Vom Immigranten zum Unternehmer
Zum Unternehmer wurde der 1928 in Beirut geborene Nicolas Hayek eher per Zufall. Eigentlich hatte er geplant, in den USA Kernphysik zu studieren, er änderte aber sein Vorhaben und emigrierte 1949 aus dem Libanon in die Schweiz. 1951 heiratete er die Schweizerin Marianne Mezger, und als ihr Vater ins Krankenhaus musste, übernahm Hayek die Leitung der Maschinenfabrik und Eisengießerei Ed. Mezger in Kallnach.
„Indem Hayek als Unternehmer gegen die Schwarzmaler antrat, wurde er zum wirtschaftlichen ‚Muntermacher‘ der Nation.“
Obwohl seine Deutschkenntnisse mangelhaft waren und er keinerlei Ahnung von Bremsbelägen und Gussmaschinen hatte, war Hayek erfolgreich: Er zog einen Großauftrag der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) an Land und knüpfte Kontakte, u. a. mit dem Unternehmensberater Lester B. Knight. Dieser schlug ihm vor, in der Schweiz eine Filiale seiner Firma Knight Wendling zu eröffnen. Der Anfang war alles andere als leicht, doch Hayek vertraute auf seine Kontakte, machte sich in Deutschland einen Namen und zählte bald den Mannesmann-Konzern zu seinen Kunden.
Der Erfolg kam mit Hayek Engineering
Die Basis für Hayeks Erfolg bildete die Gründung seiner eigenen Beratungsfirma Hayek Engineering. Diese beteiligte sich an Sanierungen und Restrukturierungen vornehmlich deutscher Unternehmen der Schwerindustrie. Bald brauchte Hayek nicht mehr jeden Franken zweimal umzudrehen. Er erwarb ein Bürohaus in der Zürcher City und sorgte mit exzellentem Networking für volle Auftragsbücher. Er gab wo immer möglich bei Neueinstellungen Werkzeugmachern, Schlossern und Buchhaltern den Vorzug vor Akademikern: Fachkompetenz war ihm wichtiger als ein Universitätsabschluss.
„Der nur 1,65 Meter große, Deutsch radebrechende Immigrant fiel mit seiner markanten Nase und den buschigen Augenbrauen überall sofort auf.“
Allmählich fasste Hayek mit seiner Beratungsfirma auch in der Schweiz Fuß. Ein großen Sprung nach vorn machte das Unternehmen, als ein ehemaliger Bundesrat dem Aufsichtsrat beitrat. Neben der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) gewann er auch die SBB-Generaldirektion als Kunden – und später sogar die Zürcher Stadtverwaltung, ein absolutes Novum auf dem Consulting-Parkett. Im Gegensatz zu anderen Beratern wie McKinsey ging es bei Hayek nicht immer um Stellenabbau; der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) etwa empfahl er sogar eine Aufstockung des Personals.
Der Retter der Uhrenbranche
Die Uhrenindustrie war schon immer das Aushängeschild der Schweiz gewesen, sie wurde streng behütet und vor jeglicher Konkurrenz in Schutz genommen. Die Uhrenlobby war unglaublich mächtig. Kein Wunder, stammte doch bis Ende der 1960er Jahre weltweit jede zweite Uhr aus der Schweiz. Wer einen Job in der Uhrenindustrie hatte, zählte zu den bestbezahlten Arbeitnehmern des Landes. Dann kam der Siegeszug der Elektronik: Jetzt konnten auch andere Länder präzise Uhren bauen, und der drittwichtigste Exportzweig der Schweiz geriet in Schieflage.
„Hayek knüpfte, als der Begriff ,Networking‘ noch exotisch anmutete, eifrig Kontakte zu Leuten, von denen er annahm, dass sie ihm einmal nützlich werden könnten.“
Während die Schweizer auf ihrem hohen Ross sitzen blieben und darauf warteten, dass die Kunden bei ihnen anklopfen würden, überschwemmten Hongkong und Japan den Markt mit billigen Quarzuhren, die dazu noch genau gingen. Zwar hatten die Schweizer durchaus neue Technologien in der Schublade, aber dort blieben sie auch: Anstatt die Entwicklungen voranzutreiben und sich an der Weltmarktspitze zu behaupten, stagnierte die Schweizer Uhrenindustrie. Mit Luxusmarken wie Rolex oder Patek Philippe war die Branche nicht zu retten; und die Hauptstützen des Uhrenkonzerns SSIH, entstanden aus Tissot und Omega, begannen zu wanken. Der drohende Konkurs der SSIH schwebte als dunkle Wolke am Horizont – bis 1981 der für die Sanierung zuständige Peter Gross, Generaldirektor der Bankgesellschaft, Hayek Engineering ins Boot holte.
Auf dem Weg zum Industriellen
Für Hayeks Mitarbeiter war die Uhrenbranche ein gänzlich neues Metier. Sowohl die Kundschaft als auch die Kostenstruktur der Konsumgüterindustrie hatten nichts mit der Schwerindustrie gemein. Hayeks Vizedirektor Jochem Thieme startete bei der SSIH in Biel eine Betriebsanalyse. Nach ein paar Wochen stand fest, dass Produktpolitik, Marketing und Vertrieb völlig umgekrempelt werden mussten und die verkrustete Unternehmenskultur eine Frischzellenkur brauchte. Ein Jahr später baten die Banken um die Analyse eines weiteren Uhrenkonzerns, der ASUAG, und die fiel nicht weniger dramatisch aus. Hayek empfahl, die gesamte Führung vor die Tür zu setzen, sie durch einen Steuerungsausschuss, dem auch Hayek und Thieme angehörten, zu ersetzen und die Konzerne SSIH und ASUAG zu fusionieren. Dieses Vorgehen erwies sich als richtiger Schritt, denn bereits 1984 wurde ein bescheidener Betriebsgewinn verzeichnet.
„Für Hayek haben Organisationsstrukturen seit jeher keine allzu große Bedeutung. Es komme auf die Leute an, die in der betreffenden Organisation arbeiten, sagt er immer.“
Hayek hegte schon lange den Wunsch, Industrieller zu werden. Als er Peter Gross nach einem attraktiven Investment fragte, stieß dieser ihn mit der Nase auf den neuen Uhrenkonzern, der sich jetzt SMH nannte. Hayek machte rund ein Dutzend weitere Investoren ausfindig, darunter einige Schweizer Milliardäre, aber dank eines ausgeklügelten Vertrags war er von Beginn an der Chef im Ring. Im Juni 1986 übernahm er das Präsidium und zugleich die operative Führung der SMH.
Die Swatch: Hayeks Goldesel
Erfunden hat Hayek die Swatch nicht. Sie ist vielmehr das Baby von Ernst Thomke, dem Chef der ASUAG-Tochter ETA, und zweier seiner Ingenieure. Schon 1983 war die Swatch als trendige Accessoireuhr ein Verkaufsschlager, lange bevor Hayek sie unter seine Fittiche nahm. Zunächst war sie auf dem amerikanischen Markt ein Hit. Und bald erfasste der Swatch-Kult auch die Schweiz und das restliche Europa. 1985 verließen jeden Monat eine Million Swatch-Uhren das Werk in Grenchen. Die Swatch konnte jedem Modetrend angepasst werden. Trotz ihres Kunststoffgehäuses wurde sie nicht als Billiguhr lanciert. Stattdessen bot man sie als Zweituhr im hochpreisigen Fachhandel, in Boutiquen und in Modehäusern an. Die Swatch boomte und die gesamte Schweizer Uhrenindustrie sah wieder Licht am Ende des Tunnels.
„Die Schweizer Uhrenhersteller setzten sich sozusagen auf die vergoldete Spitze der Produktpyramide und merkten nicht, dass das Fundament darunter immer stärker bröckelte.“
Als Hayek bei SMH das Ruder übernahm, waren bereits zehn Millionen Swatch-Uhren verkauft. So manche Swatch avancierte zum Sammlerobjekt, das beim Auktionshaus Christie’s bis zu 20 000 Franken einbrachte – Andy Warhol etwa hatte Dutzende davon. Nach 100 Millionen produzierten Swatch-Uhren organisierte Hayek ein Riesenspektakel in Zermatt, bei dem nicht nur die revolutionäre Plastikuhr, sondern auch Hayek selbst gefeiert wurde. Thomke war zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr im Konzern tätig und wurde auch nicht zur Feier eingeladen, Hayek ernannte sich selbst zum Vater der Swatch und sonnte sich im Ruhm. Sein tatsächliches Verdienst war nicht die Erfindung, sondern das finanzielle und unternehmerische Engagement, das der Swatch den Erfolg ermöglichte und der Branche das Leben rettete.
Das Zugpferd der Schweizer Uhrenindustrie
Hayek gab sich in der Folgezeit größte Mühe, im Konzern alle Zügel in die Hand zu bekommen. Milliardär Stephan Schmidheiny zog sich Anfang der 90er Jahre aus dem Poolvertrag zurück, der die Investoren zusammenhielt. Dadurch kam Hayek an stimmgewichtige Namenaktien, die Schmidheiny ihm gegen Inhaberaktien überließ. Nachdem der Investor den Verwaltungsrat verlassen hatte, beorderte Hayek gleich vier Personen an seine Stelle, von denen er nichts zu befürchten hatte, unter ihnen seine Tochter Nayla und den Astronauten Claude Nicollier. Außerdem kaufte Hayek bei jeder Gelegenheit weitere Aktien.
„Mit dem endgültigen Durchbruch der Swatch auf allen wichtigen Märkten und der Sanierung der Omega war Hayek seinem strategischen Ziel einen weiteren, entscheidenden Schritt näher gerückt.“
Hayek bewies auch in der Verkaufsstrategie ein sicheres Händchen, indem er den Swatch-Käufer auf der emotionalen Ebene abholte. Die Botschaft der Swatch lautete: Spaß und Provokation bei Topqualität und kleinem Preis. Ganz anders Hayeks Prestigeobjekt Omega: Diese Marke stand nun für Schönheit und Eleganz und zierte die Handgelenke von Cindy Crawford, Nicole Kidman und James-Bond-Darstellern. Hayek machte auch den Vertrieb zur Chefsache. Die Swatch wurde in den USA fast ausschließlich in eigenen Shops angeboten, und für die Omega eröffnete Hayek mit viel publikumswirksamem Tamtam Flagship-Stores in den Metropolen der Welt.
„Hayek hat bewiesen, dass eine Umstrukturierung des Produktionsapparats in Richtung erhöhter Wertschöpfung auch ohne Lohndrückerei möglich ist.“
Die Schweizer Uhrenindustrie war wieder im Kommen und hatte in Europa und den USA bald eine Vorbildfunktion. Dieser Erfolg war unstrittig mit Hayeks Person verknüpft. Sein Wirtschaftscredo lautete, dass das untere Marktsegment keinesfalls vernachlässigt werden durfte, weil sich sonst Schwellenländer dieses Kuchenstück einverleiben würden. Hayek führte vor, dass man Billiglohnländern durchaus Paroli bieten kann, wenn man die Produktivität steigert. Die so erzielten Einsparungen machten die höheren Lohnkosten wett.
Den Kopf voller Ideen
Unternehmerisch war Hayek, auch als er bereits ganz oben stand, nicht zufrieden. Immer noch sah er Verbesserungspotenzial. Die Omega ließ ihm keine Ruhe, denn sie zählte noch nicht zu den superteuren Luxusuhren und konnte den Uhren aus den Genfer Häusern Patek Philippe oder Audemars Piguet nicht das Wasser reichen. Also suchte Hayek nach maroden Nobelmarken. Er fand sie 1992 in Blancpain, der ältesten Schweizer Uhrenmarke, und 1999 in Breguet, die inzwischen die Schweizer Luxusmarke schlechthin ist. Hayek brachte das Breguet in kurzer Zeit wieder in die schwarzen Zahlen und vermarktete geschickt die Geschichte um die Traditionsmarke, ohne dabei auf Innovation zu verzichten.
„Hayek machte sich zum Verwaltungspräsidenten, CEO, Marketingchef, Produktions- und Entwicklungschef in Personalunion und brachte Breguet in wenigen Jahren zu neuer Blüte.“
Die Ideen gingen Hayek nicht aus und so tastete er sich auf den der Luxusuhrbranche benachbarten Schmuckmarkt vor. Bald lagen Schmuckkollektionen von Swatch, Omega, Breguet und anderen Marken in den Vitrinen; sie verkauften sich bestens. Hayeks Sohn Nick angelte sich die amerikanische Schmuckmarke Tiffany als strategischen Partner. Fortan verkaufte die Swatch Group unter dieser Marke Nobeluhren.
„Hayek ist sein eigener Herr und Meister und absolut druckunempfindlich.“
Nur eitel Sonnenschein gab es aber auch in Hayeks Welt nicht. Mit seiner Vision eines Swatch-Mobils mit Hybridantrieb ging er baden; Partner Mercedes machte den benzinbetriebenen Smart daraus. Flops waren auch kabellose Telefone und Pager, die Hayek zusammen mit Siemens lancieren wollte, sowie diverse Swatch-Accessoires, vom Stirnband bis zum Regenschirm. Heute besinnt sich die Swatch Group wieder auf ihr Kerngeschäft.
Gesellschaftlich und privat engagiert
Hayek dachte und tat immer, was er wollte, und ließ sich nie in eine bestimmte politische Schublade stecken. Dass er zudem kein Blatt vor den Mund nahm, bekam oft genug auch die Riege der Manager zu spüren, die in seinen Augen überbezahlt war und kaum ein Risiko für ihr Handeln zu tragen hatte. Für Hayek waren Unternehmer die wahren Helden, deren Hauptaugenmerk auf der Sicherung von Arbeitsplätzen liegen müsse. In der Swatch Group hielt er diesen Grundsatz relativ konsequent ein und beteiligte die Mitarbeiter am Erfolg, ohne persönliche Interessen zu vernachlässigen.
„Hayeks marktmächtige Stellung ist das Resultat seiner visionären, konsequent über die Jahre hinweg verfolgten Strategie.“
Hayeks soziales Engagement ging aber nicht so weit, dass er im Stil von Bill Gates sein Vermögen mittels einer Stiftung der Allgemeinheit vererbte. Die Swatch Group soll in seinem Sinn weitergeführt werden, deshalb beförderte er Tochter Nayla, Sohn Nick und Enkel Marc in die Führungsetage. Auch mit über 80 Jahren fuhr Hayek fast täglich in eines seiner Büros und arbeitete oft bis spät abends. Das passt, zusammen mit der ihm eigenen Sparsamkeit, gut zu dem Spitznamen, den er sich selbst gegeben hat: Dagobert Duck.