Erfolgreich jenseits der Börse

Buch Erfolgreich jenseits der Börse

Was führende Familienunternehmen auszeichnet

Orell Füssli,


Rezension

Fam­i­lienun­ternehmen gibt es so lange wie Familien und Unternehmen. Und die Er­fol­gs­fak­toren sind heute mehr oder weniger die gleichen wie vor 200 Jahren: Das machen die 15 Beispiele deutlich, die dieses Buch präsentiert. Gerade weil sie sich nur marginal un­ter­schei­den, hätten einige Porträts weniger gereicht – die Theorie, die Bianca Braun auf den vorherge­hen­den 60 Seiten ausbreitet, sagt schon fast alles. Viel Platz räumt die Autorin den Man­age­mentlehren von Fredmund Malik ein, an dessen Man­age­ment-Zen­trum sie tätig ist: Vieles davon kennt man bereits aus den Werken des Gurus selbst. Allerdings beschreibt sie die Stärken von Fam­i­lienun­ternehmen aus kompetenter Warte (sie stammt selbst aus einer Un­ternehmer­dy­nas­tie), und die gesammelten Storys sind in­spiri­erend. BooksInShort empfiehlt das Buch Führungskräften und Un­ternehmens­ber­atern, die von den er­fol­gre­ichen Fam­i­lienun­ternehmen lernen wollen.

Take-aways

  • Der Share­holder-Value-Ansatz ist durch die Finanzkrise in Verruf geraten. Man besinnt sich wieder auf die Qualitäten familiengeführter Unternehmen.
  • Fam­i­lienun­ternehmer denken nicht in Quartalen, sondern in Jahrzehnten. Der Per­for­mance­druck existiert nicht, kurzfristiges Er­tragsstreben ist ihnen fremd.
  • Die Wirtschaft­spoli­tik ist viel zu stark auf die großen Konzerne aus­gerichtet.
  • 70–80 % der europäischen Unternehmen sind familiengeführt. Sie bilden das wahre Rückgrat der Wirtschaft.
  • Fam­i­lienun­ternehmen fokussieren häufig auf Nischenmärkte, wo Innovation mehr zählt als Masse.
  • Die In­no­va­tion­skraft dieser Unternehmen beruht auf ihrer Ver­trauen­skul­tur: Offenheit auf allen Ebenen und unter allen Abteilungen.
  • Die Werte und Visionen des Eigentümers bilden die Leitplanken des Handelns.
  • Wichtige Entschei­dun­gen fallen auf kurzen Wegen und unbürokratisch.
  • Fehlentschei­dun­gen können auf niemanden abgewälzt werden.
  • Finanzielle Engpässe können sich Fam­i­lienun­ternehmen nicht erlauben – deshalb wirtschaften sie vor­sichtiger.
 

Zusammenfassung

Zurück zu Bewährtem

Die gängigen be­trieb­swirtschaftlichen Lehrmei­n­un­gen der vergangenen Jahre gehören nach der gerade erlebten Finanz- und Wirtschaft­skrise schleunigst auf den Prüfstand. Sie haben den Share­holder-Value zum Inbegriff eines auf Max­i­mal­ren­diten fokussierten Un­ternehmens erhoben. Familiengeführte Gesellschaften galten dagegen als langweilig, die dahinter stehenden Man­age­men­tregeln als antiquiert. Heute weiß man: Nach­haltiges Wirtschaften auf Basis von Gen­er­a­tio­nen­denken, Loyalität und Vertrauen bieten die besten Chancen, auch Wirtschaft­skrisen durchzuste­hen. Es sind die börsen­notierten Unternehmen, die nun einer grundle­gen­den Reform ihrer bisherigen Corporate Governance bedürfen. Und es wäre nicht ver­wun­der­lich, wenn dabei auch auf das Fundament familiengeführter Unternehmen gesetzt würde.

In Jahrhun­derten denken

Das angebliche „Aus­lauf­mod­ell“ Fam­i­lienun­ternehmen ist wieder im Rennen. Teilweise über Jahrhun­derte hinweg haben diese Unternehmen Kriege, Wirtschaft­skrisen und Mark­tver­w­er­fun­gen gemeistert. Umso er­staunlicher ist es, dass die „Hidden Champions“, wie sie auch genannt werden, bis vor Kurzem so gravierend unterschätzt wurden. Gemeinsam ist ihnen, dass eine oder mehrere Familien Einfluss auf Eigenkap­i­tal, Kontrolle oder Management ausüben. In aller Regel ist dazu eine wesentliche Beteiligung oder gar Mehrheit am Eigenkap­i­tal der Gesellschaft er­forder­lich. Der Einfluss der Eigentümerfamilie schlägt sich nieder im Bestreben, etwas Dauerhaftes zu schaffen, das über die eigene Wirkzeit hinausgeht und das an die nächste Generation weit­ergegeben werden kann. So un­ter­stre­icht beispiel­sweise Fürst Kraft zu Ho­hen­lohe-Oehrin­gen, dass seine Familie in Zeiträumen von 100 Jahren denke. Er muss es wissen: Die gle­ich­namige Sek­tkellerei befindet sich seit 1250 im Fam­i­lienbe­sitz. Iden­ti­fika­tion und Loyalität spielen in Fam­i­lienun­ternehmen eine ungleich gewichtigere Rolle als schnelles Geld­ver­di­enen. Nicht alles funk­tion­iert jedoch reibungslos: Der Einfluss einer Familie allein ist noch kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg, wie die Beispiele des Arzneimit­tel­her­stellers Merkle, des Au­tozulief­er­ers Schaeffler oder des Sport­wa­gen­bauers Porsche gezeigt haben.

Vorteil Familie: die harten Zahlen

Politiker adressieren gerne den berühmten Mittelstand – meist wenn es um Wählerstimmen geht. Dessen ungeachtet ist die Wirtschaft­spoli­tik fast ausschließlich auf große Pub­likums­ge­sellschaften aus­gerichtet. Dabei brachte eine Studie der Europäischen Union ans Licht, dass Fam­i­lienun­ternehmen tatsächlich das Rückgrat der Wirtschaft bilden: 70–80 % aller Unternehmen in der EU befinden sich in Fam­i­lienbe­sitz. In der Schweiz sind es sogar 88 % und in Deutschland 95 %. Bei den deutschen Großunternehmen mit über 50 Mio. Euro Jahre­sum­satz sind mehr als ein Drittel familiengeführt. Auch die wirtschaftlichen Per­for­mances können sich sehen lassen. Einer amerikanis­chen Studie zufolge haben die 140 größten familiengeführten US-Ak­tienge­sellschaften im Zehn­jahreszeitraum bis 2002 den Umsatz durch­schnit­tlich um den Faktor 14 gesteigert, ihre Pendants dagegen „nur“ verne­un­facht. Bei den Net­to­gewin­nen lautete das Verhältnis 49 zu 36 zugunsten der Familie.

Die Definition des UGU

Um die Er­fol­gfak­toren der familiengeführten Unternehmen zu bestimmen, braucht es zuerst eine genauere Definition dieser Firmen, die man als „UGUs“ bezeichnet: un­ternehmerisch geführte Unternehmen. Sie betrachten das Geschäft nicht als bloßes Business, sondern als Lebenszweck; Erfolg bedeutet nicht Gewin­n­max­imierung, sondern Überlebensfähigkeit. Das UGU entzieht sich den Moden, stattdessen denken seine Lenker langfristig. Meistens lassen sich mehrere der folgenden Kriterien feststellen:

  • Das UGU befindet sich in Fam­i­lienbe­sitz.
  • Es ist nicht börsennotiert.
  • Es zeichnet sich durch langfristiges Denken und Handeln aus.
  • Es verfügt über eine hohe Eigenkap­i­tal­ba­sis.
„Bei Fam­i­lienun­ternehmen steht nicht die Beutegier von In­ter­es­sen­grup­pen wie Shareholder oder Stakeholder im Mittelpunkt, sondern das Unternehmen selbst: seine produktive Kraft und funk­tionelle Lebensfähigkeit.“

Gerade mit einer soliden Eigenkap­i­tal­ba­sis lassen sich schlimme Krisen, wie die von Mitte 2007 bis Ende 2009, erfolgreich durchstehen. Bosch und Hilti beispiel­sweise, beides recht bekannte Fam­i­lienun­ternehmen, mussten zwar für einen Teil ihrer Belegschaft Kurzarbeit anmelden, manövrierten sich aber dennoch fast unbeschadet aus der Wirtschaft­skrise.

Er­fol­gs­fak­tor Strategie

Einem UGU ist der kurzfristige Per­for­mance-Druck, wie ihn börsen­notierte Gesellschaften regelmäßig aushalten müssen, fremd. Darum kann es sich einen längeren Atem bei langfristi­gen Projekten erlauben.

„Fam­i­lienun­ternehmen galten als altmodisch, verstaubt und mittelmäßig, da sie ihre Ziele mit Be­har­rlichkeit über Gen­er­a­tio­nen hinweg verfolgen und nicht allen Moden und Be­ratertrends gefolgt sind – wie beispiel­sweise genau dieser Share­holder-Value-Lehre.“

Ein Nebeneffekt: Fam­i­lienun­ternehmen fokussieren häufig auf Nischenmärkte, auf denen sie auch mit beschränktem Kap­i­talein­satz eine marktführende Stellung erreichen können. Hier zählt Innovation mehr als Masse. Zudem profitieren UGUs vom In­hab­er­bonus: Kunden verbinden einen konkreten Menschen mit dem Produkt oder der Di­en­stleis­tung. Dieser Ver­trauens­bonus ist bares Geld wert, Preise von bis zu 15 % über dem Durch­schnitt sind einer Un­ter­suchung zufolge nicht selten. Weil die Kosten für eine Übernahme hoch sind, finden sich UGUs nur selten aktiv in Übernahmekämpfen wieder. Sie müssen alles aus laufenden Gewinnen finanzieren – ein Grund dafür, dass oft gerade ein Fünftel des Nach­s­teuergewinns an die Gesellschafter ausgeschüttet, der große Rest jedoch rein­vestiert wird. Engpässe in den Finanzen kann sich ein UGU nicht erlauben.

Er­fol­gs­fak­tor Innovation

Länder wie Deutschland, Österreich und die Schweiz besitzen praktisch keine eigenen Rohstoffe – außer den Ideen kreativer Köpfe. Un­ter­suchun­gen belegen, dass es die UGUs sind, die hinter der Mehrzahl der wesentlichen In­no­va­tio­nen stecken. Fam­i­lienun­ternehmen müssen viel tun, um in ihrer Nische erfolgreich zu sein: Durch­schnit­tlich 3,5 % ihrer Umsätze fließen in Forschung und Entwicklung, gegenüber 2,5 % bei den Nicht-Fam­i­lienun­ternehmen. Einige UGUs, wie Boehringer Ingelheim oder Firmenich In­ter­na­tional, kommen gar auf zweis­tel­lige Werte von 18 bzw. 10 %.

„Seit sich viele der großen Börsenkonz­erne mit den ex­is­tenzbedro­hen­den Kon­se­quen­zen ihres Tuns kon­fron­tiert sehen, erlebt das ‚Aus­lauf­mod­ell‘ Fam­i­lienun­ternehmen eine wahre Renaissance.“

Rund drei Viertel aller Patente stammen von Fam­i­lienun­ternehmen – wobei viele Nis­chen­spezial­is­ten ihre In­no­va­tio­nen häufig nicht mal beim Patentamt anmelden. Zurückgeführt wird diese In­no­va­tion­skraft auf den Schlüsselfaktor Vertrauen, auf eine Un­ternehmen­skul­tur, in der Offenheit auf allen Ebenen und unter allen Abteilungen des Un­ternehmens herrscht. Nicht zuletzt führt die enge Bindung von UGUs zu ihren Kunden zu einer gegen­seit­i­gen Befruchtung, aus der heraus En­twick­lungsar­beit und In­no­va­tio­nen entstehen können.

Er­fol­gs­fak­tor Un­ternehmen­skul­tur

Am besten lässt sich der abstrakte Begriff „Un­ternehmen­skul­tur“ beschreiben, indem man sich darunter die gemeinsamen Werte, Erfahrungen und Ziele der Beteiligten vorstellt. Daraus lassen sich wiederum Standards und Spielregeln entwickeln, die dann die Kultur bestimmen.

„Die Tatsache, dass ein Unternehmen von einer Familie maßgeblich beeinflusst wird, ist kein Er­fol­gs­garant.“

Bei UGUs kommt dem Eigentümer eine Schlüssel­stel­lung zu. Seine Überzeu­gun­gen und Normen sind es, die dem gesamten Unternehmen als eine Art Leitplanke dienen. Mit ihrer Hilfe spielen Eigentümer und Belegschaft synchron zusammen. Andernfalls drohen hohe Rei­bungsver­luste. Doch die Ve­r­ant­wor­tung des bzw. der Eigentümer geht meistens weit über das eigene Unternehmen hinaus: Ihre gesellschaftliche Ve­r­ant­wor­tung nehmen sie nicht aus Verpflich­tung, sondern aus persönlicher Überzeugung wahr. Damit sind UGUs nicht nur wirtschaftlich das viel zitierte Rückgrat, sondern auch in Sachen der Moral.

Er­fol­gs­fak­tor Führung

UGU können wichtige Entschei­dun­gen auf kurzen Wegen und unbürokratisch fällen, da der Eigentümer identisch mit der Geschäftsleitung ist – allerdings können Fehlentschei­dun­gen auch auf niemanden abgewälzt werden. Der fehlende Druck, kurzfristige Erfolge ausweisen zu müssen, bzw. die Möglichkeit, langfristig planen zu können, ist die Grundlage für jede längerfristig ausgelegte Un­ternehmensstrate­gie.

„Wer sich hohe Gewinne als oberstes Ziel setzt, investiert zu wenig in die Zukunft.“

Die größte Gefahr für diese Kontinuität erwächst aus dem System selbst – wenn nämlich kein Fam­i­li­en­nach­fol­ger zur Verfügung steht oder die ver­schiede­nen Fam­i­lien­zweige nach­fol­gen­der Gen­er­a­tio­nen miteinander in Streit geraten. Süßwaren­her­steller Bahlsen, Spir­i­tu­osen­spezial­ist Berentzen und die Tchibo-Un­ternehmer­fam­i­lie Herz können ein Lied davon singen. Je länger die Fam­i­lien­his­to­rie, desto größer die Gefahr einer zunehmenden Zer­split­terung.

Boehringer Ingelheim

Ein her­aus­ra­gen­des Beispiel höchst er­fol­gre­icher Fam­i­lienun­ternehmen aus dem deutschsprachi­gen Raum, ist der Pharma­her­steller Boehringer Ingelheim, der weit über die Grenzen hinaus bekannt ist. So genannte „Good Practices“ (vor­bildliche Geschäft­sprak­tiken) anderer Unternehmen muss diese Tra­di­tions­firma nicht befolgen – sie hat sie im Verlauf vieler Jahrzehnte längst selbst definiert. So geht die 1885 gegründete Firma Boehringer auf den Erwerb einer We­in­ste­in­fab­rik zurück, woraus sich im Lauf der Zeit ein Betrieb mit über 40 000 Mi­tar­beit­ern, 138 Gesellschaften und einem Jahre­sum­satz von fast zwölf Mrd. Euro entwickelt hat. Das Er­fol­gsmotto des Boehringer-Clans: Werte schaffen durch Innovation.

Bosch

Fast zur gleichen Zeit (1886) wurde die Robert Bosch GmbH gegründet, als Kleinwerkstätte für Fein­mechanik und Elek­trotech­nik – heute ist daraus ein globaler Megakonzern mit 283 000 Beschäftigten und 45 Mrd. Euro Jahre­sum­satz erwachsen. Der Schlüssel zum Erfolg auch bei Bosch: ständige Innovation, die sich der Konzern mehr als drei Mrd. Euro jährlich kosten lässt und einem Zehntel seiner Mitarbeiter anvertraut. Aber auch die Di­ver­si­fika­tion in angrenzende Geschäftsbereiche und eine unabhängige Geschäftsführung spielen eine Rolle: 92 % der Anteile liegen heute in Form einer Treuhandge­sellschaft bei der Robert-Bosch-Stiftung. So kommt erst gar kein Zwist auf, und der Megakonzern kann so geführt werden, wie es sich der Gründer einstmals gewünscht hat.

Tengelmann

Die schon 1867 gegründete Ten­gel­mann-Gruppe mit heute über 100 000 Beschäftigten und einem Jahre­sum­satz von rund 20 Mrd. Euro ist weit mehr, als was die meisten über sie wissen: Zu Tengelmann gehören nicht nur die Lebens­mit­tel-Dis­counter-Marken Plus, Netto und A&P (USA), sondern auch der Tex­til-Dis­counter Kik sowie die Obi-Bau- und Heimwerkermärkte. Tengelmann hat im Verlauf seiner über 100-jährigen Historie die Einführung der Selb­st­be­di­enung und die Glob­al­isierung erfolgreich überlebt. Ziel war stets die Fokussierung auf die Kernkom­pe­tenz sowie die Expansion in Länder mit Aufholpoten­zial. Dies gelang u. a. deshalb, weil die Eigentümerfamilie Haub 100 % der Anteile besitzt und auch heute noch fest die Zügel in der Hand hält. „Fam­i­lienun­ternehmen sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie nicht jede kurzfristige Dummheit mitmachen müssen“ – dieser Satz von Hermut Kormann, dem ehemaligen Vor­standsvor­sitzen­den des Tra­di­tion­s­maschi­nen­bauers Voith, gilt ex­em­plar­isch für viele andere er­fol­gre­iche Fam­i­lienun­ternehmen. Bei ihnen allen lassen sich gemeinsame Good Practices in den Schlüsselkom­pe­ten­zen Strategie, Innovation, Un­ternehmen­skul­tur und Führung feststellen.

Über die Autorin

Dr. Bianca Braun baut seit 2008 das Competence Center familiengeführter Unternehmen im Malik Management Zentrum St. Gallen auf. Die aus der Braun-Dy­nas­tie stammende Autorin hat an der Universität St. Gallen promoviert.