Was ist Service überhaupt?
Unternehmen strengen sich mächtig an, um neue Kunden zu gewinnen. Doch auch nach dem Kauf hat der Kunde Fragen, Wünsche oder Probleme, um die man sich kümmern muss: Der Besitzer eines neuen Fahrrades braucht beispielsweise ein Zubehörteil, eine Reparatur oder eine Garantieleistung. Die Befriedigung genau dieser Wünsche und Erwartungen nach dem Kauf ist der Auftrag einer eigenständigen Organisationseinheit im Unternehmen, des Service- bzw. des Kundenservice-Centers. Seine Aufgabe ist es, leicht erreichbar zu sein sowie schnell und kompetent eine Lösung zu finden, die den Kunden zufriedenstellt.
Erfolgsfaktor Service
Das beste Produkt hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack oder sogar einen verärgerten, unzufriedenen Kunden, wenn der Service nicht stimmt. Kunden, die vertröstet, abgewimmelt oder nicht kulant behandelt werden, wechseln rasch zur Konkurrenz. Guter Service ist deshalb ein echter Wettbewerbsvorteil. Außerdem ist es wesentlich teurer, einen neuen Kunden zu gewinnen als einen bestehenden zu binden.
„Das Kundenservice-Center ist das Eintrittsportal in das Unternehmen.“
Es reicht allerdings nicht aus, ein Kundenservice-Center einzurichten, in dem sich ein paar Mitarbeiter um die Anfragen kümmern. Erfolgreicher Service setzt voraus, dass die Kunden- und Service-Orientierung im gesamten Unternehmen gelebt wird. Dieses benötigt also eine klare, kundenzentrierte Vision und Unternehmensidentität (Corporate Identity). Das Ziel muss immer sein, kulant zu reagieren und Probleme zu lösen, statt dem Kunden – wie es leider häufig genug geschieht – lang und breit zu erklären, warum dies und jenes nicht geht.
„Bei vergleichbaren Produkten und Preisen bietet guter Kundenservice einen klaren Wettbewerbsvorteil.“
Das bedeutet auch, dass der Kundenservice keine Abteilung neben anderen sein sollte, die mehr oder weniger isoliert vor sich hin werkelt. Wichtig ist vielmehr eine prozessorientierte Sicht, bei der sich die verschiedenen Abteilungen eng mit dem Service abstimmen. Sinnvoll ist die Einführung eines für alle Mitarbeiter zugänglichen Kundeninformationssystems, in dem der aktuelle Stand der Dinge erkennbar ist. Nur so ist gewährleistet, dass der Kunde eine rasche und effiziente Lösung eines Problems bekommt und nicht von Pontius zu Pilatus geschickt wird. Sätze wie „Davon weiß ich nichts“ oder „Das macht Frau Müller vom Einkauf, und die ist im Urlaub“ sind tabu. Vereinbarungen zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen, die so genannten Service-Level-Agreements (SLAs), müssen messbar sein und regelmäßig aktualisiert werden, beispielsweise: „Bei Aktionen informiert das Marketing den Service 14 Tage vorher.“
„Wenn der Prozess auf den Kunden ausgerichtet ist, müssen alle miteinander reden und sich abstimmen sowie Service-Levels miteinander vereinbaren.“
Wichtig ist außerdem, dass der Kundenservice als Teil des Kerngeschäfts verstanden wird, denn diese Einheit ist als zentrale Anlaufstelle für Kunden ein entscheidender Erfolgsfaktor. Deshalb sollte der Service auf der gleichen Ebene wie die anderen Unternehmensbereiche (Marketing, Vertrieb usw.) angesiedelt sein.
Kundensegmentierung
Aus Unternehmenssicht hat nicht jeder Kunde denselben Wert: Je mehr Umsatz jemand macht, desto wichtiger ist er für das Unternehmen. Da guter Service Geld kostet, lohnt es sich, die Kunden entsprechend zu segmentieren. Erst dann können Sie entscheiden, welcher Kunde welchen Service wann und in welchem Umfang geboten bekommt.
„Was nützt eine Beschwerdehotline, wenn dann nichts passiert?“
Ein Service rund um die Uhr ist natürlich teurer als eine Hotline, die nur zu den normalen Geschäftszeiten besetzt ist. Entscheiden Sie, wie die Kontaktaufnahme erfolgen soll (ob per Mail, Telefon oder Post) und zu welchen Kosten dies geschieht (ob mit einer für das Unternehmen teuren Freecall-Telefonnummer oder z. B. mit einem Tarif von 50 Cent pro Minute).
Organisation des Kundenservice-Centers
Üblicherweise sind Kundenservice-Center in vier Einheiten aufgeteilt: Bei der Interessentenbearbeitung geht es um die Anfragen von Noch-nicht-Kunden, die Informationsmaterial, Beratung oder Unterlagen benötigen (Inbound). Es empfiehlt sich, dass diese Einheit (und nicht nur der Vertrieb) Interessenten bzw. Bestandskunden auch über neue Produkte informiert (Outbound). In der Auftragsbearbeitung (Order-Entry) werden die Verträge erfasst, die Bonität geprüft und Bestätigungsschreiben verschickt. Zudem wird veranlasst, dass der Kunde die gewünschte Ware oder Dienstleistung auch erhält. Die Kundenbetreuung (Customer-Care) bearbeitet telefonische (Frontoffice) oder schriftliche Anfragen (Backoffice).
„Es ist um ein Vielfaches teurer, einen Kunden zu gewinnen, als ihn zu halten.“
Bei komplexen Produkten wie Software oder Finanzanlagen ist es oft notwendig ein erstes, zweites und drittes Level einzurichten, wobei das erste für die einfachen Fragen zuständig ist und das zweite und ggf. dritte Level für Anliegen, die detailliertes Spezialwissen erfordern. Das Fulfillment-Center, die moderne Version der guten alten Poststelle, ist schließlich dafür zuständig, Briefe auszudrucken, Infomaterial, Broschüren usw. beizulegen und die Dokumente zu verschicken.
Qualität
Der beste Service nützt wenig, wenn die Qualität der Leistung nicht stimmt und deshalb verärgerte Kunden von früh bis spät das Telefon blockieren. Eine regelmäßige Qualitätssicherung der eigentlichen Leistung – die in der Verantwortung einer entsprechenden Stabsstelle liegen sollte – ist deshalb unabdingbar. Dazu gehört, dass Qualitätsstandards formuliert und kontrolliert werden.
„Kundenbindung erreicht ein Unternehmen nur, wenn es die Qualität seiner Produkte und Leistungen ständig überprüft und optimiert.“
Aber auch die Qualität des Service-Centers sollte man regelmäßig überprüfen. Hier kommen neben harten Faktoren (z. B. „Wartezeit unter 20 Sekunden“) auch weiche Faktoren (Freundlichkeit, Zuverlässigkeit usw.) zum Tragen. Letztere können Sie durch Testanrufe (Mystery-Calls), unbemerktes Mithören (Silent Monitoring) oder Mithören und konstruktive Kritik (On-site Coaching) überprüfen. Bei den harten Faktoren ist die Einführung eines Reportings empfehlenswert, das sowohl Erfolge und Leistungen als auch Defizite sichtbar macht und damit die Grundlage für anstehende Entscheidungen liefert. Typische Kennzahlen können sein: die Anrufdauer, die Kosten pro Kunde, die Anzahl der Anfragen (Tickets), die Kündigungsrate und vieles mehr. Damit kann auch die Leistung einzelner Mitarbeiter kontrolliert werden, wobei eine solche Nutzung der Daten einer Betriebsvereinbarung bedarf.
Die Technik
Auch wenn der Mensch das Herz eines guten Service ist – ohne Technik geht es natürlich nicht. Neben der Telefonanlage (TK-Anlage) benötigt man eine so genannte ACD (Automatic Call-Distribution). Die ACD verteilt, wie der Name schon sagt, die Anrufe auf die einzelnen Mitarbeiter. Ein eingehender Anruf geht jeweils entweder an den ersten in der Reihe (lineare Verteilung) oder an den Agenten, der am längsten frei ist, oder aber an den qualifiziertesten Mitarbeiter, wobei Letzteres für die Administration des ACD natürlich am aufwändigsten ist.
„Dass vorrangig die Menschen den Erfolg ausmachen, ist noch nicht überall bis in die Chefetagen vorgedrungen.“
Zunehmend an Bedeutung gewinnt das preisgünstige Telefonieren übers Internet, VoIP genannt (Voice over Internet Protocol). Der ACD werden oft so genannte Sprachdialog-Systeme (Interactive Voice-Response, IVR) vorgeschaltet, um die Anrufer gleich an die richtige Stelle weiterzuleiten („Wenn Sie eine Reservierung wünschen, drücken Sie bitte die 2“). Computer-Telephony-Integration (CTI) ermöglicht es, anhand der Telefonnummer des Anrufers automatisch den richtigen Kundendatensatz zu öffnen, eine automatische Rufnummernwahl (Dialer) ist bei umfangreichen Telefonaktionen von Vorteil. Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM) ermöglichen es, Kundeninformationen gezielt so aufzubereiten, dass wichtige Kunden identifiziert und durch besonders hochwertigen Service gebunden werden können.
Die Menschen
Stumpfsinnige Fließband-Telefonate – das war einmal. Moderne Kundenservice-Center benötigen kompetentes, stressresistentes, belastbares und qualifiziertes Personal. Nur so sind die immer komplexeren und anspruchsvollen Aufgaben zu bewältigen, die oft auch emotional anstrengend sind (brüllende Kunden, Dauerlächeln). Deshalb sind ein positives Arbeitsumfeld und ein gutes Betriebsklima wichtig. Als ideale Teamgröße haben sich zwölf, maximal 15 Mitarbeiter bewährt. In der Regel ist ein Mix aus Voll- und Teilzeitkräften sinnvoll, um Rand- oder Stoßzeiten sowie Wochenenden und Feiertage abzudecken. Klare, transparente Gehaltsstrukturen sowie eine angemessene Bezahlung vermeiden Streitereien, denn dass unterbezahlte Kräfte schlecht arbeiten, überrascht nicht.
„Bei schlechtem Service gehen die Kunden stiften.“
Bei der Vorauswahl von Stellenbewerbern ist ein Telefoninterview mit einem standardisierten Fragebogen empfehlenswert: So erhalten Sie direkt Aufschluss über das Telefonverhalten der Kandidaten. Die Endauswahl kann dann über ein Assessment-Center erfolgen. Die hohen Anforderungen bedingen inzwischen eine relativ lange Einarbeitungszeit, die von der Produktschulung bis hin zum Telefontraining reicht und bis zu 20 Tage dauern kann. Aufgrund dieses Aufwandes ist es zunehmend nötig, die Mitarbeiter dauerhaft an das Unternehmen zu binden, etwa durch Personalentwicklungsmaßnahmen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Mitarbeiterbindung ist die Führungskraft. Für einen tollen Chef engagieren sich die Mitarbeiter gerne – und das nützt dem ganzen Unternehmen. Idealerweise sollte er fachlich kompetent und menschlich angenehm, führungs- und motivationsstark sein.
Outsourcing – ja oder nein?
Wie in anderen Bereichen auch, gibt es im Service viele Möglichkeiten, die entsprechenden Aufgaben an externe Dienstleister zu vergeben. Beauftragt man einen einzigen Dienstleister, spricht man von Single-Vendor-Outsourcing, sind es mehrere, von Multi-Vendor-Outsourcing.
„Der Einzige, der wirklich Veränderung will, ist das Baby mit nasser Windel.“
Je nach Standort des Externen unterscheidet man Onshore-Outsourcing (im Heimatland), Nearshore-Outsourcing (Europa) oder Offshore-Outsourcing (außereuropäische Länder). Externe Kundenservice-Center sind üblicherweise anders organisiert als interne, nämlich nach Projekten. Oft gibt es nur einen kleinen Mitarbeiterstamm, je nach Projekt werden die passenden Mitarbeiter neu gesucht und eingestellt (und nach dem Ende des Projektes oft auch wieder entlassen). Große Anbieter haben außerdem häufig noch andere Geschäftsfelder wie eine eigene Akademie oder eine Unternehmensberatung. All das kann leicht zu Problemen führen, weil Prozesse nicht übereinstimmen oder der Anbieter sich verzettelt.
„Wenn Unternehmen ihren Kundenservice und damit ihre Kunden an wildfremde Dienstleister auslagern, geben sie damit die komplette Verantwortung ab.“
Vor der Auswahl des Externen muss ein genauer Anforderungskatalog erstellt werden. Nach der Ausschreibung werden drei Anbieter zur Präsentation geladen. Wichtig ist, dass beide Firmen auch hinsichtlich der Unternehmensphilosophie zueinander passen. Vor Vertragsabschluss ist ein Probelauf (von z. B. vier Wochen) zweckmäßig, dabei sollten Sie mit einfachen Aufgaben starten. Die Ernennung eines Koordinators im Unternehmen, der als Schnittstelle zwischen der Firma und dem Dienstleister fungiert, ist empfehlenswert.
„Bevor der Kundenservice wieder ins Unternehmen zurückgeholt werden kann, muss das gesamte Unternehmen in Richtung Kundenorientierung geradezu getrimmt werden.“
Es gibt bis heute keine gesicherten Untersuchungen darüber, ob Outsourcing wirklich Kostenvorteile bringt. Zudem ist es eine heikle Angelegenheit: Man gibt die Kunden aus der Hand, verliert den Kontakt, hat keine Kontrolle über die Service-Mitarbeiter und nicht selten werden Adressdaten weiterverkauft. Prozesse mit sensiblen Daten (z. B. Rechnungsreklamationen) sollten deshalb nicht ausgelagert werden.
Backsourcing
Soll der Service zurück ins Unternehmen geholt werden (Backsourcing), sind ausführliche Vorarbeiten erforderlich. Eine entsprechende Vision muss erarbeitet und das gesamte Unternehmen auf Kundenorientierung ausgerichtet werden. Auch die bereits vorhandenen Prozesse stehen auf dem Prüfstand. Den damit verbundenen Veränderungen begegnen Mitarbeiter zuerst oft mit Ablehnung und Angst; ein gutes Change-Management ist notwendig. Engagieren Sie einen externen Coach, der die Situation von außen betrachtet – er kann hilfreiche Unterstützung bieten.