Ingredient Brands kennt jeder
Teflon, Lycra, Gore-Tex oder Intel – jeder kennt die großen Ingredient Brands. Während im klassischen Branding das Endprodukt zur Marke wird, ist es beim Ingredient Branding eine Komponente: die atmungsaktive Gore-Tex-Membran in der Jacke, der Intel-Prozessor im Computer, die Teflon-Beschichtung der Pfanne, die Lycra-Elastikfaser in den Kleidern. Obwohl diese Komponenten oft unsichtbar sind, werden sie gezielt beworben und damit in die Wahrnehmung des Endverbrauchers gerückt. Oft sind zwei Logos auf einem Produkt angebracht, das des Herstellers und zusätzlich das des Ingredient Brand. Ähnlich wie beim Co-Branding, bei dem sich zwei Marken zusammentun, die sonst eigenständig auf dem Markt agieren, wollen sich auch beim Ingredient Branding beide Unternehmen gemeinsam besser auf dem Markt positionieren. Doch der Begriff des Ingredient Branding ist enger gefasst als der des Co-Branding, weil er nur Komponenten, aber keine eigenständigen Endprodukte umfasst.
„Der Ursprung des Ingredient Branding ist in den Bestrebungen der Hersteller von Zwischenprodukten, die ihrer Marke eine Identität verleihen wollten, zu finden.“
Weil Ingredient Branding normalerweise auf den Endverbraucher zielt, ist der Marketingansatz ein mehrstufiger. Die Maßnahmen richten sich also nicht direkt an den unmittelbaren Abnehmer (einstufiges Marketing), beispielsweise an den Hersteller der Jacke, die mit Gore-Tex ausgestattet werden soll. Vielmehr wenden sich die Marketing-Maßnahmen direkt an den Endverbraucher, auch wenn der die unverarbeitete Gore-Tex-Membran in Reinform weder brauchen noch kaufen kann. Obwohl das Produkt des Komponentenherstellers also im Endprodukt regelrecht verschwindet, wird diese Komponente beim Endkunden beworben. Dadurch soll ein Nachfragesog erzeugt werden – im besten Fall kauft der Verbraucher dann nur noch Regenjacken mit Gore-Tex-Ausstattung oder Computer mit „Intel inside“. So wird der Hersteller des Produkts quasi gezwungen, genau diese Komponenten in seinen Produkten zu verarbeiten, und das beschert dem Lieferanten der Komponente ein sattes Absatzplus. Außerdem kann man für ein Ingredient-Brand-Produkt höhere Preise verlangen als für eine No-Name-Komponente.
„Der Aufbau eines Ingredient Brand lohnt sich für ein Zulieferunternehmen nur, wenn die Zulieferkomponente einen eigenständigen Nutzenvorteil aufweist.“
Manchmal wird das Ingredient Branding aber auch vom Hersteller genutzt, als Inverse Ingredient Branding. In diesem Fall will ein Hersteller seine Produkte dadurch aufwerten, dass er Komponenten bekannter Zulieferer verwendet. Natürlich muss die Qualität dann wirklich halten, was die Werbung verspricht. Ein bekanntes Beispiel ist das Unternehmen McDonald’s, das im Rahmen einer Qualitätsoffensive massiv damit geworben hat, dass die meisten Produkte auf dem Plastiktablett von bekannten Markenlieferanten stammen. Oft wollen auch schwache, unbekannte Hersteller, die über keine eigenständige Marke verfügen, so ihre Produkte aufmotzen. Bestes Beispiel sind die No-Name-Computer aus dem Discounter, die alle mit dem Intel-Aufkleber für sich werben.
Der Ingredient-Branding-Prozess
Der typische Verlauf eines Ingredient-Branding-Prozesses sieht wie folgt aus:
- Kreditaufnahme/Rufausbeutung: Zuerst bietet in der Regel der (unbekannte) Komponentenhersteller dem (namhaften) Endprodukthersteller eine Kooperation an. Er will vom guten Namen des Endherstellers profitieren und bietet im Gegenzug Preisnachlässe oder Werbekostenzuschüsse.
- Durchbruch/Bewährung: Der Zulieferer wird zunehmend bekannt und damit vom Endprodukt unabhängiger.
- Kreditrückzahlung/Synergie: Beide Marken sind gleichwertig.
- Fiesco-Effekt: Die Zulieferermarke ist namhafter als die Endproduktmarke und damit nicht mehr auf den ursprünglichen Kooperationspartner angewiesen. Im schlimmsten Fall verliert die Marke des Endprodukts an Bedeutung.
„Das Markenkonzept für ein Ingredient Brand unterscheidet sich kaum vom Markenkonzept eines herkömmlichen Hauptprodukts.“
Der Aufbau eines Ingredient Brand erfolgt in weiten Teilen analog zum klassischen Markenaufbau. Zunehmend geht es dabei um die Schaffung einer so genannten Kompetenzmarke, die sich nicht nur auf einzelne Produkte, sondern auf das gesamte Unternehmen bezieht. Dadurch erzielt man neben höheren Einnahmen weitere positive Effekte: Die Reputation des Unternehmens steigt, das Rating verbessert sich, die Mitarbeitergewinnung und der Aufbau von weiteren Geschäftskontakten werden einfacher. Im Ergebnis rechnen sich so die immensen Investitionen in den Markenaufbau. Entscheidend für den Erfolg ist eine klare und konsequente Positionierung der Marke, damit diese eine Wahrnehmungsnische in den Köpfen der Kunden besetzt und nicht in der Masse der Marken untergeht.
„Die Markierung des Vorprodukts ist in aller Regel eine entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches mehrstufiges Marketing.“
Die Besonderheiten des Ingredient Branding sind einerseits der mehrstufige Kommunikationsprozess, andererseits die Tatsache, dass die Komponenten normalerweise gar nicht wahrnehmbar sind und ihre Relevanz erst einmal an den Endverbraucher kommuniziert werden muss.
Damit hat der Komponentenhersteller automatisch ein Glaubwürdigkeitsproblem, da der Endkunde die Leistung der Komponente oft nicht direkt prüfen kann. Je nach Produkt gibt es verschiedene Strategien, um diesem Problem zu begegnen: Man kann z. B. durch geschickt gewählte Maßnahmen die Qualität der Komponente erfahrbar machen oder sie über Gütesiegel vermitteln.
Entscheidungskriterien für Ingredient Branding
Markenstrategien sind im Konsumgüterbereich inzwischen fast überall etabliert, im B2B-Bereich gibt es dagegen noch viel Nachholbedarf. Beispielsweise ist im Automobilsektor, speziell im Oberklassebereich, noch viel Potenzial ungenutzt, über Ingredient Brands einen echten Mehrwert zu bieten. Es hängt natürlich vom Einzelfall ab, ob eher eine klassische B2B-Marke, die sich an den Hersteller richtet, oder besser ein Ingredient Brand, das auch beim Endverbraucher bekannt ist, aufgebaut werden soll. Grundsätzliche Bedingung für ein erfolgreiches Ingredient Branding ist, dass von der Komponente überhaupt ein kaufentscheidender Nutzen für den Endverbraucher ausgeht. Ein Hersteller von Autobremsen kann es beispielsweise durchaus mit Ingredient Branding versuchen, der Hersteller des Kosmetikspiegels in der Sonnenblende wird dagegen mit einem solchen Ansatz wahrscheinlich scheitern – dem Autokäufer ist die Marke dieses Spiegels schlicht und ergreifend egal. Weitere Entscheidungskriterien sind:
- Wettbewerbsintensität: Je höher diese ist, desto weniger lohnt sich der teure Markenaufbau.
- Stärke der Herstellermarke: Je stärker diese ist, desto schwieriger ist das Ingredient Branding, weil der Hersteller eine Schwächung seiner eigenen Marke befürchtet.
- Kompatibilität der Markenkonzepte: Die Markenwelten von Endprodukt und Komponente dürfen sich nicht widersprechen.
- Markierungsmöglichkeiten, um die Komponente für den Endverbraucher sichtbar zu machen: Dies geschieht in der Regel durch Aufkleber, Anhänger usw., manchmal auch durch farbliche Markierung oder besondere Gestaltung, die dann im fertigen Produkt noch sichtbar ist.
Verschiedene Einsatzbereiche
Ingredient Branding ist keineswegs nur auf Produkte beschränkt, sondern kann auch im Dienstleistungsbereich eingesetzt werden. Ein Problem der Dienstleistung ist ja bekanntlich, dass man sie nicht sehen und anfassen kann. Das Service-Ingredient-Brand dagegen muss selbst keine Dienstleistung, sondern kann auch materiell sein. So werben beispielsweise Fitnessstudios damit, dass sie nur Markengeräte einsetzen. Durch Service-Ingredient-Branding kann man einerseits die Qualität der Dienstleistung verbessern: Der Kunde nimmt das Angebot eher als hochwertig wahr und die Kaufrisiken werden reduziert. Andererseits kann Service-Ingredient-Branding auch in der eigentlichen Leistungserstellung eingesetzt werden (z. B. durch Verwendung von Originalteilen bei einer Reparatur). Immaterielle Service-Ingredient-Brands gibt es ebenfalls. Beispiele sind Gütesiegel und Zertifikate, etwa eine zertifizierte Tauschschule. Grundsätzlich problematisch ist beim Service-Ingredient-Branding (wie beim Ingredient Branding überhaupt) die Qualitätskontrolle: Schwächelt einer der beiden Partner, hat das negative Rückwirkungen auf den anderen.
„Eine bekannte und vertraute Marke dient dem Endkunden als Indikator für die zu erwartende Dienstleistungsqualität.“
Auch bei klassischen, schnell konsumierten Markenprodukten kann das Ingredient Branding eine überlegenswerte Option sein, um den Umsatz zu erhöhen und die Reputation zu verbessern. Das funktioniert allerdings nur, wenn sich beide Marken nicht wechselseitig beschädigen. Ein klassisches Beispiel ist der WC-Duftstein im Designerkleid: Der WC-Surfer von Henkel und Alessi spülte viel Geld in die Kassen beider Unternehmen. Sogar im Handelsmarketing kann das Ingredient Branding eine Erfolg versprechende Strategie sein. Jeder kennt die austauschbaren No-Name-Produkte, die als Eigenmarken von den verschiedenen Supermarktketten verkauft werden. Durch ein geschicktes Ingredient Branding können diese Eigenmarken aufgewertet werden. Außerdem kann die Eigenmarke positiv gegen die der anderen Anbieter abgegrenzt werden und – im Idealfall – der Händler als Alleinanbieter dieser hochwertigen Eigenmarken ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen.
Marketing-Maßnahmen
Die Marketingmaßnahmen des Ingredient Branding zielen in den meisten Fällen auf den Endkunden. Dabei sind die Werkzeuge des Dialogmarketings oft sehr erfolgversprechend. Darunter versteht man alle Formen des Marketings, die auf eine Antwort des Adressaten abzielen, also beispielsweise Mailings oder Gewinnspiele. Neben den klassischen Medien (Zeitung, TV, Telefon, Fax, Brief usw.) kommen dabei zunehmend die neuen Medien ins Spiel (E-Mail, Foren, Chats, SMS usw.). Diese Werkzeuge bieten oft gute Möglichkeiten, die verborgenen Qualitäten einer Komponente erfahrbar zu machen. So verschickte man beispielsweise mit Nutrasweet gesüßte Gummibärchen, um den Verbrauchern einen Geschmackstest zu ermöglichen.
„Der konsequente Einsatz der sechs Bausteine einer Markenarchitektur verzinst das Markenkapital besonders effizient.“
Der Markenaufbau des Ingredient Brand unterscheidet sich nicht wesentlich vom Aufbau einer normalen Marke. Der große Vorteil ist der noch relativ schwach besetzte Markt: Wenn es um die Verankerung neuer Ingredient Brands geht, haben Anbieter, die jetzt loslegen, die besten Chancen, das Terrain zu besetzen. Wie beim normalen Branding auch, geht es um folgende Bausteine der Markenarchitektur:
- Schaffung einer eingängigen Wortmarke, wobei sprechende Bezeichnungen besser sind als abstrakte Begriffe. Letztere kosten erst einmal viel Geld, um zu kommunizieren, worum es sich eigentlich handelt.
- Entwicklung einer Bildmarke, wobei es bei Ingredient Brands besonders wichtig ist, dass diese auch auf verschiedenen Materialien gut aussieht.
- Wahl einer Markenfarbe, was eine heikle Aufgabe darstellt, weil die Auswahl grundsätzlich beschränkt, ein zügiges und konsequentes Besetzen der Farbe also besonders relevant ist.
- Wahl des Markenversprechens,
- Aufbau einer (emotionalen) Markenwelt und
- Aufbau einer Hörmarke (Jingle), was u. a. wegen des Internets zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Prof. Dr. Roland Mattmüller lehrt an der European Business School in Oestrich-Winkel. Bernd M. Michael ist Inhaber des BMM Büro für Markenarchitektur in Düsseldorf. Juniorprofessor Dr. Ralph Tunder lehrt ebenfalls an der European Business School.