Die Rede, mit der alles anfing
Am 27. Juli 2004 hielt Barack Obama auf dem NoÂminierungsparteitag der DemokratisÂchen Partei eine Rede, die nach Ansicht vieler KomÂmenÂtaÂtoren eine der mitreiĂźendsten unserer Zeit ist. Die gesamte Bandbreite von Obamas rhetorischen Fähigkeiten kommt darin zum Ausdruck. Auf beÂmerkenswerte Weise schafft er es, sein natĂĽrliches Kapital – einen wohltönenden, in der Tonlage sehr flexibler Bariton – einzusetzen und seine Gestik so zu steuern, dass sie auf den Punkt genau die Wirkung seiner Aussagen unterstĂĽtzt.
„FĂĽhrungskräfte können viel lernen von der Art und Weise, wie Barack Obama Barrieren niederreiĂźt und GemeinÂsamkeiten zwischen den unÂterÂschiedlichÂsten Menschen herstellt.“
Ebenso erfolgreich ist Obama, wenn es darum geht, immer wieder SchnittmenÂgen zu schaffen zwischen seiner persönlichen und der kollektiven Erfahrung. Um diese Nähe zu seinen Zuhörern mit Leben zu fĂĽllen, schildert er konkrete, oft rĂĽhrende Schicksale und nimmt jede Möglichkeit wahr, die Bedeutung des Gemeinsamen gegenĂĽber dem Trennenden, Spaltenden zu betonen. So sagte Obama in seiner Parteitagsrede: „Es gibt nicht ein liberales Amerika und ein konÂserÂvÂaÂtives Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika.“
Vertrauen aufbauen
Wahre FĂĽhrungspersönlichkeiten schaffen es schnell, Vertrauen aufzubauen. Die zentrale VoÂrausÂsetÂzung dafĂĽr ist, durch das eigene ErÂscheiÂnÂungsÂbild und die eigene Körpersprache schon auf den ersten Blick positiv zu wirken. Suchen Sie den unÂmitÂtelÂbaren AuÂgenkonÂtakt, klopfen Sie Ihrem Gesprächspartner ruhig einmal auf die Schulter – oft reicht das schon, um ihn fĂĽr sich einzunehmen.
„Obamas Gesten verfehlten ihre Wirkung nicht – wie er mit geballter Faust an eine unsichtbare TĂĽr klopfte, die FinÂgerÂspitzen zusamÂmenÂlegte, unsichtbare Worte in die Luft schrieb, die Hand wie zum Stopp-ZeÂichen erhob – alles das diente dazu, seinen jeweiligen Standpunkt zu verdeutÂlichen.“
Ist der erste Eindruck gewinnend, sollten Sie sich wie Obama Ihrer Stimme, vor allem deren Intonation bedienen, um das unÂmitÂtelÂbare Vertrauen, das Ihr GegenĂĽber in Sie setzt, zu stärken. Obama nutzt in seinen Ansprachen und Reden die gesamte Bandbreite stimmlicher Variationsmöglichkeiten. Er setzt die Pausen an den entscheiÂdenÂden Stellen, hebt die Stimme, wenn ihn etwas positiv erregt, und senkt sie wieder, wenn er etwas missbilligt. Seine Stimmlage passt sich perfekt der emotionalen Lage an, in der er sich am jeweiligen Punkt seiner Rede befindet.
„Wenn Sie eine wirklich erÂfolÂgreÂiche FĂĽhrungspersönlichkeit werden wollen, brauchen sie das Vertrauen der Menschen in Ihr Urteilsvermögen und Ihre moralische Integrität.“
Eine Kunst, die Obama wie kaum ein anderer beherrscht, ist die, bereits am Anfang eines Vortrags starke Impulse zu setzen. So schafft er es, die AufmerkÂsamkeit der Zuhörer sofort zu fesseln. Ein herÂvorÂraÂgenÂdes Beispiel dafĂĽr ist die Rede, die er im Dezember 2006 in der Saddleback Church in SĂĽdkaliÂfornien hielt. Ein anderer Senator hatte kurz zuvor gesprochen und sich dabei mit einer Bemerkung ins Zwielicht gerĂĽckt, die man leicht als rassistisch missverÂsteÂhen konnte. Die Art, mit der Obama die missglĂĽckte Aussage seines Vorredners zurechtrĂĽckte, ohne ihn dabei bloĂźzustellen, zeugte von absoluter Souveränität und verschaffte ihm auÂgenÂblickÂlich einen SymÂpaÂthiebonus im Saal.
Ein Wir-GefĂĽhl erzeugen
Obama kann als MusterÂbeispiel dafĂĽr herhalten, wie man einen scheinbaren Nachteil in einen Vorteil umwandelt, wenn man den Mut hat, den Stier bei den Hörnern zu packen. Dadurch, dass er selbst ĂĽber seinen „komischen Namen“ witzelte, nahm er nicht nur denjenigen den Wind aus den Segeln, die das hinter seinem RĂĽcken taten, sondern schuf auch rasch eine entspannte Atmosphäre.
„Obama stellt seine Verbindung zu den unÂterÂschiedlichÂsten Amerikanern heraus, indem er beschreibt, wie seine Familie ihren amerikanisÂchen Traum verfolgte, und allgemein anerkannte Werte in den Mittelpunkt rĂĽckt – harte Arbeit und Engagement.“
Obama schafft es mĂĽhelos, Menschen unÂterÂschiedlicher Abstammung, Hautfarbe, Konfession oder sozialer Herkunft zusamÂmenÂzubrinÂgen. Das gelingt ihm vor allem dadurch, dass er in seinen Vorträgen und Gesprächen stets das Gemeinsame, menschlich Verbindende sucht, dass er versucht, Synthesen zu bilden, wo andere eher zur DifÂferenÂzierung neigen. Um das Gemeinsame spĂĽrbar werden zu lassen, bedient er sich mit Vorliebe aus dem Fundus der Geschichte – von der UnabhängigkeitÂserklärung ĂĽber den Sieg der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Abschaffung der Sklaverei. Ebenso gerne zitiert er in seinen Reden amerikanisÂche Helden wie John F. Kennedy oder Martin Luther King. Auffällig ist, wie es Obama gelingt, seine selbst fĂĽr Amerikaner höchst ungewöhnliche Biografie als Produkt der LanÂdesÂgeschichte zu präsentieren.
BegeisÂterung hervorrufen
Wer andere begeistern will, muss in der Lage sein, ihren Verstand und ihr Herz zu erobern. Um das zu erreichen, sollten Sie in der Rede wie im Gespräch stets versuchen, persönlich zu bleiben. Nur wenn Sie von sich selbst und anderen auf einer menÂschlichen Ebene sprechen, schaffen Sie es, dass ein Zuhörer eine Rede auch aus 50 Metern Entfernung wie ein Vier-AuÂgen-Gespräch wahrnimmt. Eine Rede einfach nach Themen oder Inhalten durchzunumÂmerieren, schreckt ab. Statt ins Abstrakte zu gehen, sollten Sie jede Möglichkeit nutzen, um Ihren Hörern das, was Sie sagen wollen, zu veÂrÂanÂschaulichen. Nutzen Sie jede Möglichkeit, durch Bilder oder DarstelÂlunÂgen konkreter menÂschlicher Schicksale zu zeigen, was Sie meinen.
„Obamas SchlussÂbeÂmerkunÂgen begeistern seine Hörer, er entlässt sie mit Schwung, er gibt ihnen das GefĂĽhl mit auf den Weg, etwas Wichtiges, Wesentliches, Dringliches erlebt zu haben und dass es auf ihren Beitrag ankommt.“
Ein weiteres Mittel, um die VerÂbunÂdenÂheit mit seinen Zuhörern zu betonen, ist die geschickte Verwendung der Pronomen „Sie“ und „ich“ (z. B. in „Sie und ich wissen“) bzw. „wir“. Obama beherrscht das meisterhaft. So gelingt es ihm mĂĽhelos, seine Zuhörer auf Augenhöhe mit sich zu stellen und ein starkes GemeinÂschaftsÂgefĂĽhl zu erzeugen.
Visionen vermitteln
Obama benutzt eine ganze Reihe rhetorischer Hilfsmittel, um den Zuhörern seine Visionen zu vermitteln. Er setzt symbolisch aufgeladene Worte ein (z. B. „die amerikanisÂche Flagge“), nutzt PerÂsonÂifizierunÂgen (z. B. „Alle Häuser in der StraĂźe schliefen“) und KonÂnoÂtaÂtioÂnen (z. B. spricht er von der „Fackel“, die an einen neue Generation weitÂergegeben werde, und beschwört damit die Heldentaten olympischer Athleten herauf). All dies dient der AnÂschaulichkeit seines Vortrags. Obama sagt z. B. nicht: „In diesem Wahlkampf werden wir keine verunglimpfende StimÂmungsÂmache einsetzen.“ Er sagt: „Von unserer WahlkampfkamÂpagne oder von dieser Partei werden Sie eins nicht hören, und das ist jene Form der Politik, die Religion als Keil einsetzt und PaÂtriÂoÂtismus als Keule.“
„Das ist Amerikas Versprechen: die Vorstellung, dass jeder fĂĽr sich veÂrÂantÂwortlich ist, dass wir aber Aufstieg und Fall als eine Nation erleben, die funÂdaÂmenÂtale Ăśberzeugung, dass ich der HĂĽter meines Bruders, der HĂĽter meiner Schwester bin.“ (Barack Obama)
Obama setzt auch gern kurze Geschichten aus dem AllÂtÂagsleben ein. Um die mögliche VerÂbunÂdenÂheit zwischen der weiĂźen und der schwarzen Rasse zu demonÂstriÂeren, erzählte er beispielÂsweise von einem weiĂźen Mädchen, dass sich sehr fĂĽr seinen Wahlkampf engagiert hat, und einem alten schwarzen Mann, der nicht aus parteilichen oder ideÂolÂoÂgisÂchen GrĂĽnden mitmacht, sondern weil ihm dieses Mädchen imponiert.
Struktur und ArÂguÂmenÂtaÂtion
Eins der wirkungsvollÂsten Mittel, die Obama einsetzt, um seine Vorträge zu gliedern, ist die WiederÂholÂung. Dabei nutzt er die ganze Bandbreite verÂschiedener Varianten, z. B. die Anapher (gleicher Satzanfang), die Epistrophe (gleiches Satzende) oder die Mesodiplose (WiederÂholÂunÂgen in der Satzmitte). WiederÂholÂunÂgen dieser Art machen seine Reden kraftvoller, rhythÂmisÂcher und einprägsamer. Besonders gern setzt er das Trikolon ein, eine „Dreierfigur“: drei Wörter, drei ähnlich aufgebaute Sätze oder sogar drei gleich beginnende Absätze. Diesen Dreiklang bringt er in etlichen Variationen, mal mit Bindewörtern („Ihr habt dafĂĽr gestimmt, dass die Bitterkeit und der Kleingeist und die Wut, die Washington gelähmt haben ...“), mal ohne („Man bekommt wenig Schlaf, wenig Geld, wenig Anerkennung“), mal, um wesentliche Aspekte zu wiederholen und zu betonen („Sie war so begeistert, so leiÂdenÂschaftlich, so inbrĂĽnstig bei der Sache“) und mal, um die Wirkung seiner Worte zu vervielfachen („die Zyniker und die Lobbyisten und die InÂterÂessenÂvertreter“).
Gegensätze zusammenführen
Auffällig häufig finden sich in Obamas Reden Antithesen, vor allem JuxÂtaÂpoÂsiÂtioÂnen (GegenĂĽberstelÂlunÂgen). Damit gelingt es ihm, in höchster Verdichtung zwei Ansichten bzw. Weltsichten direkt miteinander zu konÂfronÂtieren. BeispielÂsweise so: „Wir mĂĽssen uns ebenso sorgfältig aus dem Irak zurĂĽckziehen, wie wir sorglos in ihn hineingestolpert sind.“ Oder: „Und obwohl ich die HoffÂnungslosigkeit kenne, kenne ich doch auch die Hoffnung.“ FĂĽhrungskräfte können viel von Obamas anÂtiÂthetisÂchem Stil lernen, zumal er es schafft, Inhalt und Struktur von ganzen Abschnitten seiner Rede in solchen GegenĂĽberstelÂlunÂgen zusamÂmenÂzÂuÂfassen.
Fruchtbare AuÂseinanÂderÂsetÂzunÂgen
Obamas ungewöhnliches politisches Talent zeigt sich auch in der Art und Weise, wie er mit KonÂtroÂverÂsen umgeht. Als Beispiel kann die Affäre um den Reverend Jeremiah Wright dienen, der als Freund und religiöser Ziehvater Obamas galt. Als dieser zur national bekannten Figur wurde, kam ans Licht, dass Wright rassistisch angehauchte Brandreden gehalten hatte, die sich nur schwer mit Obamas Ziel eines vereinten Amerikas vereinbaren lieĂźen. EntsprechenÂden VorwĂĽrfen von KonkurÂrentin Hillary Clinton ausgesetzt, ging Obama sogleich aus der Defensive in die Offensive und grenzte sich klar von den Aussagen des Reverend ab. Dadurch, dass er sich in solchen GefahrenÂsiÂtÂuÂaÂtion eindeutig poÂsiÂtionÂierte und dass er Fehler, die er gemacht hatte, einfach eingestand, konnte Barack Obama es vermeiden, in größere SchlammÂschlachten hineingeÂzoÂgen zu werden. Das ist auch der Grund dafĂĽr, dass sein Name bislang nahezu unbefleckt geblieben ist.
Ein fulminanter Abgang
Ein so talÂenÂtierter Redner wie Obama ist sich der Notwendigkeit eines starken Finales stets bewusst. Nur wenn ein Redner in der Lage ist, einen fulminanten Schlusspunkt zu setzen, wenn er sein Publikum beschwingt entlässt, hat er als Redner sein Ziel erreicht: Die Leute zum Handeln zu motivieren. Um das zu erreichen, sollten Sie Ihre Rede nicht nach, sondern auf dem absoluten Höhepunkt eines Crescendos beenden. Nur wenn der Kerninhalt Ihrer Rede im Zuhörer nachhallt, können Sie sicher sein, dass die Wirkung Ihres Vortrags nachhaltig sein wird.
Reden, die Geschichte schrieben
Eine seiner besten Reden hielt Barack Obama auf dem NoÂminierungsparteitag am 28. August 2008. Dabei gelang es ihm, 80 000 Zuschauer in Denver und viele Millionen Zuschauer an den BildÂschirÂmen mit Themen wie dem Irakkrieg, der Verbesserung des GesundÂheitssysÂtems und der Ă–kologie in seinen Bann zu ziehen. Indem er die Amerikaner dazu aufforderte, mit ihm gemeinsam die Nation zu verändern, indem er ihnen mit seinem „Yes we can“ immer wieder Mut machte, legte er einen der entscheiÂdenÂden Bausteine fĂĽr seinen späteren Sieg bei der Präsidentschaftswahl.
„Völker der Welt – schaut auf Berlin, wo eine Mauer fiel, ein Kontinent zusamÂmenÂwuchs und die Geschichte bewiesen hat, dass keine HerÂausÂforderung zu groĂź ist fĂĽr eine geeinte Welt, die fest zusamÂmenÂsteht.“ (Barack Obama)
Eine ähnlich gelungene, begeistert aufgenommene Rede hielt er wenige Monate zuvor am 24. Juli in Berlin. Auch hier betonte er – ohne einzelne Differenzen zwischen Europäern und Amerikanern zu verÂschweigen – die GemeinÂsamkeiten zwischen den beiden Kontinenten und beschwor die Stärken des transatÂlantisÂchen BĂĽndnisses („Die SehnsĂĽchte sind größer als alles, was uns trennt“).
„Ich werde euch zuhören, ganz besonders dann, wenn wir nicht einer Meinung sind.“ (Barack Obama)
Auch in seiner Rede am Wahlabend, am 4. November 2008, schaffte es Obama, einen groĂźen Bogen zwischen hisÂtorischen Themen und sehr persönlichen Details zu schlagen. So nannte er als vorÂbildliches Beispiel einer Wählerin eine gewisse Ann Nixon Cooper, eine SchwarzaÂmerikanerin, die mit dem festen Willen zur Veränderung und im Alter von 106 Jahren zur Wahlurne gegangen war.