Leinen los!

Buch Leinen los!

Aufbruch in ein neues Zeitalter der Mitarbeiterführung

Wiley-VCH,


Rezension

Die jüngste Finanz- und Wirtschaft­skrise ist in Torsten Schumachers Augen vor allem eine Führungskrise, weil durch falsche Anreize (Boni) schädlichem Verhalten Vorschub geleistet wurde. Er plädiert darum für einen radikalen Par­a­dig­men­wech­sel in Sachen Führung. Der Buchtitel Leinen los! kommt noch ver­gle­ich­sweise harmlos daher angesichts der im Buch enthaltenen steilen Thesen und dem sehr entsch­iede­nen Ton, in dem Schumacher sie vorträgt. Die herkömmlichen Or­gan­i­sa­tions-, Kontroll- und An­reizsys­teme, mit denen Mitarbeiter zum Funk­tion­ieren gebracht werden sollen, will er allesamt über Bord werfen. An deren Stelle möchte Schumacher in­di­vidu­elle Führung, persönliche Ve­r­ant­wor­tung, größtmögliche Freiheit, Kreativität und Innovation fördern. Denn: Gehorsam und Anpassung sowie die sonstigen Sekundärtugenden der Arbeit bekommt man in der glob­al­isierten Wirtschaft woanders billiger. Schumachers Thesen sind nicht durchwegs neu, aber klar durchdacht sowie konsequent begründet und dargestellt. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Führungskräften, ins­beson­dere Un­ternehmern und Per­sonal­man­agern.

Take-aways

  • Unpersönliche Führung mit Kennzahlen, Bench­mark­ing, Or­gan­i­sa­tion­shandbüchern usw. hält den Her­aus­forderun­gen der Glob­al­isierung nicht stand.
  • Kennzahlen gaukeln Objektivität vor und beeinträchtigen die eigene Urteil­skraft.
  • Boni und Anreize sind lediglich subtile Dres­sur­mit­tel.
  • Per­son­alen­twick­lung ist Zeit- und Geld­ver­schwen­dung: Die Fähigkeiten und Ein­stel­lun­gen einer guten Führungskraft müssen vorgeprägt sein.
  • Werfen Sie diese überholten Mittel der Personalführung über Bord und begnügen Sie sich mit einem Minimum an Zahlen.
  • Betreiben Sie die Per­son­alauswahl sorgfältig und suchen Sie unabhängige Köpfe.
  • Definieren Sie Kompetenzen und Aufgaben, nicht Stellen.
  • Stärken Sie Stärken und Talente. Stärken sind alle Handlungen, die einem leicht fallen.
  • Schenken Sie Ihren Mi­tar­beit­ern Vertrauen, Freiheit und Sinn. So wecken Sie Kreativität und Lei­den­schaft.
  • Eröffnen Sie Ihren Mi­tar­beit­ern Entschei­dungsalter­na­tiven und geben Sie Feedbacks.
 

Zusammenfassung

Alte Führungsmeth­o­den haben ausgedient

Mit Zuverlässigkeit, Exaktheit, Schnel­ligkeit, Gehorsam und Anpassung können die westlichen Industrieländer in der glob­al­isierten Wirtschaft ihre Führungspo­si­tion nicht länger behaupten. Denn Produkte und Di­en­stleis­tun­gen, die im Wesentlichen auf diesen Sekundärtugenden basieren, bekommt man inzwischen auf dem Weltmarkt viel billiger als bei uns, weil sich nicht nur Pro­duk­tio­nen, sondern auch viele Ser­viceleis­tun­gen mit­tler­weile problemlos auslagern lassen. Herkömmliche Or­gan­i­sa­tion­ssys­teme, die Führungsauf­gaben mithilfe von „Tools“ in einen seelenlosen, vorwiegend von Zahlen gesteuerten Werkzeugkas­ten zerlegen, motivieren niemanden. Diese Systeme halten den Her­aus­forderun­gen der Glob­al­isierung und der Zukunft nicht stand.

Der Messwahn der Führungskräfte

Kenn­zahlen­sys­teme zur Messung von Mi­tar­beit­er­leis­tun­gen, Balanced Scorecards und Bench­mark­ing sind sehr beliebt. Der bürokratische Aufwand, der mit diesen Methoden betrieben wird, stellt einen erheblichen Kosten­fak­tor dar und bindet wertvolle Zeit und Ar­beit­skraft. Das Ergebnis sind Schein­ge­nauigkeit und De­mo­ti­va­tion. Schein­ge­nauigkeit, weil die Zahlenwerke zu sehr von den konkreten Umständen ab­strahieren, unter denen eine Leistung erbracht wurde, und oftmals Un­ver­gle­ich­bares in ein Verhältnis gebracht wird. De­mo­ti­va­tion, weil solche Vorgaben nur noch zu „Dienst nach Kennzahl“ führen und nicht zu echtem Engagement in der Sache. Vor allem aber verwässern Kennzahlen das eigene Urteilsvermögen. Führungsauf­gaben lassen sich nicht mech­a­nisieren.

Misstrauen als An­reizin­stru­ment

Wie steht es um Firmen, die strikte Ar­beit­szeitkon­trollen und Boni sowie weitere An­reizsys­teme brauchen, damit die Mitarbeiter ihre Leistung erbringen? Solche Unternehmen trauen ihren Mi­tar­beit­ern of­fen­sichtlich nicht zu, die Arbeit gerne und aus eigenem Antrieb zu tun. Sie haben ein Führungs- und Mo­ti­va­tion­sprob­lem. Die An­reizspi­rale führt dazu, dass nicht mehr die eigentliche Ar­beit­sleis­tung im Mittelpunkt steht, sondern interne Rangeleien um die „gerechte“ Verteilung der Anreize entstehen und das Anspruch­sniveau immer höher geschraubt wird: „Müller bekommt mehr als ich, obwohl ich das Gleiche geleistet habe“. Und für die Ar­beit­szeitkon­trolle gilt: Ist eine Stechuhr erst einmal ein­gerichtet, finden sich auch Wege, sie zu umgehen.

Mi­tar­beit­er­beurteilung und -en­twick­lung

Zielvere­in­barungs­ge­spräche als Druckmittel, jährliche Beurteilungsrun­den des Personals durch die Vorge­set­zten, 360-Grad-Beurteilun­gen (die anonymisierte Beurteilung der Führungskraft durch Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte), Kun­den­be­fra­gun­gen mit Noten­erteilung – dieses ganze Beurteilungsarse­nal mit seiner Schein­ge­nauigkeit führt ebenfalls in die Sackgasse. Warum? Weil Beurteilun­gen immer unscharf und subjektiv sind; das liegt einfach in der Natur der Sache. Und auch der Reparaturzirkus, den Per­son­alen­twick­ler betreiben, ist nichts weiter als Zeit- und Geld­ver­schwen­dung. Denn die für die Ar­beit­sleis­tung notwendigen Vo­raus­set­zun­gen wie Ve­r­ant­wor­tungs­be­wusst­sein oder Kom­mu­nika­tionsfähigkeit müssen bereits vorgeprägt sein. Ist doch klar: Wer nicht lächeln und reden kann, kann kein Vertriebler werden. Da nutzt keine Per­son­alen­twick­lungsmaßnahme der Welt.

Leitbilder und Handbücher

Kiloschwere Or­gan­i­sa­tion­shandbücher, Reisekosten­verord­nun­gen und dergleichen gehören in den Müll. Sie bringen keinen einzigen Kunden oder Auftrag und drücken nur das Misstrauen den Mi­tar­beit­ern gegenüber aus. Gleiches gilt für die Ar­beit­szeit­er­fas­sung. Stel­lenbeschrei­bun­gen sind bürokratisch-for­mal­is­tisch, statisch und nicht an den sich ändernden Aufgaben orientiert. Sie vernachlässigen das tatsächliche Mark­t­geschehen, wo sich die Kunden und Konkur­renten tummeln, und sind daher schlicht irrelevant. Selbstverständlich gilt dies auch für all die Un­ternehmensleit­bilder mit ihren wach­swe­ichen For­mulierun­gen und Allgemeinplätzen, die keinerlei Kon­se­quen­zen haben.

Die größten Talente auswählen

Gute Führung verzichtet auf all die genannten Instrumente. Fangen Sie damit an, Ihre besten Mitarbeiter sorgfältig auszuwählen. Vermeiden Sie grundle­gende Fehler in diesem Auswahl­prozess. Lassen Sie sich Zeit, gehen Sie nicht zu allgemein und schematisch vor. Pressen Sie den Bewerber nicht einseitig aus, sondern führen Sie ein Gespräch, entscheiden Sie rasch und vermeiden Sie falsche Anreize.

„Der Messwahn zerstört die in­di­vidu­elle Urteil­skraft.“

Exzellente Mitarbeiter dürfen keine Mitläufer und Ja-Sager sein. Richten Sie Ihr Augenmerk weniger auf die vorhandenen Sachken­nt­nisse als vielmehr auf Führungsfähigkeiten, in­di­vidu­elle Stärken und Talente, die Fähigkeit zur Kom­mu­nika­tion und zur Zusam­me­nar­beit. Außerdem müssen Sie bei der Mi­tar­beit­er­auswahl realistisch bleiben: Die ideale Kombination aus Oberst, No­bel­preisträger und Showmaster, wie sie fast in jeder Stel­lenanzeige gefordert wird, gibt es nicht.

„Bench­mark­ing soll von der eigenen Ideen­losigkeit ablenken.“

Entscheiden Sie sich im Zweifel gegen einen Kandidaten und gehen Sie keine Kompromisse ein, nur um etwa eine Ein­stel­lungsvor­gabe zu bedienen. Kein Orchester könnte es sich leisten, kom­pro­mis­shal­ber inkom­pe­tente Musiker einzustellen. Suchen Sie so lange, bis Sie die richtigen Leute gefunden haben. Dabei müssen die Kompetenz und die zu erledigende Aufgabe im Mittelpunkt stehen, nicht die Stelle und ihre Definition.

„Niemand bewegt wirklich etwas mit ‚Dienst nach Kennzahl‘.“

Aufgrund der in­ter­na­tionalen Ar­beit­steilung in der glob­al­isierten Wirtschaft wird es in Zukunft immer mehr darauf ankommen, das In­di­vidu­elle, Mutige, Kreative und die Eigenini­tia­tive zu fördern, weil sich nur so der Wet­tbe­werb­svor­sprung halten lässt. Diese An­forderun­gen setzen voraus, dass Sie die Einstellung eines Bewerbers erkennen, sein Verhalten, sein Ve­r­ant­wor­tungs­gefühl. Exzellenten Mi­tar­beit­ern müssen Sie Spielräume zur Entfaltung und zur Eigen­mo­ti­va­tion geben, indem Sie ihnen Freiraum bieten. Die Talente und Führungskräfte der Zukunft suchen bereits jetzt nach Tätigkeiten, die ihnen wirklich und direkt den Sinn ihres Tuns vermitteln – auf indirekte An­reizsys­teme kommt es dann gar nicht mehr an. Ansonsten bekommen Sie eine Horde habgieriger Schnösel, die nur an ihren eigenen Vorteil denken, oder antrieb­slose Aussitzer, die nicht weiter auffallen und vor allem die Ar­beit­splatzsicher­heit im Auge haben.

Sich auf das Individuum konzen­tri­eren

Ist der richtige Mitarbeiter gefunden, dann betrauen Sie ihn sofort mit einer konkreten Aufgabe, für die er die Ve­r­ant­wor­tung übernehmen soll. Das ist der Sinn der Probezeit. Das eigen­ver­ant­wortliche Handeln muss in der Zukunft wieder verstärkt in den Mittelpunkt un­ternehmerischer Aktivitäten gerückt werden. Es erhöht die Motivation, die Gestal­tungsspielräume und auch die Flexibilität, weil notfalls umgesteuert werden kann. Das Sozial­isieren von Risiken ist eine typische Konsequenz des grassieren­den Team-Un­we­sens und hat nicht nur in die Finanzkrise geführt, sondern wird auch noch zu einer wahren Systemkrise führen.

„Die typischen Anreiz- und Be­loh­nungsin­stru­mente erinnern an Hund­e­dres­sur.“

Indem Sie Aufgaben und Erwartungen konkret definieren und sie direkt und persönlich kom­mu­nizieren, übertragen Sie Ve­r­ant­wor­tung. Wenn Sie Teams bilden müssen, halten Sie diese klein und funk­tion­sori­en­tiert. Ordnen Sie die Ve­r­ant­wor­tung klar dem Teamleiter zu. Teams als Proporz- und Kuschelver­anstal­tun­gen lähmen den Betrieb.

Leistungsträger fördern

Eine erfolgreich bewältigte Aufgabe kann – muss aber nicht – eine Empfehlung für eine Beförderung sein. Vor allem wenn sich die neue Aufgabe stark von der alten un­ter­schei­det, zählen die Er­fol­gspa­ra­me­ter der Ver­gan­gen­heit wenig. Ein er­fol­gre­icher Sach­bear­beiter ist als Abteilungsleiter nicht unbedingt ebenfalls erfolgreich, weil er ganz andere Aufgaben hat. Auch die Beförderung bloß nach Zeitablauf ist nicht leis­tungs­gerecht.

„Mitläufer müssen wir aus­sortieren.“

Beförderungen sollen der Effektivitätssteigerung (Qualität) dienen, nicht der Ef­fizien­zsteigerung (Quantität). Das erreichen Sie, indem Sie den Querdenker, den Ungenormten fördern – und befördern – anstelle des strom­lin­ienförmigen Managers. Die im Wettbewerb notwendige Kreativität und Flexibilität erwachsen nicht daraus, alles genauso zu machen wie alle anderen oder wie der Vorgänger. Künstler fertigen auch keine Kopien ihrer eigenen Arbeiten. Allerdings erwächst auch Neues nicht notwendig daraus, als Neuer mit der Brechstange alles anders machen zu wollen.

„Ihre in­di­vidu­ellen Stärken liegen dort, wo Ihnen etwas leichtfällt.“

Aufgabe der Führung ist es, Stärken zu stärken. In­di­vidu­elle Stärken entdecken Sie am besten mit der Frage: „Was fällt Ihnen leicht?“ Stärken sind der beste Mo­ti­va­tions- und Leistungsträger – bis hin zur Lei­den­schaft. Und Lei­den­schaften ziehen wirtschaftlichen Erfolg nach sich, nicht Lohn­sklaverei.

Vertrauen und Ve­r­ant­wor­tung

Vertrauen und Ve­r­ant­wor­tung sind die Schlüssel­be­griffe der Führung der Zukunft. Vertrauen können Sie nur in einem in­di­vidu­ellen und durchaus risikobe­hafteten Prozess schaffen, nicht durch Re­gle­men­tierung und Kontrolle. Vertrauen setzt Freiheiten und Wahlmöglichkeiten voraus, die Möglichkeit, eigene Entschei­dun­gen zu treffen, ohne Einmischung von außen und Überfürsor­glichkeit von oben. Das ist die stärkste Motivation zur Leistungs- und Ideener­bringung.

„Werden Sie nicht von der Führungskraft zur Fürsorgekraft.“

Die Kehrseite des Vertrauens ist die Ve­r­ant­wor­tung. Zur ver­trauensvollen Zusam­me­nar­beit gehören selbstverständlich das sa­chori­en­tierte Arbeiten ohne Rollen- oder Ränkespiele, Macht­demon­stra­tio­nen, Selb­stin­sze­nierun­gen, Eitelkeiten oder Sta­tussym­bole. Natürlich darf man nicht die Erfolge anderer für sich beanspruchen. Und man muss zuhören können: Wir haben zwei Ohren, aber nur einen Mund.

Begleiten und Feedback geben

Ver­trauensvolle Zusam­me­nar­beit erreichen Sie, wenn Sie Ihre Mitarbeiter einzeln begleiten, mit ihnen im Gespräch bleiben, Erfahrungen austauschen und Feedbacks geben („walk the talk“). So gleichen Sie ganz natürlich die gegen­seit­i­gen Erwartungen ab, ein Kernstück der be­glei­t­en­den, ver­trauensvollen Führung. Die Erwartung an den Mitarbeiter soll konkret sein (z. B. „Machen Sie XY zu einem wichtigen Kunden“ statt „Hängen Sie sich rein“), sie muss aber nicht unbedingt beziffert sein. Der Er­wartungsab­gle­ich vollzieht sich durchaus auf Augenhöhe. Antwort des Mi­tar­beit­ers: „OK, wenn Sie mir das und das zur Verfügung stellen.“

„Lei­den­schaften ziehen wirtschaftlichen Erfolg nach sich.“

Nennen Sie neben dem Ziel, dem „Was“, auch den Grund, das „Warum“. Die Mitarbeiter wollen den Sinn ihres Tuns verstehen. Auch das motiviert. Schrauben Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch, sondern bleiben Sie realistisch. Jede Führungsauf­gabe ist eine Grat­wan­derung zwischen der Eröffnung von Gestal­tungsspielräumen und der Ori­en­tierung an Vorgaben. Sie kann nur individuell und an der konkreten Aufgabe vollzogen werden, nicht mit pauschalen Systemen. Es kommt darauf an, die Mitarbeiter wirklich persönlich ken­nen­zuler­nen, zu begleiten und ihnen sub­stanzielles Feedback zu geben.

Über den Autor

Dr. Torsten Schumacher hat Be­trieb­swirtschaft in Mannheim und Köln studiert und einen MBA in Barcelona absolviert. Er hat in großen in­ter­na­tionalen Be­ratungs­fir­men gearbeitet, darunter als Partner und Geschäftsführer bei Accenture. 2009 hat sich Schumacher mit einer eigenen Be­ratungs­firma selbstständig gemacht. Er ist auch Autor des Buches Wenn du viel erreichen willst, tue wenig.