Industrielle Forschung und Entwicklung in Emerging Markets

Buch Industrielle Forschung und Entwicklung in Emerging Markets

Motive, Erfolgsfaktoren, Best-Practice-Beispiele

Gabler,


Rezension

Wer in Schwellenländern erfolgreich sein will, muss auch vor Ort forschen und entwickeln, sagen die Autoren dieses Sammelbands. Welche Or­gan­i­sa­tions­form dafür die beste ist, wie lange der Aufbau einer F&E-Einheit dauert und was er kostet, erfährt man anhand von Beispielen aus diversen Branchen. So berichtet z. B. die Firma Sartorius von ihrem Global Engineering Network, Evonik Degussa von ihrem konz­erneige­nen F&E-Zentrum in China und General Electric über den Standort im indischen Bangalore. Die In­for­ma­tio­nen sind detailliert, die Tipps umsetzbar. Alles in allem zeichnet das Buch ein lebendiges Bild von den Her­aus­forderun­gen und Lösungsmöglichkeiten vor Ort und wird dem eigenen Anspruch gerecht, an­wen­dungs­bere­ites Wissen zu liefern. BooksInShort kann es allen F&E-Managern und Mitgliedern der Un­ternehmensführung empfehlen, die mit dem Aufbau einer Nieder­las­sung in einem Schwellen­land betraut sind.

Take-aways

  • In­dus­triefir­men, die in Schwellenländern erfolgreich sein wollen, sollten ihre Forschung und Entwicklung vor Ort betreiben und auf lokales Know-how zurückgreifen.
  • Am lukra­tivsten ist das mittlere Mark­t­seg­ment; es wächst weltweit am stärksten.
  • Ein Joint Venture verbindet die Vorteile eines externen Partners mit denen einer eigenen Nieder­las­sung und minimiert die Risiken.
  • Offene Kom­mu­nika­tion und Anreize zur Kooperation verhindern Ängste unter den Mi­tar­beit­ern im Stammland.
  • In China und Indien können Forschungsabteilun­gen von einer hoch en­twick­el­ten wis­senschaftlichen In­fra­struk­tur profitieren.
  • Mitarbeiter vor Ort müssen flexibel und eigen­ver­ant­wortlich handeln können. Fern­s­teuerung demotiviert.
  • Bereiten Sie lokales Personal durch Trainings auf die Ar­beitsweise in westlichen Unternehmen vor.
  • Persönliche Beziehungen zu Professoren namhafter Universitäten sichern qual­i­fizierte Mitarbeiter.
  • Besuchen Sie Ihre Nieder­las­sun­gen regelmäßig, um persönliche Beziehungen zu pflegen.
  • Motivieren Sie Fachkräfte, indem Sie ihnen ve­r­ant­wor­tungsvolle Projekte übertragen.
 

Zusammenfassung

Erfolgreich nur vor Ort

Emerging Markets oder Schwellenländer wie China oder Indien weisen enorme Wach­s­tum­sraten auf. Indiens Wirtschaft beispiel­sweise wuchs im Jahr 2007 um 15,2 %. In China waren es 11,4 %. Deutsch­lands Wirtschaft brachte es in dieser Zeit dagegen nur auf 2,5 %. Für westliche In­dus­trie­un­ternehmen stellt sich angesichts dieser Entwicklung nicht nur die Frage, wie sie vom Wachstum in den Schwellenländern profitieren, sondern auch, wie sie sich ihre Vor­ma­cht­stel­lung auf den Weltmärkten sichern können.

„Westliche Unternehmen werden in hohem Maße von der er­stark­enden Kaufkraft in den Emerging Markets angezogen.“

Im Vergleich zu den Märkten in den in­dus­tri­al­isierten Ländern entwickeln sich die Emerging Markets nicht nur dynamischer, sondern verfügen auch über andere Käufer­struk­turen. Die Vorlieben der Kunden ändern sich sehr schnell. Die na­he­liegende Schlussfol­gerung: Nur wer vor Ort ist, kann sich flexibel darauf einstellen. Unabdingbar für den Erfolg auf dem lokalen Markt ist eine auf lokalem Wissen basierende Forschung & Entwicklung (F&E). Qual­i­fiziertes Fach­per­sonal steht vor Ort zur Verfügung. Die Nähe zu wis­senschaftlichen Ein­rich­tun­gen und Fer­ti­gungsstätten, der direkte Kontakt zum Kunden und beschle­u­nigte In­no­va­tion­szyklen sparen Kosten.

Eigene F&E-Einheit oder externer Partner?

Für Unternehmen, die in Schwellenländern tätig sind, empfiehlt sich also eine eigenständige F&E-Einheit vor Ort. Natürlich lässt sich eine solche nicht von heute auf morgen aufbauen. Bis es so weit ist, bedienen sich viele Unternehmen externer Partner: Es müssen keine großen In­vesti­tio­nen getätigt werden, womit diese Variante ver­gle­ich­sweise kostengünstig ist. Sie birgt aber auch höhere Risiken. Schließlich geben Sie Ihr geistiges Eigentum an Dritte weiter und müssen hoffen, kein Opfer der Pro­duk­t­pi­ra­terie zu werden. Mit einer eigenen Tochter­firma lässt sich das vermeiden. Auf diese Weise können Sie Ihre F&E-Aktivitäten nicht nur besser kon­trol­lieren und steuern, sondern auch strategisch ausbauen. Allerdings ist der Aufbau einer solchen Dependance teuer und kostet viel Zeit. Bis das investierte Geld zurückfließt, brauchen Sie einen langen Atem. Zeit lässt sich sparen, wenn Sie bestehende In­fra­struk­turen und Ressourcen vor Ort kaufen. Mit einer Hy­brid­struk­tur wie einem Joint Venture verbinden Sie die Vorteile eines externen Partners mit denen einer eigenen Nieder­las­sung und schwächen deren Risiken ab.

Starkes Programm- und Per­sonal­man­age­ment

Haben Sie sich für eine eigene F&E-Einheit vor Ort entschieden, kommt es auf ein klares strate­gis­ches Konzept, auf trans­par­ente Kosten sowie ein stringentes Programm- und Per­sonal­man­age­ment an. Das F&E-Pro­gram­m­man­age­ment sollte sowohl am Heimat- als auch am Ziel­stan­dort präsent sein, direkt an den Vorstand berichten und für die Umsetzung voll ve­r­ant­wortlich sein. Neben den eigentlichen F&E-Aktivitäten kümmert es sich ide­al­er­weise auch um die Funktionen Finanzen, Human Resources, IT, Recht und Kom­mu­nika­tion.

„Die Durch­dringung des lokalen Marktes kann nur einhergehen mit dem gle­ichzeit­i­gen Aufbau einer lokalen En­twick­lungskom­pe­tenz.“

Oft wird der Aufbau neuer Dependancen im Ausland von den Mi­tar­beit­ern im Stammland als Bedrohung angesehen. Mit einer von Anfang an offenen Kom­mu­nika­tion, aber auch mit einem An­reizsys­tem für die Kooperation mit dem neuen Standort lässt sich das vermeiden. Bis Sie genügend Personal vor Ort gefunden haben, sollten Sie für zwei bis drei Jahre eigene operative Mitarbeiter in die Dependance schicken. Das Per­sonal­man­age­ment vor Ort muss durch En­twick­lungsmöglichkeiten und eine angemessene Entlohnung Bleibean­reize schaffen. Für einen optimalen Wis­senstrans­fer und in­terkul­turelles Know-how schicken Sie außerdem für vier bis sechs Wochen Train­ingsper­sonal ins Zielland.

Chancen im mittleren Mark­t­seg­ment

Wegen der hohen Qualität ihrer Produkte haben westliche Unternehmen bislang vorwiegend den Pre­mi­um­markt in den Schwellenländern bedient. Die mittleren und unteren Segmente werden noch überwiegend von lokalen Anbietern mit niedrigen Pro­duk­tion­skosten dominiert. Genau sie verfügen aber über die größte Kaufkraft und das stärkste Wach­s­tumspoten­zial. Experten rechnen damit, dass bis 2030 ca. 15 % der Weltbevölkerung zur globalen Mit­telk­lasse zählen werden. Schon heute liegt deren Um­satzan­teil bei 60 %; er wird weiter wachsen.

„Neben der Beibehal­tung einer starken Position im Pre­mi­um­seg­ment bietet sich ein Eintritt in das mittlere Mark­t­seg­ment an.“

Wer diesen Markt nicht bedient, verzichtet nicht nur auf eine große Zahl von Abnehmern, sondern riskiert eine erstarkende Konkurrenz aus den Emerging Markets, die ihr er­fol­gre­iches Engagement auf westliche Märkte ausweitet. Chinesische Unternehmen wie Haier, Huawei oder Lenovo haben mit innovativen Produkten bereits erfolgreich den Sprung in westliche Märkte gewagt. Westliche Unternehmen sind gut beraten, auch für den mittleren Markt zu produzieren, wenn sie ihre Möglichkeiten in den Schwellenländern ausweiten wollen. Gelingen kann das mit einer Low-Cost- und Low-End-Strate­gie, also mit Kosteneinsparun­gen durch Produkte, die auf das Wesentliche beschränkt sind.

Fall­beispiel Sartorius

Beim in­ter­na­tional tätigen Labor- und Prozesstech­nolo­gie-An­bi­eter Sartorius hält man Fertigungs- und En­twick­lungs­stan­dorte vor Ort für unumgänglich, um einen möglichst einfachen Eintritt in die Emerging Markets und eine aus­re­ichende Kenntnis der dortigen Kultur zu gewährleisten. Entsprechend hat das Unternehmen Nieder­las­sun­gen in Indien, China und den USA gegründet, die zusammen das so genannte Global Engineering Network (GEN) bilden. Jede Nieder­las­sung entwickelt und fertigt das, wofür sie die besten Kompetenzen und Stan­dortvorteile besitzt. Um Überschnei­dun­gen auszuschließen, sind sämtliche Kompetenzen in einer Matrix aufgeführt. Weil mit der Erstellung dieser Matrix auch eine Umverteilung von Kompetenzen verbunden war, sich aber niemand bevormundet fühlen sollte, wurde die neue Struktur zwischen dem Haupt­stan­dort in Göttingen und den ver­schiede­nen lokalen Standorten gemeinsam erarbeitet. Für eine er­fol­gre­iche Integration aller Einheiten in das Netzwerk wurde ein standortübergreifendes Pro­jek­t­man­age­ment etabliert. Persönliche Beziehungen sind die Grundlage für eine gute Zusam­me­nar­beit der einzelnen Nieder­las­sun­gen. Darum gehören regelmäßige gegen­seit­ige Besuche zum Programm des GEN. So lernen beispiel­sweise Mitarbeiter in den USA, wie Mitarbeiter in China denken, und können mit kulturellen Un­ter­schieden leichter umgehen.

Fall­beispiel Schott

Weil die wachstumsstärksten Märkte in Asien und ins­beson­dere in China liegen, eröffnete der in­ter­na­tionale Tech­nolo­giekonz­ern Schott im Frühjahr 2007 sein Technical Service Center im chi­ne­sis­chen Suzhou. Begonnen wurde mit zehn Angestell­ten. Inzwischen beschäftigt die Nieder­las­sung 20 Ingenieure, Wis­senschaftler und Techniker. Die Wahl fiel auf diesen Standort, weil sich das Unternehmen hier in einem Tech­nolo­giepark mit ca. 1500 Unternehmen aus aller Welt ansiedeln konnte, darunter Kunden, Lieferanten und Pro­duk­tions­be­triebe. Eine wichtige Rolle spielte auch die Zusam­me­nar­beit mit wis­senschaftlichen Ein­rich­tun­gen. Die Planung der neuen Nieder­las­sung nahm etwa ein Jahr in Anspruch, die Im­ple­men­tierung dauerte ebenfalls ein Jahr. Für Aufbau, Weit­er­en­twick­lung und Sta­bil­isierung wird mit weiteren drei bis fünf Jahren gerechnet.

„Häufig bildet der Aufbau von eigenen F&E-Kapazitäten in den Emerging Markets die fort­geschrit­ten­ste Stufe einer langen Entwicklung des lokalen un­ternehmerischen Engagements.“

Für er­fol­gsentschei­dend hält man bei Schott eine global gültige Un­ternehmensvi­sion. Sie soll dafür sorgen, dass jeder Mitarbeiter nach der sys­tem­a­tis­chen Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit und nach Kun­den­zufrieden­heit strebt. Ebenfalls wichtig war gerade in der An­fangsphase die Unterstützung durch das Top­man­age­ment. Es wurde ein Lenkungsauss­chuss gebildet, dem sowohl die Konzernführung als auch die Führung der Geschäftseinheit angehörte.

„Chinesische Mitarbeiter, die in Deutschland studiert und gelebt haben, können Mul­ti­p­lika­toren für ein besseres Verständnis der un­ter­schiedlichen Kulturen sein.“

Die rasant wachsenden Märkte in China erfordern Flexibilität und rasche Entscheide. Die Mitarbeiter vor Ort müssen deshalb eigen­ver­ant­wortlich handeln können und über die nötigen Kompetenzen verfügen. Entschei­dungs­frei­heit innerhalb gewisser Grenzen ist ein Muss; nicht zuletzt, wenn es gilt, bestehende Prozesse an kulturelle Un­ter­schiede anzupassen. Eine Fern­s­teuerung durch den Mut­terkonz­ern ist für die Mitarbeiter vor Ort nicht unbedingt motivierend. Die Entschei­dungs­frei­heit geht allerdings mit der Pflicht zum zeitnahen Berichten an das Mutterhaus einher. Was in der Nieder­las­sung entschieden werden kann und was nicht, ist bei Schott klar festgelegt. Entschei­dun­gen über technische Kun­de­nan­fra­gen können beispiel­sweise in Suzhou frei gefällt werden.

Fall­beispiel Evonik Degussa

Evonik Degussa unterhält etwa 20 Gesellschaften und Joint Ventures in China. Das Engagement begann mit dem Export von Produkten, wurde weit­er­en­twick­elt mit dem Aufbau eines lokalen Marketings und Vertriebs, bis dann die erste Pro­duk­tion­sstätte errichtet wurde. Der letzte Schritt bestand 2003 im Aufbau der Forschung für die Chemies­parte in Shanghai. Bis heute wurden mehr als 20 Millionen Euro in dieses Forschungszen­trum investiert. So kann das Unternehmen Produkte entwickeln, die den chi­ne­sis­chen Bedürfnissen gerecht werden.

„Ein absolutes Muss für eine er­fol­gre­iche Rekru­tierung sind her­vor­ra­gende Kontakte zu den führenden Hochschulen des Landes.“

Bei Evonik Degussa schätzt man das gute lokale Fach­per­sonal, weist aber darauf hin, dass Unternehmen die kulturellen Un­ter­schiede unbedingt berücksichtigen müssen. So denken z. B. Chinesen hi­er­ar­chis­cher als Deutsche. Um lokales Personal auf die westliche Ar­beitsweise einzuschwören, empfehlen sich Trainings in Deutschland. Die lokale F&E-Einheit dient Evonik Degussa nicht nur als Brücke zwischen Unternehmen und Markt, sondern auch zwischen Unternehmen und Forschung.

„Es ist wichtig, dass die F&E-Mi­tar­beiter ihren Beitrag zum Gesamter­folg des überge­ord­neten Projektes wie auch GE insgesamt sehen.“

Attraktiv ist China nämlich nicht nur wegen seiner Marktgröße, sondern auch wegen der Qualität seiner wis­senschaftlichen Ein­rich­tun­gen und seines wis­senschaftlichen Personals. Persönliche Beziehungen sind die Grundlage jeder Part­ner­schaft in China. Deshalb schuf Evonik Degussa ein so genanntes Scientific Advisory Board mit namhaften Professoren. Einmal im Jahr ve­r­anstal­tet das Unternehmen die Konferenz „Evonik meets Science“, woran jeweils etwa 30 chinesische Wis­senschaftler teilnehmen.

Fall­beispiel General Electric

Der Hauptgrund, weshalb General Electric im indischen Bangalore das John F. Welch Technology Centre (JFWTC) errichtet hat, liegt im großen Angebot an sehr gut aus­ge­bilde­tem Fach­per­sonal. Das Unternehmen beschäftigt rund 4200 Mitarbeiter in seiner indischen F&E-Einheit, die mul­ti­diszi­plinär arbeitet: Grund­la­gen­forschung, Maschi­nen­bau, Software, Kon­struk­tion. Der Campus beherbergt Labor- und Bürogebäude, aber auch einen Park und eine Freiluft­cafe­te­ria sowie weitere An­nehm­lichkeiten für die Mitarbeiter.

„Der Hauptgrund für GEs F&E-En­gage­ment in Indien war von Anfang an die her­vor­ra­gend entwickelte in­tellek­tuelle In­fra­struk­tur des Landes, die zahlreich Ingenieurs- und Natur­wis­senschafts­bere­iche umfasst.“

Die Rekru­tierung erfolgt u. a. über Kontakte zu den renom­miertesten Hochschulen und Universitäten des Landes, aber auch weltweit. So werden außerhalb Indiens potenzielle Mitarbeiter ange­sprochen, die gerne in ihr Heimatland zurückkehren möchten. Ein Anreiz ist das gute Ar­beit­sum­feld auf dem JFWTC-Cam­pus. Zudem hilft GE beim Umzug nach Bangalore, sucht Wohnungen, Kinder­be­treu­ungsmöglichkeiten, bietet kostenlose Mahlzeiten und organisiert den Transport zum Ar­beit­splatz. Wer in Bangalore einen Vertrag un­ter­schreibt, kommt vom ersten Moment an in den Genuss einer einwandfrei funk­tion­ieren­den In­fra­struk­tur. Niemand muss tagelang auf seinen Laptop oder E-Mail-Ac­count warten. Und weil nichts so sehr motiviert wie Ve­r­ant­wor­tung, darf jeder neue Mitarbeiter schnell selbstständig innovative Projekte durchführen.

Über die Autoren

Prof. Dr. Holger Ernst ist Inhaber des Lehrstuhls für Tech­nolo­gie- und In­no­va­tion­s­man­age­ment an der Otto Beisheim School of Management und berät zahlreiche Unternehmen auf dem Gebiet des In­no­va­tion­s­man­age­ments. Anna T. Dubiel und Martin Fischer sind wis­senschaftliche Mitarbeiter und Doktoranden am Lehrstuhl von Prof. Ernst und forschen u. a. auf dem Gebiet des in­ter­na­tionalen F&E-Man­age­ments. Neben diesen drei Her­aus­ge­bern haben fast 30 weitere Autoren zum Buch beigetragen.