So lügen Journalisten

Buch So lügen Journalisten

Der Kampf um Quoten und Auflagen

C. Bertelsmann,


Rezension

Erfundene Zitate, ma­nip­ulierte Fakten, gefälschte Geschichten – das Arsenal jour­nal­is­tis­cher Quotenjäger enthält nicht selten ex­is­ten­zver­nich­t­ende und ehrver­let­zende Waffen. Es ist das Verdienst des Insiders Udo Ulfkotte, einen Blick hinter die Kulissen unseriöser Nachricht­en­schmieden und au­fla­gengeiler Seelenverkäufer zu gewähren. In dieser kom­prim­ierten Form versammelt das Buch in einzi­gar­tiger Weise Beispiele jour­nal­is­tis­chen Über- und Hochmuts. Der Leser sollte bei der Lektüre allerdings stets im Hinterkopf behalten, dass, wie in anderen Branchen auch, einzelne schwarze Schafe dem Ansehen der gesamten Innung schaden. Unter dieser Prämisse ist das Werk des Tageszeitungs-Redak­teurs Ulfkotte durchaus spannend und informativ komponiert. Für all jene Leser, die einen Blick ins Räderwerk der Nachricht­en­ver­ar­beitung werfen wollen, ist Ulfkottes Dokument eine lohnenswerte Lektüre. Nicht zuletzt, weil er auch auf die „ethischen Grundsätze“ des Jour­nal­is­mus eingeht und die massiven Folgen für „Medienopfer“ benennt, die ein Verstoss gegen diese Grundsätze nach sich ziehen kann. Das thematisch breite Spektrum des Buches macht es für BooksInShort zu einer Empfehlung – ins­beson­dere für all jene Manager, die den Kontakt mit Me­di­en­vertretern un­vor­ein­genom­men suchen und sich dennoch gegen böse Überraschun­gen wappnen wollen.

Take-aways

  • Während wir Zuschauer die Medien für ihren Voyeurismus geisseln, können wir zugleich nicht genug davon bekommen.
  • Firmen, deren Image durch Me­dien-Kam­pag­nen angekratzt wurde, sehen sich genötigt, ihren Werbeetat aufzu­s­tocken, um ihr Ansehen wieder aufzupolieren.
  • Zweifel­hafte Sen­sa­tions­berichter­stat­tung über Unternehmen und deren angeblich gesund­heits­gefährdende Produkte hat in Deutschland eine lange Tradition.
  • An die Stelle der Vermittlung von Nachrichten ist heute in Radio, Fernsehen, Zeitungen und Internet der Verkauf von Neuigkeiten getreten.
  • Geschichten über Prominente werden – ausserhalb der so genannten Re­gen­bo­gen-Blätter – weit weniger gern gelesen als gemeinhin angenommen.
  • Die Chance, vor einer Kameralinse einen zusammenhängenden Satz loswerden zu können, lässt sich heute kein Politiker, ob Hinterbänkler oder Promi, mehr entgehen.
  • Mit medialen Seifen­blasen, die Politiker als wohlriechende Duftmarken in die Welt setzen, wird das unschöne Wort „Steuererhöhung“ umgangen.
  • Keine Anzeige bringt so viel Aufmerk­samkeit wie ein Auftritt in einer Talkshow.
  • Zunehmend verlieren auch die einst für ihren in­ves­tiga­tiven Jour­nal­is­mus berühmten US-amerikanis­chen Berichter­stat­ter ihren guten Ruf.
  • „Spin doctors“ nennt man Wer­be­fach­leute, die Pre­mier­min­is­ter Blair engagierte, um Meldungen über seine Politik einen vorteil­haften Dreh zu geben.
 

Zusammenfassung

Desin­for­ma­tion und Propaganda haben eine lange Tradition

Lange bevor Gutenberg die Kunst des Buchdrucks erfand und damit der heutigen Pres­se­land­schaft mit all ihren Auswüchsen den Weg bereitete, hatten Desin­for­ma­tion und Propaganda schon ihren Stellenwert. So verkaufte der ägyptische Pharao Ramses II. bereits 1296 v. Chr. die Schlacht gegen die Hethiter bei Kadesch als eigenen Erfolg, obwohl er genau wusste, dass keine der beiden Seiten den Sieg errungen hatte. Die Bezeichnung „Propaganda“ taucht erstmals im Rahmen der Mis­sion­sar­beit der katholis­chen Kirche auf, als Papst Gregor XV. die „Congregatio de propaganda fide“ (Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens) gründete. Dabei bedeutet das lateinische Wort „propagare“ lediglich „ausbreiten“ oder „,Werbung’ für ein bestimmtes Ziel“.

„Traf man in vergangenen Jahrhun­derten nur hin und wieder auf Medienmärchen, so erleben sie im Zeitalter der Massenkom­mu­nika­tion ... eine neue Blüte.“

Der so genannte Krimkrieg (1853-1856) gilt in mehrfacher Hinsicht als Katalysator für die Entwicklung des pub­lizis­tis­chen Einflusses auf die Bevölkerung in Kriegszeiten – so etablierte sich „der Kriegsko­r­re­spon­dent“ damals als Berufsstand und die Briten setzten zum ersten Mal die Fotografie als Waffe der Desin­for­ma­tion ein. Im Ersten Weltkrieg schliesslich erschienen in allen beteiligten Ländern nur Berichte, die zuvor durch die Hände von Zensoren gegangen waren, und für Hitler-Deutsch­land galt Propaganda insgesamt als Mittel der „geistigen Kriegführung im Rahmen der Gesamtkriegführung“.

Unternehmen im Fadenkreuz von Kampagnen

In der heutigen In­for­ma­tion­s­ge­sellschaft werden Wirtschaft­sun­ternehmen immer wieder zur Zielscheibe von Kampagnen, die entweder von den Medien selbst lanciert oder von ihnen um die Welt getragen werden. Einige Beispiele für derartige Pres­selaw­inen aus den letzten Jahren sind:

  • Die Firma Audi, die als Hersteller des TT-Sport­wa­gens massiven Vorwürfen ausgesetzt war. Das Fahrzeug, so hiess es, würde bei hohen Geschwindigkeiten ein un­kon­trol­liertes Fahrver­hal­ten an den Tag legen. Private Fernsehsender und Print­magazine hatten enttäuschte TT-Besitzer aufgespürt, die vor der Kamera darüber berichteten, dass das Auto „ohne Vorwarnung ausbreche“ und somit ein Sicher­heit­srisiko darstelle. Die Folgen für die Firma waren vielfältig und teuer. Der Androhung von Sam­melk­la­gen durch Anwälte aufgeschreck­ter TT-Lenker folgte der serienmässige Einbau einer so genannten Stabilitätskontrolle in alle Ne­u­fahrzeuge, der sich schliesslich eine Um­tauschak­tion für ältere TT-Ver­sio­nen anschloss. Audis fi­nanzieller Aderlass, der nicht zuletzt durch eine breite Berichter­stat­tung in ver­schiede­nen Medien ausgelöst wurde, lag bei rund 50 Millionen Mark. Zu guter Letzt konnte der Technische Überwachungsverein (TÜV) Süddeutsch­land bei seiner technischen Un­ter­suchung „keine Kon­struk­tions­fehler, kein Werk­stof­fver­sagen, keine Bauteilbrüche und keine Mon­tage­fehler“ feststellen.
  • Der Sportar­tikel-Her­steller Nike sah sich Anfang des Jahres 2000 mit einem anderen medialen Lauffeuer kon­fron­tiert. Reporter hatten darüber berichtet, dass in Fan-Trikots, die von Nike produziert wurden, gesund­heits­gefährdende Verseuchun­gen durch die Substanz Trib­utylzinn (TBT) fest­gestellt worden waren. Viele TV-Re­porta­gen und Zeitungen berichteten in der Folge über diese mögliche Vergif­tungsquelle, ohne allerdings eigene Recherchen zu diesem hochbrisan­ten Thema zu starten. Mit der Folge, dass grosse Kaufhaus­ket­ten dieses Sortiment von Sport-Tex­tilien aus ihren Regalen verbannten. Nike und der Strumpfher­steller Falke, der gleichfalls wegen angeblich gesund­heitsschädlicher Produkte ins Visier der veröffentlichten Meinung geraten war, mussten sig­nifikante Um­satzein­bussen hinnehmen. Aufwendige Analysen waren letztlich nötig, um die Me­di­en­berichte gegen­zuchecken. Ergebnis: Die „angebliche Trikot­be­las­tung mit TBT ... lag tausendfach unter dem von der Welt­ge­sund­heit­sor­gan­i­sa­tion für ver­gle­ich­bare Substanzen fest­gelegten Wert.“ Das allerdings hatten die TV-Berichter­stat­ter, die die Medienwelle ins Rollen gebracht hatten, in ihrem fir­menkri­tis­chen Beitrag ver­schwiegen.
  • Die Green­peace-Kam­pagne gegen den Öl-Multi Shell entwickelte sich vor laufenden Kameras zum vollen Erfolg für die me­di­ener­fahre­nen Umwelthüter. Anlass war die geplante Versenkung der Bohrinsel „Brent Spar“ in der Nordsee, die das Unternehmen für 1995 geplant hatte. Tankstellen-Boykotts, Sol­i­daradressen von Prominenten und ein mediales Spektakel erster Güte sorgten dafür, dass rund 30 % weniger Benzin durch Shell-Zapfhähne flossen und der Umsatz erheblich zurückging. Der Konzern gab schliesslich dem Druck nach und stimmte einer Entsorgung des Stahlkolosses an Land zu. Wieder erwies sich damit eine massive Me­di­enkam­pagne gegen ein Unternehmen als zielführend. Nur einen Tag nach der Kehrtwen­dung von Shell räumten Green­peace-Ak­tivis­ten allerdings ein, dass die Entsorgung der „Brent Spar“ an Land „schwierig und kompliziert“ werde, und das ökologische Gefahren­poten­zial des stählernen Riesen wurde landauf, landab wie aus heiterem Himmel als überschätzt bewertet.
„Nach vorherrschen­der Auffassung, die sich regelmässig in den Medien niederschlägt, sind Produkte aus ökologischem Anbau gesünder als andere. Nicht nur eine Weltan­schau­ung verbirgt sich hinter dieser Auffassung, auch ein Absatzmarkt.“

Massive Anti-Wirtschafts-Kam­pag­nen haben bei manchen Me­di­enun­ternehmen nicht selten auch einen fi­nanziellen Hintergrund. Denn auf reis­serische „Hetzjagden“ gegen Produkte und damit gegen ihre Hersteller folgen immer wieder steigende Anzeige­naus­las­tun­gen und Mehrein­nah­men durch Werbespots. Schliesslich versuchen viele der medial angeprangerten Firmen, über finanziell aufwendige Gegenat­tacken in Fernseh- und Print-Me­dien ihren Ruf wieder­herzustellen und damit ihr ram­poniertes Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren. Auf diese Weise beutet so mancher Me­di­en­be­trieb seine Opfer gleich doppelt aus: Die rufmörderisch wirkenden Kampagnen bringen Quote und Auflage auf der einen Seite und erhöhen zum anderen die Wer­beein­nah­men.

Scheck­buch-Jour­nal­is­mus

Als weitere Variante im täglichen Auflagen- und Quoten­wet­t­lauf hat sich der so genannte Scheck­buch-Jour­nal­is­mus etabliert – Interviews, Fotos und Exklusivität werden eingekauft, um sich einen ver­meindlichen In­for­ma­tionsvor­sprung gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen. So waren Gespräche mit sow­jetis­chen Militärs zeitweise nicht unter 600 Dollar zu haben, der ehemalige Gen­er­al­staat­san­walt Russlands liess sich erst gegen die Zahlung von mindestens 250 Dollar das Mikro unter die Nase halten. Auch in westlichen Ländern verwischt „Info-Bakschisch“ die Grenzen zwischen knallhartem Jour­nal­is­mus und reiner In­for­ma­tions­beschaf­fung nachhaltig, wie es ein leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung einmal beschrieben hat: „Irgendwann wird kein Leser mehr wissen können, ob da ein Journalist den Bau eines neuen Kernkraftwerks für nötig hält, weil seine hartnäckige und unbestech­liche Recherche ihn zu diesem Ergebnis gebracht hat – oder ob er nur regelmässig auf Vor­tragsreise für die Kernkraftwerk­lobby ist und dabei hohe Honorare einstreicht.“ Von Fall zu Fall bezahlen deutsche Fernsehsta­tio­nen auch mal über 100 000 Mark für ein zehnminütiges Interview, wenn es in die Tage­sak­tu­alität passt und deshalb zum Quo­ten­treiber avancieren könnte.

Wie „spin doctors“ aus Elefanten eine Mücke machen

Gerüchte streuen, Fakten „auslegen“ und un­ge­niess­bare Regierungsver­laut­barun­gen dem Volke schmackhaft machen – diesem Auf­gaben­spek­trum verschreibt sich mancher Mitarbeiter in Pub­lic-Re­la­tions-Abteilun­gen, die nach ihren britischen Vorbildern als „spin doctors“ bezeichnet werden. Als Beispiel für eine gelungene Aktion deutscher PR-Profis gilt die Erfindung und Pen­etrierung des Begriffs „Öko-Steuer“. Bei ihrer Einführung 1999 wurde diese staatliche Einkun­ft­squelle seitens der rot-grünen Bun­desregierung als zweckmässiges ökologisches Instrument für mehr Umweltschutz angepriesen, obwohl durch sie gleich in doppelter Weise in die Geldbeutel der Bürger gegriffen wurde, um die Staatskassen zu füllen – einmal durch die neu eingeführte Besteuerung von Energie, zum anderen wegen der dadurch höher aus­fal­l­en­den Mehrw­ert­s­teuer. Der Deckname „Öko-Steuer“ für diese Mo­gel­pack­ung, die letztlich die Rentenkassen sanieren half und obendrein eine Ver­brauchss­teuer darstellt, verfehlte seine Wirkung nicht – die „spin doctors“ konnten mit ihrer medialen Seifenblase einen grandiosen Erfolg bei der Irreführung der Öffentlichkeit verbuchen.

„Etwa zwei Drittel aller Medienbeiträge beruhen letztlich auf PR-In­for­ma­tio­nen, eigene jour­nal­is­tis­che The­men­recherchen bei den Nachricht­e­na­gen­turen liegen ‚in der Nähe von acht Prozent des gesamten Stoffes, bei den anderen Medien bei circa elf Prozent.’“

Es ist durchaus nachvol­lziehbar, wenn politische Führungsriegen ihre harten Entschei­dun­gen rhetorisch weichgespült unters Volk bringen möchten – die unkritische Übernahme nichts sagender Worthülsen durch eine Vielzahl von Medien kann hingegen weder als legitim noch als „jour­nal­is­tisch sauber“ bezeichnet werden.

Neuer Zu­flucht­sort für „Enten“ – das Internet

Gerade die wel­tumspan­nen­den und anonymisierten In­for­ma­tion­skanäle des Internets sind dazu prädestiniert, in Sekun­den­schnelle Falschmel­dun­gen rund um den Globus zu jagen. Opfer einer derartigen Fehlnachricht wurde der Sportgigant Nike, der 1998 per Post täglich hunderte alter Sportschuhe erhielt – immer mit dem Wunsch verknüpft, dem Absender bitte ein paar neue Fusskleider zu schicken. Über 6000 Paar Schuhe gingen auf diese Weise innerhalb weniger Tage bei dem Unternehmen ein. Eigene Recherchen von Nike ergaben schliesslich, dass der Grund für diese ungewollte „Re­cy­cling-Ak­tion“ eine im Internet verbreitete „Ente“ war, derzufolge Nike angeblich alte gegen neue Sportschuhe eintauschen würde.

Der „Pressekodex“ – eine lohnende Lektüre, nicht nur für Jour­nal­is­ten

Als „Berufsethik“ der Jour­nal­is­ten gilt allgemein der „Pressekodex“, der vom Deutschen Presserat entwickelt wurde. Die darin fest­geschriebe­nen Leitlinien gelten für jeden Jour­nal­is­ten und sollten von ihnen in der täglichen Arbeit immer beachtet werden. Zu diesen „ethischen Grundsätzen“ zählen u. a.:

  • Die Achtung von Wahrheit, Wahrung der Menschenwürde und wahrhaftige Un­ter­rich­tung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote für jour­nal­is­tis­che Arbeit.
  • Der Sinn von Nachrichten und In­for­ma­tio­nen darf nicht durch Bearbeitung, Überschriften oder Bilderbeschrif­tung entstellt oder verfälscht werden.
  • Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sollten bei Veröffentlichung als solche gekennze­ich­net sein.
  • Wer „unter dem Siegel der Ver­schwiegen­heit“ eine Hin­ter­grund­in­for­ma­tion liefert, muss davon ausgehen können, dass sein Name nicht preis­gegeben oder veröffentlicht wird.
  • Redak­tionelle Veröffentlichun­gen dürfen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter beeinflusst werden. So wird sich der Journalist, der täglich über das Auf und Ab an der Börse berichtet, „von einem trennen müssen – der Berichter­stat­tung oder den Aktien“.
  • „Die Annahme und Gewährung von Vorteilen jeder Art, die geeignet sein könnten, die Entschei­dungs­frei­heit von Verlag und Redaktion zu beeinträchtigen, sind mit dem Ansehen, der Unabhängigkeit und der Aufgabe der Presse unvereinbar. Wer sich für die Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten bestechen lässt, handelt unehrenhaft und beruf­swidrig.“

Über den Autor

Der Redakteur Udo Ulfkotte, Jahrgang 1960, arbeitet für eine renommierte deutsche Tageszeitung und ist Lehrbeauf­tragter an der Universität Lüneburg. Als Spezial­ge­bi­ete des Jour­nal­is­ten nennt der Ber­tels­mann-Ver­lag: Afrika, den „Nahen Osten sowie die Politik der Geheim­di­en­ste“. Ulfkotte, der sich speziell mit dem Thema In­dus­tries­pi­onage beschäftigt, hat dazu bereits das Buch Marktplatz der Diebe – Wie die Wirtschaftss­pi­onage deutsche Unternehmen ausplündert und ruiniert publiziert.