Schwungrat

Buch Schwungrat

Wie Design-Strategien die Zukunft der Wirtschaft gestalten

Wiley-VCH,


Rezension

Es gibt kaum ein berühmtes High­tech-Pro­dukt, bei dem Hartmut Esslinger nicht seine Finger im Spiel hatte: Apples Mac, Microsofts Mediaplayer, SAPs Software und Sonys Trini­tron-Fernse­her gehen alle auf die Rechnung seiner Gestal­tungss­chmiede Frog Design. Sein Buch ist eine launige Mischung aus Un­ternehmens- und Un­ternehmer­bi­ografie, hinge­bungsvoller Selb­st­be­weihräucherung und einer fast schon nos­tal­gis­chen Geschichte des Pro­duk­t­de­signs. Im hinteren Teil mutiert das Buch zu einem handfesten Ratgeber, der Design- und In­no­va­tion­sprozesse in Unternehmen beleuchtet. Schade allerdings, dass diese konkreten Tipps nicht mehr Platz einnehmen. Irritierend ist auch die Gestaltung des Buches: Die Meis­ter­w­erke eines Designgurus in staubigen Schwarz-Weiß-Ab­bil­dun­gen? Das ist eigentlich un­verzeih­lich. Dennoch: Esslinger versteht es, einen für gutes Pro­duk­t­de­sign zu begeistern und dessen Wichtigkeit klarzu­machen. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Pro­duk­t­man­agern, Pro­duk­t­de­sign­ern und ihren Chefs.

Take-aways

  • Bereits als Student gründete Hartmut Esslinger seine Des­ig­na­gen­tur, das spätere Frog Design.
  • Mit seiner kom­pro­miss­losen De­sign­strate­gie gewann das Unternehmen Kunden wie Apple, Microsoft, SAP, Louis Vuitton, Sony und Lufthansa.
  • Zu den größten Erfolgen Esslingers gehört das „Schneeweiß“-Design der Ap­ple-Com­puter.
  • Design ist kein Anhängsel guter Produkte, sondern es macht sie aus.
  • Setzen Sie auf Brain­storm­ing und versuchen Sie, ein Produkt in Gedanken neu zusam­men­zuset­zen.
  • Jede In­no­va­tion­sidee sollte mithilfe eines Busi­ness­plans überprüft werden.
  • Es kann sich lohnen, um eine bahn­brechende Innovation herum ein ganz neues Geschäftsmodell aufzubauen.
  • Langfristig werden sich umwelt­gerechte Produkte durchsetzen und die Massen­pro­dukte der Weg­w­er­fge­sellschaft ablösen.
  • Es braucht ein allgemein anerkanntes Maß für die Umwelt­be­las­tung von Produkten.
  • Die Zukunft des Pro­duk­t­de­signs: Fu­sion­spro­dukte, Open Source und Co-En­twick­lung mit den Kunden.
 

Zusammenfassung

Geburt eines De­sign­riesen

Die Autos waren schuld. Die ersten Modelle, die in Beuren, einer Kleinstadt im Schwarzwald, durch die Straßen flitzten, erregten das Interesse des jungen Gym­nasi­as­ten Hartmut Esslinger. Sie weckten seine kreative Ader: Er zeichnete sie. Außerdem blätterte er von früh bis spät in Modemagazi­nen – seine Eltern hatten kurz zuvor einen kleinen Textilladen eröffnet. Von der überbor­den­den Kreativität ihres Sohnes waren sie aber ebenso wenig begeistert wie das Preiskomi­tee des Uhren­her­stellers Kienzle, das Esslingers Entwürfe als un­re­al­is­tisch ablehnte. Trotzdem studierte er Gestaltung an der Hochschule von Schwäbisch Gmünd und plante, schnell­stens eine eigene Designfirma zu gründen, um seine Visionen wahr werden zu lassen. 1969 wurde Esslinger Design gegründet, und der frischge­back­ene Unternehmer gewann prompt den ersten „Bundespreis Gute Form“.

Der Frosch bekommt Flügel

Der Ruhm zahlte sich in barer Münze aus, denn Esslinger und seine beiden Partner durften das System 3000 des TV- und Musikan­la­gen-Her­stellers Wega gestalten. Das Konzept wurde 1971 auf der Funkausstel­lung vorgestellt und war ein sofortiger Erfolg. Im Gegensatz zum üblichen Holzkorpus bestanden die TV-Geräte aus Kunststoff, der wie eine Skulptur modelliert war. 1974 wurde Wega von Sony gekauft, zu einem Zeitpunkt, als Esslinger bereits im Designteam des japanischen Elek­tron­ikriesen saß. Ganzseitige Anzeigen auf der Rückseite der De­signzeitschrift Form machten zugleich sein eigenes Unternehmen bekannt. Inzwischen hieß es Frog Design, mit einem brasil­ian­is­chen Baumfrosch als Logo.

„Unternehmen, die nichts Neues erschaffen, sind nicht erfolgreich.“

„Frog“ ist aber auch ein Akronym und stand für Federal Republic Of Germany. Der Name verweist also auf das Heimatland des Un­ternehmens, dessen Besitzer sich fest vorgenommen hatte, in­ter­na­tional Karriere zu machen. Das klappte ohne größere Probleme. 1982 lernte Esslinger Steve Jobs von Apple kennen und gewann dank kom­pro­miss­loser und radikaler Vorschläge den De­sign­wet­tbe­werb für die neue Pro­duk­t­palette des kali­for­nischen Com­put­er­her­stellers. Esslinger eröffnete ein Büro in der Bay Area von San Francisco und machte sich mit Feuereifer an die Ausführung seiner Entwürfe. Das „Schneeweiß-Design“ der Ap­ple-Com­puter nahm Form an. Hier hatten sich zwei gefunden: ein Unternehmen, das Design nicht als Anhängsel der Technik sah, sondern der Form einen gebührenden Stellenwert einräumte, und ein De­sign­stu­dio, das genau solche Kunden suchte.

In­no­va­tio­nen und Leadership

Apples Entwicklung zeigt, welche Höhenflüge ein Unternehmen machen kann, das sich einer innovativen, designgeprägten Kultur verschreibt. Ebenso zeigt der Rauswurf von Steve Jobs Mitte der 80er Jahre, wie man ein Unternehmen herun­ter­wirtschaften kann, wenn man die falschen Leute an den Stellhebeln sitzen hat. Bis zu Jobs´ Rückkehr 1997 produzierte Apple einen Flop nach dem anderen und erstickte förmlich in Aller­welts­de­sign.

„Ich wollte technische Produkte erschaffen, die die Konsumenten wegen ihrer Schönheit und Zweckmäßigkeit lieben würden.“

Unternehmen brauchen einen klaren strate­gis­chen Fokus und die richtige Portion Führung, um diesen auch durchzuset­zen. Ähnlich wie Apple ging es dem Handy­her­steller Motorola, der 2005 mit dem innovativen Handy RAZR einen echten Hit landete. Das Produkt jedoch krankte an seinem Innenleben: Motorola fehlten der Mut, das Geld und die Ziel­stre­bigkeit, um das gelungene Hard­ware­design mit einem ebensolchen Soft­ware­design zu verknüpfen. Man wurde billiger und billiger und landete schließlich auf der untersten Stufe des Marktes. Nokia und Co. waren gerne bereit, die Mark­tan­teile zu übernehmen.

„Eine kreative Strategie bietet eindeutige Vorteile gegenüber dem herkömmlichen, von der Supply Chain dominierten Geschäftsansatz.“

Inzwischen rev­o­lu­tion­ierte Apple den Markt nicht nur mit innovativer Hardware, sondern eben auch mit her­aus­ra­gen­der Software. Das iPhone avancierte zum Kulthandy und zum begehrten De­sig­nob­jekt.

Kreative Un­ternehmensstrate­gien

Manchmal geht ein Unternehmen den einmal eingeschla­ge­nen Weg nicht weiter – vor allem, wenn es eine Wachablösung in den Top­po­si­tio­nen gegeben hat. So war es bei Sony, und prompt verlor das einstmals innovative Unternehmen an Marktmacht. Andere Beispiele zeigen, dass man auch mit einer neuen Mannschaft erfolgreich weit­er­ma­chen kann, wenn die Grund­strate­gie des Un­ternehmens beibehalten wird. Als Louis-Vuit­ton-CEO Henri Racamier aufgrund der Fusion mit Moët Hennessy den Hut nehmen musste, gelang es seinem Nachfolger, die Strategie des „er­schwinglichen Luxus“ fortzuset­zen und das Unternehmen auf Erfolgskurs zu halten.

„Mit den gestiegenen Kosten, den Umweltschäden und den Gesund­heit­srisiken, die mit den Importgütern verbunden sind, schwingt das Fer­ti­gungspendel zugunsten der lokalen Produktion zurück.“

Eine von Apple per­fek­tion­ierte Strategie geht auf den römischen Feldherrn Cäsar zurück. Dieser hielt bei seinen Schlachten immer eine vor dem Feind versteckte vierte Linie parat: frische, un­ver­brauchte Soldaten, die im entschei­den­den Moment das Schlacht­feld betraten. So ging auch Apple vor, als das Unternehmen den iPod und danach das iPhone auf den Markt brachte und den Wettbewerb gehörig durchschüttelte. Frog Design selbst hat vier Strate­giegrundsätze, die sich in 40 Jahren nicht geändert haben:

  1. Finde die optimale Nische: Nur in einem Bereich, in dem andere schlechter sind, kann man Erfolg haben. Esslinger wusste dank seines Elek­trotech­nikstudi­ums, wie Tech­nolo­giein­ge­nieure „ticken“, worauf es in der Branche ankommt und wie das Verhältnis von Kosten, In­vesti­tio­nen und Renditen auszusehen hat. Hier hatte er seinen optimalen Bereich gefunden, seine Nische, in der er glänzen konnte.
  2. Orientiere dich an deinen Kunden und promote dein eigenes Unternehmen: Designer haben den Nimbus von kreativen Chaoten. Frog Design ist anders, weil es die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Kunden akzeptiert und darauf eingeht. Zudem sorgte das Unternehmen von Anfang an für eine eigene, starke Marke.
  3. Such dir die richtigen Kunden aus: Der Erfolg der Kunden strahlt auf den Erfolg des Di­en­stleis­ters ab. Deswegen war Frog Design mit Sony, Apple, Microsoft und SAP so erfolgreich.
  4. Sei der Beste und werde berühmt: Klingt arrogant, ist aber notwendig, um ein Global Player zu werden. Wenn allerdings Vorschus­s­lor­beeren eingeheimst werden, müssen diese später durch harte Arbeit verdient werden. Deshalb gilt: Nur wer sein Talent sinnvoll einsetzt und hart arbeitet, wird schließlich Erfolg haben.

In drei Schritten auf In­no­va­tion­skurs

Innovation ist das Schmier­mit­tel, das Unternehmen am Laufen hält. In drei Schritten können Sie den In­no­va­tion­sprozess in Ihrem Unternehmen ankurbeln. Aber seien Sie gewarnt: Wer Rev­o­lu­tio­nen anzettelt, muss mit Widerstand rechnen. Deshalb sollten Sie immer alle wichtigen Personen mit ins Boot holen. Die Überwindung des Kon­ser­vatismus gehört zu den Herkule­sauf­gaben bei Veränderungen.

  1. Grundle­gende Überlegungen gehen jeder Innovation voraus. Sie klingen oft trivial, sind aber entschei­dend. Erstens: Kennen Sie Ihre Ziele und richten Sie Ihr Handeln daran aus. Zweitens: Stellen Sie die richtigen Teams zusammen. Dabei kann es sinnvoll sein, auch Leute aus ganz anderen Abteilungen einzubinden, wenn sie wissen, wie der Hase läuft.
  2. Kreative Kooperation bedeutet, gemeinsam an In­no­va­tio­nen zu arbeiten. Bewährt haben sich Brain­storm­ings, die aber immer moderiert werden müssen, damit sie nicht im Chaos enden. In Esslingers Unternehmen gibt es FrogTHINK, eine Kreativitätstechnik, bei der es darum geht, ein Produkt oder einen Gegenstand auf seine Be­standteile zu reduzieren und dann neu zusam­men­zuset­zen. Zwei bis drei gute Ideen sollten sich auf diese Weise finden lassen. Ein zweiter Schritt ist die Projektion der gefundenen Ideen in die Zukunft: Wie werden sie den Umgang mit dem Produkt verändern? Bei diesem Schritt kommt es darauf an, die engen Grenzen eines Produkts zu sprengen und vielleicht sogar eine ganze Pro­duk­t­palette zu verändern.
  3. Marketing spielt eine große Rolle, wenn Denken und Konzipieren vorbei sind und Geld für die Re­al­isierung gebraucht wird. Der natürliche Feind der Kreativen im Unternehmen ist der CFO, der Schatzmeis­ter. Dem brauchen Sie nicht mit emotionalem Mehrwert kommen, denn davon versteht er nichts. Trotzdem hat er den Daumen auf dem Scheckblock. Was hilft? Sie sollten genau ausrechnen, was Ihre Innovation dem Unternehmen einbringen kann, indem sie z. B. ähnliche Fälle analysieren und eine entsprechende Prognose in Form eines Busi­ness­plans abgeben. Ein solcher erleichtert nicht nur dem CFO die Beurteilung, sondern er ve­r­an­schaulicht u. U. auch, dass man manchmal das Geschäftsmodell ändern muss oder ein neues Geschäftsmodell um eine her­aus­ra­gende Innovation herum bauen sollte. Als Ide­al­beispiel taugt wiederum Apple, das eigene Shops aufmachte, weil die Nutzer eine Ap­ple-Er­leb­niswelt verlangten. Neg­a­tivbeispiel: Dell. Kein anderes Unternehmen ist heute so nichtssagend wie der einstige Klassen­primus. Wenn Sie an Ihre Ideen glauben, haben Sie auch den Mut, das Unternehmen notfalls zu verlassen und Ihr Ding allein durchzuziehen. Manchmal reicht es schon, darauf hinzuweisen, was die Konkurrenz mit guten Ideen anfangen könnte …

Bessere Unternehmen für eine bessere Welt

Der Massenmarkt hat fraglos vielen Unternehmen satte Gewinne beschert. Allerdings sind fast alle Produkte für den Massenmarkt Weg­w­er­far­tikel und belasten die Umwelt. Mit dem Outsourcing in Billiglohnländer wurde die Situation noch schlimmer. Die übliche Entwicklung ist: billig – billiger – giftig.

„Pro­duk­t­de­sign ist und bleibt ein elitärer Beruf.“

Mit­tler­weile wollen aber immer mehr Konsumenten grüne, umwelt­gerecht hergestellte Produkte, die nicht gesund­heitsschädlich sind. Dieser Trend ist unaufhalt­sam, und das ist gut so. Wenn Sie mitziehen wollen, sollten Sie nicht irgendwo im Pro­duk­tleben­szyk­lus mit grünen Ideen beginnen, sondern schon bei der Strate­giefor­mulierung und beim Design. Wer heute ein grünes Unternehmen aufbaut, wird morgen reich sein – noch dazu mit einem guten Gewissen.

„Zweifellos darf die Führung eines Un­ternehmens sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen.“

Damit das funk­tion­iert, brauchen wir langfristig ein Maß für die ökologische Belastung, die ein Produkt mit sich bringt. Ähnlich wie ein En­ergiesiegel sollte diese neue Kennzahl die Konsumenten darüber informieren, wie umweltschädlich das Produkt ist und mit­tel­fristig über dessen Preis bestimmen. Es muss sich monetär lohnen, umweltscho­nende Tech­nolo­gien einzusetzen. Hier ist vor allem die Politik gefragt, aber auch die Konsumenten haben ein Wort mitzureden, indem sie umwelt­fre­undliche und schad­stof­farme Produkte klar bevorzugen. Der Ökotrend wird durch weitere En­twick­lun­gen vo­r­angetrieben, die viel Er­fol­gspoten­zial haben:

  • Fu­sion­spro­dukte: Sie verbinden die Eigen­schaften mehrerer Einzel­pro­dukte. Beispiele sind Smartphones wie der Blackberry (Telefon, mobiler E-Mail-Client, Organizer) oder das iPhone (Telefon, MP3-Player, Kamera, stan­dort­be­zo­gene Dienste).
  • Open Source Design: Open Source bedeutet, dass viele Menschen gemeinsam an einem Produkt arbeiten und es gemein­schaftlich verbessern. So lassen sich Ressourcen sparen, weil viele Ideen gebündelt werden. Was sich im Soft­ware­bere­ich etabliert hat, sollte es auch in anderen Bereichen geben, z. B. für schad­stof­farme Autos oder besonders langlebige Geräte.
  • Co-Design: Auch wenn Design nie ein demokratis­cher Prozess sein wird, bietet die Zusam­me­nar­beit mit den zukünftigen Kunden handfeste Vorteile. Denn wer beim Design der Produkte ein Wörtchen mitreden kann, wird diese auch lieber nutzen.

Über den Autor

Hartmut Esslinger ist einer der bekan­ntesten In­dus­triedesigner der Welt. 1969 gründete er in der Nähe von Stuttgart die Firma Frog Design und akquirierte Kunden wie Apple, Sony, Disney, SAP oder Lufthansa. Esslinger lehrt als Professor für Industrial Design an der Universität für angewandte Kunst in Wien.