Sag’s wie Obama

Buch Sag’s wie Obama

Ausstrahlung, Rhetorik und Visionen des neuen US-Präsidenten

Linde,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Barack Obama ist längst nicht nur der 44. Präsident der USA und der erste Afroamerikaner in diesem Amt. Er ist in Rekordzeit zum glaubwürdigen Hoffnungsträger geworden, wenn es darum geht, einen Weg aus der Wirtschaft­skrise und in ein ökologisches Jahrhundert zu finden. Diesen Aufstieg zur globalen Licht­gestalt verdankt Obama in erster Linie seinen her­aus­ra­gen­den Fähigkeiten als Redner, glaubt Autorin Shel Leanne. In ihrem Buch versucht sie, das rhetorische Phänomen Obama zu analysieren – und es für andere nutzbar zu machen. Dabei fördert sie eine Vielzahl klassischer rhetorischer Mittel zu Tage, die der amerikanis­che Präsident virtuos und zielsicher anwendet. Mindestens ein Drittel des Buchs besteht aus Redeauszügen Obamas, darunter auch aus seiner „Berliner Rede“. BooksInShort empfiehlt es allen, die öfter vor Publikum reden müssen. Es muss ja nicht gleich um die Rettung der Welt gehen.

Take-aways

  • Barack Obama genieĂźt einen Ruf als glänzender Rhetoriker. FĂĽhrungskräfte können von ihm viel lernen.
  • Obama nutzt klassische rhetorische Mittel, um seine Visionen zu vermitteln.
  • Bleiben Sie persönlich. Nur so erreichen Sie Verstand und Herz Ihrer Zuhörer.
  • Passen Sie die Emotionalität Ihrer Stimme den Inhalten an.
  • Obama setzt besonders oft auf Wieder­hol­un­gen und Dreier­fig­uren.
  • Von ihm lässt sich auch lernen, wie man wirkungsvoll mit GegenĂĽberstel­lun­gen umgeht.
  • Die Rev­erend-Wright-Affäre hätte Obamas Karriere beenden können. Er bezog jedoch eindeutig Stellung und ging sogar gestärkt daraus hervor.
  • „Yes we can“: Mit dieser schlichten Formel stärkte Obama den Mut einer ganzen Nation.
  • Versuchen Sie, in Ihren Reden einen Bogen zwischen groĂźen his­torischen Themen und privaten Geschichten zu schlagen.
  • Liefern Sie Ihren Hörern einen fulminanten Abgang. Nur so wecken Sie in ihnen das BedĂĽrfnis, Worten Taten folgen zu lassen.
 

Zusammenfassung

Die Rede, mit der alles anfing

Am 27. Juli 2004 hielt Barack Obama auf dem No­minierungsparteitag der Demokratis­chen Partei eine Rede, die nach Ansicht vieler Kom­men­ta­toren eine der mitreißendsten unserer Zeit ist. Die gesamte Bandbreite von Obamas rhetorischen Fähigkeiten kommt darin zum Ausdruck. Auf be­merkenswerte Weise schafft er es, sein natürliches Kapital – einen wohltönenden, in der Tonlage sehr flexibler Bariton – einzusetzen und seine Gestik so zu steuern, dass sie auf den Punkt genau die Wirkung seiner Aussagen unterstützt.

„Führungskräfte können viel lernen von der Art und Weise, wie Barack Obama Barrieren niederreißt und Gemein­samkeiten zwischen den un­ter­schiedlich­sten Menschen herstellt.“

Ebenso erfolgreich ist Obama, wenn es darum geht, immer wieder Schnittmen­gen zu schaffen zwischen seiner persönlichen und der kollektiven Erfahrung. Um diese Nähe zu seinen Zuhörern mit Leben zu füllen, schildert er konkrete, oft rührende Schicksale und nimmt jede Möglichkeit wahr, die Bedeutung des Gemeinsamen gegenüber dem Trennenden, Spaltenden zu betonen. So sagte Obama in seiner Parteitagsrede: „Es gibt nicht ein liberales Amerika und ein kon­ser­v­a­tives Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika.“

Vertrauen aufbauen

Wahre Führungspersönlichkeiten schaffen es schnell, Vertrauen aufzubauen. Die zentrale Vo­raus­set­zung dafür ist, durch das eigene Er­schei­n­ungs­bild und die eigene Körpersprache schon auf den ersten Blick positiv zu wirken. Suchen Sie den un­mit­tel­baren Au­genkon­takt, klopfen Sie Ihrem Gesprächspartner ruhig einmal auf die Schulter – oft reicht das schon, um ihn für sich einzunehmen.

„Obamas Gesten verfehlten ihre Wirkung nicht – wie er mit geballter Faust an eine unsichtbare Tür klopfte, die Fin­ger­spitzen zusam­men­legte, unsichtbare Worte in die Luft schrieb, die Hand wie zum Stopp-Ze­ichen erhob – alles das diente dazu, seinen jeweiligen Standpunkt zu verdeut­lichen.“

Ist der erste Eindruck gewinnend, sollten Sie sich wie Obama Ihrer Stimme, vor allem deren Intonation bedienen, um das un­mit­tel­bare Vertrauen, das Ihr Gegenüber in Sie setzt, zu stärken. Obama nutzt in seinen Ansprachen und Reden die gesamte Bandbreite stimmlicher Variationsmöglichkeiten. Er setzt die Pausen an den entschei­den­den Stellen, hebt die Stimme, wenn ihn etwas positiv erregt, und senkt sie wieder, wenn er etwas missbilligt. Seine Stimmlage passt sich perfekt der emotionalen Lage an, in der er sich am jeweiligen Punkt seiner Rede befindet.

„Wenn Sie eine wirklich er­fol­gre­iche Führungspersönlichkeit werden wollen, brauchen sie das Vertrauen der Menschen in Ihr Urteilsvermögen und Ihre moralische Integrität.“

Eine Kunst, die Obama wie kaum ein anderer beherrscht, ist die, bereits am Anfang eines Vortrags starke Impulse zu setzen. So schafft er es, die Aufmerk­samkeit der Zuhörer sofort zu fesseln. Ein her­vor­ra­gen­des Beispiel dafür ist die Rede, die er im Dezember 2006 in der Saddleback Church in Südkali­fornien hielt. Ein anderer Senator hatte kurz zuvor gesprochen und sich dabei mit einer Bemerkung ins Zwielicht gerückt, die man leicht als rassistisch missver­ste­hen konnte. Die Art, mit der Obama die missglückte Aussage seines Vorredners zurechtrückte, ohne ihn dabei bloßzustellen, zeugte von absoluter Souveränität und verschaffte ihm au­gen­blick­lich einen Sym­pa­thiebonus im Saal.

Ein Wir-GefĂĽhl erzeugen

Obama kann als Muster­beispiel dafür herhalten, wie man einen scheinbaren Nachteil in einen Vorteil umwandelt, wenn man den Mut hat, den Stier bei den Hörnern zu packen. Dadurch, dass er selbst über seinen „komischen Namen“ witzelte, nahm er nicht nur denjenigen den Wind aus den Segeln, die das hinter seinem Rücken taten, sondern schuf auch rasch eine entspannte Atmosphäre.

„Obama stellt seine Verbindung zu den un­ter­schiedlich­sten Amerikanern heraus, indem er beschreibt, wie seine Familie ihren amerikanis­chen Traum verfolgte, und allgemein anerkannte Werte in den Mittelpunkt rückt – harte Arbeit und Engagement.“

Obama schafft es mühelos, Menschen un­ter­schiedlicher Abstammung, Hautfarbe, Konfession oder sozialer Herkunft zusam­men­zubrin­gen. Das gelingt ihm vor allem dadurch, dass er in seinen Vorträgen und Gesprächen stets das Gemeinsame, menschlich Verbindende sucht, dass er versucht, Synthesen zu bilden, wo andere eher zur Dif­feren­zierung neigen. Um das Gemeinsame spürbar werden zu lassen, bedient er sich mit Vorliebe aus dem Fundus der Geschichte – von der Unabhängigkeit­serklärung über den Sieg der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Abschaffung der Sklaverei. Ebenso gerne zitiert er in seinen Reden amerikanis­che Helden wie John F. Kennedy oder Martin Luther King. Auffällig ist, wie es Obama gelingt, seine selbst für Amerikaner höchst ungewöhnliche Biografie als Produkt der Lan­des­geschichte zu präsentieren.

Begeis­terung hervorrufen

Wer andere begeistern will, muss in der Lage sein, ihren Verstand und ihr Herz zu erobern. Um das zu erreichen, sollten Sie in der Rede wie im Gespräch stets versuchen, persönlich zu bleiben. Nur wenn Sie von sich selbst und anderen auf einer men­schlichen Ebene sprechen, schaffen Sie es, dass ein Zuhörer eine Rede auch aus 50 Metern Entfernung wie ein Vier-Au­gen-Gespräch wahrnimmt. Eine Rede einfach nach Themen oder Inhalten durchzunum­merieren, schreckt ab. Statt ins Abstrakte zu gehen, sollten Sie jede Möglichkeit nutzen, um Ihren Hörern das, was Sie sagen wollen, zu ve­r­an­schaulichen. Nutzen Sie jede Möglichkeit, durch Bilder oder Darstel­lun­gen konkreter men­schlicher Schicksale zu zeigen, was Sie meinen.

„Obamas Schluss­be­merkun­gen begeistern seine Hörer, er entlässt sie mit Schwung, er gibt ihnen das Gefühl mit auf den Weg, etwas Wichtiges, Wesentliches, Dringliches erlebt zu haben und dass es auf ihren Beitrag ankommt.“

Ein weiteres Mittel, um die Ver­bun­den­heit mit seinen Zuhörern zu betonen, ist die geschickte Verwendung der Pronomen „Sie“ und „ich“ (z. B. in „Sie und ich wissen“) bzw. „wir“. Obama beherrscht das meisterhaft. So gelingt es ihm mühelos, seine Zuhörer auf Augenhöhe mit sich zu stellen und ein starkes Gemein­schafts­gefühl zu erzeugen.

Visionen vermitteln

Obama benutzt eine ganze Reihe rhetorischer Hilfsmittel, um den Zuhörern seine Visionen zu vermitteln. Er setzt symbolisch aufgeladene Worte ein (z. B. „die amerikanis­che Flagge“), nutzt Per­son­ifizierun­gen (z. B. „Alle Häuser in der Straße schliefen“) und Kon­no­ta­tio­nen (z. B. spricht er von der „Fackel“, die an einen neue Generation weit­ergegeben werde, und beschwört damit die Heldentaten olympischer Athleten herauf). All dies dient der An­schaulichkeit seines Vortrags. Obama sagt z. B. nicht: „In diesem Wahlkampf werden wir keine verunglimpfende Stim­mungs­mache einsetzen.“ Er sagt: „Von unserer Wahlkampfkam­pagne oder von dieser Partei werden Sie eins nicht hören, und das ist jene Form der Politik, die Religion als Keil einsetzt und Pa­tri­o­tismus als Keule.“

„Das ist Amerikas Versprechen: die Vorstellung, dass jeder für sich ve­r­ant­wortlich ist, dass wir aber Aufstieg und Fall als eine Nation erleben, die fun­da­men­tale Überzeugung, dass ich der Hüter meines Bruders, der Hüter meiner Schwester bin.“ (Barack Obama)

Obama setzt auch gern kurze Geschichten aus dem All­t­agsleben ein. Um die mögliche Ver­bun­den­heit zwischen der weißen und der schwarzen Rasse zu demon­stri­eren, erzählte er beispiel­sweise von einem weißen Mädchen, dass sich sehr für seinen Wahlkampf engagiert hat, und einem alten schwarzen Mann, der nicht aus parteilichen oder ide­ol­o­gis­chen Gründen mitmacht, sondern weil ihm dieses Mädchen imponiert.

Struktur und Ar­gu­men­ta­tion

Eins der wirkungsvoll­sten Mittel, die Obama einsetzt, um seine Vorträge zu gliedern, ist die Wieder­hol­ung. Dabei nutzt er die ganze Bandbreite ver­schiedener Varianten, z. B. die Anapher (gleicher Satzanfang), die Epistrophe (gleiches Satzende) oder die Mesodiplose (Wieder­hol­un­gen in der Satzmitte). Wieder­hol­un­gen dieser Art machen seine Reden kraftvoller, rhyth­mis­cher und einprägsamer. Besonders gern setzt er das Trikolon ein, eine „Dreierfigur“: drei Wörter, drei ähnlich aufgebaute Sätze oder sogar drei gleich beginnende Absätze. Diesen Dreiklang bringt er in etlichen Variationen, mal mit Bindewörtern („Ihr habt dafür gestimmt, dass die Bitterkeit und der Kleingeist und die Wut, die Washington gelähmt haben ...“), mal ohne („Man bekommt wenig Schlaf, wenig Geld, wenig Anerkennung“), mal, um wesentliche Aspekte zu wiederholen und zu betonen („Sie war so begeistert, so lei­den­schaftlich, so inbrünstig bei der Sache“) und mal, um die Wirkung seiner Worte zu vervielfachen („die Zyniker und die Lobbyisten und die In­ter­essen­vertreter“).

Gegensätze zusammenführen

Auffällig häufig finden sich in Obamas Reden Antithesen, vor allem Jux­ta­po­si­tio­nen (Gegenüberstel­lun­gen). Damit gelingt es ihm, in höchster Verdichtung zwei Ansichten bzw. Weltsichten direkt miteinander zu kon­fron­tieren. Beispiel­sweise so: „Wir müssen uns ebenso sorgfältig aus dem Irak zurückziehen, wie wir sorglos in ihn hineingestolpert sind.“ Oder: „Und obwohl ich die Hoff­nungslosigkeit kenne, kenne ich doch auch die Hoffnung.“ Führungskräfte können viel von Obamas an­ti­thetis­chem Stil lernen, zumal er es schafft, Inhalt und Struktur von ganzen Abschnitten seiner Rede in solchen Gegenüberstel­lun­gen zusam­men­z­u­fassen.

Fruchtbare Au­seinan­der­set­zun­gen

Obamas ungewöhnliches politisches Talent zeigt sich auch in der Art und Weise, wie er mit Kon­tro­ver­sen umgeht. Als Beispiel kann die Affäre um den Reverend Jeremiah Wright dienen, der als Freund und religiöser Ziehvater Obamas galt. Als dieser zur national bekannten Figur wurde, kam ans Licht, dass Wright rassistisch angehauchte Brandreden gehalten hatte, die sich nur schwer mit Obamas Ziel eines vereinten Amerikas vereinbaren ließen. Entsprechen­den Vorwürfen von Konkur­rentin Hillary Clinton ausgesetzt, ging Obama sogleich aus der Defensive in die Offensive und grenzte sich klar von den Aussagen des Reverend ab. Dadurch, dass er sich in solchen Gefahren­si­t­u­a­tion eindeutig po­si­tion­ierte und dass er Fehler, die er gemacht hatte, einfach eingestand, konnte Barack Obama es vermeiden, in größere Schlamm­schlachten hineinge­zo­gen zu werden. Das ist auch der Grund dafür, dass sein Name bislang nahezu unbefleckt geblieben ist.

Ein fulminanter Abgang

Ein so tal­en­tierter Redner wie Obama ist sich der Notwendigkeit eines starken Finales stets bewusst. Nur wenn ein Redner in der Lage ist, einen fulminanten Schlusspunkt zu setzen, wenn er sein Publikum beschwingt entlässt, hat er als Redner sein Ziel erreicht: Die Leute zum Handeln zu motivieren. Um das zu erreichen, sollten Sie Ihre Rede nicht nach, sondern auf dem absoluten Höhepunkt eines Crescendos beenden. Nur wenn der Kerninhalt Ihrer Rede im Zuhörer nachhallt, können Sie sicher sein, dass die Wirkung Ihres Vortrags nachhaltig sein wird.

Reden, die Geschichte schrieben

Eine seiner besten Reden hielt Barack Obama auf dem No­minierungsparteitag am 28. August 2008. Dabei gelang es ihm, 80 000 Zuschauer in Denver und viele Millionen Zuschauer an den Bild­schir­men mit Themen wie dem Irakkrieg, der Verbesserung des Gesund­heitssys­tems und der Ökologie in seinen Bann zu ziehen. Indem er die Amerikaner dazu aufforderte, mit ihm gemeinsam die Nation zu verändern, indem er ihnen mit seinem „Yes we can“ immer wieder Mut machte, legte er einen der entschei­den­den Bausteine für seinen späteren Sieg bei der Präsidentschaftswahl.

„Völker der Welt – schaut auf Berlin, wo eine Mauer fiel, ein Kontinent zusam­men­wuchs und die Geschichte bewiesen hat, dass keine Her­aus­forderung zu groß ist für eine geeinte Welt, die fest zusam­men­steht.“ (Barack Obama)

Eine ähnlich gelungene, begeistert aufgenommene Rede hielt er wenige Monate zuvor am 24. Juli in Berlin. Auch hier betonte er – ohne einzelne Differenzen zwischen Europäern und Amerikanern zu ver­schweigen – die Gemein­samkeiten zwischen den beiden Kontinenten und beschwor die Stärken des transat­lantis­chen Bündnisses („Die Sehnsüchte sind größer als alles, was uns trennt“).

„Ich werde euch zuhören, ganz besonders dann, wenn wir nicht einer Meinung sind.“ (Barack Obama)

Auch in seiner Rede am Wahlabend, am 4. November 2008, schaffte es Obama, einen großen Bogen zwischen his­torischen Themen und sehr persönlichen Details zu schlagen. So nannte er als vor­bildliches Beispiel einer Wählerin eine gewisse Ann Nixon Cooper, eine Schwarza­merikanerin, die mit dem festen Willen zur Veränderung und im Alter von 106 Jahren zur Wahlurne gegangen war.


Ăśber die Autorin

Shel Leanne ist Gründerin und Geschäftsführerin einer Per­son­alen­twick­lungs­firma für Führungskräfte. Sie war Dozentin für Social En­tre­pre­neur­ship und Or­ga­ni­za­tional Design an der Harvard University und arbeitete für McKinsey und Morgan Stanley in New York und London.