Volle Kraft voraus
Was passiert, wenn die Wirtschaft, statt zu wachsen, eine Vollbremsung macht? Die Arbeitsplätze werden knapp, die Gewaltbereitschaft nimmt zu, die Kluft zwischen Arm und Reich wird noch grösser. Gibt es einen Grund, nicht zu wachsen? Nein, es gibt genügend Rohstoffe, genügend landwirtschaftliche Flächen, genügend Alternativen für fossile Energieträger. Und berechtigte Hoffnung, dass die Menschen inzwischen auch genügend Intelligenz entwickelt haben, die Umwelt zu schonen und Probleme unter globalen Aspekten zu lösen. Wie gut geht es uns? Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat zwischen 1995 und 2000 global um etwa 20 % zugenommen, die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung (SBIP) real um etwa 2,4 %. Die verarbeitende Industrie/Bauindustrie/Gewerbe/Energieerzeugung waren am BIP-Wachstum mit 50 % beteiligt, Landwirtschaft/Forstwirtschaft/Fischerei/Bergbau sowie Dienstleistungen/Handel teilten sich den Rest. Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit ist der Gradmesser für den Wohlstand der einzelnen Staaten. Schauen Sie sich die Arbeitslosenzahlen eines Staates an, dann wissen Sie, wie gut es ihm geht. In China nimmt die Massenarbeitslosigkeit zu, in den USA ist die Vollbeschäftigung praktisch erreicht. Wir haben noch nie so viel Energie und Nahrung verbraucht und so viel Bildung, Kommunikation, Verkehr und Unterhaltung beansprucht wie heute. Also leben die Menschen besser denn je? Ein Sechstel der Weltbevölkerung ja; der Rest aber, also 80 %, teilt sich, was übrig bleibt, und das sind 14 % aller Waren- und Dienstleistungen. Es war noch nie so ungerecht wie heute. Die meisten Menschen nehmen am globalen Wohlstand nicht teil. Neue Wachstumsmodelle müssen also auch für die Armen und die Umwelt einen Wert haben.
Der Stärkere überlebt
Und weil wir möchten, dass auch künftige Generationen überleben, muss unser Wohlstand wachsen. Je höher der SBIP, umso höher die Lebenserwartung und die Lebensqualität. Und umso geringer das Bevölkerungswachstum. Qualität vor Quantität, könnte man folgern. Allerdings geht die altersmässige Zusammensetzung der Bevölkerung mit steigendem SBIP auch Richtung Überalterung. Sind rückläufige Geburtenzahlen eine Gefahr für den Staat? Sie sind in jedem Fall ein Schreckgespenst für die Altersversorgung. Wie sieht die Lösung aus? Das BIP muss ganz gewaltig steigen, kleine, reiche Länder (Schweiz, Singapore, Luxemburg) machen es ja schon vor. Wer sahnt ab? Momentan die reichen Länder. Hohe Löhne und dadurch ein hohes Steueraufkommen führen zu steigendem Wohlstand. Niedriglohnländer haben ein Problem. Die Weltwirtschaft ist also instabil. Was braucht die Zukunft? Eine wachsende Wirtschaft. Ohne Schutz von Klima und Umwelt wird daraus allerdings ein Problem.
„Die Wirtschaftsleistung hat in allen Ländern entscheidenden Einfluss auf alle Lebensbedingungen.“
Wirtschaftlich und weltpolitisch haben die USA die Nase vorne. Wie kann Europa mithalten? Indem es an einem Strang zieht. Deutschland, Frankreich und Grossbritannien bleiben innerhalb der EU zwar die wirtschaftlichen Anführer, Irland und Spanien aber holen gewaltig auf und auch Italien hat zugelegt. Wo ist es kritisch? In Japan, dessen wirtschaftliche Aussichten noch im Nebel liegen, auch wenn sein BIP mit 40 000 $ zu den höchsten der Welt zählt. Zu den absolut Armen zählen Länder wie Albanien, Bangladesch, Nepal, Haiti, China, Indien und die meisten afrikanischen Staaten. Wie definiert sich hier die Aufgabe einer globalen Governance? Das SBIP dieser Länder auf das 2,5- bis 5fache hochpuschen, irgendwann müssen sie über den gefährlichen Wachstumsbuckel von 2130 $ hinwegkommen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es ist machbar. Und es sind die menschlichen Fähigkeiten, die es ermöglichen, nicht materielle oder energetische Ressourcen.
Wachsen oder wuchern?
Ob Organismus oder wirtschaftliches System, jedes Wachstum braucht bestimmte Umweltbedingungen, sonst wird es ungesund. Wann macht es uns Angst? Wenn es exzessiv wird, wenn es wuchert. Und wenn es die Welt verändert. Aber genau das macht es immer! Kohlendioxid hat um 60 ppm (parts per million) in der Atmosphäre zugenommen. Das erschreckt uns. Verglichen mit dem Zustand vor 100 Millionen Jahren hat es aber um 650 ppm abgenommen. Wir messen mit menschlichen Zeitmassstäben, das ist das Problem. Und viele düstere Prognosen waren falsch: Weder die Atmosphäre noch die Gewässer wurden vergiftet, lokale Schadstoffkonzentrationen sinken, ebenso die Zahl der Unfallopfer, Erdölvorräte und Gashydrate sind genügend vorhanden und die Lebenserwartung steigt. Was wird in 200 Jahren knapp sein? Unsere Reichweitenrechnungen führen uns jedenfalls leicht in die Irre.
„Die Bevölkerungszahl und ihre weitere Zunahme ist das eigentliche Wachstumsproblem.“
Welchem Gesetz unterliegt das Wachstum? Überall in der Natur, bei Unternehmen, bei der Bevölkerungszahl geht es zuerst langsam bergauf, dann immer rascher und dann wieder langsamer einem Endwert entgegen. Wo haben wir ein Wachstumsproblem? Allein bei der Zunahme der Weltbevölkerung. Grenzen setzen Nahrungsangebot, Klima, Konkurrenten, Krankheitserreger. Und zunehmender Wohlstand. Wenn das verfügbare Einkommen vergrössert wird, sinkt der Geburtenüberschuss. Warum also nicht wachsen? Warum das Angebot der Natur nicht nutzen? Nur wer im Wohlstand lebt, denkt an andere und an Nachhaltigkeit. Ausserdem haben wir ja unsere Wissenschaft. Sie versorgt uns mit allem, was wir brauchen, nachhaltig und im Überfluss. Wir sollen unseren Planeten nicht ausbeuten, wir brauchen aber auch nicht in lähmender Angst zu leben. Wir werden es schon schaffen, künftigen Generationen nicht nur ein Chaos zu hinterlassen. Und Tatsache ist, dass heute die Staaten am meisten leiden, die nicht wachsen.
Was macht uns glücklich?
Ein hohes SBIP. Aber das geben Sie ungern zu, nicht wahr? Dabei spricht man sofort von Rezession, wenn das BIP nicht kontinuierlich klettert. Ist es unmoralisch, Wirtschaftswachstum zu wünschen? Und wer warnt eigentlich vor Wachstum? Die Beamten, weil sie glauben, davon nicht abhängig zu sein. Erinnern Sie sie mal daran, worauf ihre Pensionen beruhen ... Was, glauben Sie, bringt uns eine steigende Wirtschaftsleistung?
- Weniger Analphabeten und dafür mehr Telefone, mehr PCs und Internetzugänge, mehr Fernsehapparate, mehr Handys, mehr Zeitungen und mehr Fahrzeuge.
- Eine veränderte Erwerbstätigkeit: Über 80 % der Bevölkerung sind bei hohem SBIP in der Dienstleistung tätig, nur 5 % in der Landwirtschaft und nur 15 % in der Industrie.
- Mehr Energieverbrauch. Aber die Bereitschaft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen nimmt ab. Wo 10 000 $ pro Kopf und Jahr erreicht werden, können wir friedlich leben.
- Glücklichere Menschen. 32 % der Oberschicht, aber nur 19 % der Unterschicht fühlen sich rundum wohl.
- Die technische Evolution. Welcher Kulturschub uns bevorsteht, steht noch in den Sternen.
Wir haben von allem genug
Es ist nur leider nicht gleichmässig verteilt. Alle Menschen sollten das gleiche SBIP haben. Aber viele haben nicht genug zu essen. Daran ist nicht die Überbevölkerung schuld, sondern die Politik. Sie möchten, dass reiche Staaten Nahrungsmittel in arme Länder exportieren? So funktioniert Ernährungspolitik nicht. Hilfe zur Selbsthilfe ist nach wie vor die beste Lösung. Und organisatorisch-logistischer Wille. Dann braucht niemand auf der Welt zu hungern. Die Wissenschaft zeigt uns immer wieder neue Wege, um die Erträge zu steigern.
„Die mit Abstand wichtigste Folge steigender Wirtschaftsleistung ist der Rückgang des Bevölkerungswachstums.“
Haben Sie Angst, dass die Rohstoffe sich erschöpfen? Auf der Erde geht nichts verloren, für alles gibt es entweder Kreisläufe, die die Rohstoffe immer wieder verwendbar machen, oder es gibt einen brauchbaren Ersatz. Ausserdem ist der Vorrat unvorstellbar gross. Und dort, wo der Vorrat kleiner wird, entdeckt die menschliche Erfindungskraft eine Alternative – oder neue Rohstoffvorkommen. Wenn die Grenzen des Wachstums erreicht wären, hätten wir Metalle wie Gold und Silber schon gar nicht mehr. In Wirklichkeit gibt es ein Überangebot davon! Und dann wären da ja auch noch die nachwachsenden Rohstoffe (NWR): 300 Mrd. Tonnen Biomasse produziert die Natur jährlich. Wir nutzen davon winzige 6 Mrd. Tonnen. Warum weichen wir nicht längst auf NWR aus? Weil Erdöl so billig ist.
„Wachstum verlagert sich von der Menge auf die Qualität.“
Ohne Energie läuft nichts. Im Jahr 2050 werden wir möglicherweise dreimal so viel davon verbrauchen wie heute. Wir brauchen eine globale Energie-Governance. Welches sind die wettbewerbsfähigen Alternativen zu konventionellen Energien? Energie- und Geopolitik müssen Hand in Hand arbeiten. Und weil in den Regionen um das Kaspische Meer die grössten Erdölvorräte schlummern, muss dort das Pro-Kopf-BIP steigen, denn nur das sichert den Frieden. Sie träumen von erneuerbarer Energie aus Wasser, Wind, Biomasse und anderen nachwachsenden Rohstoffen? Noch ist sie gegenüber fossiler Energie zu teuer, aber die EU, USA und Japan fördern ihre Herstellung. In 50 Jahren werden 6 % aller Erwerbstätigen mit der Energiegewinnung beschäftigt sein. Warum sparen Sie Energie? Weil Energie künftig wohl mehr kosten wird. Nicht, weil es zu wenig davon gibt.
Wachstum heisst Ausdehnung
Und wohin, bitte schön? Es gibt genug Platz auf diesem Planeten. Die Landwirtschaftsfläche könnte um das Dreifache ausgedehnt werden. Muss sie aber nicht, weil die Hektar-Erträge ansteigen. Die Verkehrsfläche dagegen muss wachsen, weil wir mit zunehmender Wirtschaftsleistung mobiler werden. Das erhöht zwar die lokale Umweltbelastung, aber eben dank steigender Wirtschaftsleistung werden wir auch in der Lage sein, Wasser und Luft sauber zu halten und den Müll umweltgerecht zu entsorgen. Wenn das globale BIP steigt, verändert sich die Atmosphäre. Warum? Weil FCKW, CO2 und Methan ihr gewaltig zusetzen. Erfreulicherweise aber haben wir bereits angefangen, diese Gase zu reduzieren. Wann werden wir kein CO2 mehr freisetzen? Wenn wir Technologien sichergestellt haben, die uns mit Energie aus nachhaltigen Quellen beliefert.
Die Industrialisierung ist schuld
Weil sie gleichzusetzen ist mit der Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes pro Kopf und Jahr auf ein Mehrfaches. Möchten Sie so leben wie die Amish-People? Zweifellos machen die Industrienationen viele Fehler, und es gibt eine Menge Verbesserungsmöglichkeiten. Aber wir haben mehr Fortschritt, mehr Frieden, mehr Freiheit. Und Wettbewerb an jeder Ecke. Es gibt Arme und Reiche – aber vorher gab es v. a. Arme – und wenn wir neue Arbeitsplätze schaffen wollen, dann brauchen wir neue Produkte und Dienstleistungen. Wachstum ist notwendig, sonst kann das SBIP nicht steigen. Aber Wohlstand macht nicht nur glücklich, er verbessert auch das Leben auf diesem Planeten. Nur wo kein Wohlstand herrscht, explodiert das Bevölkerungswachstum. Und das ist unser grösstes Problem, nicht Energie und materielle Ressourcen. Wie bekommen wir all das in den Griff? Mit steigendem SBIP!
„Mit ausreichendem Einkommen der Bevölkerungsgruppen und mit Deviseneinnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit kann auch das Problem der Bezahlung von global vorhandenen Nahrungsmitteln gelöst werden.“
Wohlstand heisst auch, Raum für andere Arten zu lassen und diese zu schützen, denn wir haben erkannt, dass es wichtig ist, den Genpool zu erhalten. Wir haben auch erkannt, wie wichtig der Erhalt ethischer Werte ist. Wann sind Sie am ehesten geneigt, mit anderen zu teilen? Wenn Sie viel besitzen. Was würde aus den armen Ländern ohne die Hilfe der reichen? Die Erweiterung der EU beweist, dass reiche Länder bereit sind, die ärmeren zu unterstützen. Jeder soll nach seinen Vorstellungen leben können. Erst das SBIP hat die ethische Revolution in Gang gesetzt. Und dadurch unterscheiden wir uns von anderen biologischen Arten: Wir sorgen uns um Mensch und Natur und wir gehen nicht auf jeden Fremden mit gefletschten Zähnen los. Wir begegnen ihm freundlich. Wir brauchen ihn. Schliesslich betreiben wir Marktwirtschaft.