Eine Fundgrube für den Verkauf
Eine der offensichtlichsten Informationsquellen für lukrative Geschäfte findet in vielen Führungsetagen und Verkaufsabteilungen noch immer kaum Beachtung. Die Rede ist von den Geschäftsberichten der eigenen Kunden. Das Management registriert sie, wertet sie aber selten für die eigenen Zwecke aus. Ein fataler Fehler: So bleiben wichtige Ressourcen ungenutzt. Gerade in Zeiten zunehmenden Wettbewerbs, herausfordernder Preisdiskussionen und unablässigen Innovationsdrucks gehören Geschäftsberichte für jeden Manager zur Pflichtlektüre. Schließlich bieten die Informationen, die Kunden darin – gewollt oder ungewollt – preisgeben, eine hervorragende Möglichkeit, die eigene Position am Markt zu stärken.
„Umfragen zeigen, dass Geschäftsberichte für viele Menschen immer noch ein Buch mit sieben Siegeln sind.“
Umfragen zeigen, dass nur rund 60 % der Manager auf diese Kundendaten zurückgreifen. Das mag z. T. daran liegen, dass nicht alle Unternehmen Geschäftsberichte und Bilanzen veröffentlichen müssen. Die meisten Manager jedoch widmen den Kundenpublikationen deswegen keine Aufmerksamkeit, weil sie keinen Nutzen darin vermuten oder der Meinung sind, sie könnten die Geschäftskennzahlen nicht richtig interpretieren. Wer sich jedoch einmal einem Geschäftsbericht eingehend widmet, wird überrascht sein, wie viel Aufschluss dieser über einen Geschäftspartner geben kann.
Was der Geschäftsbericht verrät
Aus Geschäftsberichten und Bilanzen lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die weit über gängige Kennzahlen wie Umsatz, Personalstärke, Profitabilität oder Investitionsvolumen hinausgehen. Sie erhalten Einsicht in die Finanzsituation des Kunden, insbesondere seine Liquidität, aber auch in seine Zukunftspläne oder den Aufbau einzelner Geschäftsbereiche.
„Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb ist nur über Kundenwissen möglich.“
Anhand dieses Wissens können Sie Ihre Verkaufsstrategie individuell auf den Kunden zuschneiden: Sie unterbreiten neue Leistungsangebote, gestalten Preise anders, ändern Zahlungsmodalitäten oder intensivieren Lieferbeziehungen. Geschäftsberichte bringen dringende Diskussionen und Entwicklungen des Kunden an die Oberfläche, machen seine Strukturen plastisch und verdeutlichen, in welche Märkte und Geschäftsverflechtungen er involviert ist.
„Der Geschäftsbericht ist die Informationsquelle für jegliche Art der Finanzanalyse, die Sie im Verkauf bezüglich Ihrer Kunden durchführen wollen.“
Schnell wissen Sie mehr als die Konkurrenz, und das hilft Ihnen, sich auf hart umkämpften Märkten von dieser abzusetzen. Nicht zuletzt können Sie mithilfe des Studiums der Publikationen Finanzierungsrisiken aufdecken und sind rechtzeitig vor möglichen Zahlungsausfällen gewarnt. Selbstverständlich sollte der Geschäftsbericht weder als alleinige Informationsquelle dienen noch als absolute Wahrheit gelten. Was Sie dort finden, müssen Sie laufend anhand von Internetrecherchen, Expertengesprächen oder eigenen Beobachtungen überprüfen.
Offenlegung von Firmendaten
Trotz seiner großen Aussagekraft ist der Geschäftsbericht nicht immer ein geeignetes Mittel, um Kunden besser zu verstehen. Das liegt zum einen daran, dass nicht alle Unternehmen verpflichtet sind, die Entwicklung ihres Geschäfts offenzulegen. Um den Geschäftsbericht als Verkaufsinstrument nutzen zu können, müssen Manager genau wissen, welcher ihrer Kunden seine Daten publizieren muss und nach welchen Richtlinien die Veröffentlichung vonstattengeht.
„Stellt einer Ihrer Kunden gerade von HGB auf IFRS um? Nutzen Sie die Möglichkeit und vergleichen Sie die Bilanzen. Welche gravierenden Änderungen fallen Ihnen auf?“
Die meisten deutschen Firmen orientieren sich bei ihrem Jahresabschluss an den Normen des Handelsgesetzbuches (HGB). Vor allem börsennotierte Betriebe nutzen allerdings den International Financial Reporting Standard (IFRS). Während sich das HGB nach den Anforderungen des Kaufmanns, den Steuerrichtlinien und dem Gläubigerschutz richtet, ist der IFRS mit Blick auf den Investor entwickelt worden. So beinhaltet er z. B. auch eine Kapitalflussrechnung, Ergebnisse pro Aktie oder einen Segmentbericht. Zudem gilt beim IFRS das Prinzip der Bewertung der Bilanzposten zu Marktpreisen. Damit soll das Anlegen stiller Reserven vermieden werden.
„Insbesondere börsennotierte Gesellschaften, also Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Societates Europaeae, sowie Unternehmen, die aus Imagegründen einen Geschäftsbericht publizieren, machen ihren Geschäftsbericht auf der Internetseite leicht zugänglich.“
Kapitalgesellschaften wie GmbHs, AGs oder die Societas Europaea (SE), bei denen keine natürliche Person haftet, sind grundsätzlich verpflichtet, ihre Bilanz um einen Anhang zu ergänzen, der stark ins Detail geht. Große Unternehmungen haben zudem eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV) sowie einen Lagebericht über die eigene Geschäftssituation zu verfassen. Auch müssen sie ihre Daten durch einen Wirtschaftsprüfer bestätigen lassen. Für reine Personengesellschaften, bei denen ein Inhaber persönlich haftet, regelt das Publikationsgesetz die Veröffentlichungspflicht. Danach müssen nur Unternehmen mit mehr als 5000 Arbeitnehmern und einer Bilanzsumme ab 65 Millionen Euro ihre Geschäftsdaten offenlegen.
Andere Quellen
Natürlich können Sie einen Geschäftsbericht direkt bei Ihrem Kunden anfordern. Aber auch ein Blick auf die Internetseiten des Unternehmens lohnt sich. Dort bieten nicht nur börsennotierte Betriebe ihre Publikationen zum Download an. Auch viele Personengesellschaften wollen ihre Offenheit und Transparenz durch ein Onlineangebot ihrer Daten unterstreichen. Darüber hinaus liefern Websites eine Fülle weiterer Einblicke in die Hintergründe der Kunden. Pressemitteilungen z. B. informieren oft über wichtige Kennzahlen oder neue Projekte, und Rubriken wie „Wir über uns“ präsentieren den Firmenaufbau und wichtige Ansprechpartner.
„Das Handelsregister am Ort der Unternehmung kann als Anlaufstelle für Ihre Recherche dienen.“
Andere aufschlussreiche Informationsquellen sind Datenbanken wie Genios, das zentrale Unternehmensregister oder das örtliche Handelsregister. Eine Garantie, immer auf die Daten Ihrer Kunden zugreifen zu können, gibt es allerdings nicht. Wer partout nicht will, dass Außenstehende einen Einblick in das eigene Geschäft erhalten, wird immer Wege finden, sich der Veröffentlichungspflicht zu entziehen.
Was die Chefs zu sagen haben
Jedes Unternehmen gestaltet seine Geschäftspublikationen individuell. Für den Aufbau gibt es keine allgemeinen Kriterien. Allerdings müssen bestimmte Inhalte in jedem Geschäftsbericht enthalten sein. Dazu gehören z. B. Ansprachen des Vorstands oder der Geschäftsführung, der organisatorische Aufbau der Firma, ein Bericht über die aktuelle Wirtschaftssituation und natürlich die Finanzübersichten der Bilanz sowie die GuV.
„Wenn sie Lösungen aufzeigen können, den Rohertrag des Kunden zu steigern, erhalten Sie wesentlich leichter einen Zugang zum oberen Management auf der Kundenseite.“
Die Aussagen der Unternehmensspitze geben nicht nur Aufschluss darüber, wie die Führung die aktuelle Firmensituation einschätzt. In diesen kurzen Statements werden oft auch wichtige Hinweise zu künftigen Vorhaben gegeben. Verkaufsexperten sollten besonders auf Projektnamen achten. Sie zu erwähnen, kann ein hervorragender Einstieg in eine Verkaufspräsentation sein. Vielleicht erarbeiten Sie sogar ein gezieltes Angebot für ein bestimmtes Projekt.
„Im Lagebericht finden Sie klare, fokussierte Beschreibungen von für Sie als Verkäufer relevanten Sachverhalten, die Sie so in einer Bilanz nicht wiederfinden werden.“
Den Unternehmensstrukturen können Sie sofort die wichtigsten Ansprechpartner für Ihr Anliegen entnehmen. Darüber hinaus gibt Ihnen die Zusammensetzung von Aufsichtsräten, Vorständen und Anteilseignern Hinweise zu Themenschwerpunkten der Kunden oder zu Anknüpfungsmöglichkeiten für das persönliche Gespräch. Ebenso wichtig ist der Überblick über die Beziehungen zu Banken, Geschäftspartnern oder Beratern. Beteiligungen informieren über mögliche Konkurrenten oder neue Marktchancen. Letztere lassen sich aber vor allem aus dem Lagebericht ableiten.
Geschäftsberichte gezielt auswerten
Die Auswertung solcher Informationen wird unter dem Begriff der qualitativen Analyse zusammengefasst. Sie ist ein erster Schritt, um Geschäftsberichte gezielt für die Absatzförderung zu nutzen.
„Anders als bei einer Bilanz, die stichtagsbezogen aufgestellt wird, werden in der GuV alle Buchungen einer gesamten Periode sachgerecht zugeordnet und erfasst.“
Als Zweites müssen Sie die harten Geschäftsdaten interpretieren. Ausgangspunkt dazu ist die Bilanz. Sie bietet Informationen zur Herkunft der finanziellen Mittel und ihrer Verwendung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Entscheidende Posten für den Verkauf sind etwa Forderungen und Verbindlichkeiten, die Lieferungen und Leistungen betreffen, sowie Maschinen, Vorräte und das vorhandene Anlagevermögen. Diese Positionen liefern Hinweise darauf, wofür der Kunde sein Geld ausgibt, wie schnell er zahlt, in was er investiert, wo er sparen kann – und wie Sie ihm dabei helfen könnten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die grundsätzliche Liquidität anhand der Cash-Ratio oder der Current Ratio zu ermitteln. Nur eine gesunde Kapitalkraft des Kunden gewährleistet eine zuverlässige Partnerschaft.
„Der frei verfügbare Cashflow einer Unternehmung zeigt klar auf, welche Mittel letztlich zur Verfügung stehen, um Investitionen tätigen zu können und die Liquidität zu sichern.“
Ein weiterer wesentlicher Aspekt für die eigene Verkaufsstrategie ist die Finanzierungsstruktur des Kunden. So kann z. B. ein intensiver Einsatz von Leasing zu einer Anpassung der eigenen Produktangebote führen.
Die Gewinn-und-Verlust-Rechnung
Die zweite wichtige Basis für die Analyse von Finanzdaten ist neben der Bilanz die GuV. Darin wird die Differenz zwischen Umsatz und Kosten in einer Periode ermittelt. Für Verkaufsexperten unerlässlich ist daneben eine genaue Berechnung des Kunden-Cashflows. Da hier die Kapitalströme in einer Periode betrachtet werden, gibt der Cashflow einen exakten Überblick über die Investitionskraft und die Zahlungsfähigkeit des Kunden. Drei Arten des Cashflows werden unterschieden:
- Cashflow aus operativer Tätigkeit: Er zeigt die Differenz zwischen Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen abzüglich des Umlaufvermögens und der Rückstellungen.
- Cashflow aus Investitionstätigkeit: Er umfasst zusätzlich die Investitionen und die Einnahmen aus dem Verkauf von Anlagen.
- Finanzierungskraft: Hier werden zudem die Veränderungen beim Eigen- und Fremdkapital mit einbezogen.
„Nehmen Sie die Chance wahr und nutzen Sie den Geschäftsbericht als Imagebroschüre für Ihr Unternehmen.“
Dem operativen Cashflow sollten Sie am meisten Beachtung schenken. Stammt der Kapitalfluss zu einem großen Teil aus den Bereichen Investition und Finanzierung, ist das Geschäft möglicherweise nicht nachhaltig.
So wichtig Geschäftsbericht, Bilanz und GuV auch sind, sie sollten nie Ihre einzige Quelle sein. Zahlreiche weitere Publikationen können Zusatzdaten liefern oder helfen, die Erkenntnisse des Geschäftsberichts zu verifizieren. Besonders aufschlussreich sind Quartalsberichte. Börsennotierte Unternehmen sind oft verpflichtet, sie zu publizieren. Sie geben Ihnen Hinweise auf aktuelle Veränderungen der wirtschaftlichen Situation. Eine weitere Quelle ist die Bilanzpressekonferenz, in der häufig Ad-hoc-Mitteilungen gemacht und Informationen preisgegeben werden, die nicht schriftlich festgehalten sind. Börsennotierte Unternehmen sind laut Wertpapiergesetz verpflichtet, börsenrelevante Mitteilungen sofort herauszugeben.
Verkaufsinstrument Geschäftsbericht
Vergessen Sie über dem Studium von Kundenpublikationen nicht, dass Ihr eigener Geschäftsbericht ein ebenso hervorragendes Verkaufsmittel ist. Ein offener Umgang mit Firmendaten hilft nicht nur, die eigenen Qualitäten beim Kunden deutlicher hervorzuheben, sondern schafft auch eine Vertrauensbasis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Voraussetzung dafür ist die Reflexion über eigene unternehmerische Schwachpunkte. Als Manager sollten Sie sich regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, wie Ihr Geschäftsbericht am Markt eingeschätzt wird.