Der Wert der Emotionen
Was immer wir kaufen, es ist nie die rein technisch-funktionale Lösung eines Problems, die uns interessiert. Immer schwingen Emotionen mit. Bestes Beispiel ist das gute alte Wasser. Deutsches Leitungswasser ist von hervorragender Qualität und löscht für 0,12 Cent pro Dreiviertelliter den Durst perfekt. Trotzdem verkaufen sich 650 Mal so teure Markenwasser aus der Flasche für rund 80 Cent hervorragend. Den Vogel schießt aber das Szene-Wasser „Bling“ ab: Die Flasche kostet 75 000 Mal so viel wie das kühle Nass aus dem Hahn, nämlich etwa 90 €!
„Emotional Boosting ist Marketing aus der Sicht des Gehirns.“
Der einzige Unterschied zwischen der Billig- und der Luxusvariante sind die Emotionen, die bei Kauf und Konsum entstehen. Das Ganze funktioniert nicht über simple Emotionalisierung, wie man sie in jedem Werbespot beobachtet. Nachhaltigen Erfolg kann man nur erzielen, wenn man dafür sorgt, dass der Kunde an allen Kundenkontaktpunkten positive Emotionen hat. Erst ein systematisches Verstärken (Boosting) dieser positiven Emotionen führt letztlich zum Kauf. Es gibt also keinen zentralen emotionalen Kaufknopf im Gehirn, aber viele kleine Veränderungen bringen am Ende den großen Wettbewerbsvorsprung.
Emotionssysteme
Untersuchungen an Patienten mit Hirnschäden zeigen: Vernunft und Gefühl sind kein Widerspruch; ohne Emotionen sind überhaupt keine vernünftigen Entscheidungen möglich. Der Mensch ist schlicht nicht in der Lage, die unzähligen Informationen rein rational zu gewichten und zu bewerten. Emotionen sind die zentrale, größtenteils automatisch und unbewusst arbeitende Entscheidungsinstanz. Es gibt einerseits das Belohnungssystem, das anspringt, wenn wir eine positive Erfahrung machen, andererseits das Schmerz/Ekel/Unlustsystem, das dafür sorgt, dass wir unangenehme Erfahrungen in Zukunft vermeiden. Beim Emotional Boosting geht es darum, die positiven Emotionen des Kunden zu verstärken und – was noch wichtiger ist – die negativen Emotionen konsequent zu vermeiden. Denn Negatives brennt sich stärker ein als Positives; Geld zu verlieren beispielsweise schmerzt mehr, als Geld zu gewinnen Freude macht. Man kann drei große Emotionssysteme im Gehirn unterscheiden:
- Das Balancesystem strebt nach Sicherheit und Stabilität. Es vermeidet Angst, Stress und Unsicherheit.
- Das Dominanzsystem strebt nach Autonomie, will sich durchsetzen und gewinnen. Auf Machtlosigkeit reagiert es mit Ärger und Wut.
- Das Stimulanzsystem mag Anregendes und Überraschungen, Langeweile dagegen überhaupt nicht.
„Heute weiß man, dass unser ganzes Gehirn mehr oder weniger emotional ist.“
Außerdem gibt es Mischformen: Arbeiten Balance- und Dominanzsystem zusammen, entsteht der Wunsch nach Disziplin und Kontrolle, Stimulanz- plus Dominanzsystem führen gemeinsam zur Sehnsucht nach Abenteuern, und Balance plus Stimulanz erzeugen den Wunsch nach Genuss und Fantasie. Dumm nur, dass sich die Anforderungen der einzelnen Emotionssysteme oft widersprechen. Das Ergebnis sind innere Konflikte. Jeder kennt das schlechte Gewissen nach einer ausgelassenen, feuchtfröhlichen Nacht – hier kämpft gerade das Stimulanzsystem gegen das Dominanzsystem.
Konsumententypen
Je nachdem, welches System besonders aktiv ist, kann man unterschiedliche Konsumententypen identifizieren:
- Harmonisierer sind familienorientiert und haben einen starken Wunsch nach Geborgenheit.
- Offene wollen sich wohlfühlen, mögen sanfte Genüsse und sind interessiert an Neuem.
- Hedonisten sind spontan, individualistisch und suchen ständig nach dem Neuesten.
- Abenteurer gehen gern Risiken ein.
- Performer sind ehrgeizig, leistungsorientiert und statusbewusst.
- Disziplinierte sind pflichtbewusst, detailverliebt und wenig konsumorientiert.
- Traditionalisten wünschen sich Ordnung und Sicherheit und sind wenig zukunftsorientiert.
„Tausend kleine Verbesserungen ergeben in Summe einen gewaltigen Vorsprung.“
Jeder Konsumententyp hat einen anderen Geschmack, mag andere Musikstile und interessiert sich für unterschiedliche Produkte: Harmonisierer und Traditionalisten z. B. für Gesundheitsprodukte, Performer eher für Unterhaltungselektronik und Autos. Das Gleiche gilt für Marken: Performer mögen Porsche, Harmonisierer fahren Ford.
Boosting-Ansätze
Emotional Boosting kann an verschiedenen Punkten ansetzen:
- Functional Boosting: Die meisten Produkte haben mehrere Funktionen. Beim Functional Boosting will man eine dieser Funktionen besonders gut erfüllen. Beispiel Mineralwasser: Staatlich Fachingen ist angeblich besonders gesund, Vittel dagegen besonders belebend. Alternativ kann man objektiv vorhandene Unterschiede besonders betonen. So behauptet beispielsweise die amerikanische Cor-Seife, aufgrund eines speziellen Wirkstoffs sauberer zu waschen als andere. Die dritte Variante ist es, einen Zusatznutzen zu bieten, etwa Pflegewirkung bei einem Deo.
- Distinctional Boosting: Einerseits will der Mensch sich in die gesellschaftlichen Hierarchiesysteme einordnen, andererseits sich von der Masse abheben. Genau diese Wünsche können durch Distinctional Boosting gezielt verstärkt werden. Dies geschieht beispielsweise durch besondere Status- und Exklusivitätsversprechen, wie sie etwa bei teuren Markenuhren oder Autos gemacht werden. Alternativ kann man den Wunsch nach Individualität besonders betonen oder – besonders bei Mode, Kosmetik und Alkoholika – auf erotische Attraktivität setzen.
- Magical /Mythical Boosting: Speziell Prestigeprodukte sind oft stark emotional aufgeladen und haben schon fast Fetischcharakter. Emotionalen Mehrwert bieten die nicht selten erfundenen Geschichten, die sich um ein Produkt ranken.
- Presential Boosting: Die Optik zählt oft mehr als der Inhalt. Farben, Formen, Geruch und Geschmack, sogar Geräusche senden eine emotionale Botschaft an das Gehirn.
- Multisensory Boosting: Die geschickte Gestaltung dieser Elemente spricht alle Sinne der gewünschten Zielgruppe an: Für den Harmonisierer müssen es harmonische, sanfte Aufmachungen sein, der Performer bevorzugt dagegen markante Designs, gerne in den Powerfarben rot und schwarz. Der Clou daran: Bei einer konsistenten Gestaltung verstärken sich die einzelnen Elemente gegenseitig.
- Social Boosting: Die gekonnte Nutzung sozialer Mechanismen verstärkt die emotionale Wahrnehmung: Design, das einem menschlichen Gesicht ähnelt, dezente Berührungen beim Kauf, berühmte Vorbilder, die Nutzung des Herdentriebs oder Werbegeschenke führen zu positiven Emotionen. Das Gleiche gilt für eine bildhafte, emotionale und aktive Sprache.
- Trust-Boosting: Bei aller Emotion – auch der Verstand will befriedigt werden. Gütesiegel oder Kundenmeinungen sind gute Argumente für den Kauf und stärken das Vertrauen. Bekannte Markenzeichen stärken das Vertrauen zusätzlich.
- Handling-Boosting: Eine funktionierende Verpackung spielt eine wichtige emotionale Rolle – das weiß jeder, der einmal den Inhalt einer zu flott aufgerissenen Bonbontüte vom Boden aufgesammelt hat.
- Referential Boosting: Schließlich färbt das Drumherum auf die Wahrnehmung des Produkts ab. In einem ungepflegten Umfeld wirkt ein hochwertiges Produkt minderwertig und umgekehrt. Oft ist ein hoher Preis wichtig, um den Eindruck von Billigware zu vermeiden.
Shoppingwelten
Im Detailhandel gibt es fünf emotionale Shoppingwelten, die unabhängig von Branche und Produkt sind. Erfolgreiche Händler entscheiden sich klar für eine dieser Welten und passen sie der eigenen Zielgruppe an.
- Controlled Shopping: Hier ist alles auf Konstanz und Einfachheit ausgerichtet. Stress und Unsicherheit durch zu viel Auswahl oder eine unübersichtliche Ladengestaltung werden vermieden. Bewährte Qualität und konstante Außendarstellung sorgen für Vertrauen und Übersichtlichkeit. Beispiel: Aldi.
- Inspirational Shopping: Thematisch strukturierte Warenwelten und kreative Dekorationen sorgen für Inspiration und ein harmonisches, sanftes Einkaufserlebnis. Beispiel: Depot.
- Efficient & Power-Shopping: Riesenauswahl, Powerfarben, effiziente Warenpräsentation – hier findet man schnell und effektiv das Gewünschte. Beispiel: Media Markt.
- Experimental Shopping: Ausprobieren beim Shopping mit Erlebnischarakter, z. B. mit Kältekammer, Wasserspritzkabine, Events und spektakulären Outdoor-Filmen – so wird schon der Einkauf zum kleinen Abenteuer. Beispiel: Globetrotter.
- Exclusive Shopping: Exklusivität bis ins Detail, teure Lage, distinguiertes Personal, hochwertige Ware, exklusive Verkaufsräume. Beispiel: Wempe.
„Wer den großen Kaufknopf im Kundengehirn sucht, wird enttäuscht werden: Den gibt es nämlich nicht.“
Bei der Gestaltung des Ladenlokals sind vielerlei positive Erlebnisse möglich: von der Außenfassade über die Orientierung/Wegführung, die Warenpräsentation, die Rabattschilder, das Licht und die Gestaltung des Kassiervorgangs. Die Optimierung jedes dieser Punkte steigert den Umsatz um 0,5–2 %.
Servicewelten
Auch im Servicebereich gibt es fünf große emotionale Welten:
- Der Happy Service spricht das Stimulanzsystem an, indem er positive Überraschungen und ein unerwartetes Mehr an Service bietet, etwa ein unerwartetes Upgrade bei der Autovermietung.
- Der Easy Service nimmt dem Kunden lästige, langweilige Arbeiten ab und befriedigt damit sowohl das Stimulanz- als auch das Balancesystem.
- Der Care Service setzt auf persönliche Betreuung des Kunden – eine Wohltat für das Balancesystem.
- Der Trust Service beruht auf Vertrauen und liefert damit Futter für das Balance- und Dominanzsystem. Hier zählen nicht nur absolute Zuverlässigkeit, sondern auch transparente Konditionen, Kulanz und ehrliche Kommunikation.
- Der Power und VIP Service richtet sich in erster Linie an das Kontrollbedürfnis: schnell, effizient, immer erreichbar und beim VIP Service außerdem eine Vorzugsbehandlung.
„Unsere Emotionssysteme sind wie ein Autopilot, der uns auf richtigem Kurs hält.“
Emotional Boosting ist eine ganzheitliche Umsetzung der Markenstrategie eines Unternehmens, die das zentrale Markengefühl an jedem Kontaktpunkt und in der gesamten Wertschöpfungskette intensiviert. Im Servicebereich ist das Auftreten des Personals der wichtigste Emotional Booster: Ein freundlicher, aufmerksamer Mitarbeiter sorgt dafür, dass das Unternehmen und seine Leistungen messbar positiver wahrgenommen als dies bei einem unfreundlichen Angestellten der Fall wäre.