Der talentierte Mitarbeiter
Talentmanagement wird heute schon in vielen Unternehmen praktiziert, beschränkt sich aber meist auf die Förderung der Besten. Doch das reicht nicht aus. Talente besitzt jeder Mitarbeiter. Versuchen Sie, diese optimal zu entwickeln und für Ihre Unternehmensziele einzusetzen. Gutes Talentmanagement beginnt bereits bei der Personalauswahl. Suchen Sie sich leistungsfähige und lernbereite Mitarbeiter aus. Im Idealfall haben Sie dann bereits ein überdurchschnittlich gutes Team. Auf dieser Basis können Sie aufbauen und die einzelnen Talente gezielt fördern. Ein gutes Talentmanagement ist schon heute ein Wettbewerbsfaktor und wird in Zukunft immer wichtiger werden. Denn je mehr die Bevölkerung altert und der Anteil der Erwerbstätigen schrumpft, umso schwieriger wird es, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Da ist es wichtig, schon bei der Auswahl die Besten zu identifizieren und das Potenzial der Mitarbeiter optimal zu entwickeln.
Unternehmensstrategie und Talentmanagement
Talentmanagement beeinflusst den Erfolg eines Unternehmens und muss deshalb Teil Ihrer Unternehmensstrategie werden. Wie bei jeder Strategie legen Sie zu Anfang Ziele fest und analysieren, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln soll.
„Im konventionellen Talentmanagement werden die wenigen besten Mitarbeiter als Talente bezeichnet und die Aktivitäten darauf ausgerichtet, diese wenigen Mitarbeiter zu identifizieren, zu fördern und zu binden. Dieser Ansatz greift zu kurz.“
Aus den Unternehmenszielen leiten Sie Anforderungen für die einzelnen Positionen im Unternehmen ab und erstellen Soll-Profile: Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sollte der Mitarbeiter auf der jeweiligen Position besitzen? Geeignete Software hilft Ihnen, die Daten zu verwalten. Legen Sie fest, wie viele Mitarbeiter Sie brauchen, um Ihre Ziele zu erreichen. Müssen Sie neue Mitarbeiter einstellen, oder gibt es eher Personalüberhang? Anschließend sehen Sie sich die Fähigkeiten der bereits vorhandenen Mitarbeiter an. Als Informationsquelle dienen Ihnen dabei Beurteilungen durch Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden. Vergleichen Sie dann das Profil eines Mitarbeiters mit dem Soll-Profil. Wenn Sie deutliche Abweichungen entdecken, besteht an dieser Stelle Entwicklungsbedarf.
Stellenprofile erarbeiten
Um festzulegen, welche fachlichen Qualifikationen und persönlichen Fähigkeiten für einzelne Positionen notwendig sind, befragen Sie die Mitarbeiter, die diese Positionen innehaben, was ihnen für ihre Aufgabe wichtig erscheint. Ziehen Sie auch zukünftige Herausforderungen in Betracht und überlegen Sie, wie die Anforderungen an die Stelle in Zukunft aussehen werden.
„Talente stellen Ansprechbarkeiten für Handlungsfähigkeiten dar.“
Mit diesen Informationen erarbeiten Sie das Stellenprofil. Schenken Sie dabei den sogenannten Schlüsselpositionen, d. h. den Positionen, die viel zum Erfolg des Unternehmens beitragen, ein besonderes Augenmerk. Schlüsselpositionen finden sich auf allen Ebenen. Wenn es in einer Firma z. B. auf pünktliche Zulieferung ankommt, kann auch ein Fahrer eine Schlüsselposition innehaben. Wenn Sie feststellen, dass Sie weitere Mitarbeiter einstellen müssen, sorgen Sie dafür, dass Ihre Firma als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird. Nur so können Sie die besten Bewerber für sich gewinnen.
Kompetenzen einsetzen
Hilfreich beim Talentmanagement ist die Verwendung eines Kompetenzmodells. Mit Kompetenzen sind hier aber nicht fachliche Qualifikationen gemeint, sondern die „weichen“, psychologischen Faktoren menschlichen Handelns, wie emotionale oder soziale Kompetenz. Ein kompetenter Mitarbeiter greift nicht einfach auf erlernte Handlungsmuster zurück, sondern löst Probleme kreativ und selbstständig.
„Nicht jene Menschen, die besser ausgebildet oder stärker sind als die anderen, sind erfolgreicher, sondern jene, die ihre Stärken am besten einsetzen können.“
Ein Kompetenzmodell ist eine Zusammenstellung von Kompetenzen, die die Mitarbeiter brauchen, um ihre Arbeit gut auszuführen. Es orientiert sich an der Strategie des Unternehmens und an den Anforderungsprofilen für die Mitarbeiter. Es gibt unterschiedliche Formen von Kompetenzmodellen – von ganz einfachen, die für alle Mitarbeiter gleichermaßen gelten, bis hin zu komplizierten Modellen, die nach Arbeitsbereichen und Hierarchieebenen gegliedert sind. Welches Modell Sie verwenden, hängt von den Anforderungen in Ihrem Unternehmen ab. In jedem Fall sollten die Angaben möglichst konkret sein. Kompetenzmodelle sind im Personalbereich vielfältig einsetzbar und dienen auch als Grundlage für die weitere Planung von Maßnahmen in der Personalentwicklung.
Wollen und Können
Menschliches Handeln wird bestimmt vom Wollen und Können: Jeder Mensch besitzt Talente, aber um in seiner Arbeit wirklich etwas zu leisten, muss er sie auch einsetzen wollen. Umgekehrt bringt alles Wollen nicht viel, wenn es an Können fehlt. Wichtig ist die jeweilige Situation bzw. der äußere Rahmen, der die Möglichkeit gibt, das Können zu entfalten – oder genau das verhindert. Die Leistung eines Menschen wird von seinen Persönlichkeitseigenschaften, seinen Talenten und seinen Kompetenzen bestimmt:
- Persönlichkeitseigenschaften, wie etwa Extrovertiertheit oder Kreativität, sind relativ stabil und lassen sich nicht trainieren, sie können sich aber durchaus ändern.
- Talente sind Begabungen oder Erfahrungen, die der Mitarbeiter mitbringt. Man kann sie nicht antrainieren, wohl aber weiterentwickeln.
- Kompetenz schließlich, die Fähigkeit, auch in unbekannten Situationen selbstständig und angemessen zu handeln, lässt sich erlernen.
Talentmanagement und Unternehmenskultur
Damit Talentmanagement im Unternehmen erfolgreich ist, muss die Unternehmenskultur stimmen. Die schönsten Pläne für Entwicklungsmaßnahmen nutzen nichts, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter sich gegen Veränderungen sträuben und letztlich alles im Sande verläuft. Für ein erfolgreiches Talentmanagement ist es wichtig, dass die Führungsebene die Maßnahmen unterstützt, dass die Mitarbeiter optimal geführt werden und Veränderungen gegenüber aufgeschlossen sind, und dass die Personalentwicklung im Unternehmen eine starke Position hat.
„Unter Schlüsselpositionen werden jene verstanden, die einen direkten Einfluss auf die Umsetzung der Geschäftsstrategie haben.“
Den Führungsstil im Unternehmen verbessern Sie mit klaren Führungsleitlinien und regelmäßigem Feedback, aber auch durch Mentoring und Supervision. Rollenspiele helfen dabei, neue Verhaltensweisen einzuüben. Überzeugen Sie das Topmanagement von der Wichtigkeit des Talentmanagements mit Zahlen und Fakten und beziehen Sie es aktiv in Ihre Maßnahmen mit ein. Auch die Mitarbeiter können Sie am ehesten für Ihr Vorhaben gewinnen, wenn Sie sie von Anfang an mit einbeziehen und umfassend informieren.
Mitarbeitergespräche führen
Üblicherweise wird ein Mitarbeiter dann befördert, wenn er auf seiner jetzigen Position Herausragendes leistet. Ob er für die nächsthöhere Stufe auch die passenden Talente mitbringt, wird in der Regel nicht überprüft. Doch genau das ist für den Unternehmenserfolg entscheidend. Die Befähigung für höhere Positionen bezeichnet man als Potenzial.
„Mit einem entsprechend positiven Menschenbild lässt sich sagen, dass jeder Mensch Talent hat.“
Um das Potenzial eines Mitarbeiters abzuschätzen, helfen regelmäßige Beurteilungen. Günstig sind dafür halbjährliche Mitarbeitergespräche, die etwa eine Stunde dauern sollten. Im ersten Gespräch geht es hauptsächlich darum, die Leistung des Mitarbeiters zu beurteilen, zu überprüfen, ob die Ziele des vergangenen Jahres erreicht wurden, und neue Ziele festzulegen. Im zweiten Mitarbeitergespräch ein halbes Jahr später dreht sich alles um die Weiterentwicklung des Mitarbeiters. Es ist wichtig, dass Beurteilungen möglichst fair und nachvollziehbar getroffen werden, damit sich der Mitarbeiter nicht ungerecht behandelt fühlt. Er muss auch die Chance haben, selbst dazu Stellung zu nehmen bzw. andere Beurteilungen einzuholen. Eine Atmosphäre der Wertschätzung ist hier sehr wichtig. Seien Sie sich immer im Klaren darüber, dass jedes Urteil subjektiv geprägt ist.
Führungskräfte entdecken und fördern
Wenn Leistung und Potenzial der Mitarbeiter erfasst sind, besprechen die Führungskräfte gemeinsam die Ergebnisse. Bewährt hat sich dafür eine Matrix, in der die Mitarbeiter nach Leistung und Potenzial eingetragen werden. Die Besprechung in der Gruppe gewährleistet eher eine faire Beurteilung. Die Mitarbeiter, die bei dieser Beurteilung am besten abschneiden, werden in einen Talent-Pool aufgenommen, d. h. sie werden rasch weiterentwickelt und auf Führungspositionen vorbereitet. Wird eine Führungsposition frei, dann haben Sie im Talent-Pool bereits potenzielle Nachfolger gesammelt und in der Talentdatenbank deren Profile gespeichert. Idealerweise treffen sich die Verantwortlichen regelmäßig zu Konferenzen, in denen abgeklärt wird, welche Stellen in der nächsten Zeit frei werden, wer sie besetzen könnte und wer von unten nachrückt.
„Im Talentmanagementsystem wird nicht nur danach geurteilt, was ein Mitarbeiter bisher gemacht hat, sondern auch danach, ob er die Kriterien, die für die zukünftige Position wichtig sind, mitbringt.“
Wenn Sie kein so aufwändiges Talentmanagementsystem betreiben, können Sie Ihre Mitarbeiter einfach mit einer Ampelmatrix bewerten: Bei jedem Mitarbeiter werden die Kriterien Leistung, Verhalten und Potenzial mit den Ampelfarben bewertet. Rot steht für einen schlechten Wert, Gelb für Durchschnitt und Grün für eine besonders gute Beurteilung. Anhand der Farben erkennen Sie schnell, wer sich für höhere Positionen anbietet und wo noch Entwicklungsbedarf besteht. Auch entsprechende Fragebögen helfen abzuschätzen, ob ein Mitarbeiter für eine höhere Position geeignet ist.
Weiterentwicklung für alle
Grundsätzlich sollten Sie allen Ihren Mitarbeitern Entwicklungsmöglichkeiten anbieten und so eine Kultur des Lernens in Ihrem Unternehmen fördern. Neben der fachlichen Weiterbildung stehen vor allem Kompetenzen wie Kommunikation oder Konfliktmanagement im Mittelpunkt. Den Entwicklungsbedarf entnehmen Sie den Informationen, die Sie bisher im Talentmanagement gewonnen haben, angefangen von den Bedarfsanalysen bis hin zu den Entwicklungsplänen der einzelnen Mitarbeiter.
„Die Belegschaft soll für jetzige, aber auch für zukünftige Herausforderungen entwickelt werden.“
Neben den besonderen Maßnahmen für die Talente des Unternehmens sollten Sie Ihr Augenmerk vor allem auf die offenkundig falsch eingesetzten Mitarbeiter richten, d. h. diejenigen, die am wenigsten Leistung bringen. Führen Sie mit diesen Mitarbeitern gesondert Gespräche, um herauszufinden, was der Grund für die mangelnde Leistung ist und wie sich das Problem lösen lässt. Führungskräfte profitieren von Mentoring und Coaching, sollten aber auch selbst Weiterbildungen im Coaching erhalten, um ihre Mitarbeiter optimal fördern zu können.
Mitarbeiter ans Unternehmen binden
Fehlentscheidungen bei der Mitarbeiterauswahl sind teuer. Mitarbeiter, die nicht das halten, was man sich von ihnen versprochen hat, verursachen hohe Folgekosten für zusätzliche Entwicklungsmaßnahmen, machen öfter Fehler und vergraulen möglicherweise andere Mitarbeiter. Muss eine Stelle erneut besetzt werden, entstehen zusätzliche Kosten. Deshalb ist eine sorgfältige Personalauswahl so wichtig. Verlassen Sie sich nicht nur auf traditionelle Bewerbungsgespräche, setzen Sie möglichst noch weitere Auswahlverfahren ein, etwa Persönlichkeitsfragebögen, Leistungstests oder Assessment-Center. Haben Sie gute Mitarbeiter für das Unternehmen gewinnen können, so stellt sich die Frage, wie Sie sie langfristig halten.
„Für alle Mitarbeiter sollten Entwicklungsmaßnahmen angeboten werden, weil kontinuierliches Lernen für jeden Mitarbeiter entscheidend ist.“
Wichtig ist, dass sich die Mitarbeiter dem Unternehmen verbunden fühlen, dann wechseln sie seltener. Die Verbundenheit eines Mitarbeiters ist besonders stark, wenn er zufrieden ist, sich geschätzt fühlt und seine Tätigkeit nach seinen Bedürfnissen gestalten kann. Dann bringt er auch überdurchschnittliche Leistungen. Achten Sie deshalb darauf, die Verbundenheit in Gesprächen immer wieder abzufragen. Bewerten Sie nach einiger Zeit, ob die Maßnahmen Ihres Talentmanagements angenommen werden und Erfolge zeigen: Nehmen die Mitarbeiter an Weiterbildungsmaßnahmen teil? Sind bereits Leistungssteigerungen erkennbar, und sind die Mitarbeiter zufrieden? War es möglich, höhere Positionen intern zu besetzen und dadurch Kosten zu sparen? Achten Sie auch darauf, wie das Unternehmen von außen wahrgenommen wird und ob es für externe Bewerber attraktiver geworden ist.
Dr. Svea Steinweg ist Psychologin und seit Jahren als Beraterin tätig. Zurzeit arbeitet sie bei McKinsey in Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Coaching und Personalmanagement. Außerdem war sie einige Jahre Gastdozentin an der Ruhr-Universität Bochum.