Kulturelle Feinheiten erkennen
Die Globalisierung bringt Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung im Arbeitsalltag zusammen. Gerade in Deutschland, wo der eigene Fach- und Führungskräftenachwuchs den Bedarf nicht mehr decken kann, sind international zusammengesetzte Teams eher die Regel als die Ausnahme. Die Verschiedenheit („Diversity“) der Mitarbeiter führt nicht selten in ein kulturelles Dilemma. Kultur beinhaltet neben offensichtlichen Aspekten wie der Sprache oder bestimmten Verhaltensweisen auch verborgene Komponenten – und gerade deren Unkenntnis lässt interkulturelle Projekte oft scheitern.
„Kultur ist nicht ein zusätzlicher Faktor, den es zu berücksichtigen gilt. Kultur ist der Kontext, in dem sich jede Geschäftstransaktion abspielt.“
Zu den schwierig fassbaren Elementen einer Kultur gehören Werte, Einstellungen und Glaubenssätze, die meist fest im Unbewussten verankert sind. Um das Verhalten Ihrer Mitarbeiter wirklich verstehen zu können, müssen Sie unter die Oberfläche schauen können. Es genügt nicht, die Wertemuster einer Kultur auswendig zu lernen; sie sind bei keinem Individuum gleich ausgeprägt. Führen im interkulturellen Umfeld heißt, kulturelle Feinheiten zu erkennen, zu verstehen, zu tolerieren und zu nutzen.
Adecco: nachfragen statt sich wundern
Jede Kultur hat ihre Besonderheiten in der Kommunikation. Wird in einem Kulturkreis als Zeichen des Einverständnisses genickt, kann das in einem anderen das Gegenteil bedeuten. Gerade im asiatischen Raum erschließt sich das Gesprochene oft erst durch den Kontext. Stolpersteine in der interkulturellen Kommunikation bilden auch die unterschiedlichen Höflichkeitsformen. Araber sehen es beispielsweise nicht als unhöflich an, während eines Meetings Anrufe entgegenzunehmen und Mitarbeiter für Absprachen zu empfangen. Ob Handlung oder Formulierung: Überlegen Sie stets gut, ob Ihr gewohntes Vorgehen in den kulturellen Hintergrund Ihres Geschäftspartners passt. Verlassen Sie dafür Ihre eigene Perspektive und nehmen Sie die seine an. Wenn Sie sich unsicher fühlen, fragen Sie einen Muttersprachler um Rat. Sprechen Sie Ihre Verwirrung auch bei Ihrem Gesprächspartner ruhig offen an und bitten Sie ihn, das richtige Verhalten zu erklären.
„Bei der kulturellen Dimension geht es nicht darum, Nationalitäten zu kategorisieren, sondern kulturelle Unterschiede besser zu verstehen und sich damit auseinanderzusetzen.“
Dialog und Vertrauen sind entscheidend für das Funktionieren von interkulturellen Teams. Deshalb legt beispielsweise die Adecco Group Wert darauf, dass man sich gegenseitig ausreden lässt und nachfragt, wenn etwas nicht hundertprozentig verstanden wurde. Damit lassen sich laut Ex-CEO Dieter Schleiff nicht nur Missverständnisse vermeiden, sondern es wird auch Interesse signalisiert und Vertrauen geschaffen. Schleiff erlebte selbst so eine Situation: Nach einem Abkommen mit einem indischen Partner sandte dieser den Vertrag über Monate immer wieder mit Änderungen zurück. Aus westlicher Sicht brachte das einen enormen Zeitaufwand mit sich. Hierzulande ist es üblich, Verträge dann abzuschließen, wenn sämtliche Aspekte abgesprochen sind. Nach einer Weile begriff Schleiff jedoch, dass es zum indischen Geschäftsgebaren gehört, Verträge zunächst in der Rohfassung zu schreiben und sie dann immer wieder hin- und herzuschicken. Die Lehre daraus: Hüten Sie sich davor, das eigene Weltbild als das normale vorauszusetzen.
W. L. Gore & Associates: Vielfalt nutzen
Interkulturelle Führung basiert auf drei Prinzipien: Reflexion, Mut und Beziehungen. Reflexion heißt, sich der eigenen kulturellen Vorurteile bewusst zu werden und auf andere Menschen neutral zuzugehen. Mut braucht es, um authentisch zu bleiben und sich nicht selbst zu verleugnen. Das Prinzip Beziehungen schließlich steht dafür, dass fremde Kulturen mit der eigenen in Relation gesetzt werden. So können Klischees und Stereotype aufgedeckt und beseitigt werden.
„Es gibt keinen Menschen, der sich genau nach dem Kulturstandard seiner Kultur verhält.“
Anstatt ihre Mitarbeiter kulturellen Kategorien zuzuordnen, sollten Unternehmen besser einen Rahmen schaffen, in dem sich unterschiedliche Persönlichkeiten einbringen können. Schließlich hat Vielfalt nichts mit Standards und Ländergrenzen zu tun, sondern mit Individualität. Der Sportbekleidungshersteller W. L. Gore & Associates beispielsweise („Gore-Tex“) profitiert seit Jahren von der Ideenvielfalt seiner Mitarbeiter. Führungskräfte werden hier projektbezogen von den Teammitgliedern gewählt, und auch über die Einstellung neuer Mitarbeiter entscheidet das Team, nicht die Personalabteilung.
Die Generation Y
Heutzutage arbeiten vier Generationen zusammen: die Veteranen (geboren zwischen 1922 und 1945), die Babyboomer (Jahrgänge 1946–1964), die Generation X (1965–1980) und die Generation Y (1980–2000). Machen heute die Babyboomer und die Generation X noch den Großteil aus, wird es bald die Generation Y sein, die das Zepter schwingt.
„Einer einfachen Regel zufolge sollte man niemals in negative Generalisierungen verfallen. Wenn jemand einen Fehler begeht, ist dieser als individueller Irrtum zu betrachten und nicht als Spiegelbild seiner oder ihrer Gemeinschaft.“
Aufgewachsen mit Computerspielen und Online-Communitys, hat diese Generation ganz besondere Ansprüche an ihr Arbeitsleben. Unternehmen, die im Wettlauf um die besten Fachkräfte die Nase vorn haben wollen, sind gut beraten, auf diese Ansprüche einzugehen. Dazu gehören: neueste Technologie, ein ausgewogenes Arbeits-Freizeit-Verhältnis, gesellschaftliches Engagement des Unternehmens, Teamorientierung, unmittelbares Feedback (wie bei Computerspielen, bei denen sich die Nutzer laufend Rückmeldung geben), abteilungsübergreifende, projektbezogene Zusammenarbeit, keine Standardprogramme der Personalentwicklung sowie Freiräume für Kreativität. Von ihren Führungskräften erwartet diese Generation, dass sie eher Coachs sind als Manager. Weil Netzwerke zum Leben dieser Menschen gehören, sollten Unternehmen entsprechende Instrumente bereitstellen.
Norske Skog: Kinder fragen
Das einst überwiegend im Inland agierende Papierunternehmen Norske Skog entwickelte sich durch Fusionen und Übernahmen zum multinationalen Konzern mit beachtlichem Umsatz- und Gewinnwachstum. Im Großen und Ganzen ging das Unternehmen beim Aufbau seiner interkulturellen Organisation vor wie andere auch. Nur in einem Punkt betrat es Neuland: Auf vier Kontinenten fragte es die Kinder seiner Mitarbeiter, was die Zusammenarbeit mit Menschen aus aller Welt für sie bedeute. Die Kinder schilderten in erstaunlich reifen und ehrlichen Aussagen ihre Hoffnungen und Ängste, beispielsweise: „Anstatt zuzulassen, dass uns unsere Unterschiede voneinander trennen, sollten wir dafür sorgen, dass sie uns zusammenbringen.“ Die einfach formulierten Argumente bildeten eine Diskussionsgrundlage für die Erwachsenen. Es wurde besprochen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit das Unternehmen als internationales Joint Venture funktionieren kann, und das Projekt stieß eine Vielzahl von Änderungen an. So werden bei Norske Skog heute zwei von neun Verwaltungsratssitzen von Mitarbeitern besetzt, und vor jeder größeren Erweiterung und jedem Verkauf wird mit Gewerkschaftsvertretern Rücksprache gehalten.
Indien: vier Lebensabschnitte, vier Führungsstile
Während das Wort Führung im europäischen Raum, insbesondere in Deutschland, eher negativ besetzt ist, lassen sich Inder, die auf große, prägende Führungspersönlichkeiten wie Gandhi zurückblicken, gerne führen. Dabei gibt es eine Besonderheit: Nach der indischen Tradition ist das irdische Leben in vier Abschnitte mit jeweils eigenen Aufgaben und Zielen unterteilt. Ausgehend von einem Lebensalter von 84 Jahren, dauert ein Abschnitt 21 Jahre. Im ersten, dem Schülerbewusstsein, ist der Mensch noch unerfahren und lernt von Autoritäten, die ihm überlegen sind. Im zweiten Abschnitt, dem Verheiratetsein, wendet sich der Mensch materiellen Dingen zu. Er bekommt Kinder und zieht sie auf. Jetzt verfügt er über Erfahrungen und Wissen, das er an Unverheiratete weitergeben kann. Im dritten Abschnitt, wenn die Kinder aus dem Haus sind, wendet er sich wieder den spirituellen Dingen zu und vom Materiellen ab. Der Mensch hilft aber jetzt Jüngeren dabei, ihr eigenes materielles Leben zu verwirklichen. Im vierten Abschnitt schließlich zieht er sich ganz vom Weltlichen zurück und begegnet Personen der anderen drei Abschnitte mit Weisheit und Lebenserfahrung. Er bietet seine Führung an, drängt sich aber nicht auf.
„Interkulturelle Führungskompetenz ist immer situationsabhängig: Es geht darum, ein breites Führungsrepertoire auf die individuellen Bedürfnisse des Gegenübers zuzuschneiden.“
Führungskräfte sollten einschätzen lernen, in welchem Lebensabschnitt sich ihr Gegenüber gerade befindet, und entsprechend führen. So kann der partizipative Stil eines europäischen Projektleiters einen jungen, unverheirateten indischen Mitarbeiter, der noch im Schülerbewusstsein lebt, verwirren: Ihm kommt der Chef unerfahren vor, sodass diesem jegliche Autorität abgesprochen wird. Ganz anders würde der indische Angestellte auf einen strengen, aber wohlwollenden Vorgesetzten, im Idealfall eine verheiratete Person mit Kindern, reagieren. Nicht umsonst fragen Inder ihr Gegenüber grundsätzlich nach dem familiären Hintergrund.
Interkulturelle Führung verankern
Ein paar Trainingsprogramme genügen nicht, um erfolgreiche interkulturelle Führung zu etablieren. Sie muss vielmehr in der Unternehmenskultur verankert werden. Konkrete Zahlen können helfen, das unternehmensweite Verständnis für die strategische Relevanz interkultureller Führung zu entwickeln. Finden Sie Probleme, die durch mangelhafte interkulturelle Kompetenz entstanden sind, und ermitteln Sie, was diese Probleme kosten. Bewerten Sie die interkulturelle Kompetenz von Mitarbeitern mithilfe von Verhaltensindikatoren wie „ist sich kulturellen Unterschieden bewusst und managt sie erfolgreich“.
„Improvisationsgabe (das schnelle Lesen einer Situation und die Reaktion darauf) ist eine wichtige interkulturelle Führungskompetenz.“
Als Führungskraft sollten Sie ein breites Repertoire an Stilen beherrschen, mit dem Sie Mitarbeiter mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen im Sinne des Unternehmens motivieren. Interkulturelle Ausbildung sollte Bestandteil des Führungsalltags werden und nicht bei Seminaren Halt machen. Empfehlenswert sind so genannte Action-Learning-Programme, die neben Ausbildungsmodulen auch Arbeit in Kleingruppen beinhalten.
„Durch die Interaktion der Teammitglieder aus unterschiedlichen Kulturen ‚gilt‘ keine der einzelnen Kulturen für sich, sondern es entsteht etwas Neues, ein Raum zwischen den Kulturen.“
Bei der Führung von Teams geht es darum, Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen zur fruchtbaren Zusammenarbeit zu bewegen. Dabei entsteht ein „dritter Raum“ mit einer neuen, gemeinsamen Kultur, in dem Offenheit gegenüber anderen Werten gelebt wird. Missverständnissen wird mithilfe von Metakommunikation vorgebeugt: indem man darüber spricht, wie man miteinander spricht. Die Teammitglieder tauschen sich darüber aus, was sie sagen wollten oder verstanden haben. Anpassungsfähigkeit ist nötig, um das Spannungsfeld der Mehrdeutigkeiten und Gegensätze auszuhalten. Entwickeln Sie gemeinsam eine Teamcharta, die Ihre geteilten Visionen, Ziele, Herausforderungen und Regeln der Zusammenarbeit festhält und klar verteilte Rollen definiert.
Virtuelle Zusammenarbeit
Weil Auslandsentsendungen teuer sind, arbeiten interkulturelle Teams zunehmend virtuell zusammen. Dank E-Mail, Video übers Internet und weiteren kommunikativen Hilfsmitteln stellt das technisch gesehen kaum noch ein Problem dar. Dennoch scheitern solche Projekte häufig, weil hier vollkommen andere Führungsprinzipien greifen als die gewohnten. Wenn Sie solche virtuellen Teams erfolgreich führen wollen, müssen Sie in erster Linie koordinieren, nicht kontrollieren. Natürlich empfehlen sich gewisse Handlungsrichtlinien, aber als Projektleiter müssen Sie Verantwortung abgeben können.
„Verhaltensorientierte Führung muss durch ergebnisorientierte Führung ersetzt werden.“
Je geringer Ihre Kontrollmöglichkeiten sind, desto wichtiger ist das Führen durch Ziele. Weisen Sie klar und unmissverständlich Aufgaben und Rollen zu. Überprüfen Sie, ob Ihre Mitarbeiter fachlich und in Sachen Infrastruktur in der Lage sind, ihre Aufgabe zu erfüllen. Auch ein Anreizsystem kann nützlich sein. Erfolgsentscheidend bleibt aber letztlich der persönliche Kontakt, deshalb sollten Sie entsprechende Möglichkeiten schaffen, z. B. soziale Events zu Feiertagen, Videokonferenzen oder Dienstreisen.