Reden ist nicht Schreiben
Die Topmanager der 500 gröĂten deutschen Unternehmen mĂŒssen rund 60 Reden pro Jahr halten. Das sind 30 000 Chancen, die Zuhörer zu beeinÂdrucken. Doch nicht nur CEOs, sondern Vertreter aller HiÂerÂarÂchieebeÂnen reden gerne und viel â oder besser: halten Monologe. Wie sieht das bei Ihnen aus? Reagieren Sie auf eine âSpeakÂing-OpÂporÂtuÂnityâ, wie es neudeutsch heiĂt, sofort mit Inspiration? Oder doch eher mit TranÂspiÂraÂtion? Fest steht: Viele Reden sind sterÂbenslangÂweilig. Das muss nicht sein, denn das gesprochene Wort ist mĂ€chtig und vermag sogar Berge zu versetzen â wenn es effektvoll eingesetzt wird.
âWenn Zuhörer den Redner gleich zu Beginn als inkompetent oder gewöhnlich oder langweilig einstufen, weil er eine ebensolche Einleitung wĂ€hlt, hat dieser nur geringe Chancen, den Eindruck zu revidieren.â
Wie schafft man das? Es gibt fanÂtastisÂche SteÂgreifredÂner, aber die meisten gesprochÂenen Reden waren zuerst geschriebene. Hier liegt der Knackpunkt: Das Schreiben fĂŒrs Reden gehorcht ganz anderen Regeln als die rein schriftliche KomÂmuÂnikaÂtion mit Lesern. Texte wollen durch Argumente ĂŒberzeugen, Reden mĂŒssen die Zuhörer zusĂ€tzlich emotional packen. Schreiben fĂŒrs Sprechen bedeutet: weniger formeller Druck, mehr AnÂschaulichkeit, mehr Freiheit und mehr tastendes Suchen nach der richtigen ErklĂ€rung eines Themas. Versprecher werden von den Zuhörern nicht ĂŒbel genommen, denn sie gehören zum Reden einfach dazu.
Der Raum hat ein MitÂspracherecht
Bevor es ans Schreiben geht, sollten Sie sich mit den RahÂmenbeÂdinÂgunÂgen Ihrer Rede auÂseinanÂderÂsetÂzen. Planung ist alles. Zuallererst mĂŒssen Sie â wenn irgend möglich â den Raum aufsuchen, in dem Sie Ihre Rede halten werden. Ist der Raum groĂ? Oder stickig? Hallt es, ist das Licht fahl und gedĂ€mpft oder eher grell? RĂ€ume beeÂinÂflussen Menschen. Wenn zwischen Ihnen und dem Publikum mehrere Meter Marmorboden liegen, mĂŒssen Sie Ihre Rede anders aufziehen, als wenn Sie in kuschliger AtmosphĂ€re wie zu guten Freunden sprechen. Warum? Wenn die Zuhörer in Ihrer NĂ€he sitzen, verstehen sie viele Dinge viel schneller, weil sie Ihre Mimik besser wahrnehmen. Sie können auf Feinheiten setzen. Wenn Sie hingegen wie ein Priester von der Kanzel sprechen, mĂŒssen Sie Dinge klar und deutlich beim Namen nennen, sonst kommt nur die HĂ€lfte bei Ihren Zuhörern an.
âDer erste Eindruck wird nicht nur in den ersten Sekunden, sondern wĂ€hrend der ganzen Zeit der ersten Begegnung geformt.â
WĂ€hrend Sie als Redner auf sich allein gestellt sind, verÂschmelzen Ihre Zuhörer zur Gruppe. In der Gruppe fahren Menschen ihre inÂdiÂviduÂelle Leistung herunter, sie beugen sich dem GrupÂpenÂdruck und nehmen bestimmte RolÂlenÂmuster an. Das muss fĂŒr Sie kein Nachteil sein. Wenn es Ihnen nĂ€mlich gelingt, einige GrupÂpenÂmitÂglieder mitzureiĂen, stehen die Chancen gut, dass Ihnen auch der Rest der Gruppe folgt.
InÂtrinÂsisÂche Motivation gegen LamÂpÂenÂfieber
Wenn Sie zu den Rednern gehören, die vor lauter LamÂpÂenÂfieber keinen Ton herÂausÂbrinÂgen, mĂŒssen Sie lernen, sich auf Ihre eigene Rede zu freuen. Bauen Sie âSchmankerlâ in Ihre Rede ein: einen ĂŒberraschenÂden Eröffnungsgag, eine unÂkonÂvenÂtionelle PrĂ€sentation, eine ungewöhnliche ArÂguÂmenÂtaÂtion. Aussagen, bei denen Sie sich vorstellen können, wie Ihr Publikum reagieren wird. Wird es schmunzeln, lachen, begeistert apÂplaudieren? Eine solche Vorstellung vor Ihrem geistigen Auge ist die perfekte SelbÂstÂmoÂtiÂvaÂtion. Wenn Sie es gar nicht mehr abwarten können, aufs Rednerpult zu steigen, um âdie Bombe platzen zu lassenâ, dann waren Ihre VorÂbereÂitunÂgen erfolgreich.
Botschaften sammeln
Nicht nur Sie, sondern auch die besten Redner kennen die Angst vor dem leeren Blatt. Das beste Mittel dagegen ist: einfach anfangen. Ihr PC oder Ihr Bleistift werden Sie nicht kritisieren. Wenn Sie den Anfang geschafft haben, ist das schon die halbe Miete. Formulieren Sie als Erstes Ihre KernÂbotschaft: das, was bei Ihren Zuhörern unbedingt haften bleiben soll. Die PsyÂcholinÂguisÂtik beschĂ€ftigt sich damit, herÂauszufinden, wie Menschen auf Sprache reagieren. BeispielÂsweise achten sie nicht allzu sehr auf den Aufbau einer Rede, sondern vor allem auf deren Inhalte. Darum ist die KernÂbotschaft so wichtig.
âIm Idealfall sollte der Vortragende den Raum kennen, in dem er seine Rede hĂ€lt.â
Zuhörer bilden InÂhaltÂshierÂarÂchien und bewerten die gehörten SĂ€tze mittels ihres HinÂterÂgrundÂwisÂsens. Daher sollten Sie die Wichtigkeit Ihrer Botschaften klar herÂausstellen. Ein Tipp fĂŒr die MaÂteÂriÂalÂsammÂlung: QualitĂ€t kommt vor QuantitĂ€t. Erschlagen Sie Ihre Zuhörer nicht mit Tonnen von InÂforÂmaÂtioÂnen. DĂŒnnen Sie aus: Reduzieren Sie Kennzahlen auf ein Minimum, stutzen Sie Fakten zurecht und wiederholen oder variieren Sie immer wieder Ihre KernÂbotschaft.
Phonetische StolperÂfallen
Bei Ihren Quellen sollten Sie auf GlaubwĂŒrdigkeit achten. Eine Tischrede schreiben Sie mit einem Blick ins Internet, fĂŒr einen Fachvortrag dagegen sollten Sie sich dann schon auf das Bundesamt fĂŒr Statistik, Parteien, VerbĂ€nde oder FachÂlitÂerÂatur berufen. Lesen Sie viel und sammeln Sie Fakten, aber auch AusdrĂŒcke, ReÂdewenÂdunÂgen und passende Metaphern. Manchmal verbergen sich hinter NebensĂ€chlichkeiten wahre WortÂdiaÂmanÂten, die Sie nur noch in Form schleifen mĂŒssen.
âHörer verarbeiten und speichern Inhalte der SĂ€tze, nicht deren KonÂstrukÂtion.â
Haben Sie Ihre Rede niedergeschrieben, sollten Sie diese unbedingt mehrmals laut aufsagen. Erst dann fĂ€llt Ihnen auf, ob Sie phonetische StolperÂfallen eingebaut haben, die Sie schnellstmöglich ausmerzen sollten. Die Phrase âvom Hundertsten ins Tausendsteâ liest sich beispielÂsweise gut, spricht sich aber miserabel. In Ihrem Manuskript sollten Sie MarkierunÂgen setzen, damit Sie bestimmte Betonungen beim Lesen leichter umsetzen können. Hierzu gehören: LautstĂ€rkeanÂpasÂsung, TonhöhenverĂ€nderungen, AkzenÂtuÂierunÂgen, TemÂpowechÂsel, Pausen und VokaldehnunÂgen.
Die drei Teile einer guten Rede
TypÂisÂcherÂweise hat jede Rede drei Teile:
- Einleitung und BegrĂŒĂung: Hier werden norÂmalerÂweise erst einmal â in hiÂerÂarÂchisÂcher Reihenfolge â alle Zuhörer begrĂŒĂt. Das ist âSchema Fâ, was bei manchen offiziellen GeleÂgenÂheiten sinnvoll sein mag. Wenn Sie aber auffallen wollen, sollten Sie einen langÂweiliÂgen Start möglichst vermeiden. Tun Sie zu Beginn Ihrer Rede alles, um AufmerkÂsamkeit zu erregen. Wenn Sie mit einem Knalleffekt starten, werden Ihre Zuhörer wĂ€hrend der gesamten Rede viel aufmerkÂsamer dabei sein als nach einer Schnarch-EinÂleitung. Die ersten Sekunden entscheiden darĂŒber, wie Sie als Redner fortan betrachtet werden. Fangen Sie z. B. mit einer Frage an, oder verwenden Sie ein Zitat. Erinnern Sie an ein bedeutendes Ereignis, gehen Sie auf eine AktualitĂ€t ein. Die Anrede und BegrĂŒĂung schieben Sie dann einfach nach.
- Mittelteil: Hier entfalten Sie die Kerninhalte Ihrer Rede. Meist werden es Argumente sein, die Sie vortragen. Fast alle Reden oder VortrĂ€ge kreisen im Kern darum, dass Sie Ihre Zuhörer von etwas ĂŒberzeugen wollen. Wenn Ihr Publikum Sie als kompetent wahrnimmt, ist es geneigt, Ihren Worten zu vertrauen. NatĂŒrlich spielt Ihre Reputation eine Rolle: Dem Papst wĂŒrde man keine kompetente Rede ĂŒber SexÂuÂalÂprakÂtiken zutrauen, einen guten Vortrag ĂŒber die neueste BibelexÂegese aber schon. Menschen neigen dazu, neue Ideen und ErkenÂntÂnisse in ihr vorhandenes Weltbild einzubauen. Diese so genannte AsÂsimÂiÂlaÂtion sollten Sie berĂŒcksichtigen und stets BezĂŒge zum Vorwissen Ihres Publikums einarbeiten. ArÂguÂmenÂtieren Sie in kleinen, aufeinander aufbauenden Schritten und sorgen Sie dafĂŒr, dass Ihre Hörer die SchlussfolÂgerunÂgen wirklich verstehen. Wenn Sie den Mittelteil vorbereiten, sollten Sie deshalb zuerst alle Ihre Botschaften in die richtige Reihenfolge bringen und erst dann dieses Redeskelett mit Fleisch (Anekdoten, Exkursionen, AnÂspielunÂgen usw.) ausstaffieren.
- Schluss: Sicher kennen Sie SchlusssĂ€tze wie âSo, das warâsâ, oder: âVielen Dank fĂŒr Ihre AufmerkÂsamkeitâ. Damit gewinnen Sie keinen OriginalitĂ€ts-Oscar, vor allem aber auch keine AufmerkÂsamkeit. Spitzen Sie zum Ende hin die InÂforÂmaÂtioÂnen Ihrer Rede zu und schlagen Sie ideÂalÂerÂweise einen Bogen zur Einleitung. Enden Sie mit einer AufÂforderung zum Handeln (âPacken wir es an!â) oder wagen Sie zumindest einen Blick in die Zukunft. Verwenden Sie viel Sorgfalt auf den Schluss: Genau wie der Anfang wird dieser Ihren Zuhörern lange im Bewusstsein bleiben.
Die richtige Wortwahl
Wenn Sie fĂŒrs Hören schreiben, sollten Sie möglichst konkrete und eindeutige Wörter wĂ€hlen. Mancher geistige Umweg, den Sie Ihren Zuhörern zumuten, endet sonst in einer Sackgasse.
âNominalstil klingt gewaltiger, Verbalstil einfacher, aber verstĂ€ndlicher.â
Zu den rhetorischen Finessen, die Sie einsetzen können, gehören:
- Vergleiche: Sie helfen Ihren Zuhörern, schwierige SachverÂhalte zu verstehen. Es ist recht einfach, passende Vergleiche in vier Schritten zu konÂstruÂieren. Stellen Sie zunĂ€chst fest, wofĂŒr Sie einen Vergleich suchen (z. B. fĂŒr die WirtschaftÂsenÂtwickÂlung). Fragen Sie sich, welchen Aspekt dieses Begriffs Sie herÂausstellen wollen (z. B. GleichmĂ€Ăigkeit) und suchen Sie andere Begriffe, auf die dieser Aspekt ebenfalls zutrifft (z. B. ein Fluss oder die Gezeiten). Verbinden Sie schlieĂlich die beiden Aspekte mit dem VerÂgleÂichswort âwieâ.
- Ăhnlich funkÂtionÂieren Metaphern. Das sind bildhafte ForÂmulierunÂgen, die ohne das VerÂgleÂichs-Wie auskommen. Effektvoll können Metaphern als PerÂsonÂifikaÂtioÂnen sein, also indem die Metapher zusĂ€tzlich mit den Attributen einer Person ausÂgesÂtatÂtet wird. So lĂ€sst sich z. B. ein naturbeÂlassener Wald als âStruwwelpeterâ bezeichnen â und kann entsprechend als âungeliebtes, aber eben originelles Kindâ in die Rede eingebaut werden.
- Animieren Sie mit ErzĂ€hlungen und Anekdoten das Kino im Kopf Ihrer Zuhörer. DafĂŒr verwenden Sie am besten so genannte âscriptsâ und âframesâ. Dabei handelt es sich um allen Menschen bekannte AblĂ€ufe und HandÂlungÂshÂinÂtergrĂŒnde. Wenn Sie also die Situation am ersten Schultag oder einen Arztbesuch als Hintergrund fĂŒr eine ErzĂ€hlung nutzen, wissen Ihre Zuhörer sofort etwas mit der Situation anzufangen und sind entsprechend neugierig, wie diese im ZusamÂmenÂhang mit Ihrer Rede steht.
- Menschen haben Fantasie und VorstelÂlungskraft, aber kein Sinnesorgan fĂŒr Zahlen. Zahlen sind abstrakt. Deshalb gilt die Faustregel: Nicht mehr Zahlen als nötig und so konkret oder bildhaft wie möglich.
- Versuchen Sie es auch mal lautÂmaÂlerisch: Verwenden Sie SĂ€tze, in denen es ordentlich schrillt, rumst, knallt, zischt, zwitschert oder knurrt. So etwas belebt jede Rede.
- Wortspiele sorgen fĂŒr ein Schmunzeln auf dem Gesicht Ihrer Zuhörer. Allerdings sind gekonnte SprachÂspiele auch eine hohe Kunst. Versuchen Sie z. B., ReÂdewenÂdunÂgen zu verĂ€ndern, um einen ĂberraschungsefÂfekt zu erzielen. Tauschen Sie Wörter aus (âRette mich, wer kannâ), fĂŒgen Sie welche hinzu (âDas blonde Haar in der Suppeâ) und setzen Sie neue Akzente (âIch nehme kein Amtsblatt vor den Mundâ).
- Satzbau: Machen Sie viele kurze und einfache SĂ€tze. SchachtelsĂ€tze und verÂschlunÂgene Details gehen beim Reden unter und verwirren Ihre Zuhörer. Setzen Sie auf konkrete statt auf abstrakte Begriffe. Verzichten Sie auf den hölzernen Nominalstil und gebrauchen Sie stattdessen den lebendiÂgeren Verbalstil (z. B. âanwendenâ statt âzur Anwendung bringenâ). Verwenden Sie Aktiv- statt PassivsĂ€tze. Und nutzen Sie DopÂpelpunkte: So können Sie aus HauptÂsatz-NebenÂsatz-KonÂstrukÂtioÂnen zwei HauptsĂ€tze machen. Der Clou: Der erste Satz erzeugt Spannung, die vom Satz nach dem Doppelpunkt aufgelöst wird.