Der Vergleich macht’s
Was würden Sie eher kaufen: das Internetabonnement einer Zeitschrift für 59 €, die Papierausgabe für 125 € oder beides zusammen für 125 €? Die Mehrheit von Arielys Studenten entschied sich in einem Versuch für die Kombiversion. Ohne den „Köder“ der reinen Papierausgabe wählten sie aber mehrheitlich die preisgünstigere Internetversion, zeigten sich also an der Papierversion nicht sonderlich interessiert. Alles ist relativ: Wie wir eine Sache, einen Preis, den Partner oder den Job einschätzen, hängt von vergleichbaren Dingen, Menschen oder Situationen ab. Die amerikanische Börsenaufsicht zwang Topmanager 1993 beispielsweise, ihre Gehälter öffentlich zu machen. Man hoffte, auf diese Weise den Höhenflug der Managerbezüge bremsen zu können. Doch weit gefehlt: Anstatt sich zu schämen, begannen die Betroffenen, ihre Gehälter untereinander zu vergleichen und immer mehr zu fordern. Heute verdienen sie dreimal so viel wie vor der Veröffentlichungspflicht, d. h. durchschnittlich 369-mal mehr als ein einfacher Arbeiter.
Trügerische Anker
Die Verhaltensökonomik gründet auf der Annahme, dass Marktteilnehmer meistens irrational handeln. Der freie Markt kann unter diesen Voraussetzungen gar keine optimalen Marktpreise erzeugen, denn ein perfektes Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage würde rationales Handeln voraussetzen. In Wahrheit sucht das menschliche Gehirn nach Unterstützung wie ein frisch geschlüpftes Gänseküken nach seiner Mutter. Die Wahl fällt nach willkürlichen Kriterien: Gänseküken klammern sich an das erstbeste bewegliche Objekt und bleiben bei ihrer irrationalen Entscheidung. Wir Menschen brauchen ähnliche „Anker“. Studenten wurden in einem Experiment gebeten, die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufzuschreiben. Anschließend sollten sie entscheiden, wie viel sie für eine Reihe von Produkten zu zahlen bereit wären. Die Studenten mit höheren Endziffern gaben durchgehend höhere Gebote ab als jene mit niedrigen Ziffern. Fazit: Was wir für Wertvorstellungen oder Qualitätsbewusstsein halten, ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine zufällige erste Entscheidung, die sich verselbstständigt hat. Das ist an sich kein Drama. Aber Sie sollten sich dessen immer wieder bewusst sein.
Geiz ist nicht immer geil
Die Null wirkt geradezu hypnotisierend. Studenten, die sich zwischen dem Kauf einer Lindt-Praline für 15 Cent und dem Massenprodukt Hershey’s Kisses für 1 Cent entscheiden sollten, wählten mehrheitlich die Lindt-Schokolade. Im zweiten Durchgang wurde der schnöde Kiss umsonst und die köstliche Praline für 14 Cent angeboten. Was geschah? Anders als das Produkt selbst erwies sich die Null als unwiderstehlich – die Studenten griffen nach den Kisses. Warum? Umsonstangebote ersparen uns die Verlustängste, die mit dem Geldausgeben verbunden sind.
„Die meisten Menschen wissen nicht, was sie wollen, bis sie es im Zusammenhang sehen.“
Die Strahlkraft von „gratis“ ist so stark, dass wir erwerben, was wir gar nicht wollen oder brauchen, nur weil es den Versand, ein Dankeschön-Geschenk oder eine zweite Packung scheinbar umsonst dazu gibt. Marketingexperten bringen uns auf diese Weise ständig dazu, etwas zu tun, was nicht unbedingt gut für uns ist. Man könnte mit der Null aber auch erwünschtes Verhalten fördern: Sie wollen elektrisch betriebene Autos fördern oder erreichen, dass die Menschen häufiger zur Krebsfrüherkennung gehen? Dann schaffen Sie Anmelde- und TÜV-Gebühren ab und bieten Sie die Untersuchungen kostenlos an!
Freundschaft ist nicht käuflich
Stellen Sie sich vor, Ihr Freund würde Ihnen nach einer von Ihnen organisierten Dinnerparty 100 €, quasi als Entlohnung, in die Hand drücken. Sie würden völlig befremdet und empört reagieren. Denn für Marktnormen gelten andere Regeln als für soziale Normen. Eine amerikanische Rentnerorganisation fragte Anwälte, ob sie bedürftige Rentner für 30 $ die Stunde beraten würden. Die meisten lehnten ab. Dagegen war eine Mehrheit sofort bereit, ihnen ehrenamtlich zu helfen. Im zwischenmenschlichen Bereich scheint Geld übel zu riechen: Eine gute Flasche Wein nehmen Sie gern als Gastgeschenk entgegen, während deren Gegenwert in Geldscheinen beleidigend erscheint. Wenn allerdings einmal Geld im Spiel ist, wird man es nur schwer wieder los: Sobald ein vormals freiwilliges Verhalten bezahlt wird, ist es kaum möglich, wieder zum ehrenamtlichen Prinzip zurückzukehren.
„Wir handeln nicht nur irrational, sondern
vorhersagbar irrational – unsere Irrationalität manifestiert sich immer wieder auf dieselbe Weise.“
Im Geschäftsleben führt dies oft zur Schizophrenie: Unternehmen dienen sich ihren Kunden einerseits als „guter Nachbar“ oder „treuer Helfer“ an – und bestrafen andererseits verspätete Ratenzahlungen mit horrenden Gebühren. Millionen an investierten Werbegeldern werden so zum Bumerang. Das Gleiche gilt im Umgang mit Mitarbeitern. Viele sind heutzutage bereit, sich für ihren Arbeitgeber zu engagieren und in stressigen Zeiten unbezahlte Überstunden zu leisten. Doch jede soziale Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit. Deshalb erwarten loyale Mitarbeiter nichtmonetäre Zeichen der Wertschätzung, z. B. Angebote zur Kinderbetreuung, medizinische Versorgung, Gleitzeit, Homeoffice etc.
Die zwei Seiten des Ichs
Ein Experiment mit jungen, männlichen Collegestudenten ergab, dass sie Fragen zu ihrem sexuellen Verhalten im erregten Zustand signifikant anders beantworteten als im „kalten“. Während sie vor Bildern nackter Frauen masturbierten, konnten sie sich eher vorstellen, kein Kondom zu benutzen, mit Tieren sexuellen Kontakt zu haben oder eine Frau durch Verabreichung von Alkohol zum Sex zu drängen. So weit, so erschreckend. Im Grunde ist das aber nicht neu: Ganze Büchereien handeln vom inneren Kampf zwischen Gut und Böse und davon, dass vernünftige Menschen zu unvorstellbaren Dingen fähig sind, sobald ihre Triebe und Leidenschaften geweckt werden. Leider sind wir uns dessen im vernünftigen Zustand selten bewusst. Es ist beispielsweise sinnlos, mit Teenagern gesittet über Strategien zur Enthaltsamkeit zu diskutieren. Sie müssen auch darauf vorbereitet werden, wie sie sich im Sturm der Gefühle verhalten sollten: z. B. immer ein Kondom für alle Fälle dabeihaben.
„Je mehr wir besitzen, desto mehr möchten wir haben. Und das einzige Gegenmittel ist, die Spirale der Relativität zu durchbrechen.“
Bei der „Aufschieberitis“ wirken ähnliche Mechanismen: Zunächst setzen Sie sich vernünftige, langfristige Ziele. Dann opfern Sie diese angesichts einer Versuchung, die unmittelbare Befriedigung verspricht. Deshalb ist es z. B. auch so schwierig, eine Diät einzuhalten, wenn ein Stück Erdbeertorte vor einem steht.
„Wie sich herausstellt, ist null nicht einfach ein anderer Preis. Null ist ein emotionaler Volltreffer – eine Quelle irrationaler Begeisterung.“
Sie können Ihren inneren Schweinehund jedoch austricksen: Verabreden Sie sich mit Freunden zum Sport, damit die Ausreden schwerer fallen. Kreditkarten mit der Möglichkeit zur Selbstkontrolle könnten helfen, unsere Ausgaben gezielt einzuschränken. Bei einer Überziehung des Limits könnten Sie das Geld an eine humanitäre Organisation spenden, auf ein Festgeldkonto überweisen oder die Karte sperren lassen. Die technischen Voraussetzungen hierfür sind vorhanden. Leider hat bisher noch keine Bank angebissen.
Haben oder Nichthaben
Das in der Wirtschaftswissenschaft beliebte Konzept der optimalen Marktpreise kann gar nicht funktionieren, da wir zu unserem Besitz ein zutiefst emotionales Verhältnis haben: Wir lieben, was wir besitzen, und schätzen es höher ein als andere. Was wir verlieren könnten, beschäftigt uns weit stärker, als was wir möglicherweise gewinnen. Und wir bilden uns ein, dass andere unseren Besitz genauso sehen wie wir selbst.
„,Virtueller Besitz‘ ist die wichtigste Triebfeder, die sich die Werbeindustrie zunutze macht.“
So genannte Testangebote und 30-Tage-Rückgabegarantien machen sich die virtuelle Besitzerschaft zunutze: Sobald wir etwas emotional in Besitz genommen haben, geben wir es ungern wieder her, da uns die Rückgabe als Verlust erscheint. Natürliche Instinkte dieser Art stellen uns im Alltag auf vielfältige Weise ein Bein. So versuchen wir z. B. immer wieder, uns so viele Optionen wie möglich offen zu halten. Wir hetzen unser Kind zum Ballett-, Geigen- und Chinesischunterricht und übersehen dabei, dass eigentlich ein Maler in ihm steckt. Um unser Potenzial zu entfalten und in glücklichen Beziehungen zu leben, müssen wir lernen, Türen für immer zu schließen.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß
Was würden Sie sagen, wenn man Ihnen ein mit Balsamicoessig versetztes Bier anböte? Igitt! Ähnlich reagierten MIT-Studenten, die wissentlich ein Bier mit und eins ohne diesen Zusatz tranken. Ihren Kommilitonen hingegen, die nichts von dem Essig ahnten, schmeckte das Gemisch hervorragend. Selbst wenn diese Studenten nach dem Probieren beider Biere von der Mischung erfuhren, blieben sie bei ihrer positiven Einschätzung. Fazit: Erwartungen beeinflussen unsere Wahrnehmung stärker als physiologische Empfindungen.
„Sobald sie feststellten, dass ihre Wahlmöglichkeiten eingeschränkt wurden, konnten sich unsere MIT-Studenten – die angeblich zu den besten und klügsten jungen Menschen gehören – nicht mehr auf eine Sache konzentrieren.“
Ähnlich funktioniert der Placeboeffekt: Bei unzähligen Medikamenten und sogar bei chirurgischen Eingriffen stellte sich heraus, dass nicht die Wirkstoffe oder die Operation selbst, sondern der Glaube daran den Zustand der Patienten verbesserte. Und nicht nur das: Je teurer das Placebo, desto wirksamer erschien es den Patienten. Dieser Effekt ist geringer, wenn man die Nutzer im Voraus hinsichtlich des Preises sensibilisiert. Angesichts leerer Kassen und explodierender Gesundheitskosten liegt darin ein großes Einsparungspotenzial. Placeboeffekte machen deutlich, welche Macht der Geist über den Körper hat. Allerdings sind Experimente mit solchen Wirkungen schwierig und oft moralisch zweifelhaft. Dürfen wir z. B. krebskranke Menschen mit Placebos behandeln, in der Hoffnung, etablierte Methoden als unwirksam zu entlarven? Fragen wie diese lassen sich nur anhand sorgfältiger Kosten-Nutzen-Abwägungen entscheiden.
Vorsicht Kreditkarte!
Der durch Raub verursachte wirtschaftliche Schaden liegt in den USA bei 525 Millionen Dollar im Jahr – ein Klacks im Vergleich zu den geschätzten 600 Milliarden, die jährlich durch Diebstahl und Betrug am Arbeitsplatz verschwinden. Die Betrüger sind oft Menschen wie du und ich: Ein mitgenommener Kugelschreiber, eine geschönte Spesenabrechnung – bei kleineren Unregelmäßigkeiten bleibt unser Gewissen stumm. In einem Experiment betrogen diejenigen Studenten, die sich vor dem Lösen ihrer Aufgaben die Zehn Gebote in Erinnerung gerufen hatten, überhaupt nicht. In einer anderen Versuchsversion hielt das bloße Unterschreiben eines fiktiven „MIT-Ehrenkodexes“ die Studenten vom Schummeln ab.
„Bis vor nicht allzu langer Zeit waren fast alle Arzneimittel Placebos: Krötenauge, Fledermausflügel, getrocknete Fuchslunge, Quecksilber, Mineralwasser, Kokain, Strom.“
Eine Sechserpackung Coca-Cola, diskret im Gemeinschaftskühlschrank eines Wohnheims platziert, verschwand innerhalb von 72 Stunden. Ein paar Dollarscheine auf einem Teller aber blieben liegen. Fest steht: Selbst die ehrlichsten Menschen betrügen ein klein wenig, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet – es sei denn, sie werden rechtzeitig an ihre Tugend erinnert. Wann immer keine echten Scheine und Münzen im Spiel sind, rationalisieren wir den Betrug leicht. Das ist alarmierend, denn die Tage des Bargelds sind gezählt. Im Umgang mit Onlinediensten, Kredit- und Debitkarten sollten Sie deshalb besonders wachsam sein.
Der risikolose Gewinn
Das Ergebnis all dieser Versuche ist eindeutig: Wir verhalten uns oft irrational und unlogisch, und zwar nicht zufällig, sondern systematisch und vorhersagbar. Nach Auffassung der Standardökonomie gibt es keinen „risikolosen Gewinn“. Denn dieser würde, wenn jeder Marktteilnehmer rational und optimal handelt, entdeckt und durch Anpassung der Preise verschwinden.
„Die meisten Menschen tun Placebos wie die königliche Berührung als ,bloße Psychologie‘ ab. Doch das Wörtchen ,bloß‘ ist bei der Kraft von Placebos unangebracht.“
Wenn wir aber die Irrationalität unserer Entscheidungen anerkennen, dann hat das auch etwas Gutes: Es öffnet einen Spielraum für Verbesserungen. Vorhersagbare Fehler weisen uns den Weg zu Methoden und Strategien, um bessere Entscheidungen zu treffen. Das ist nicht immer einfach und schon gar nicht kostenlos. Wichtig ist, dass der Nutzen die Kosten überwiegt. Genau dann haben wir einen risikolosen Gewinn, von dem alle Beteiligten profitieren.