Raus aus dem Keller, hinein in die Chefetage
Viele Firmenlenker handeln schizophren. Einerseits nutzen sie intensiv die neuesten Gimmicks und Gadgets der Informations- und Kommunikationstechnik: Sie googeln Stellenbewerber, pflegen ihr Facebook und sind per Blackberry jederzeit erreichbar. Andererseits behandeln sie ihre firmeneigene IT stiefmütterlich: Sie vernachlässigen die IT-Strategie und befassen sich nur widerwillig mit der IT-Organisation. Diese Lustlosigkeit passt nicht nur schlecht zum eigenen Nutzungsverhalten, sondern ignoriert auch die enorme Bedeutung, die die IT für Unternehmen heutzutage hat. Es ist existenzbedrohend, wenn sich das Management weigert, sich permanent und auf höchster Ebene aktuellen IT-Fragen zu stellen.
Der aktuelle Markt der IT-Unternehmensdienstleister
Unter IT-Services ist die Installation und Wartung von Hard- und Software sowie die Entwicklung von IT-Lösungen inklusive Beratung für Unternehmen zu verstehen. Der Markt für IT-Services umfasste im Jahr 2008 rund 900 Milliarden US-Dollar und ist derzeit in einer Konsolidierungsphase. Traditionellen großen Dienstleistern wie IBM, HP, Fujitsu, Accenture und – in Deutschland – T-Systems stehen neue Wettbewerber gegenüber, beispielsweise Infosys und Wipro aus Indien.
„Unser Credo: Die konzerngebundenen Dienstleister sind wettbewerbsfähig, wenn diese Bereiche wie Unternehmen geführt werden.“
All diese externen Anbieter haben in den vergangenen Jahren konzerngebundene IT-Dienstleister aufgekauft. Deutschland ist Nachzügler, weshalb in den nächsten Jahren viele Übernahmen und Fusionen zu erwarten sind.
Konzerne können ihren IT-Bedarf auch auswärts decken. Ein hoher Drittmarktanteil – also Geschäfte mit konzernfremden Kunden – schützt die hauseigene IT-Tochter nicht davor, verkauft zu werden. Die ThyssenKrupp-Tochter Triaton etwa hatte einen ungewöhnlich hohen Drittkundenanteil von 60 %, bevor sie an HP verkauft wurde. Den Ausschlag für solche Entscheidungen geben Strategiewechsel des Topkonzernmanagements. Die Motive sind vor allem Kostensenkung und Qualitätssteigerung, aber auch mehr Flexibilität und Fokussierung aufs Kerngeschäft. IT wird von Managern häufig als reine Unterstützungsfunktion betrachtet, so wie das Marketing. Letzteres wurde von vielen bereits ausgelagert. Warum also nicht auch die IT?
„Sich mit Fragen der IT zu beschäftigen, ist für viele Unternehmenslenker eine Qual.“
Die Hoffnungen, die viele mit dem Outsourcing der IT verbinden, erfüllen sich aber nicht immer oder nur teilweise. Wenn externe Dienstleister ihre Rechnung stellen, ist die Überraschung oft groß: Es werden Posten abgerechnet, die nicht erwartet wurden. Die Gewinnmarge beträgt bis zu 35 %. Zudem funktioniert die Zusammenarbeit selten reibungslos. Schnittstellen und Verantwortlichkeiten sind zunächst unklar. Die hohe Fluktuation bei den Dienstleistern begrenzt die Lerneffekte. Zudem beschleicht manchen Kunden das Gefühl, dass Dienstleister mit innovativen Lösungen zu geizen beginnen, sobald der Vertrag erstmal geschlossen ist.
Selber managen statt outsourcen
Viele IT-Projekte scheitern, weil die Topmanager es unterlassen, die internen Prozesse so anzupassen, wie es nötig wäre. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich gemäß einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) u. a. dadurch aus, dass sich die Topmanagementebene für IT-Fragen interessiert und folgende Fragen klärt:
- Wie hoch soll das IT-Budget sein und welche Geschäftsprozesse sollen davon profitieren?
- Welche technischen und welche Leistungsstandards sollen gelten?
- Welches Sicherheitsniveau – Stichwort Datenschutz – ist nötig?
- Wer trägt die Verantwortung, wenn IT-Projekte scheitern?
„Viele Manager sehen die IT in einer Reihe mit anderen Unterstützungsfunktionalitäten, die nicht selbst im Konzern erbracht werden müssen, sondern von spezialisierten externen Anbietern übernommen werden können.“
Um diese Fragen für Ihr Unternehmen sachgerecht beantworten zu können, sollten Sie die grundlegenden Konzepte der IT verstehen. Sie müssen darüber nicht zum Computer-Nerd werden. Technische Fragen können Sie an Experten delegieren, nicht aber die Planung der IT-Strategie. Möglicherweise verschaffen Sie Ihrer Firma genau damit einen Wettbewerbsvorsprung: Nach Umfragen des Softwareherstellers Oracle befasst sich erst in 30 % der befragten Unternehmen das Topmanagement mit der IT-Strategie.
Inhouse ist gut, es geht aber besser
Wenn Sie Ihre IT-Abteilung richtig organisieren, werden Sie immun gegen die Versuchung, sich den komplizierten IT-Kram einfach per Outsourcing vom Hals zu schaffen. Diese Versuchung rührt vermutlich daher, dass die Welt der IT komplex ist, sich rasch wandelt und mit einer für Laien unverständlichen Fachsprache verbunden ist. IT-Fachleuten wiederum fällt es oft schwer, Verständnis für all die Geschäfte und Prozesse zu entwickeln, in denen ihre Lösungen zum Einsatz kommen. Viele IT-Leiter geben außerdem zu, dass sie Schwierigkeiten haben, ihren Vorgesetzten zu belegen, welchen Beitrag die IT zum Geschäftserfolg leistet.
„Das Identifizieren zukünftiger Kundenbedürfnisse ist eine Kernkompetenz konzerngebundener IT-Dienstleister.“
Selbst wenn Ihnen Berater, Analysten oder Fachjournalisten das IT-Outsourcing empfehlen: Eine hauseigene IT hat entscheidende Vorteile für ein Unternehmen. Die Mitarbeiter kennen Details Ihres Unternehmen und dessen Branche. Sensible Daten bleiben im Konzern. Die Abhängigkeit von Externen wird begrenzt. Um diese Vorteile ausspielen zu können, müssen Sie allerdings über Ihren Schatten springen und die IT professionell führen – nämlich so wie ein Unternehmen. Das beginnt damit, dass Sie Ihre IT-Mitarbeiter nicht als Kostenfaktoren behandeln. Stellen Sie sich vor: Bei externen IT-Dienstleistern sorgt die Arbeit von Fachleuten für Umsätze und Gewinne, weshalb sie dort hohe Wertschätzung genießen. Dementsprechend attraktiv wirken diese Firmen als Arbeitgeber, mit denen Sie konkurrieren. Investieren Sie deshalb in den Aufbau einer Personalmarke für Ihren konzerneigenen IT-Dienstleister.
„Wenn die konzerngebundenen IT-Dienstleister nicht ihre Hausaufgaben machen, laufen sie Gefahr, dass in ihren Konzernen untersucht wird, ob nicht radikales Outsourcing eine Alternative wäre.“
Wenn die IT-Abteilung als Unternehmen geleitet wird, kann sie es mit jedem externen Dienstleister aufnehmen, sei es beim Datenschutz, bei der Flexibilität oder bei den Kosten. Optimierungspotenziale für Ihre IT gibt es in sechs Handlungsfeldern, die im Folgenden skizziert werden. Diese Kategorisierung basiert auf Erfahrungen der konzerngebundenen IT-Dienstleister von Alcoa, Axa, Bertelsmann, Bayer, Canadian Food, Credit Suisse, Lufthansa und Volvo. Deren Dienstleister haben sich in mehreren Umstrukturierungen von IT-Zentralabteilungen zu konzerneigenen Dienstleistern gewandelt.
1. Geschäftsmodell
Anders als dezentrale IT-Abteilungen beliefern konzerngebundene Dienstleister nicht nur einen Geschäftsbereich des Unternehmens, sondern mehrere. Und anders als zentrale IT-Abteilungen können sie Drittkunden beliefern und stehen im Wettbewerb mit externen Anbietern. Konzerngebundene Dienstleister benötigen ein passendes, konsequentes Geschäftsmodell: Entweder sie konzentrieren sich dauerhaft auf ihre Kunden im Konzern, oder aber das Topmanagement betrachtet IT-Services als strategisches Geschäftsfeld, das evtl. verkauft werden kann, und öffnet sich für Drittkunden. Es gibt keinen Mittelweg. Viele sind beim halbherzigen Versuch, Drittkunden zu bedienen, gescheitert. Bei Drittmarktaktivitäten sollten Sie darauf achten, dass die Risiken nicht zu groß werden und dass ein Nutzen auch für den Konzernkunden resultiert, z. B. durch sinkende Stückkosten. Statten Sie Ihren IT-Dienstleister mit allen Funktionen eines vollwertigen Unternehmens aus, z. B. mit eigenem Controlling und Personalmanagement. Steuern Sie den Dienstleister nicht mithilfe des Budgets, sondern leistungsorientiert.
2. Kundenorientierung
Der IT-Dienstleister gehört zwar zum Konzern, sollte diesen aber wie einen Kunden behandeln. Diese Kundenorientierung drückt sich darin aus, das Geschäft des Konzerns zu verstehen, präsent zu sein und Vorschläge zu machen – und zwar in einer Sprache, die auch IT-Laien verstehen. Kundenorientierung ist bislang eine Schwäche von konzerngebundenen IT-Dienstleistern. Ihre Kunden verlangen nicht Hard- oder Software, sondern IT-Unterstützung bei ihren Geschäftsprozessen. Die Verrechnung der Leistungen muss für den Kunden nachvollziehbar sein, damit er diese Kosten steuern kann. Empfehlenswert sind volumenabhängige Preise statt Grundgebühren. Alle befragten IT-Dienstleister führen bei ihren Kunden Zufriedenheitsanalysen durch. Tun Sie es auch.
3. Industrialisierung
Mit Industrialisierung ist der Einsatz von Managementkonzepten in der IT gemeint, die in der industriellen Fertigung bereits erfolgreich sind. Lange Zeit waren maßgeschneiderte IT-Projekte verbreitet. In Zukunft fragen Kunden eher standardisierten IT-Leistungen nach, die effizienterweise mit standardisierten Prozessen hergestellt werden. Der Trend geht zu Modularisierung und Automatisierung, um Skaleneffekte zu erzielen. Oft verhindert die mangelhafte Dokumentation in Excel-Tabellen statt in Datenbanken, dass einmal entwickelte Module mehrfach verwendet werden – und Neuentwicklungen sind teuer. Trennen Sie die Steuerung der IT-Produktion von der Steuerung der IT-Innovation. Mit Service-Level-Agreements vermeiden Sie Probleme wie die Unter- oder Überbelieferung Ihres Kunden.
4. Wertschöpfungstiefe
Ein hauseigener Dienstleister ist natürlich nicht gezwungen, sämtliche Glieder der Wertschöpfungskette in seiner Domäne zu behalten. Das ist im Übrigen im IT-Geschäft auch gar nicht möglich. Welche Teile selbst erbracht und welche wo und wie eingekauft werden, ist eine permanente Optimierungsaufgabe. Erfolgreiche IT-Dienstleister sind Sourcing-Spezialisten. Eine geringe Wertschöpfungstiefe ist aber für sich genommen noch kein Zeichen von Wettbewerbsfähigkeit. Die untersuchten Beispielfirmen haben alle eine relativ hohe Wertschöpfungstiefe. Bei der Beschaffung können Sie durch die Bündelung des Einkaufs deutliche Einsparungen erwarten.
5. Internationalisierung
Die Konzerne stellen sich immer stärker international auf. Für konzerngebundene IT-Dienstleister heißt das, dass sie sich ebenfalls global orientieren. Die IT-Tochter kann durch ihr Angebot dazu beitragen, Konzernprozesse weltweit zu vereinheitlichen. Andersherum profitiert sie von den Erfahrungen der ausländischen Konzerntöchter. In der Praxis stellen allerdings fehlende Englischkenntnisse der Mitarbeiter sowie die kulturelle und geografische Distanz Hürden dar. Treffen Sie Vorsorge gegen Lücken im Rechtssystem und gegen abweichendes Geschäftsgebaren, z. B. gegen die Gefahr, dass wechselbereite chinesische Mitarbeiter sich ungeniert an Firmendaten bedienen. Nicht jeder Handgriff eignet sich für eine Verlagerung nach Fernost, zumal dort das Bildungsniveau niedriger und die Fluktuation beispielsweise in Callcentern hoch sein kann. Den pauschalen Widerstand in Ihrer Firmenzentrale gegen ausländische Standorte sollten Sie allerdings brechen.
6. Innovation
Der technologische Wandel in der IT ist rasant. Ohne Innovationsmanagement und Innovationsbudget können IT-Dienstleister nicht Schritt halten. Innovative IT-Dienstleister finden heute heraus, was ihr Kunde morgen benötigt, und integrieren diese Entwicklung auf wirtschaftliche Weise in dessen IT-System. Welche Innovationsstrategie auch immer Sie wählen: Sorgen Sie für ausreichende Freiräume für innovative Projekte. Arbeit an Innovationen konkurriert im Alltag mit der Arbeit am Kundenauftrag – und hat dementsprechend häufig geringere Priorität. Hier muss das Topmanagement gegensteuern. Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, innovative Ideen der Geschäftsführung zu präsentieren. Diese wiederum muss neue Entwicklungen den Kunden und auch der Fachwelt kommunizieren.
Prof. Dr. Walter Brenner ist geschäftsführender Direktor am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen. Dr. Andreas Resch ist Experte für IT, Logistik und Services und war mehrere Jahre Chief Information Officer der Bayer AG. Veit Schulz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an Prof. Brenners Institut.