Strategic Foresight als Entscheidungsgrundlage
Mit Strategic Foresight werfen Unternehmen einen Blick auf die Chancen und Risiken, die die Zukunft für sie bereithält. Von Interesse sind Kundenbedürfnisse, Technologien, Gesetze, Lebensgewohnheiten, Märkte usw. Die durch diese Trend- und Zukunftsforschung gewonnenen Erkenntnisse fließen unmittelbar in die strategischen Entscheidungen ein und lösen Veränderungen aus. Erfolgreich sind mit dieser Methode vor allem jene Unternehmen, denen es gelingt, die strategische Zukunftsforschung langfristig organisatorisch zu implementieren und zu institutionalisieren. Drei Ansätze werden unterschieden:
- Strategic Foresight kann zur Umfeldanalyse genutzt werden. Es werden Fragen zur Entwicklung des Unternehmensumfeldes beantwortet.
- Strategic Foresight lässt sich als Lernprozess implementieren. Dabei werden bestehende Denkmuster in verschiedenen Zukunftsszenarien auf den Prüfstand gestellt, um so Chancen und Risiken zu erkennen.
- Beim Ansatz der Visionsbildung werden gemeinsame Zukunftsvorstellungen entwickelt. Die Zukunft gilt hierbei als beeinfluss- und gestaltbar.
Organisatorische Umsetzung
Isoliert angewandt nützt Strategic Foresight wenig. Entsprechende Methoden müssen organisatorisch im Unternehmen verankert werden. Vielfach geschieht das in den Bereichen Unternehmensentwicklung, Strategische Planung oder Risikomanagement. Für den Ablauf des Foresight-Prozesses empfiehlt sich ein Drei-Phasen-Modell: In der ersten Phase sammeln Sie Informationen und fassen diese zusammen, sodass für Ihr Unternehmen zukunftsrelevantes Wissen entsteht. In der zweiten Phase interpretieren Sie das Wissen so, dass Sie daraus künftige Aktivitäten ableiten können. In der dritten Phase setzen Sie das Wissen in konkrete Maßnahmen um. Die Informationen können Sie mit Methoden unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche gewinnen. Bekannt sind Mindmapping, Szenarientechnik, Wildcards oder Gaming bzw. Simulationen. Die Zahl der Informationsquellen ist immens. Je nach Bedarf stehen Ihnen Fachdatenbanken, eigene Mitarbeiter, Kunden, statistische Ämter, Wissenschaftler und vieles mehr zur Verfügung.
„Mit Strategic Foresight sind die Aktivitäten eines Unternehmens angesprochen, mit denen es sich ein besseres Verständnis seiner Zukunft zu verschaffen versucht.“
Auch die Frage nach der kulturellen Prägung Ihres Foresight-Teams müssen Sie klären. Sie hängt maßgeblich von der Kultur des Unternehmens und den Aufgaben des Teams ab. Je nach Spezialisierung auf bestimmte Wissensbereiche kann das Team homogen (sehr spezialisiert) oder heterogen (mehrperspektivisch) aufgebaut sein. Ein autonomer Thinktank beispielsweise fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit und das kollektive Experimentieren der Mitglieder, während das Team als „Corporate Function“ eher in einem streng abgezirkelten Rahmen arbeitet und überwiegend aus analytisch versierten Experten besteht.
„Bei Strategic Foresight handelt es sich nicht nur um reine Methodenanwendung oder Analyseaktivität. Vielmehr beschreibt das Konzept einen organisatorischen, entscheidungsunterstützenden Prozess, der auf das langfristige Unternehmensumfeld ausgerichtet ist.“
Die letzte wichtige organisatorische Frage ist die nach der Einbindung von Strategic Foresight in die strategische Entscheidungsfindung. Unterstützt Strategic Foresight Entscheidungen auf der Ebene des Gesamtunternehmens, geht es meist um strategische Innovationsentscheidungen oder um Fragen der Diversifikation. Kommt die Foresight-Funktion dagegen auf der Ebene der Geschäftseinheiten zum Einsatz, handelt es sich vorwiegend um wettbewerbs- und marktstrategische Entscheidungen. Auf der funktionalen Ebene schließlich werden Entscheidungen zum Alltagsgeschäft getroffen, beispielsweise zur Produktionsstrategie.
Internationale Umfrage
Eine Befragung von 40 internationalen Unternehmen ergab, dass drei Viertel davon strategische Foresight-Prozesse für ihre Langzeitplanung einsetzen. Mehr als die Hälfte der Befragten unterstützt damit auch die strategische Früherkennung sowie langfristig ausgerichtete Innovationsprozesse. Organisatorisch verankert wurde die Foresight-Funktion von den Befragten überwiegend mit einer speziell dafür geschaffenen Abteilung. Elf Unternehmen haben die Funktion in eine bestehende Abteilung eingegliedert. Wie andere Prozesse auch unterliegen Foresight-Prozesse natürlich einem Wandel: Bei 80 % der Befragten hat sich der Prozess während der letzten fünf Jahre verändert. Am häufigsten lag dieser Wandel im organisatorischen Bereich, in neuen Wettbewerbsbedingungen, in Veränderungen im Management oder in einem Strategiewechsel. Mehr als zwei Drittel der Befragten haben im Zuge des Wandels eine Leistungsverbesserung beobachtet. In den meisten Fällen fließen die Foresight-Erkenntnisse in Entscheidungen auf der Konzern- und Geschäftseinheitsebene ein.
Ergebnisse verschiedener Fallstudien
Beim Automobilkonzern DaimlerChrysler wurde Strategic Foresight von der Society and Technology Research Group (STRG) betrieben, die sich als projektbezogen arbeitender Thinktank verstand. Die sozialwissenschaftlich ausgerichtete Zukunfts- und Umfeldforschung unterstützte sämtliche Strategie- und Produktionsentwicklungsprozesse auf Gesamtunternehmens-, Geschäftseinheits- und Funktionalebene. Wichtige Aufgaben waren die Frühaufklärung über Chancen und Risiken in Bezug auf Innovationen und Investitionen, die Bereitstellung von Informationen über langfristige Marktentwicklungen wichtiger Regionen und Länder sowie von Wissen über künftige Kundenbedürfnisse. Ab 1991 arbeitete die STRG mit ihren rund 35 Mitarbeitern als Cost-Center und strebte Kostendeckung an. Sie finanzierte sich durch Kundenaufträge, die unternehmensintern, aber auch extern akquiriert wurden.
„Finden strategische Foresight-Aktivitäten organisatorisch isoliert statt (meist deshalb nur temporär), laufen sie schnell Gefahr, ihren Rückhalt im Unternehmen und dadurch auch ihre Wirksamkeit und interne Akzeptanz zu verlieren.“
Die STRG hat insgesamt drei Anpassungsprozesse durchlaufen. Beim ersten ging es um die verstärkte Einbindung in Produktentstehungsprozesse. Beobachtungen zu produktrelevanten Marktveränderungen flossen dabei in die Entwicklung der fahrzeugübergreifenden Strategie ein. Im zweiten Anpassungsprozess wurden die Foresight-Aktivitäten stärker internationalisiert. Die Beobachtungsfelder wurden geografisch ausgeweitet, um ein besseres Verständnis für globale Entwicklungen zu gewinnen. In dieser Phase rekrutierte die Abteilung auch ihre Mitarbeiter verstärkt international. Wegen zyklischer Nachfrageschwankungen und eines wachsenden internationalen Wettbewerbsdrucks Anfang der 90er Jahre richtete die STRG ihre Tätigkeiten immer mehr auf die Unterstützung des Fahrzeuggeschäfts aus. Stand früher die Neugeschäftsentwicklung im Vordergrund, wurde mit dieser dritten Anpassung die produktstrategische Perspektive immer wichtiger.
„Die Szenarientechnik wird zur Bildung eines allgemeinen, langfristigen Zukunftsverständnisses genutzt, welches als Ausgangs- und Grundlage der weiteren Foresight- und Strategiearbeit dient.“
Auch bei TUI, BASF, der Deutschen Bank und Hilti wurden Fallstudien zu Strategic Foresight durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Funktion in sehr unterschiedliche Unternehmensbereiche eingebettet ist. Bei TUI gehört sie zur Abteilung Corporate Research & Innovation (CRI) innerhalb des Group-Marketings. Das Macro Trends Team (MTT) der Deutschen Bank ist Teil einer geschäftsübergreifenden Forschungseinheit des Konzerns. Auch bei BASF und Hilti ist Strategic Foresight auf Konzernebene angesiedelt. Hier gibt es spezialisierte Foresight-Einheiten, teilspezialisierte Einheiten, die auch Fremdfunktionen ausüben, und Strategieeinheiten, die Foresight als eine von mehreren Aufgaben wahrnehmen. Auch die Finanzierung ist unterschiedlich. Die Hilti-Foresight-Abteilung lebt vom Budget der Corporate-Development-Abteilung. Bei TUI, BASF und der Deutschen Bank fließt das Geld ebenfalls aus einem Global- oder Eigenbudget.
„Mit zunehmendem Druck zu strategischer Diversifikation des Unternehmens sollte der Foresight-Prozess gegenüber den strategischen Entscheidungsprozessen in strategischen Initiativen aller Unternehmensebenen geöffnet werden.“
In den genannten Unternehmen läuft ein Foresight-Prozess gewöhnlich in drei Phasen ab: Initiierungs-, Modellierungs- und Finalisierungsphase. Nach der Projekt- oder Studieninitiierung geht es bei der Modellierung um die Methoden, die für den Blick in die Zukunft zum Einsatz kommen. Oft sind es Trendanalysen und die Szenarientechnik. Gerade bei langfristigen, nicht unbedingt strategierelevanten Zukunftsbetrachtungen hat Letztere sich bewährt. Auf Trendanalysen greifen die Verantwortlichen zurück, wenn einzelne strategisch relevante Entwicklungen identifiziert werden sollen. In der Phase der Finalisierung werden die Ergebnisse aufbereitet und mit den Kunden diskutiert.
„Strategische Foresight-Prozesse sollten so ausgestaltet werden, dass sie sowohl über eine genügende kurzfristige inhaltlich-methodische als auch eine langfristige organisatorisch-institutionelle Flexibilität verfügen.“
Bei TUI werden Foresight-Ergebnisse für diverse strategische Initiativen genutzt. BASF, Hilti und die Deutsche Bank unterstützen mit Foresight vornehmlich die strategische Planung des Gesamtunternehmens und der Geschäftseinheiten. Gerade dort, wo die Foresight-Ergebnisse in den Planungsprozess des Gesamtunternehmens einfließen, dürfen nicht alle Abteilungen auf die Analysen zugreifen. Bei BASF beispielsweise können nur Teilnehmer des strategischen Dialogs die Dienstleistungen beanspruchen, bei Hilti ist es nur das Executive-Management-Team. Dagegen stehen die Leistungen von TUI CRI und MTT grundsätzlich allen im Unternehmen zur Verfügung.
Gestaltungsgrundsätze für Foresight-Prozesse
Aus Umfragen und Fallstudien lassen sich die folgenden Gestaltungsgrundsätze für Foresight-Prozesse ableiten.
- Anpassung an die Unternehmensstrategie: Für eine optimale Leistung sollte sich der Foresight-Prozess der strategischen Diversifikation des Unternehmens anpassen. Nimmt die Diversifikation zu, unterstützt der Prozess die strategische Entscheidungsfindung auf allen Unternehmensebenen: Neben einem breiteren Themenspektrum werden auch vielfältigere Methoden eingesetzt, mehr Kunden akquiriert und das Team diversifiziert. Fokussiert sich das Unternehmen dagegen stärker, betritt auch die Foresight-Funktion – methodisch, thematisch, organisatorisch und kulturell – enger abgesteckte Pfade.
- Anpassung an den Strategieprozess: Die Foresight-Funktion muss sich zudem der Innen- oder Außenausrichtung der strategischen Planung anpassen. Nimmt die Außenausrichtung zu, sollte sich auch die Foresight-Funktion nach außen öffnen. Bei zunehmender Innenausrichtung empfiehlt sich der Fokus auf das Unternehmensinnere.
- Anpassung an die Rahmenbedingungen: Inwieweit sich die Leistungsfähigkeit der Foresight-Funktion durch Prozessanpassungen erhöht, hängt davon ab, wie sehr die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Prozessöffnungen vergrößern vor allem dann die Effektivität der Foresight-Prozesse, wenn sich das Unternehmen stärker diversifiziert bzw. sich in seiner Planung nach außen orientiert. Eine Fokussierung macht Prozesse dann effizienter, wenn sich auch das Unternehmen stärker fokussiert oder in seiner Planung stärker nach innen ausrichtet.
- Förderung der Flexibilität: Weil Leistungsfähigkeit und Anpassung an die Rahmenbedingungen des Unternehmens unmittelbar zusammenhängen, ist Flexibilität eine entscheidende Erfolgsgröße für Foresight-Funktionen. Durch inhaltlich-methodische Flexibilität lässt sich auf einen kurzfristig veränderten Wissensbedarf reagieren. Die organisatorisch-institutionelle Flexibilität sichert die langfristige Entwicklung der Foresight-Funktion.
- Mechanismus zur Wahrnehmung von Anpassungsbedarf: Um den Bedarf einer Anpassung rechtzeitig zu erkennen, müssen Sie entsprechende Wahrnehmungsmechanismen etablieren. Das sind beispielsweise Projekt-Controlling-Systeme oder Messungen von Leistungsvorgaben und -indikatoren. Größere Norm- und Sollabweichungen können auf die Notwendigkeit einer Anpassung hindeuten.
Dr. Adrian W. Müller arbeitet als Dozent für strategische Trend- und Zukunftsforschung im Departement Design der Zürcher Hochschule der Künste. Daneben gründete er das Beratungsunternehmen noocleus in Zürich. Prof. Dr. Günter Müller-Stewens ist am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität St. Gallen tätig. Er ist Koautor des Buches Strategisches Management.