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Die gängigen betriebswirtschaftlichen Lehrmeinungen der vergangenen Jahre gehören nach der gerade erlebten Finanz- und Wirtschaftskrise schleunigst auf den Prüfstand. Sie haben den Shareholder-Value zum Inbegriff eines auf Maximalrenditen fokussierten Unternehmens erhoben. Familiengeführte Gesellschaften galten dagegen als langweilig, die dahinter stehenden Managementregeln als antiquiert. Heute weiß man: Nachhaltiges Wirtschaften auf Basis von Generationendenken, Loyalität und Vertrauen bieten die besten Chancen, auch Wirtschaftskrisen durchzustehen. Es sind die börsennotierten Unternehmen, die nun einer grundlegenden Reform ihrer bisherigen Corporate Governance bedürfen. Und es wäre nicht verwunderlich, wenn dabei auch auf das Fundament familiengeführter Unternehmen gesetzt würde.
In Jahrhunderten denken
Das angebliche „Auslaufmodell“ Familienunternehmen ist wieder im Rennen. Teilweise über Jahrhunderte hinweg haben diese Unternehmen Kriege, Wirtschaftskrisen und Marktverwerfungen gemeistert. Umso erstaunlicher ist es, dass die „Hidden Champions“, wie sie auch genannt werden, bis vor Kurzem so gravierend unterschätzt wurden. Gemeinsam ist ihnen, dass eine oder mehrere Familien Einfluss auf Eigenkapital, Kontrolle oder Management ausüben. In aller Regel ist dazu eine wesentliche Beteiligung oder gar Mehrheit am Eigenkapital der Gesellschaft erforderlich. Der Einfluss der Eigentümerfamilie schlägt sich nieder im Bestreben, etwas Dauerhaftes zu schaffen, das über die eigene Wirkzeit hinausgeht und das an die nächste Generation weitergegeben werden kann. So unterstreicht beispielsweise Fürst Kraft zu Hohenlohe-Oehringen, dass seine Familie in Zeiträumen von 100 Jahren denke. Er muss es wissen: Die gleichnamige Sektkellerei befindet sich seit 1250 im Familienbesitz. Identifikation und Loyalität spielen in Familienunternehmen eine ungleich gewichtigere Rolle als schnelles Geldverdienen. Nicht alles funktioniert jedoch reibungslos: Der Einfluss einer Familie allein ist noch kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg, wie die Beispiele des Arzneimittelherstellers Merkle, des Autozulieferers Schaeffler oder des Sportwagenbauers Porsche gezeigt haben.
Vorteil Familie: die harten Zahlen
Politiker adressieren gerne den berühmten Mittelstand – meist wenn es um Wählerstimmen geht. Dessen ungeachtet ist die Wirtschaftspolitik fast ausschließlich auf große Publikumsgesellschaften ausgerichtet. Dabei brachte eine Studie der Europäischen Union ans Licht, dass Familienunternehmen tatsächlich das Rückgrat der Wirtschaft bilden: 70–80 % aller Unternehmen in der EU befinden sich in Familienbesitz. In der Schweiz sind es sogar 88 % und in Deutschland 95 %. Bei den deutschen Großunternehmen mit über 50 Mio. Euro Jahresumsatz sind mehr als ein Drittel familiengeführt. Auch die wirtschaftlichen Performances können sich sehen lassen. Einer amerikanischen Studie zufolge haben die 140 größten familiengeführten US-Aktiengesellschaften im Zehnjahreszeitraum bis 2002 den Umsatz durchschnittlich um den Faktor 14 gesteigert, ihre Pendants dagegen „nur“ verneunfacht. Bei den Nettogewinnen lautete das Verhältnis 49 zu 36 zugunsten der Familie.
Die Definition des UGU
Um die Erfolgfaktoren der familiengeführten Unternehmen zu bestimmen, braucht es zuerst eine genauere Definition dieser Firmen, die man als „UGUs“ bezeichnet: unternehmerisch geführte Unternehmen. Sie betrachten das Geschäft nicht als bloßes Business, sondern als Lebenszweck; Erfolg bedeutet nicht Gewinnmaximierung, sondern Überlebensfähigkeit. Das UGU entzieht sich den Moden, stattdessen denken seine Lenker langfristig. Meistens lassen sich mehrere der folgenden Kriterien feststellen:
- Das UGU befindet sich in Familienbesitz.
- Es ist nicht börsennotiert.
- Es zeichnet sich durch langfristiges Denken und Handeln aus.
- Es verfügt über eine hohe Eigenkapitalbasis.
„Bei Familienunternehmen steht nicht die Beutegier von Interessengruppen wie Shareholder oder Stakeholder im Mittelpunkt, sondern das Unternehmen selbst: seine produktive Kraft und funktionelle Lebensfähigkeit.“
Gerade mit einer soliden Eigenkapitalbasis lassen sich schlimme Krisen, wie die von Mitte 2007 bis Ende 2009, erfolgreich durchstehen. Bosch und Hilti beispielsweise, beides recht bekannte Familienunternehmen, mussten zwar für einen Teil ihrer Belegschaft Kurzarbeit anmelden, manövrierten sich aber dennoch fast unbeschadet aus der Wirtschaftskrise.
Erfolgsfaktor Strategie
Einem UGU ist der kurzfristige Performance-Druck, wie ihn börsennotierte Gesellschaften regelmäßig aushalten müssen, fremd. Darum kann es sich einen längeren Atem bei langfristigen Projekten erlauben.
„Familienunternehmen galten als altmodisch, verstaubt und mittelmäßig, da sie ihre Ziele mit Beharrlichkeit über Generationen hinweg verfolgen und nicht allen Moden und Beratertrends gefolgt sind – wie beispielsweise genau dieser Shareholder-Value-Lehre.“
Ein Nebeneffekt: Familienunternehmen fokussieren häufig auf Nischenmärkte, auf denen sie auch mit beschränktem Kapitaleinsatz eine marktführende Stellung erreichen können. Hier zählt Innovation mehr als Masse. Zudem profitieren UGUs vom Inhaberbonus: Kunden verbinden einen konkreten Menschen mit dem Produkt oder der Dienstleistung. Dieser Vertrauensbonus ist bares Geld wert, Preise von bis zu 15 % über dem Durchschnitt sind einer Untersuchung zufolge nicht selten. Weil die Kosten für eine Übernahme hoch sind, finden sich UGUs nur selten aktiv in Übernahmekämpfen wieder. Sie müssen alles aus laufenden Gewinnen finanzieren – ein Grund dafür, dass oft gerade ein Fünftel des Nachsteuergewinns an die Gesellschafter ausgeschüttet, der große Rest jedoch reinvestiert wird. Engpässe in den Finanzen kann sich ein UGU nicht erlauben.
Erfolgsfaktor Innovation
Länder wie Deutschland, Österreich und die Schweiz besitzen praktisch keine eigenen Rohstoffe – außer den Ideen kreativer Köpfe. Untersuchungen belegen, dass es die UGUs sind, die hinter der Mehrzahl der wesentlichen Innovationen stecken. Familienunternehmen müssen viel tun, um in ihrer Nische erfolgreich zu sein: Durchschnittlich 3,5 % ihrer Umsätze fließen in Forschung und Entwicklung, gegenüber 2,5 % bei den Nicht-Familienunternehmen. Einige UGUs, wie Boehringer Ingelheim oder Firmenich International, kommen gar auf zweistellige Werte von 18 bzw. 10 %.
„Seit sich viele der großen Börsenkonzerne mit den existenzbedrohenden Konsequenzen ihres Tuns konfrontiert sehen, erlebt das ‚Auslaufmodell‘ Familienunternehmen eine wahre Renaissance.“
Rund drei Viertel aller Patente stammen von Familienunternehmen – wobei viele Nischenspezialisten ihre Innovationen häufig nicht mal beim Patentamt anmelden. Zurückgeführt wird diese Innovationskraft auf den Schlüsselfaktor Vertrauen, auf eine Unternehmenskultur, in der Offenheit auf allen Ebenen und unter allen Abteilungen des Unternehmens herrscht. Nicht zuletzt führt die enge Bindung von UGUs zu ihren Kunden zu einer gegenseitigen Befruchtung, aus der heraus Entwicklungsarbeit und Innovationen entstehen können.
Erfolgsfaktor Unternehmenskultur
Am besten lässt sich der abstrakte Begriff „Unternehmenskultur“ beschreiben, indem man sich darunter die gemeinsamen Werte, Erfahrungen und Ziele der Beteiligten vorstellt. Daraus lassen sich wiederum Standards und Spielregeln entwickeln, die dann die Kultur bestimmen.
„Die Tatsache, dass ein Unternehmen von einer Familie maßgeblich beeinflusst wird, ist kein Erfolgsgarant.“
Bei UGUs kommt dem Eigentümer eine Schlüsselstellung zu. Seine Überzeugungen und Normen sind es, die dem gesamten Unternehmen als eine Art Leitplanke dienen. Mit ihrer Hilfe spielen Eigentümer und Belegschaft synchron zusammen. Andernfalls drohen hohe Reibungsverluste. Doch die Verantwortung des bzw. der Eigentümer geht meistens weit über das eigene Unternehmen hinaus: Ihre gesellschaftliche Verantwortung nehmen sie nicht aus Verpflichtung, sondern aus persönlicher Überzeugung wahr. Damit sind UGUs nicht nur wirtschaftlich das viel zitierte Rückgrat, sondern auch in Sachen der Moral.
Erfolgsfaktor Führung
UGU können wichtige Entscheidungen auf kurzen Wegen und unbürokratisch fällen, da der Eigentümer identisch mit der Geschäftsleitung ist – allerdings können Fehlentscheidungen auch auf niemanden abgewälzt werden. Der fehlende Druck, kurzfristige Erfolge ausweisen zu müssen, bzw. die Möglichkeit, langfristig planen zu können, ist die Grundlage für jede längerfristig ausgelegte Unternehmensstrategie.
„Wer sich hohe Gewinne als oberstes Ziel setzt, investiert zu wenig in die Zukunft.“
Die größte Gefahr für diese Kontinuität erwächst aus dem System selbst – wenn nämlich kein Familiennachfolger zur Verfügung steht oder die verschiedenen Familienzweige nachfolgender Generationen miteinander in Streit geraten. Süßwarenhersteller Bahlsen, Spirituosenspezialist Berentzen und die Tchibo-Unternehmerfamilie Herz können ein Lied davon singen. Je länger die Familienhistorie, desto größer die Gefahr einer zunehmenden Zersplitterung.
Boehringer Ingelheim
Ein herausragendes Beispiel höchst erfolgreicher Familienunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, ist der Pharmahersteller Boehringer Ingelheim, der weit über die Grenzen hinaus bekannt ist. So genannte „Good Practices“ (vorbildliche Geschäftspraktiken) anderer Unternehmen muss diese Traditionsfirma nicht befolgen – sie hat sie im Verlauf vieler Jahrzehnte längst selbst definiert. So geht die 1885 gegründete Firma Boehringer auf den Erwerb einer Weinsteinfabrik zurück, woraus sich im Lauf der Zeit ein Betrieb mit über 40 000 Mitarbeitern, 138 Gesellschaften und einem Jahresumsatz von fast zwölf Mrd. Euro entwickelt hat. Das Erfolgsmotto des Boehringer-Clans: Werte schaffen durch Innovation.
Bosch
Fast zur gleichen Zeit (1886) wurde die Robert Bosch GmbH gegründet, als Kleinwerkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik – heute ist daraus ein globaler Megakonzern mit 283 000 Beschäftigten und 45 Mrd. Euro Jahresumsatz erwachsen. Der Schlüssel zum Erfolg auch bei Bosch: ständige Innovation, die sich der Konzern mehr als drei Mrd. Euro jährlich kosten lässt und einem Zehntel seiner Mitarbeiter anvertraut. Aber auch die Diversifikation in angrenzende Geschäftsbereiche und eine unabhängige Geschäftsführung spielen eine Rolle: 92 % der Anteile liegen heute in Form einer Treuhandgesellschaft bei der Robert-Bosch-Stiftung. So kommt erst gar kein Zwist auf, und der Megakonzern kann so geführt werden, wie es sich der Gründer einstmals gewünscht hat.
Tengelmann
Die schon 1867 gegründete Tengelmann-Gruppe mit heute über 100 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von rund 20 Mrd. Euro ist weit mehr, als was die meisten über sie wissen: Zu Tengelmann gehören nicht nur die Lebensmittel-Discounter-Marken Plus, Netto und A&P (USA), sondern auch der Textil-Discounter Kik sowie die Obi-Bau- und Heimwerkermärkte. Tengelmann hat im Verlauf seiner über 100-jährigen Historie die Einführung der Selbstbedienung und die Globalisierung erfolgreich überlebt. Ziel war stets die Fokussierung auf die Kernkompetenz sowie die Expansion in Länder mit Aufholpotenzial. Dies gelang u. a. deshalb, weil die Eigentümerfamilie Haub 100 % der Anteile besitzt und auch heute noch fest die Zügel in der Hand hält. „Familienunternehmen sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie nicht jede kurzfristige Dummheit mitmachen müssen“ – dieser Satz von Hermut Kormann, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Traditionsmaschinenbauers Voith, gilt exemplarisch für viele andere erfolgreiche Familienunternehmen. Bei ihnen allen lassen sich gemeinsame Good Practices in den Schlüsselkompetenzen Strategie, Innovation, Unternehmenskultur und Führung feststellen.
Dr. Bianca Braun baut seit 2008 das Competence Center familiengeführter Unternehmen im Malik Management Zentrum St. Gallen auf. Die aus der Braun-Dynastie stammende Autorin hat an der Universität St. Gallen promoviert.