Keine Verhandlung ohne systematisches Vorgehen
Nicht allen Menschen ist klar, wie sehr Verhandlungen ihren Arbeitsalltag bestimmen. Oft sind Mitarbeiter in Unternehmen gar nicht richtig geschult in Sachen Verhandlungsführung und Verhandlungsmanagement. Letzteres nimmt für sich in Anspruch, umfassend in den betriebswirtschaftlichen Kontext eingegliedert zu sein; die eigentliche Verhandlungsführung dagegen fokussiert den Gesprächsverlauf oder die psychologischen Aspekte. Unternehmen können viel Zeit, Kosten und Arbeitskraft sparen, wenn sie sich nicht nur auf das Verhandlungsgeschick ihrer Mitarbeiter verlassen, sondern ein systematisches Verhandlungsmanagement einführen.
Schritt 1: Die Analyse
Wenn Sie Verhandlungsmanagement systematisch betreiben möchten, müssen Sie im ersten Schritt die Ausgangssituation erfassen. Prüfen Sie, wie relevant die anstehende Verhandlung sein wird. Ist das Ergebnis für Ihr Unternehmen von großer Bedeutung, so ist der Einsatz eines systematischen Verhandlungsmanagements dringend anzuraten. Gleiches gilt, wenn die Verhandlung als besonders schwierig oder kompliziert angesehen wird. Sie sollten außerdem Informationen sammeln über:
- das Unternehmen, mit dem Sie verhandeln werden,
- das Verhandlungsobjekt (z. B. Produkte, Tarife, Preise, Lieferungen),
- diejenigen Personen, die die Verhandlung führen,
- frühere Verhandlungen und ihre Ergebnisse.
„Trotz der unstrittigen Bedeutung, die Verhandlungen für Unternehmen zukommt, standen diese bislang häufig nicht im Mittelpunkt des Managementinteresses.“
Mit diesen Informationen werden Sie die anstehende Verhandlung adäquat bewerten können.
Schritt 2: Die Organisation
Im zweiten Schritt geht es um drei wesentliche Punkte: Mit welchen Parteien werden Sie verhandeln? Mit welcher Art von Team gehen Sie in die Verhandlung? Wie wird die Aufgabenverteilung im Team aussehen?
- Die gegnerischen Parteien: Sie können grundsätzlich mit mehreren Parteien auf einmal (multilateral) oder mit jeweils einer Partei (bilateral) verhandeln. Ersteres mag komplizierter sein, dafür aber evtl. zeitsparender (wenn Sie z. B. bei einem Computereinkauf gleichzeitig mit mehreren Anbietern verhandeln). Bilaterale Verhandlungen sind in der Regel weniger komplex und leichter zu managen.
- Ihr Verhandlungsteam: Besonders wichtige Verhandlungen werden fast nie nur von einer Person geführt, sondern von einem Team, in dem sich Personen mit einem möglichst unterschiedlichen sozialen, fachlichen, geschlechtlichen und kulturellen Hintergrund befinden. Je heterogener das Team, desto besser die Verhandlungsergebnisse für das Unternehmen; das haben mehrere internationale Studien bewiesen.
- Die Aufgabenverteilung: In einem Team kann es – ganz bewusst besetzte – Rollen geben, mit denen bestimmte Aufgaben einhergehen. Diese Rollen sind:
- Decision Maker: Er trifft Entscheidungen und trägt die Verantwortung.
- Der Negotiator: Er führt die Verhandlung, weist allerdings darauf hin, dass er nicht der endgültige Entscheider ist.
- Der Commander: Er ist bei der Verhandlung anwesend, bleibt aber im Hintergrund, notiert die Aussagen und den Verlauf der Verhandlung und bespricht diese in Verhandlungspausen mit dem Negotiator.
- Der Organizer: Er legt die Verhandlungstermine und die Dauer fest und sorgt für die Rahmenbedingungen.
- Der Influencer: Er hat keine unmittelbare Entscheidungsbefugnis, seine Meinung beeinflusst jedoch die der anderen Teammitglieder (z. B. aufgrund von Seniorität, Unternehmenszugehörigkeit, Erfahrung, Persönlichkeit).
- Der Gatekeeper sorgt für den Informationsfluss im Team oder zwischen den Teams. Ihn findet man oft bei Tarifverhandlungen.
- Schließlich gibt es noch die Rolle des Affectors: Er ist von den Verhandlungsentscheidungen am stärksten betroffen.
„Die Verhandlungsvorbereitung stellt eine, wenn nicht sogar die entscheidende Phase des Verhandlungsmanagements dar.“
Mit der Teamzusammensetzung wird zugleich auch weitgehend über die Aufgabenverteilung entschieden. Dabei können Sie die Aufgaben entweder nach einer fachlichen, prozessualen oder aber nach einer entscheidungsbezogenen Eignung der Mitglieder aufteilen. Wichtig ist bei alledem, dass sich jedes Teammitglied seiner Rolle und seiner Aufgabe stets bewusst ist.
„Interessant ist, was sich über die Verhandlungsführenden der Verhandlungspartner im Vorfeld an Informationen generieren lässt.“
Ein in der Praxis ausgiebig erprobtes Modell ist das sogenannte FBI-Konzept, das aus der amerikanischen FBI-Academy, der Schulungsinstitution der Bundespolizei, stammt und auf Verhandlungen zwischen Geiselnehmern und Polizei basiert. Beim FBI-Konzept werden nicht nur die jeweiligen Aufgaben der Teammitglieder bestimmt, sondern darüber hinaus auch eine interne Verhandlungs- und eine externe Entscheidungsebene etabliert. Der Verhandelnde kann in diesem Modell also niemals allein eine Entscheidung fällen. So soll sichergestellt werden, dass der Entscheider auf der externen Ebene möglicherweise eine noch bessere Lösung finden kann als der unmittelbar im Verhandlungsprozess stehende Negotiator. Dieses Konzept wurde erfolgreich in die Geschäftspraxis übertragen, insbesondere bei Tarifverhandlungen.
Schritt 3: Die Vorbereitung
Im Verhältnis zur späteren Durchführung der Verhandlung ist ihre Vorbereitung um ein Vielfaches wichtiger und sollte entsprechend viel Zeit in Anspruch nehmen. Grundsätzlich geht es um die Vorbereitung dreier Komplexe:
- Worüber verhandelt werden soll: Zerlegen Sie die Verhandlungsgegenstände in einzelne Komponenten bzw. Aspekte. Sie sollten erkennen, an welchen Aspekten die Gegenseite besonders interessiert sein könnte. So können beispielsweise Servicekomponenten wie Anlieferung, Wartung oder die Entsorgung von Altmaterialien für einen Verhandlungsabschluss ausschlaggebend sein. Auch so genannte Side-Deals sollten idealerweise im Vorfeld abgeklopft werden. Dabei wird ein bestimmter Vertragsgegenstand mit einem solchen aus einer anderen Verhandlung verbunden und auf diese Weise ein neues Paket geschnürt.
- Wie die Gegenseite verhandeln wird: Sie müssen sich über Motive und Strategien der Gegenseite gründlich Gedanken machen, um die eigene Strategie entsprechend zu entwickeln. Wer zudem seine Antriebskräfte identifiziert hat, wird seine Ziele und vor allem seine Alternativziele festlegen können, die gemeinhin als BATNA (Best Alternative To Negotiated Agreement) bezeichnet werden. Ohne BATNAs gibt es in festgefahrenen Situationen kaum noch eine Lösung. Ihre eigene Strategie kann auf Konkurrenz, Anpassung, Kooperation, Vermeidung oder auf Kompromisse ausgerichtet sein. Auch die Vermeidung hoher Kosten oder die Stabilität einer Verhandlungsbeziehung können durchaus eine sinnvolle Strategie darstellen.
- Wo verhandelt werden soll: Damit sind die Wahl des Ortes und der technischen Mittel (E-Mail, Online-Verhandlung, schriftlich) gemeint. Ob Sie einen neutralen Ort wählen oder einer, der die Gegenseite in irgendeiner Weise beeinflussen könnte, kann für den Verhandlungsverlauf wichtig sein.
Schritt 4: Die Durchführung
Machen Sie sich bewusst, in welchem Stil voraussichtlich verhandelt werden wird. In manchen Unternehmen wird hart, emotional und ohne jegliche Zugeständnisse verhandelt. In anderen wiederum gehört es zur Unternehmenskultur, vorrangig im integrativen Stil zu verhandeln, das heißt den „Kuchen“ für alle Beteiligten zu vergrößern und Win-Win-Lösungen anzustreben.
„Bei annähernd gleich verteilter Macht zwischen den Verhandlungsparteien ist es ein Ritual, dass die Verhandlungen an einem neutralen Ort stattfinden.“
Auch die jeweilige Persönlichkeit der Verhandelnden spielt eine enorme Rolle und prägt die Art und Weise der Verhandlung. Man unterscheidet in dieser Hinsicht zwischen hartem, weichem, kompromissbereitem, formellem, informellem und integrativem Verhandlungsstil. Der Anteil von Emotionen kann großen Einfluss auf den Verhandlungsausgang haben. Ist es beispielsweise in asiatischen Ländern stark verpönt, Emotionen zu zeigen, so würde eine emotionslose Verhandlung in Lateinamerika kaum zum Erfolg führen. Dort werden Emotionen positiv bewertet und in der Interaktion und der Kommunikation schlichtweg erwartet.
„Naheliegend ist, dass die Einführung von Verhandlungsmanagement-Systemen zunächst einmal auf Ablehnung bei den Mitarbeitern stoßen wird, die Verhandlungsaufgaben innerhalb des Unternehmens übernehmen.“
Der Verhandlungsprozess gliedert sich in vier Phasen:
- Die Einstiegsphase dient dem gegenseitigen Kennenlernen und „Warmwerden“. Es werden bereits erste Informationen über die Verhandlungspositionen ausgetauscht. Diese Phase ist entscheidend für den weiteren Verlauf der Verhandlungen, da in ihr die Qualität der Beziehung und die ungeschriebenen Spielregeln festgelegt werden.
- In der Dialogphase geht es darum, Fakten zu klären, eigene Präferenzen zu verdeutlichen und Angebote zu machen. Sie müssen auch hinterfragen, ob Sie die Verhandlungsposition des Gegners richtig verstanden oder bewertet haben. Beide Seiten werden so lange unterschiedliche Angebote machen, bis eine Art Stillstand erreicht ist, bei dem keiner mehr bereit ist, weitere Zugeständnisse zu machen. Dies markiert das Ende der Dialogphase.
- In der Lösungsphase geht es darum, Auswege aus dem Stillstands-Dilemma zu finden. Dies kann dadurch geschehen, dass man neue Verhandelnde ins Spiel bringt, neue Verhandlungsgegenstände nennt, neue Informationen liefert oder neue Rahmenbedingungen absteckt, um Bewegung in die Sache zu bringen. Mögliche Themen sind Lieferumfänge, Zusatzgaben wie Schulungen, Einarbeitungen oder Serviceleistungen, vielleicht auch ein Vertragsabschluss via Tochtergesellschaft, um günstigere steuerrechtliche Rahmenbedingungen für beide Seiten zu nutzen.
- In der Abschlussphase schließlich wird die gefundene Lösung besiegelt. Hier gilt es, den richtigen Zeitpunkt für ein „letztes Angebot“ richtig abzuschätzen und tatsächlich ein letztes (und nicht vorletztes oder beinahe letztes) Angebot abzugeben.
Schritt 5: Die Nachbereitung
Keine Verhandlung ohne systematische Nachbereitung: Ermitteln Sie Abweichungen von den gesetzten Zielen und finden Sie vor allem die Ursachen dafür. Dabei sollten Sie systematisch alle Verhandlungsbereiche (Objekte, Gegenstände, Strategie, Verhandlungspartner und Teammitglieder) überprüfen. Gleiches gilt für die einzelnen Phasen (Analyse, Organisation, Vorbereitung, Durchführung). Ziel ist es, unterschiedliche Verhandlungen vergleichbar zu machen und die Verhandlungsleistung verschiedener Abteilungen einander gegenüberzustellen.
Die Implementierung in die Praxis
Wie bei allen Neuerungen oder Umstrukturierungen im Unternehmen funktioniert die Implementierung eines systematischen Verhandlungsmanagements nur dann, wenn das Management es vorlebt bzw. eindeutig dahintersteht. Wenn Sie zudem für den Anfang denjenigen Unternehmensbereich wählen, in dem die Widerstände gegen ein strukturiertes Verhandlungsprozedere am geringsten sind, werden Sie die schnellsten und größten Erfolge mit Nachahmereffekt verbuchen können.
Prof. Dr. Markus Voeth lehrt am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Hohenheim. Jun.-Prof. Dr. Uta Herbst ist an der Universität Tübingen Dozentin für Marketing.