Geburt eines Designriesen
Die Autos waren schuld. Die ersten Modelle, die in Beuren, einer Kleinstadt im Schwarzwald, durch die Straßen flitzten, erregten das Interesse des jungen Gymnasiasten Hartmut Esslinger. Sie weckten seine kreative Ader: Er zeichnete sie. Außerdem blätterte er von früh bis spät in Modemagazinen – seine Eltern hatten kurz zuvor einen kleinen Textilladen eröffnet. Von der überbordenden Kreativität ihres Sohnes waren sie aber ebenso wenig begeistert wie das Preiskomitee des Uhrenherstellers Kienzle, das Esslingers Entwürfe als unrealistisch ablehnte. Trotzdem studierte er Gestaltung an der Hochschule von Schwäbisch Gmünd und plante, schnellstens eine eigene Designfirma zu gründen, um seine Visionen wahr werden zu lassen. 1969 wurde Esslinger Design gegründet, und der frischgebackene Unternehmer gewann prompt den ersten „Bundespreis Gute Form“.
Der Frosch bekommt Flügel
Der Ruhm zahlte sich in barer Münze aus, denn Esslinger und seine beiden Partner durften das System 3000 des TV- und Musikanlagen-Herstellers Wega gestalten. Das Konzept wurde 1971 auf der Funkausstellung vorgestellt und war ein sofortiger Erfolg. Im Gegensatz zum üblichen Holzkorpus bestanden die TV-Geräte aus Kunststoff, der wie eine Skulptur modelliert war. 1974 wurde Wega von Sony gekauft, zu einem Zeitpunkt, als Esslinger bereits im Designteam des japanischen Elektronikriesen saß. Ganzseitige Anzeigen auf der Rückseite der Designzeitschrift Form machten zugleich sein eigenes Unternehmen bekannt. Inzwischen hieß es Frog Design, mit einem brasilianischen Baumfrosch als Logo.
„Unternehmen, die nichts Neues erschaffen, sind nicht erfolgreich.“
„Frog“ ist aber auch ein Akronym und stand für Federal Republic Of Germany. Der Name verweist also auf das Heimatland des Unternehmens, dessen Besitzer sich fest vorgenommen hatte, international Karriere zu machen. Das klappte ohne größere Probleme. 1982 lernte Esslinger Steve Jobs von Apple kennen und gewann dank kompromissloser und radikaler Vorschläge den Designwettbewerb für die neue Produktpalette des kalifornischen Computerherstellers. Esslinger eröffnete ein Büro in der Bay Area von San Francisco und machte sich mit Feuereifer an die Ausführung seiner Entwürfe. Das „Schneeweiß-Design“ der Apple-Computer nahm Form an. Hier hatten sich zwei gefunden: ein Unternehmen, das Design nicht als Anhängsel der Technik sah, sondern der Form einen gebührenden Stellenwert einräumte, und ein Designstudio, das genau solche Kunden suchte.
Innovationen und Leadership
Apples Entwicklung zeigt, welche Höhenflüge ein Unternehmen machen kann, das sich einer innovativen, designgeprägten Kultur verschreibt. Ebenso zeigt der Rauswurf von Steve Jobs Mitte der 80er Jahre, wie man ein Unternehmen herunterwirtschaften kann, wenn man die falschen Leute an den Stellhebeln sitzen hat. Bis zu Jobs´ Rückkehr 1997 produzierte Apple einen Flop nach dem anderen und erstickte förmlich in Allerweltsdesign.
„Ich wollte technische Produkte erschaffen, die die Konsumenten wegen ihrer Schönheit und Zweckmäßigkeit lieben würden.“
Unternehmen brauchen einen klaren strategischen Fokus und die richtige Portion Führung, um diesen auch durchzusetzen. Ähnlich wie Apple ging es dem Handyhersteller Motorola, der 2005 mit dem innovativen Handy RAZR einen echten Hit landete. Das Produkt jedoch krankte an seinem Innenleben: Motorola fehlten der Mut, das Geld und die Zielstrebigkeit, um das gelungene Hardwaredesign mit einem ebensolchen Softwaredesign zu verknüpfen. Man wurde billiger und billiger und landete schließlich auf der untersten Stufe des Marktes. Nokia und Co. waren gerne bereit, die Marktanteile zu übernehmen.
„Eine kreative Strategie bietet eindeutige Vorteile gegenüber dem herkömmlichen, von der Supply Chain dominierten Geschäftsansatz.“
Inzwischen revolutionierte Apple den Markt nicht nur mit innovativer Hardware, sondern eben auch mit herausragender Software. Das iPhone avancierte zum Kulthandy und zum begehrten Designobjekt.
Kreative Unternehmensstrategien
Manchmal geht ein Unternehmen den einmal eingeschlagenen Weg nicht weiter – vor allem, wenn es eine Wachablösung in den Toppositionen gegeben hat. So war es bei Sony, und prompt verlor das einstmals innovative Unternehmen an Marktmacht. Andere Beispiele zeigen, dass man auch mit einer neuen Mannschaft erfolgreich weitermachen kann, wenn die Grundstrategie des Unternehmens beibehalten wird. Als Louis-Vuitton-CEO Henri Racamier aufgrund der Fusion mit Moët Hennessy den Hut nehmen musste, gelang es seinem Nachfolger, die Strategie des „erschwinglichen Luxus“ fortzusetzen und das Unternehmen auf Erfolgskurs zu halten.
„Mit den gestiegenen Kosten, den Umweltschäden und den Gesundheitsrisiken, die mit den Importgütern verbunden sind, schwingt das Fertigungspendel zugunsten der lokalen Produktion zurück.“
Eine von Apple perfektionierte Strategie geht auf den römischen Feldherrn Cäsar zurück. Dieser hielt bei seinen Schlachten immer eine vor dem Feind versteckte vierte Linie parat: frische, unverbrauchte Soldaten, die im entscheidenden Moment das Schlachtfeld betraten. So ging auch Apple vor, als das Unternehmen den iPod und danach das iPhone auf den Markt brachte und den Wettbewerb gehörig durchschüttelte. Frog Design selbst hat vier Strategiegrundsätze, die sich in 40 Jahren nicht geändert haben:
- Finde die optimale Nische: Nur in einem Bereich, in dem andere schlechter sind, kann man Erfolg haben. Esslinger wusste dank seines Elektrotechnikstudiums, wie Technologieingenieure „ticken“, worauf es in der Branche ankommt und wie das Verhältnis von Kosten, Investitionen und Renditen auszusehen hat. Hier hatte er seinen optimalen Bereich gefunden, seine Nische, in der er glänzen konnte.
- Orientiere dich an deinen Kunden und promote dein eigenes Unternehmen: Designer haben den Nimbus von kreativen Chaoten. Frog Design ist anders, weil es die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Kunden akzeptiert und darauf eingeht. Zudem sorgte das Unternehmen von Anfang an für eine eigene, starke Marke.
- Such dir die richtigen Kunden aus: Der Erfolg der Kunden strahlt auf den Erfolg des Dienstleisters ab. Deswegen war Frog Design mit Sony, Apple, Microsoft und SAP so erfolgreich.
- Sei der Beste und werde berühmt: Klingt arrogant, ist aber notwendig, um ein Global Player zu werden. Wenn allerdings Vorschusslorbeeren eingeheimst werden, müssen diese später durch harte Arbeit verdient werden. Deshalb gilt: Nur wer sein Talent sinnvoll einsetzt und hart arbeitet, wird schließlich Erfolg haben.
In drei Schritten auf Innovationskurs
Innovation ist das Schmiermittel, das Unternehmen am Laufen hält. In drei Schritten können Sie den Innovationsprozess in Ihrem Unternehmen ankurbeln. Aber seien Sie gewarnt: Wer Revolutionen anzettelt, muss mit Widerstand rechnen. Deshalb sollten Sie immer alle wichtigen Personen mit ins Boot holen. Die Überwindung des Konservatismus gehört zu den Herkulesaufgaben bei Veränderungen.
- Grundlegende Überlegungen gehen jeder Innovation voraus. Sie klingen oft trivial, sind aber entscheidend. Erstens: Kennen Sie Ihre Ziele und richten Sie Ihr Handeln daran aus. Zweitens: Stellen Sie die richtigen Teams zusammen. Dabei kann es sinnvoll sein, auch Leute aus ganz anderen Abteilungen einzubinden, wenn sie wissen, wie der Hase läuft.
- Kreative Kooperation bedeutet, gemeinsam an Innovationen zu arbeiten. Bewährt haben sich Brainstormings, die aber immer moderiert werden müssen, damit sie nicht im Chaos enden. In Esslingers Unternehmen gibt es FrogTHINK, eine Kreativitätstechnik, bei der es darum geht, ein Produkt oder einen Gegenstand auf seine Bestandteile zu reduzieren und dann neu zusammenzusetzen. Zwei bis drei gute Ideen sollten sich auf diese Weise finden lassen. Ein zweiter Schritt ist die Projektion der gefundenen Ideen in die Zukunft: Wie werden sie den Umgang mit dem Produkt verändern? Bei diesem Schritt kommt es darauf an, die engen Grenzen eines Produkts zu sprengen und vielleicht sogar eine ganze Produktpalette zu verändern.
- Marketing spielt eine große Rolle, wenn Denken und Konzipieren vorbei sind und Geld für die Realisierung gebraucht wird. Der natürliche Feind der Kreativen im Unternehmen ist der CFO, der Schatzmeister. Dem brauchen Sie nicht mit emotionalem Mehrwert kommen, denn davon versteht er nichts. Trotzdem hat er den Daumen auf dem Scheckblock. Was hilft? Sie sollten genau ausrechnen, was Ihre Innovation dem Unternehmen einbringen kann, indem sie z. B. ähnliche Fälle analysieren und eine entsprechende Prognose in Form eines Businessplans abgeben. Ein solcher erleichtert nicht nur dem CFO die Beurteilung, sondern er veranschaulicht u. U. auch, dass man manchmal das Geschäftsmodell ändern muss oder ein neues Geschäftsmodell um eine herausragende Innovation herum bauen sollte. Als Idealbeispiel taugt wiederum Apple, das eigene Shops aufmachte, weil die Nutzer eine Apple-Erlebniswelt verlangten. Negativbeispiel: Dell. Kein anderes Unternehmen ist heute so nichtssagend wie der einstige Klassenprimus. Wenn Sie an Ihre Ideen glauben, haben Sie auch den Mut, das Unternehmen notfalls zu verlassen und Ihr Ding allein durchzuziehen. Manchmal reicht es schon, darauf hinzuweisen, was die Konkurrenz mit guten Ideen anfangen könnte …
Bessere Unternehmen für eine bessere Welt
Der Massenmarkt hat fraglos vielen Unternehmen satte Gewinne beschert. Allerdings sind fast alle Produkte für den Massenmarkt Wegwerfartikel und belasten die Umwelt. Mit dem Outsourcing in Billiglohnländer wurde die Situation noch schlimmer. Die übliche Entwicklung ist: billig – billiger – giftig.
„Produktdesign ist und bleibt ein elitärer Beruf.“
Mittlerweile wollen aber immer mehr Konsumenten grüne, umweltgerecht hergestellte Produkte, die nicht gesundheitsschädlich sind. Dieser Trend ist unaufhaltsam, und das ist gut so. Wenn Sie mitziehen wollen, sollten Sie nicht irgendwo im Produktlebenszyklus mit grünen Ideen beginnen, sondern schon bei der Strategieformulierung und beim Design. Wer heute ein grünes Unternehmen aufbaut, wird morgen reich sein – noch dazu mit einem guten Gewissen.
„Zweifellos darf die Führung eines Unternehmens sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen.“
Damit das funktioniert, brauchen wir langfristig ein Maß für die ökologische Belastung, die ein Produkt mit sich bringt. Ähnlich wie ein Energiesiegel sollte diese neue Kennzahl die Konsumenten darüber informieren, wie umweltschädlich das Produkt ist und mittelfristig über dessen Preis bestimmen. Es muss sich monetär lohnen, umweltschonende Technologien einzusetzen. Hier ist vor allem die Politik gefragt, aber auch die Konsumenten haben ein Wort mitzureden, indem sie umweltfreundliche und schadstoffarme Produkte klar bevorzugen. Der Ökotrend wird durch weitere Entwicklungen vorangetrieben, die viel Erfolgspotenzial haben:
- Fusionsprodukte: Sie verbinden die Eigenschaften mehrerer Einzelprodukte. Beispiele sind Smartphones wie der Blackberry (Telefon, mobiler E-Mail-Client, Organizer) oder das iPhone (Telefon, MP3-Player, Kamera, standortbezogene Dienste).
- Open Source Design: Open Source bedeutet, dass viele Menschen gemeinsam an einem Produkt arbeiten und es gemeinschaftlich verbessern. So lassen sich Ressourcen sparen, weil viele Ideen gebündelt werden. Was sich im Softwarebereich etabliert hat, sollte es auch in anderen Bereichen geben, z. B. für schadstoffarme Autos oder besonders langlebige Geräte.
- Co-Design: Auch wenn Design nie ein demokratischer Prozess sein wird, bietet die Zusammenarbeit mit den zukünftigen Kunden handfeste Vorteile. Denn wer beim Design der Produkte ein Wörtchen mitreden kann, wird diese auch lieber nutzen.