Die Angst vor dem Scherbenhaufen
Sie ist ungefähr so alltäglich wie die Ehescheidung, und genau wie diese kann sie zu einem gefühlsmäßigen Horrortrip werden: die Kündigung. Und das nicht nur für denjenigen, der den Job verliert, sondern auch für den Vorgesetzten und die Kollegen. Der Chef hat es in der Hand, ob aus der Trennung ein Scherbenhaufen oder ein Neuanfang für alle Beteiligten entsteht. Viele Vorgesetzte wollen das Kündigungsgespräch so rasch wie möglich durchziehen, die unangenehme Aufgabe schnell hinter sich bringen. Dann dauert es oft lange, bis der Kollateralschaden behoben ist. Durch die harte Trennung traumatisiert, finden die Gekündigten häufig jahrelang keinen neuen Job, die Vorgesetzten werden von Schuldgefühlen heimgesucht und das übrig gebliebene Team schleppt sich emotionslos durch den Arbeitsalltag. Solche Dramen können Sie vermeiden, wenn Sie Kündigungen fair gestalten und daraus eine Chance für die Zukunft machen. Erlernen Sie Methoden, mit denen Entlassungen sich zwar nicht vermeiden lassen, die sie aber in sanfte Bahnen lenken, ohne die Psyche der Beteiligten zu ruinieren.
Das Dilemma der Chefs
Kündigen zählt zu den Führungsaufgaben – nur leider werden CEOs, Unternehmer und Personalchefs so gut wie gar nicht darauf vorbereitet. Aber der Tag X kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, und dann stehen Sie da und wissen nicht, wie Sie die Sache mit Anstand bewältigen sollen. Gerade wenn es Ihre erste Kündigungssituation ist und Sie nicht schon aus eigener Erfahrung lernen konnten, erleben Sie Stress pur, und das ist keine stabile Ausgangsposition für ein gutes Trennungsgespräch.
„Eine gute Trennung respektiert die Würde des Betroffenen, kann vom Gegenüber akzeptiert werden und ermöglicht eine Neuorientierung.“
Für den Gekündigten geht es oft ums nackte Überleben: Er verliert – zumindest im Augenblick – sein Einkommen, seinen Lebenssinn und die Zugehörigkeit zum Unternehmen. Sie ziehen ihm in jeder Beziehung den Boden unter den Füßen weg, und weder Sozialprogramme noch Outplacement können das wettmachen. Verständlich, dass dem Vorgesetzten die Angst im Nacken sitzt, wenn er diese Hiobsbotschaft überbringen muss, vor allem bei strukturellen Kündigungen, bei denen viele Mitarbeiter auf einmal auf die Straße gesetzt werden. Es gab schon CEOs, die bei solchen Gelegenheiten als Geisel genommen wurden.
So erleben es die Mitarbeiter
Zunächst ist der Entlassene natürlich, vorsichtig ausgedrückt, nicht so gut auf den Chef zu sprechen. Mancher Kündigung geht Mobbing voraus. Dann ist sie für den Betroffenen keine bloße Enttäuschung, über die er mit der Zeit hinwegkommt, sondern eine traumatische Verletzung, die professionell behandelt werden muss. Die Bedingungen für ein Trauma, z. B. das Überraschende, Lebensbedrohliche, Unausweichliche, das Gefühl des Ausgeliefertseins, können bei einer Kündigung durchaus gegeben sein. Der Betroffene reagiert mit Verwirrung, Erinnerungslücken, Antriebslosigkeit und entsprechenden körperlichen Symptomen wie Magen-, Herz- und Kreislaufproblemen, Kopfschmerzen und Schlafproblemen.
Auch das Team leidet
Jeder im Unternehmen hat seinen Platz und gehört in irgendeiner Form zu einer Gruppe und in ein System. Menschen brauchen die Gruppe, das war schon immer so: Allein können Sie weder ein Mammut erlegen noch große Projekte stemmen. Eine Kündigung bringt so ein System gewaltig ins Wanken. Es braucht nur ein Hauch von Ungerechtigkeit über der Kündigung zu liegen, und schon reagiert das Team mit Dienst nach Vorschrift, innerer Kündigung oder im schlimmsten Fall mit Sabotage. Der unfair Gekündigte wird als noch immer zum Team gehörig angesehen, und wenn Sie Pech haben, folgt ihm sogar der ein oder andere.
„Es muss möglich sein, sich in der Arbeitswelt von einem Mitarbeiter zu trennen.“
Es ist immens wichtig, die Gründe für eine Kündigung zu thematisieren, und zwar in positiver Weise. Wenn Sie dem Team ehrlich erklären, dass Sie z. B. mit dem Kollegen schlicht nicht auskommen konnten, seine Leistung aber in Ordnung war, kann die Gruppe das akzeptieren, und das System bleibt intakt. Sagen Sie dagegen nichts oder stellen den Mitarbeiter womöglich vor dem Team bloß, wird dieses Ihnen den Krieg erklären. Was hier abläuft, nennt man systemische Psychologie. Vorgesetzte müssen lernen, damit umzugehen, weil Systeme feste Regeln haben und die Systemteilnehmer unbewusst danach handeln.
Trauma mal drei
Mancher Mitarbeiter spürt längst, dass sein Stuhl wackelt oder dass er selbst lieber die Firma wechseln würde. Anstatt sich aber zu einem konstruktiven und offenen Gespräch zusammenzusetzen, wurschteln alle Beteiligten so lange weiter, bis es zum Eklat kommt. Dann hagelt es Schuldzuweisungen, Kränkungen, Demütigungen, und der Vorgesetzte schlittert in die Rolle des Täters, anstatt kontrolliert zu agieren. Der Moment, in dem der Mitarbeiter erkennt, dass es keinen Ausweg gibt, ist der, der den Vorgesetzten ebenfalls voll trifft und mit traumatisiert.
„Das sichere Einkommen, der Lebenssinn und die Zugehörigkeit sind evolutionsgeschichtlich die wichtigsten Voraussetzungen für ein einigermaßen sicheres Lebensgefühl.“
Zudem wird durch eine schlecht durchgeführte Kündigung auch das Team traumatisiert. Eigentlich hat die Natur es recht sinnvoll eingerichtet: Stößt einem Rudelmitglied etwas zu, geraten die anderen in Panik und werden besonders aufmerksam. Das kann Leben retten. In einem Team laufen ähnliche Mechanismen ab. Die Leute fühlen sich bedroht – schließlich weiß man ja nie, wer der nächste sein wird. In der Folge verbringen die Zurückgebliebenen ihre Zeit vor allem damit, sich mit anderen zu verbünden, Informationen zu sammeln und ihren Bereich abzusichern. Damit sind sie so beschäftigt, dass ihre Arbeitsleistung rapide sinkt.
Das Trauma überwinden
Reden ist das beste Gegenmittel – nur stellt das gerade für Männer die höchste Hürde dar. Sie haben von klein auf gelernt, sich zusammenzureißen und den Helden zu spielen, koste es, was es wolle. Doch weder für Vorgesetzte, die ein Kündigungsgespräch emotional belastet, noch für einen Gekündigten, der nach dutzenden von Bewerbungen noch immer keine neue Stelle hat, ist das eine brauchbare Strategie. Dieses Handeln nach der Devise „Ärmel hochkrempeln, Problem lösen und weitermachen“ taugt bestenfalls für alltägliche Stresssituationen, aber sicher nicht zur Traumabewältigung.
„Jede Kündigung hat Auswirkungen auf diejenigen, die bleiben, denn jede Kündigung ist eine Botschaft an die ,Überlebenden‘.“
Genauso falsch wäre es, die aufkeimenden Emotionen zu unterdrücken. Ihre Gefühle sind wichtige Hinweise auf den Weg, den Sie künftig einschlagen sollten, und damit auf die Lösung Ihres Problems. Auch wenn es Ihnen momentan hilft, das innere Schlachtfeld zu ignorieren, tun Sie sich auf Dauer damit keinen Gefallen. Lassen Sie Ihre Gefühle zu und nehmen Sie sie an. Das ist die einzige Möglichkeit, aus der Seelenachterbahn auszusteigen.
„Weiß der Mitarbeiter, was auf ihn zukommt, dann kann er sich innerlich vorbereiten, er kann eigene Strategien entwickeln, sich anstrengen oder sich nach einer neuen Perspektive umsehen.“
Eine gute Idee ist, sich das Erlebte von der Seele zu reden. Die so genannte objektive Wahrheit spielt dabei keine Rolle, vielmehr geht es darum, wie Sie die Geschichte erlebt haben, wie sie für Sie einen Sinn ergibt. Sie haben so die Chance, die Situation noch mal nachzuerleben und Ihre Gefühle dabei zu erforschen. Das erleichtert es Ihnen, das Geschehen zu verstehen. Damit Sie sich nicht als der ultimative Verlierer fühlen, vergleichen Sie Ihre Lage ruhig mit jemandem, dem es noch schlechter geht, das tröstet und bauchpinselt das Selbstwertgefühl.
„Dem offensichtlich traumatisierten Mitarbeiter soll so schnell wie möglich wieder die eigene Autonomie zugestanden werden, indem man ihm Wahlmöglichkeiten anbietet.“
Der Königsweg aber, um das Trauma zu überwinden, ist das so genannte „Resilient Coping“. Diese Strategie setzt darauf, ganz realistisch wahrzunehmen, was passiert ist, und dann nicht in Selbstmitleid zu vergehen, sondern zu handeln, nach praktischen Lösungen zu suchen. Auch müssen Sie die Situation neu bewerten, z. B. indem Sie sich klar machen, dass Sie in bestimmter Weise selbst zur Eskalation beigetragen haben. Natürlich tut das zuerst weh, dennoch müssen Sie den Schmerz zulassen, den Tatsachen ins Auge sehen – und dann das Erlebnis umbewerten. Das Ganze hatte sicher einen Sinn, und jetzt heißt es, daraus zu lernen. Einfach ist das allerdings nicht und oft ist professionelle Hilfe nötig. Scheuen Sie sich nicht, einen Experten aufzusuchen, bevor Sie in eine Trauma-Endlosschleife geraten.
So kündigen Sie fair
Es wird nie ohne Kündigung gehen. Es kann aber ohne Trauma gehen, und das ist das Ziel. Jeder Gekündigte muss die Chance bekommen, in einem anderen Unternehmen neu anzufangen. Sorgen Sie dafür, dass in Ihrem Unternehmen eine Kündigungskultur herrscht, die rücksichtlose Kahlschläge vermeidet. Eine Kündigung muss und darf für niemanden zum Trauma werden. Folgende Checkliste hilft Ihnen:
- Bei ersten Schwierigkeiten: Reden. Ob die Leistung nicht stimmt oder die Chemie, oder ob sich strukturelle Veränderungen anbahnen, immer muss das Thema sofort offen und ehrlich auf den Tisch. Wird dann eine Kündigung nötig, trifft es den Mitarbeiter wenigstens nicht wie ein Blitzschlag.
- Die wahren Gründe nennen. Verstecken Sie sich nicht hinter fadenscheinigen Argumenten. Globalisierung und Wirtschaftskrise sind nie wirklich der Grund für eine Kündigung, das glaubt Ihnen sowieso keiner.
- Das Großvaterprinzip. Reden Sie mit Ihrem Chef, falls Sie einen Mitarbeiter aus Antipathiegründen loswerden wollen. Der „Großvater“ als nicht direkt beteiligter Dritter entschärft die Situation, sieht die Dingen anders oder hat evtl. eine Lösung.
- Anerkennung aussprechen. Leistungen und Talente des Mitarbeiters sind ein ganz wichtiger Punkt im Trennungsgespräch. Die gegenseitige Wertschätzung darf nicht fehlen, wenn eine Trennung allen Beteiligten gerecht erscheinen soll.
- Das Gespräch vorbereiten. Zuerst gehen Sie noch mal in sich und klären, weshalb Sie den Mitarbeiter tatsächlich entlassen. Überdenken Sie die Folgen für Ihre Kunden, Geschäftspartner und für den Rest der Mannschaft. Planen Sie einen Ausgleich, also ein Outplacement- oder Weiterbildungsangebot. Bringen Sie all das zu Papier und halten Sie sich im Gespräch an dieses Skript, um nicht in lange Diskussionen abzudriften und sich in Rechtfertigungen zu verstricken.
- Bleiben Sie fair. Das fängt schon damit an, eine Kündigung nicht vor Weihnachten, dem Wochenende, den Ferien oder dem Feierabend auszusprechen. Beraumen Sie etwa eine Stunde für das Gespräch an, inkl. der Zeit, die Sie hinterher zur Reflexion brauchen. Das Gespräch führen Sie selbst, evtl. kann ein Personalvertreter anwesend sein, aber keinesfalls eine ganze Reihe von Leuten, denen der Mitarbeiter sich ausgeliefert fühlt. Achten Sie während des Gesprächs genau auf die Reaktionen des Mitarbeiters, lassen Sie Tränen zu, geben Sie ihm Zeit, aber ziehen Sie das Gespräch als formellen Akt durch. Möchte der Mitarbeiter das weitere Vorgehen bei einem anderen Termin besprechen, ist das in Ordnung, denn das gibt ihm Eigenverantwortung zurück und federt den traumatischen Prozess ab.
- Gemeinsam kommunizieren. Das Team, und manchmal auch die Öffentlichkeit, will wissen, was los ist. Was nach außen kommuniziert wird, darüber einigen Sie sich mit dem Gekündigten. Auch darüber, ob er die Nachricht überbringt oder es Ihnen überlässt. Im Idealfall machen Sie das zusammen. Lassen Sie die Finger davon, schmutzige Wäsche zu waschen, und formulieren Sie immer so, dass jeder sein Gesicht bewahrt.
„Das Team weiß ja eh, worum es geht, es will nur wissen, ob man fair miteinander umgeht.“
Es bleibt dabei: Kündigen zählt zu den schwierigsten Managementaufgaben. Aber wenn Sie fair sind und die Sache mit Respekt angehen, bleibt kein Trümmerfeld zurück, sondern Menschen, die wissen, dass es weitergeht, und die keine Angst vor der Zukunft haben.