Veränderungen sorgen für Emotionen
Dass die nächste Veränderung kommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ob beruflich oder privat: Jeder von uns muss damit klar kommen. Veränderungen gehören zum Leben. Wer aber weiß, nach welchen Regeln sie ablaufen, kann ihnen gelassener entgegenblicken. Denn Fakt ist: Jede Veränderung, egal welchen Ausmaßes, durchläuft die immer gleichen sechs Phasen.
„Veränderungen sind das Leben, das Leben besteht aus Veränderungen. Sie passieren einfach, wie das Wetter.“
Das Wissen um diese sechs Phasen hilft nicht nur, die gesamte Veränderung und ihre Bewältigung im Blick zu behalten, sondern auch, die in den einzelnen Phasen auftretenden Emotionen zu erfassen. Diese sind – bei Veränderungen in Unternehmen ebenfalls – noch wichtiger als die faktischen Veränderungen. Wenn eine Führungskraft erkennt, in welcher emotionalen Veränderungsphase die Mitarbeiter gerade stecken, kann sie adäquat darauf eingehen und Change-Prozesse professionell managen.
Der „Change Cycle“
Ob ein Unternehmen leistungsfähig bleibt oder nicht, hängt zum großen Teil davon ab, wie gut es mit Veränderungen umgehen kann – wie wandlungsfähig es ist. Damit wird es auch für Führungskräfte und Mitarbeiter immer wichtiger, Unternehmensveränderungen professionell zu handhaben und Verantwortung für deren erfolgreiche Bewältigung zu übernehmen. Die gute Nachricht: Sie können lernen, mit Veränderungen besser umzugehen, mit weniger Stress, weniger Angst und weniger Energieaufwand. Dabei geht es sowohl um große als auch um kleine Veränderungen – die Auswirkungen von vermeintlich nebensächlichen Anpassungen können gewaltig sein.
„Wir sind dem, was war und was ist, nicht einfach ausgeliefert – es liegt bei uns, wie wir es interpretieren.“
Jedes Unternehmen und mit ihm jeder einzelne Mitarbeiter durchläuft sechs Phasen, wenn er von einer Veränderung betroffen ist – den „Change Cycle“. Die Reihenfolge dieser Phasen lässt sich nicht verändern; sie lassen sich auch nicht überspringen oder vermeiden.
Phase 1 : Verlustangst
Sobald wir von einer Veränderung erfahren – z. B. von heute auf morgen einen neuen Chef vor die Nase gesetzt bekommen – reagieren wir wie „Urviecher“: Wir haben Angst. Unser Hirn schaltet auf Überlebensmodus und überlässt die Steuerung unseren Instinkten. Vor Urzeiten reagierten wir mit Angriff oder Flucht. Beides ist im beruflichen Kontext so nicht möglich. Am Arbeitsplatz haben wir möglicherweise Angst davor, eine gesicherte Rolle oder unseren Status zu verlieren. Veränderung ist immer mit dem Verlust von emotionaler Sicherheit und Kontrolle verbunden. Manch einer versucht in diesem Fall, die Veränderung einfach zu ignorieren („Ich mache weiter wie bisher“) oder verfällt in eine Opferhaltung („Warum gerade ich?“). Beides hilft nicht weiter. Besser ist es, wenn Sie sich notieren, welche Veränderung Sie gerade erleben und welche Verluste sie mit sich bringt. Beschreiben Sie dann, was genau daran beunruhigend ist.
„Veränderungen zu meistern, das ist etwas, das jeder von uns in allen Lebensbereichen lernen, verbessern und beherrschen muss.“
Wenn Sie als Führungskraft eine Veränderung begleiten, sollten Sie es in dieser ersten Phase vermeiden, die neue Situation als völlig gefahrlos schönzureden. Auch Analysen, Erklärungen und logische Argumente werden Ihren Mitarbeitern die Befürchtungen nicht nehmen. Sehr viel besser ist es, wenn Sie ihnen bewusst zuhören, das Gespräch suchen und sich in Empathie üben. Das Unternehmen DATAs Group ging mit einer Umstrukturierung vorbildlich um. Es lud seine Mitarbeiter dazu ein, bei einem Meeting an einem neutralen Ort alle Fragen, die sie auf dem Herzen hatten, an den CEO zu stellen. Die Fragen wurden per PC auf eine Leinwand für alle sichtbar eingegeben und innerhalb einer Woche vom CEO komplett beantwortet. Die Mitarbeiter fühlten sich durch diese Aktion ernst genommen und hatten nicht den Eindruck, von einer Entscheidung überrollt und gegen ihren Willen „überzeugt“ zu werden.
Phase 2: Zweifel
Es ist völlig normal, dass Sie Zweifel an Veränderungen haben und ihnen mit Skepsis begegnen. Zweifel haben etwas Gutes: Sie zwingen uns, langsamer zu gehen und uns eine Entscheidung reiflich zu überlegen. Außerdem bedeuten Zweifel, dass sich der Verstand langsam wieder zu Wort meldet, dies neben den Gefühlen, die natürlich weiterhin vorhanden sind, oft sogar in Form von sichtbarer oder passiver Wut. Die einen zetern, die anderen nähren Gerüchte, wiederum andere leisten passiven Widerstand oder unterminieren gar den Umgestaltungsprozess.
„Wenn Sie Ihren Körper bewegen, bewegen sich oft auch die Dinge in Ihrem Kopf.“
Um über diese Phase hinauszugelangen, können Sie sich fragen, wogegen Sie konkret gerade kämpfen oder Widerstand leisten. Sie werden erkennen, dass Sie in dieser Phase vor allem eines benötigen: mehr Informationen. Fragen Sie danach (bei Ihren Vorgesetzten) oder überlegen Sie, warum Sie es nicht tun und passiv bleiben. Denn das ist eine Form des Widerstands – in der Hoffnung, alles möge so bleiben wie es ist. Sie sollten dahin gelangen, sich ein genaues Bild von den Veränderungen und deren Konsequenzen zu machen, um handlungsfähig zu werden.
„Je mehr Selbsterkenntnis Sie in Ihren Entscheidungsprozess einfließen lassen können, desto besser.“
Als Führungskraft sollten Sie es in dieser Phase vermeiden, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Tragen Sie sie aus, evtl. mit Hilfe einer in Mediation geschulten Person. Meist geht es darum, dass Ihre Mitarbeiter schlicht mehr Informationen benötigen; lassen Sie also Ihre Türe offen und kommunizieren Sie so oft und umfassend wie möglich. Da die erste Betäubung und der Schockzustand nachlassen, können die Informationen verarbeitet werden. Unterstützen Sie diesen Prozess durch Meetings, durch mündlichen oder schriftlichen Austausch.
Phase 3: Unbehagen
Wie ein neues Kleiderstück, das noch hier und dort abgeändert werden muss – so fühlt sich die dritte Phase an. Neue Abläufe werden als kompliziert und ungewohnt empfunden. Das vorherrschende Gefühl: Unbehagen. Wir sind frustriert und glauben, den neuen Anforderungen nicht genügen zu können. Alles braucht dreimal so lang wie zuvor, die Produktivität stagniert. Hier hilft es, sich klar zu machen, dass Fehler zum Lernen dazugehören, dass es keine Neuerung ohne Hindernisse gibt. Die Aufgabe lautet, sie zu überwinden, sich selbst zu motivieren, das Neue anzunehmen und zu verstehen.
„Der Zweifel, die Wut und das Unbehagen – alles, was uns so viel Kraft geraubt hat, gehört endlich der Vergangenheit an.“
Je mehr Sie über Ihr Verhältnis zur Motivation wissen (was motiviert mich?), desto leichter können Sie sich das Leben machen. Ziehen Sie ein Zwischenfazit und überlegen Sie, was Sie vom bisher Erreichten positiv bewerten können. Man nennt das auch Reframing – einer Sache eine neue, positive Bedeutung geben. Wer denkt: „Diese Veränderung ist der reinste Mist!“ schadet sich nur und steht sich im Weg. Er könnte genauso gut denken: „Der Sinn dieser Veränderung wird sich hoffentlich bald zeigen!“ – und würde sich damit eher motivieren. Auch vermeintlich kleine Änderungen im Alltag – z. B. einen anderen Weg zur Arbeit nehmen oder ein neues Restaurant ausprobieren – können Wunder wirken. Als Führungskraft sind Sie aufgerufen, die neuen Aufgaben in kleine Einheiten zu zerlegen und Geschafftes positiv zu bewerten.
Phase 4: Entdeckung
Haben Sie die negativen Emotionen hinter sich gelassen, treten Sie in eine Phase ein, die von Energie und Hoffnung gekennzeichnet ist. Sie sind nun offen für neue Erfahrungen und bereit, auch die positiven Seiten der Veränderung zu sehen und anzunehmen. Sie haben den Eindruck, die Kontrolle über Ihr Leben wiedererlangt zu haben, die Veränderung selbst vorantreiben zu können. Jetzt gilt es, den Überblick nicht zu verlieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das hört sich leichter an, als es ist. Viele zögern hier zu lange, anstatt dann zu handeln, wenn es nötig ist. Fragen Sie sich, auf welche Art Sie Entscheidungen treffen. Fragen Sie andere um Rat? Orientieren Sie sich am geringsten Widerstand? Tun Sie, wofür Sie am stärksten motiviert sind? Sammeln Sie zunächst immer so viele Informationen wie möglich? Diese Selbsterkenntnis hilft Ihnen, allfällige Blockaden zu überwinden.
„Sie sind jetzt von Pioniergeist erfüllt. Nutzen Sie das!“
Als Führungskraft können Sie Mitarbeiter in dieser Phase besonders gut unterstützen, indem Sie die Entscheidungsfindung transparent machen oder, noch besser, möglichst viele daran teilhaben lassen. Außerdem sollten Sie Teamarbeit und Zusammenarbeit in der Abteilung bewusst fördern.
Phase 5: Verständnis
Die Wirren und Unsicherheiten liegen hinter Ihnen. Auch der aufwühlende Aufbruchsgeist hat sich beruhigt und einem tieferen Verständnis Platz gemacht, das kennzeichnend für diese Phase ist. Sie erlangen Ihre Selbstsicherheit zurück, erkennen, dass Sie in den stürmischen Zeiten viel über sich gelernt haben und gereift aus dem Veränderungsprozess herausgehen werden. Sie haben das Neue akzeptiert und verstanden, sehen die Dinge nicht mehr komplizierter, als sie sind.
„Einfachheit ist das Letzte, was wir lernen.“
Als Führungskraft sollten Sie Mitarbeitern, die sich in dieser Phase befinden, nicht ständig kontrollierend hinterherlaufen, sondern ihre Autonomie anerkennen. Sie tun gut daran, Fortschritte zu benennen und zu feiern und Ihre Mitarbeiter in ihrem Tun bestätigen.
Dabei sollten Sie aber einen Blick auf die Qualität der Ergebnisse beibehalten. Das Beispiel eines ehemaligen Feuilleton-Redakteurs, dem gekündigt wurde, zeigt, wie fruchtbar eine vermeintlich negative Veränderung sein kann: Nach anfänglicher Wut, Verzweiflung und einer Zeit des Nicht-Wahrhaben-Wollens entschied er sich schließlich, aktiv zu werden. Er fand innerhalb kurzer Zeit eine Stelle als Leiter eines Literaturkurses an der Volkshochschule der Stadt und entdeckte auf diese Art ein neues Talent: seine didaktischen Fähigkeiten.
Phase 6: Integration
Wenn Sie hier angekommen sind, haben Sie es geschafft. Sie haben die Veränderung „verdaut“ und integriert. Außerdem wissen Sie nun, dass Veränderungen Bestandteil des Lebens sind und Ihnen permanente Flexibilität und Anpassungsfähigkeit abverlangen. Diese Flexibilität macht es Ihnen möglich, aus einem Verlust eine Chance zu machen. Sie zeigt sich in Ihren Gedanken und Äußerungen. Dachten Sie früher eher: „Das ruiniert mir den gesamten Tag!“, so denken Sie heute: „Ich bin dafür verantwortlich, wie ich damit umgehe.“ Sie wissen, dass Sie in der Lage sind, Veränderungen anzunehmen und zu meistern.
„Veränderungen passieren eben – es besteht kein Grund, sie persönlich zu nehmen.“
Als Führungskraft können Sie in dieser Phase dafür sorgen, dass zukünftige Veränderungen leichter und besser ablaufen werden. Halten Sie Meetings über bevorstehende Entwicklungen ab und überwinden Sie so die Angst vor dem Wandel. Arbeiten Sie an sich und Ihren eigenen Fähigkeiten, wenn Sie Defizite bei der Veränderungsbewältigung an sich wahrgenommen haben. Bieten Sie entsprechende persönlichkeitsfördernde Weiterbildungs- und Trainingsprogramme auch für Ihre Mitarbeiter an. Denken Sie wie die Chinesen: Deren Wort „wei ji “ hat zwei Bedeutungen – Krise und Chance. Das sollte Ihnen einen neuen Blickwinkel auf Veränderungen eröffnen.