Man muss nur wollen
Alle verdienen dasselbe, Arbeits- oder Urlaubstage werden keine erfasst. Alle wissen, wie viel oder wie wenig in der Kasse ist. Chefs? Abgeschafft, die braucht keiner. Was wie eine am Stammtisch geborene Utopie frustrierter Angestellter klingt, ist der Arbeitsalltag für die 30 Mitarbeiter der CPP Studios Eventagentur in Offenbach. Dort verdienen tatsächlich alle gleich viel. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, in manchen Fragen müssen sie sogar einstimmig ausfallen. Und das funktioniert, seit bald zwei Jahrzehnten. CPP ist in einem sich ständig ändernden Umfeld tätig und zählt in der Branche zu den bekanntesten Agenturen. Das Offenbacher Unternehmen ist auf Großveranstaltungen wie der Cebit oder dem Kirchentag aktiv. Kein Nischenplayer also, der sein Glück im Winkel findet, sondern eine Firma, die sich auf einem harten Markt behauptet.
Irrsinn als Norm
Die Geschichte von CPP hat weniger mit Idealismus zu tun als mit Sturheit. Und mit Hinterfragen: Muss das so sein? Nur weil es überall so ist? Ist es notwendig, vorgegebenen Prozessen zu folgen statt selbst zu denken? Kommt man wirklich nicht darum herum, viel Zeit und Energie für den innerbetrieblichen Intrigantenstadel aufzuwenden? Bloß um vielleicht mal Karriere zu machen? Sind all die endlosen Meetings und die anschließenden Updates nicht nur ein Mittel, um sich abzusichern – und ansonsten völlig ineffizient?
„Wir sind keine Hobbytruppe, kein Kleingartenverein und, nein, auch keine Sekte, sondern im Großen und Ganzen ein ganz normales Unternehmen.“
Frappierenderweise ist dieser Irrsinn gang und gäbe und gilt als normal. Bei der Arbeitszeit z. B.: Wer lange im Büro hockt, ist ein Guter. Was während dieser Zeit geleistet oder nicht geleistet wird, interessiert den Chef kaum. Apropos Chef: Hauptsache, er hat das Sagen. „Ober sticht Unter“ – das gilt beim Skat ebenso wie im Unternehmen. Die Untergebenen sollen ja nicht denken, sondern arbeiten. Und die Chefs kontrollieren, schubsen, schieben und schrauben die Ansprüche höher, weil sie selbst unter hohem Druck von noch weiter oben stehen. Alle leiden, alle sehen sich als Opfer – und alle halten das für unabänderlich.
Eine andere Normalität
Es geht auch anders. Die CPP Studios sind ein Versuch, eine neue Normalität zu entwickeln, die mit Sinn und Leben gefüllt ist. Versuch und Irrtum: Nach diesem Prinzip funktioniert das Unternehmen von Anfang an. Vor zwei Jahrzehnten war es eine Zweimannbude, die Videopräsentationen herstellte. Gernot Pflüger war der zweite Mann und lernte jahrelang, wie Bildprojektoren eingestellt, Projekte geleitet und Veranstaltungen aufgezogen werden. Bis sein Chef ihm anbot, CPP zu übernehmen. Er schlug ein.
„Vom Systemansatz her sind wir so kapitalistisch, wie es überhaupt nur geht.“
Dann begann eine neue Lehrzeit, bei der es weniger um technische oder kaufmännische Belange ging als um menschliche Verhaltensweisen. Wer diese einzuschätzen und damit umzugehen weiß, hat schon viel gewonnen. Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass man Menschen am besten beurteilen lernt, wenn man sie unter Druck erlebt. Das ist nicht falsch, aber der Erfolg enttarnt noch viel besser. Wie fix scheinbar sympathische Zeitgenossen, einmal vom Erfolg umweht, sich in Kotzbrocken verwandeln – das ist schon erstaunlich.
„Wir haben keinen Chef und dafür umso mehr Spaß.“
Interessant ist auch die Erfahrung, was es bringt, sich mit Vertretern der Konkurrenz anzufreunden und ihnen aus der Patsche zu helfen. Nämlich nicht Dankbarkeit, sondern verlorene Aufträge. Das ist ärgerlich und bleibt haften. Im Geschäftsleben ist Vertrauen eine kostbare Währung.
Vier Ziele plus ein fünftes
Der Ansatz bei CPP war und ist, nicht in die üblichen Fallen zu tappen und den Angestelltenfrust so gut wie möglich zu vermeiden. Erste Erkenntnis: Je kleiner die Firma, desto engagierter die Mitarbeiter. Der eine denkt (und arbeitet) für den anderen mit, den Satz „Dafür bin ich nicht zuständig“ gibt es nicht. Alle haben den Blick für das große Ganze, handeln entsprechend – und haben auch noch Spaß dabei.
„Jeder Mitarbeiter darf so arbeiten, wie er es für richtig hält.“
So war es in den ersten Tagen von CPP. Damals wurde bewusst auf feste Arbeitszeiten verzichtet – man richtete sich einfach nach der anfallenden Arbeit. Manchmal bedeutete das, bis in die Nacht hinein zu malochen, und manchmal, mitten in der Nacht aufzustehen. Wer den Arbeitsaufwand künstlich regelt, baut eine sinnfreie Bürokratie auf. Und wer als Mitarbeiter das Laisser-faire ausnutzen will – der lernt die harte Seite der Kollegen schnell kennen: Faultiere bekommen rasch ihr Fett weg.
„Es gab zwischen den Angestellten und den Führungskräften eine Art Nichtangriffspakt: Die da unten taten so, als ob sie immer am Anschlag arbeiten würden, und die da oben taten so, als ob sie das glauben würden.“
Entsprechend intensiv ist der Austausch bei CPP. Jeder Mitarbeiter fuchst sich in neue Fachgebiete ein, und weil alle dasselbe Ziel im Blick haben, kann man sich darüber austauschen, wie dieses Ziel konkret erreicht wird. Es geht nicht um Positionen, sondern um Inhalte. Und der Chef (ja, den gibt es noch, aber er beugt sich demokratischen Entscheidungen) wird nicht umschmeichelt. Wer seinen Vorgesetzten Feedback vorenthält, verwehrt ihnen den Blick auf die Realität – und darf sich dann über krude Entscheidungen nicht wundern. Bei CPP wurden aus diesen Erfahrungen vier Ziele abgeleitet:
- Keine Hierarchie, stattdessen bestmögliche Kommunikation.
- Gleicher Lohn für alle.
- Größtmögliche Transparenz über die Situation und Entwicklung der Firma.
- Demokratische Entscheidungen, keine Befehle.
„Offenbar ist Konformität wichtiger als Leistung und Erfolg.“
Als fünfter Punkt ließe sich „ständiges Lernen“ anführen, aber das ist weniger ein Ziel als gelebter Alltag. Je mehr jemand weiß, desto stärker wird er eingebunden. Problematisch wird es allerdings, wenn Mitarbeiter sich selbstausbeuterisch verausgaben.
Was ist eigentlich Leistung?
Bei CPP verdienen mit Ausnahme der beiden Geschäftsführer, die ja auch mit ihrem Privatvermögen haften, alle gleich viel Geld, egal ob sie Veranstaltungstechniker oder Eventarchitekten sind. Das bedeutet: Einige verdienen weniger als anderswo, einige mehr. Der Gedanke dahinter: Jeder Mitarbeiter profitiert vom wirtschaftlichen Erfolg seines Arbeitgebers in gleicher Höhe. Damit sich alle Mühe geben (denn sonst funktioniert das Ganze nicht), bedarf es völliger Transparenz. Alle Mitarbeiter erfahren, was in der Kasse ist, was reinkommt und was rausgeht. Und nach abgeschlossenen Projekten wird diskutiert: Waren sie profitabel? Wo haperte es? Am Jahresende wird gemeinsam besprochen und entschieden, was mit dem Überschuss geschieht: Was wird wofür investiert, was wird an die Mitarbeiter ausgeschüttet? Und in schlechten Jahren lautet die Frage: Wie weit reduzieren alle ihr Gehalt, damit keine Kollegen entlassen werden müssen?
„In manchen Firmen wird das schlechte Betriebsklima nachgerade gefördert.“
Allen bei CPP ist klar, dass dieser Ansatz letztlich dennoch ungerecht ist: Einige leisten mehr als andere. Trotzdem bleibt es so, denn damit drückt sich CPP bewusst um die Frage, wie Leistung gemessen und entgolten werden soll. Über den Beitrag zum Umsatz? Das greift zu kurz. Über die Arbeitszeit? Noch unsinniger. Über die Dauer der Betriebszugehörigkeit? Das hat CPP mal probiert, als die ersten Lehrlinge übernommen wurden. Sie sollten drei Jahre für ein niedrigeres Übergangsgehalt arbeiten, bis sie sich eingearbeitet hätten. Die Folgen waren augenfällig: Die Mitarbeiter zweiter Klasse stellten plötzlich fest, dass sie für manche Dinge „nicht zuständig“ seien, und drückten sich. Der Spuk verschwand sofort, als die Idee mit dem Übergangsgehalt fallen gelassen wurde.
Macht korrumpiert
Hierarchien verteilen Macht. Je weiter oben man steht, desto mehr erhält man. Leider verzerrt Macht nicht nur den Blick auf die Realität, sondern korrumpiert auch. Sie braucht ein Korrektiv. Ideal ist es, wenn die Macht nur geliehen wird. Bei CPP entstammt Macht fast immer der Kompetenz: Wer am meisten über eine Sache weiß, der hat am meisten zu sagen. Aber nur für die Dauer eines Projekts, dann ist Schluss. Das hat den erfreulichen Effekt, dass weder Zeit noch Energie für Machtspielchen vergeudet werden.
„Von Anfang an hatten wir, soweit wie möglich, auf feste Arbeitszeiten verzichtet.“
Auf Führungskräfte, die den Laden am Laufen halten, können solche Mitarbeiter verzichten. Sie wissen selbst, was zu tun ist. Damit entlasten sie ihre Chefs – nämlich die Projektleiter – nach Möglichkeit. Diese können sich aufs Koordinieren konzentrieren, was anstrengend genug ist. Sie sorgen dafür, dass die Kollegen ihre Arbeit erledigen können, das ist ihre Aufgabe. Für Chefallüren ist kein Platz.
„Hierarchien sind nun mal ein idealer Nährboden für verlogenes Feedback.“
Die meisten Entschlüsse bei CPP werden per Mehrheitsentscheid gefällt. Geht es um wirklich Wichtiges, wird eine „überwiegende“ Mehrheit benötigt (die nicht in Prozentzahlen festgelegt ist). Bei existenziellen Fragen ist sogar Einstimmigkeit das Ziel. Wenn bei solchen Fragen nur ein Mitarbeiter sein Veto einlegt, ist die Entscheidung gefallen, im Sinne des Vetos. Das mag undemokratisch sein, aber es ist als Notbremse erlaubt. Zugleich gilt: Wer sein Veto einlegt, muss dafür sehr überzeugende Gründe haben. Das weiß jeder und überlegt es sich vorher dreimal. In den ersten 19 CPP-Jahren wurde erst ein einziges Mal ein Veto eingelegt, das seine Gültigkeit behielt. In allen anderen Fällen stieß das Veto eine Diskussion an, die dann zu einem einvernehmlich getragenen Ergebnis führte. Grundsätzlich gilt bei CPP: möglichst keine Regeln. Einmal eingeführte Regeln lassen sich kaum wieder abschaffen. Wo es aber keine festgezurrten Regeln gibt, da darf der gesunde Menschenverstand noch walten.
Der Weg zum hierarchiefreien Unternehmen
CPP will kein einsamer Rufer in der Wüste sein, sondern hat nichts dagegen, als Vorbild zu dienen und zum Nachahmen anzuregen. Wie gelangt man zum hierarchiefreien Unternehmen? Schauen Sie zuerst, wer von Ihren Mitarbeitern mitziehen würde. Oft sind es gerade die bisherigen Zyniker, die sich für eine wirklich vielversprechende Initiative begeistern können. Oder die Mitarbeiter, die befördert werden sollten und abgelehnt haben: Sie haben offenbar viel Verantwortungsbewusstsein. Und schließlich die Stillen im Lande, die sich immer erst am Schluss zu Wort melden, dann aber mit echten Ideen. Solche Mitarbeiter tragen ein Unternehmen, das könnten Ihre Verbündeten sein.
„Die Macht ist ein fieses Teufelchen, das einem auf der Schulter sitzt und einredet, was für ein toller Kerl man ist.“
Dann geht’s los, Schritt für Schritt. Ein Beginn ist z. B. das Schaffen von finanzieller Transparenz. Ein anderer ist der möglichst komplette Verzicht auf Arbeitszeitregeln. Schauen Sie auf die Resultate, nicht auf die dafür aufgewendete Zeit. Oder: Das mittlere Management wird zwischen die Kollegen gesetzt und darf sich nicht mehr in Einzelbüros verschanzen. Und: Schluss mit garantierten Stellplätzen auf dem Parkplatz. Dann ist das Unternehmen reif für den nächsten Schritt: Es wird inhaltlich diskutiert, etwa über die sinnvollste Verwendung des Unternehmensgewinns. Viele Manager werden überrascht feststellen, wie verantwortungsbewusst die Mitarbeiter diesbezüglich sind.
„Führung bedeutet, Diener zu sein, nicht König.“
Solche erste Schritte können natürlich nicht konzernweit auf einen Schlag implementiert werden. Man muss im Kleinen beginnen. Geben Sie den Maßnahmen Zeit, ihre Wirkung zu entfalten. Wenn die Erfolge unübersehbar sind, wird der Funke überspringen. Wenn es schick wird, wollen alle als Väter des Erfolgs gelten. Dann sind größere Schritte erlaubt.