchen.“

Animal Spirits wirken auch bei un­ternehmerischen Entschei­dun­gen. Theoretisch sollten die Ve­r­ant­wortlichen erst nach sorgfältiger Analyse der relevanten Fakten eine Entschei­dung treffen. Doch in der Praxis haben sie dafür meist gar keine Zeit und entscheiden aus dem Bauch heraus – nach ihrem subjektiven Empfinden, das möglicher­weise von Vertrauen oder Angst geprägt ist.

Die Im­mo­bilien­blase

Ab Mitte der 1990er Jahre brach in den USA ein Im­mo­bilien­boom aus. Es setzte sich die Auffassung durch, dass Immobilien die beste und sicherste Geldanlage seien. Die Entwicklung schien das zunächst zu bestätigen, die Preise für Immobilien zogen kräftig an. Damit auch sozial Schwächere von dieser Möglichkeit der Geldanlage profitieren konnten, wurden die Standards für die Kred­itver­gabe gesenkt. Immer mehr Menschen, die es sich eigentlich nicht leisten konnten, bekamen Kredite. Sie glaubten den Geschichten vom Wohneigen­tum als profitabler Geldanlage und übersahen dabei, dass auch Im­mo­bilien­preise stark schwanken können. Wie immer gab es Rück­kop­plungsef­fekte, die diese positiven Erwartungen erst einmal zu bestätigen schienen und die Entwicklung weiter anheizten. Aber schließlich platzte die Blase und löste Ende 2008 die weltweite Finanz- und Wirtschaft­skrise aus.

Theorie und Wirk­lichkeit

Warum konnten die meisten Fachleute die Krise nicht vorhersehen? Warum bieten sie auch jetzt keine überzeu­gen­den Lösungen an? Weil die Wirtschaft­s­the­o­rie viel zu lange der Lehre Adam Smiths folgte, weil sie vom Ideal des rational handelnden Menschen ausging und alle Animal Spirits konsequent ausblendete. Natürlich: Rationales Verhalten lässt sich gut berechnen und vorhersagen, und das mögen die Ökonomen. Es entspricht aber leider nicht der Realität. Darum wird es Zeit, dass die Wirtschaft­s­the­o­rie ihren Irrtum einsieht und sich künftig auch mit den ir­ra­tionalen Aspekten men­schlichen Handelns befasst. Un­re­al­is­tisch ist übrigens auch Smiths Vorstellung von der kap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft als einem System, das sich selbst steuert. In der Praxis spielen so viele Faktoren zusammen, dass sich En­twick­lun­gen kaum vorhersehen lassen. Die op­ti­mistis­che Vorstellung von den ordnenden Kräften des freien Marktes ist nicht prax­is­tauglich. Der Kap­i­tal­is­mus ist zwar ohne Frage ein gutes Wirtschaftssys­tem, aber er hat auch seine Nachteile. Deshalb muss der Staat eingreifen, um Auswüchse zu verhindern und die Bürger vor Verlusten zu schützen.

Über die Autoren

George A. Akerlof ist Professor für Wirtschaftswis­senschaft in Berkeley. Im Jahr 2001 wurde er mit dem Wirtschaft­sno­bel­preis aus­geze­ich­net. Robert J. Shiller lehrt Wirtschaftswis­senschaften in Yale. Er ist auch Autor der Bücher Die neue Fi­nan­zord­nung, Ir­ra­tionaler Überschwang und Die Subprime-Lösung.