Führen in der Krise
Aufgrund der global vernetzten Wirtschaft bleibt kein Land von der aktuellen Wirtschaftskrise verschont. Hüten Sie sich vor Schönfärberei und schätzen Sie die Stärken und die Leistungsfähigkeit Ihres Unternehmens realistisch ein. Wenn Sie die Krise überstehen und erfolgreicher als andere daraus hervorgehen wollen, müssen Sie schnell reagieren können und bereit sein, Ihr Unternehmen umzubauen.
„Abschwungphasen sind die Gelegenheit, den Dachboden aufzuräumen und das Unternehmen wieder auf das richtige Kampfgewicht zu trimmen.“
Mit der Krise verändern sich die Wertmaßstäbe: Aktiengewinne und Umsatzwachstum müssen zugunsten einer höheren Liquiditätsquote zurücktreten. Bargeld schöpfen Sie aus Ihren Verkaufserlösen, dem Nettoumlaufvermögen, zu dem Lagerbestände und Forderungen zählen, sowie durch Abstoßen von Vermögensobjekten. Flüssig müssen Sie sein, weil die Krise auch das Kaufverhalten der Verbraucher beeinflusst. So stehen im Moment verbrauchsarme Kleinwagen hoch im Kurs. Um Ihre Produktion den veränderten Kundenbedürfnissen anzupassen, brauchen Sie Bargeldvorräte. Gehen Sie nicht davon aus, dass Kreditgeber große Risiken eingehen und Ihnen Geld zu attraktiven Zinsen leihen.
„Es ist ganz entscheidend, wie die verschiedenen Funktionen miteinander koordiniert werden, damit alle, die nolens volens in einem Boot sitzen, auch in dieselbe Richtung rudern.“
Jagen Sie keinen neuen Marktanteilen hinterher, wenn diese nicht liquiditätseffizient sind. Konzentrieren Sie sich auf Ihr Kerngeschäft, Ihre wichtigsten Kunden, Niederlassungen, Zulieferer und Mitarbeiter. Ihre längerfristigen Ziele dürfen Sie nicht aus den Augen verlieren, aber kontrollieren Sie deren Umsetzung häufiger als nur vierteljährlich. Verzahnen Sie die einzelnen Abteilungen, um den Informationsfluss zu verbessern, und achten Sie auf kleinste Signale, die auf Änderungen und Musterbildungen hindeuten. Überprüfen Sie auch Ihr Budget in kurzfristigen Abständen und passen Sie Ihre Pläne den sich verändernden Gegebenheiten an. Als Führungskraft bewähren Sie sich in dieser herausfordernden Zeit durch folgende Qualitäten:
- Glaubwürdigkeit: Seien Sie aufrichtig, authentisch und demütig.
- Inspirationsfähigkeit: Schaffen Sie zeitnahe Visionen und nähern Sie sich ihnen in kleinen Schritten. Kontern Sie die Verunsicherung Ihrer Mitarbeiter mit Mut und neuen Ideen, womit Sie Kreativität und Energie entfesseln.
- Realitätsnähe: Beobachten Sie intensiv das sich ständig ändernde Marktumfeld.
- Optimismus: Akzeptieren Sie die momentane wirtschaftliche Lage. Richten Sie die Kräfte Ihrer Mitarbeiter aber auf die Umsetzung des Machbaren.
- Führungsintensität: Halten Sie engen Kontakt zu Ihren Mitarbeitern. Sprechen, ringen und handeln Sie mit Ihnen und treffen Sie rasche Entscheidungen.
- Mut zu Zukunftsplänen: Beziehen Sie die weitere Zukunft in Ihre Pläne ein. Visionen sind die besten Antreiber.
Die Unternehmensleitung
Zeigen Sie Mut und Zuversicht und lassen Sie Ihre positive Ausstrahlung auf Ihre Angestellten, Ihre Geldgeber und Aktionäre abfärben. Informieren Sie sich über alle wichtigen Einzelheiten Ihrer Branche und Ihrer Konkurrenten, damit Sie unverzüglich darauf reagieren können. Prüfen Sie genau, ob es sich lohnt, Marktanteile oder Vermögenswerte von einem gestrauchelten Konkurrenten zu übernehmen. Wenn ja, handeln Sie schnell. Kommunizieren Sie mit allen Abteilungen und vor allem mit denjenigen Mitarbeitern, die unmittelbaren Kontakt zu Kunden, Geschäftspartnern und Lieferanten pflegen.
„Der Fokus muss sich von der Gewinn- und Verlustrechnung auf die Bilanz verlagern.“
Fokussieren Sie auf Ihr Kerngeschäft, Ihre wertvollen Marken, und verabschieden Sie sich von unrentablen Produkten, Kunden und Mitarbeitern. Bewerten Sie die Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter neu. Halten diese durch oder erstarren sie? Zeigen sie sich kommunikativ und kooperativ oder treffen sie „einsame“ Entscheidungen? Interne Machtkämpfe, Streitigkeiten und Intrigen können Sie sich jetzt nicht leisten.
„Nur wer genug Bargeld oder schnell verflüssigbare Mittel hat, wird dem Sturm trotzen können. Mit der heutigen Informationstechnologie ist es möglich, die Kassenbestände täglich zu ermitteln.“
Halten Sie die Hierarchie flach. Wenn nicht schon vorhanden, richten Sie ein Intranet ein, wo alle wesentlichen Informationen für alle Entscheidungsträger parat stehen. Bemühen Sie sich um aktuelle Nachrichten von Seiten des Vertriebs, des Marketings, der Zulieferer, Ihrer Kunden sowie deren Kunden und, soweit möglich, von der Konkurrenz. Hinterfragen Sie jedoch den Hintergrund der Informationen, denken Sie sich in Ihre Informanten und deren Interessen hinein. Falls einem Ihrer Großkunden die Insolvenz droht, bemühen Sie sich, zu den vorrangigen Gläubigern zu gehören. Erwägen Sie, seine Lagerbestände zurückzukaufen.
Vertrieb und Marketing
Die Krise bietet die Chance, den Vertrieb neu zu überdenken und effizienter zu gestalten. Funktionen oder Regionen können gebündelt werden. Schulen Sie Ihre Vertriebler in neuen Fähigkeiten: Statt so viele Produkte wie möglich an irgendjemanden zu verkaufen, sind analytische Kompetenzen gefragt. Gemeinsam mit ihren Kunden können die Vertriebsmitarbeiter deren Situation und Probleme ausloten, um passgenaue Lösungen zu verkaufen und sich damit unverzichtbar zu machen.
„Kreative, kosteneffiziente Lösungen für Kundenprobleme entstehen oft aus Diskussionen von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund.“
Führen Sie die gesammelten Informationen auch den anderen Abteilungen, vor allem der Geschäftsleitung, zu. Trennen Sie sich von schwierigen Kunden, z. B. solchen, die eine überdurchschnittliche Lagerhaltung erfordern oder schlecht bezahlen. Arbeiten Sie selbst im Vertrieb, liefern Sie die Grundinformationen, um zu entscheiden, welche Produktlinien und Vertriebswege gefördert bzw. neu kreiert werden sollen.
„Der Abschwung stellt das Unternehmen zwar vor eine Belastungsprobe, ist aber zugleich eine wunderbare Chance, die richtigen Mitarbeiter an die richtige Stelle zu bringen.“
Bei allen Kostenreduktionen gilt es aufzupassen, dass hochwertige Marken nicht verwässert werden, indem Sie sie etwa in einer billigen Verpackung präsentieren. Die Umsatzziele Ihrer Mitarbeiter sollten Sie kurzfristiger definieren, z. B. monatlich statt pro Quartal. Werben Sie zielgerichtet und an die Region angepasst, denn Ihr Werbebudget wird wahrscheinlich gekürzt. Und halten Sie Ausschau nach neuen und günstigeren Methoden der Werbung – die gibt es immer.
Finanzen
In Krisenzeiten müssen sich die Finanzvorstände nicht nur um die Investoren, sondern auch um das operative Geschäft kümmern. Sie müssen darauf achten, dass kein Cent mehr ausgegeben wird, als vorhanden ist. Erläutern Sie als Finanzverantwortlicher den anderen Abteilungen sowie dem CEO finanzielle Zusammenhänge präzise und unverblümt. Spielen Sie verschiedene Szenarien durch, damit die Verantwortlichen vor Augen haben, wie sich z. B. ein zehnprozentiger Umsatzrückgang in allen Unternehmensbereichen bemerkbar machen würde. Kümmern Sie sich auch um die Daten von Vertriebspartnern und Lieferanten. Aufgrund Ihrer Kompetenzen und Zahlenkenntnisse sind Sie für den Vorstand und den Aufsichtsrat unentbehrlich. Planen Sie das Budget monatlich und treffen Sie mit den Beteiligten in kurzer Zeit realistische Entscheidungen. Und denken Sie daran, die Prioritäten haben sich geändert: Der Kapitalumschlag kommt vor der Rendite.
Das operative Geschäft
Hier ist es vor allem wichtig, die Gewinnschwelle zu senken. Verabschieden Sie sich von Produktvarianten, die den Herstellungs- und Absatzprozess verkomplizieren. Arbeiten Sie eng mit Lieferanten und Verkäufern zusammen, um die Kundenbedürfnisse eingehend zu erforschen. Überlegen Sie, welche Prozesse Sie auslagern können. Schließen Sie davon jedoch Ihr Kerngeschäft aus – also das, was Sie von Ihren Mitbewerbern unterscheidet. Möglicherweise ist es aber auch sinnvoll, ausgelagerte Prozesse wieder einzugliedern. Tun Sie dies, bevor Sie zu viele Ihrer Mitarbeiter unterbeschäftigen oder entlassen müssen. Reduzieren Sie Lagerbestände, indem Sie möglichst „just in time“ oder auf Anfrage produzieren. Im Dienstleistungsgewerbe ist die optimale Auslastung und Motivation der Mitarbeiter besonders wichtig.
Forschung und Entwicklung
Besser als Korrekturen am F&E-Budget ist eine vollkommene Neukonzipierung desselben. Verzichten Sie beim Entwurf von Produkten auf Extras, die den Produktpreis in die Höhe treiben. Vielleicht lassen sich manche Produkte preiswerter herstellen, indem Sie Materialien austauschen, weniger Rohstoffe verwenden oder Transporte minimieren. Haben Sie einen unvergleichlichen Knüller in der Entwicklung, ein neues Produkt oder sogar eine neue Technologie, die alte Systeme ablösen kann, dann fördern Sie sie nach Kräften. Wenn sich die Wogen der Krise glätten, haben Sie damit vielleicht die Nase vorn. Gehen Sie Kooperationen mit ausländischen Unternehmen ein, aber klären Sie vorab Problembereiche wie etwa Urheberrechte. Behalten Sie vor allem jene Mitarbeiter, die „up to date“ sind und mit den Veränderungen klar kommen. Arbeiten Sie bei der Entwicklung eng mit den Fachleuten aus Vertrieb und Marketing zusammen, um gezielt auf Kundenbedürfnisse einzugehen.
Die Lieferkette
Produktionsstätten in der Nähe zu den betreffenden Märkten sind ideal. Weite Entfernungen bergen höhere Risiken, z. B. die Gefahr von Transportverzögerungen. Sorgen Sie für einen reibungslosen Informationsfluss, zwischen Ihnen, Ihren Lieferanten und Kunden, damit die Lager für Rohstoffe und fertige Produkte effizient genutzt werden können. Je mehr Sie Ihr System vereinfachen und verschlanken, desto schneller und flexibler können Sie reagieren. Überprüfen Sie Ihre bestehenden Lieferanten- und Kundenkontakte. Streben Sie mit jenen, die Sie auch zukünftig berücksichtigen wollen, enge Partnerschaften an, um die Volatilität des Marktes abzufedern. Und scheuen Sie sich nicht, Ihre Lieferanten in die Konzeption neuer Produkte mit einzubeziehen.
Die funktionalen Bereiche
Auch in der Verwaltung lassen sich Funktionen zusammenlegen. Wandeln Sie möglichst viele Fixkosten in variable um: Sie können z. B. Unternehmensbereiche outsourcen, etwa Teile der Personalarbeit. Ziehen Sie Kündigungen möglichst in einem Schritt durch; mehrere Entlassungswellen untergraben das Vertrauen und die Motivation der Mitarbeiter. Gleichzeitig können Sie vielleicht hochrangige Führungskräfte gewinnen, die von anderen Unternehmen freigesetzt werden. Überlegen Sie sich Alternativen für die reichlich zu Buche schlagenden Lohnnebenkosten. Schulungen und Fortbildungsmaßnahmen sollten auf Effizienz und rasche Umsetzbarkeit geprüft werden. Sinnvoll ist, was auf die aktuelle Situation abgestimmt ist.
„Wenn Sie eine fähige Führungskraft sind, wird Ihr Unternehmen nach dem Abschwung besser gedeihen als zuvor.“
Die PR-Abteilung, gewöhnlich dafür zuständig, die Vorteile Ihrer Produkte ins rechte Licht zu rücken, hat nun die Aufgabe, den Investoren reinen Wein einzuschenken, um vertrauens- und glaubwürdig zu bleiben. Erläutern Sie den Anlegern und Analysten, wie sich die Wertigkeiten von Schlüsselindikatoren und Kennziffern in der Abschwungphase ändern.
Der Aufsichtsrat
Da Jahresziele zurzeit schnell Makulatur werden, muss der Aufsichtsrat häufiger zusammenkommen. Er muss die Ziele des Unternehmens auf ihre Umsetzbarkeit hin prüfen und seine Kenntnisse über die Wechselwirkung von Kennziffern vertiefen, wobei der Liquidität und der Gewinnschwelle höchste Aufmerksamkeit gebührt. Egal, ob Ziele erreicht oder verfehlt wurden – forschen Sie in jedem Fall nach den Ursachen. Lag es an den allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen, an der Branchensituation oder an den Managemententscheidungen? Ziehen Sie in Erwägung, die Dividenden an die Anleger zu kürzen oder zu streichen, aber erläutern Sie solche Maßnahmen öffentlich.