Warum das Gehirn Geschichten liebt

Buch Warum das Gehirn Geschichten liebt

Mit Storytelling Menschen gewinnen und überzeugen

Haufe,
Erstausgabe:2009


Rezension

Man kann so gut wie alles verkaufen, wenn man die passende Geschichte dazu hat, sagt Mar­ket­ingspezial­ist Werner T. Fuchs. Der Autor macht seiner Lehre alle Ehre und belegt seine Thesen mit zahlreichen Geschichten und Anekdoten – manche spannend, manche weniger –, zudem mit ausführlichen Fall­beispie­len und Exkursen. Dazwischen streut er konkrete Praxistipps ein und liefert Anleitungen und Checklisten. Fuchs schreibt meist recht un­ter­halt­sam und versteht es, den Leser mit seiner Begeis­terung fürs Sto­ry­telling anzustecken. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Mar­ket­ingstrate­gen und Verkäufern, die wissen wollen, wie Sto­ry­telling im Marketing funk­tion­iert.

Take-aways

  • Das Gehirn speichert In­for­ma­tio­nen und Erlebnisse in Form von Geschichten ab.
  • Je einfacher das Grundmuster einer Geschichte, desto eingängiger ist sie.
  • Fragen Sie sich, welche Geschichte Ihr Produkt erzählt und welche es erzählen soll.
  • Finden Sie ein Grundthema für Ihre Geschichte, beispiel­sweise Leben und Tod, Verführung oder Verwandlung.
  • Untersuchen Sie, welche Orte und Menschen Ihr Zielpub­likum geprägt haben.
  • Sprechen Sie mithilfe von Symbolen solche Kindheits-, Jugend- und Er­ster­fahrun­gen an.
  • Gehen Sie vorsichtig mit sexuellen Stimuli um, denn diese können auch Abwehr erzeugen.
  • Sie müssen das Rad nicht neu erfinden. Ändern Sie einfach eine bestehende Geschichte in Ihrem Sinn um.
  • Sorgen Sie dafür, dass Ihr ganzer Un­ternehmen­sauftritt in jeder Beziehung zur Ihrer Geschichte passt.
  • Konzipieren Sie selbst Räum­lichkeiten so, dass sie eine Geschichte erzählen.
 

Zusammenfassung

Warum das Gehirn Geschichten liebt

Geschichten sind das ideale Medium, um In­for­ma­tio­nen zu trans­portieren – und das natürlichste. Denn das Gehirn speichert seine Erfahrungen ebenfalls in Form von Geschichten. Allerdings wird hierbei nicht jede einzelne von ihnen in einem eigenen Ordner abgelegt, sondern immer nur das Grundmuster, das ver­schiedene Storys vereint. Solche Muster können dann beliebig variiert werden.

„Unser Gehirn verpackt, speichert und ruft In­for­ma­tion­spakete als Geschichten ab.“

Einmal gespeichert, werden die Geschichten hi­er­ar­chisch geordnet. Am wichtigsten sind ex­is­ten­zielle Geschichten, die den Menschen selbst und seinen Platz in der Welt betreffen. Die nächste Stufe umfasst Geschichten des kulturellen und sozialen Umfelds. Als Letztes kommen die konkreten persönlichen Erlebnisse. Der Umgang mit Geschichten ist uns also von Kindheit an vertraut, und wir nehmen sie, sofern wir einen Bezug zu ihnen haben, weitaus willkommener auf als trockene Zahlen, Fakten und Diagramme.

„Als mittelständische Unternehmer können wir das Helden­schema dazu verwenden, die Geschichten unserer Di­en­stleis­tun­gen und Nis­chen­pro­dukte spannender zu erzählen.“

Fürs Marketing heißt das: Kon­stru­ieren Sie einfache Geschichten, deren zugrunde liegende Muster Ihre Zielper­so­nen unbewusst und schnell erkennen. Verwechseln Sie einfache Geschichten aber nicht mit einfachen Lösungen: Der Einfachheit geht eine Fülle voraus, die Sie anschließend um alles Überflüssige reduzieren.

„Die Methode Sto­ry­telling ist deshalb so an­wen­der­fre­undlich, weil sie zur Grun­dausstat­tung jedes Menschen gehört und bei jedem Akt des Verführens und Bee­in­flussens automatisch zur Anwendung kommt.“

Sto­ry­telling ist eine vielfältige Aufgabe. Sie beschränkt sich nicht auf das Schreiben oder Erzählen von Geschichten zu Wer­bezwecken, sondern geht weit darüber hinaus: Sie können Ihr komplettes Unternehmen als Gesamtin­sze­nierung konzipieren, die Ihre Kunden zu ver­schiede­nen Zeiten und an ver­schiede­nen Orten stimmig mit einbezieht.

Fünf Glaubenssätze

Marketing per Sto­ry­telling beruht auf folgenden Grundsätzen:

  1. Marketing hat den Zweck, das menschliche Verhalten derart zu bee­in­flussen, dass der Empfänger das präsentierte Produkt, die Di­en­stleis­tung oder die Idee zu den definierten Bedingungen kauft.
  2. Um das menschliche Verhalten zu bee­in­flussen, müssen Sie Ihr Angebot mit einer Geschichte trans­portieren, die auf Akzeptanz und Resonanz stößt.
  3. Je besser Sie die Wirkungen der einzelnen Elemente Ihrer Geschichte oder In­sze­nierung kennen, desto gezielter können Sie diese einsetzen und aufeinander abstimmen.
  4. Da das menschliche Verhalten hauptsächlich vom Unbewussten gesteuert wird, muss die Geschichte Zeichen und Symbole enthalten, die ebendieses Unbewusste ansprechen.
  5. Das Know-how dazu eignen Sie sich weniger mit Lehrbüchern an, sondern vielmehr indem Sie gute Geschichten lesen.

Elemente Ihrer Geschichte

Definieren Sie den Ort, das Umfeld, die Epoche, in der Ihre Geschichte spielt, und den Zeitraum, den sie abdecken soll. Das kann eine bloße Mo­men­tauf­nahme sein oder auch eine lang andauernde Entwicklung. Bestimmen Sie die Charaktere (wobei sich ein Charakter durch seine Handlungen offenbart) sowie einen Konflikt. Verwenden Sie Symbole aus der Kultur Ihrer Zielgruppe. Symbole verweisen auf eine begrenzte Anzahl ar­che­typ­is­cher Ver­hal­tensweisen, in denen sich das Unbewusste wieder­erkennt. Machen Sie sich mit dem Hintergrund Ihrer Geschichte vertraut, sodass Sie nicht auf Klischees verfallen oder Stilbrüche begehen. Immer gut sind Geschichten, die mitten aus dem Leben gegriffen sind. Aber auch fan­tastis­che Geschichten verfehlen ihre Wirkung nicht, wenn sie im Kern eine ar­che­typ­is­che Grund­hand­lung beschreiben. Meistens folgen Geschichten diesem Grundschema: Der Protagonist hat Prüfungen zu bestehen oder Konflikte zu meistern, aus denen er gestärkt hervorgeht und zum Helden wird. Auf seinem Weg stehen ihm Helfer zur Seite, er hat aber auch Feinde, die ihm das Leben schwer machen.

„Um die Methode Sto­ry­telling einzuführen, empfiehlt es sich, an eine Geschichte anzuknüpfen, die bei der entsprechen­den Zielgruppe einen hohen Bekan­ntheits­grad hat.“

Sammeln Sie so viele Geschichten wie möglich, um das Rad nicht neu erfinden zu müssen. Dann geht es nur noch um eine ziel­grup­pen­gerechte und un­ver­wech­sel­bare Ausschmückung des Grund­musters. Bauen Sie ruhig einige Geheimnisse in Ihre Geschichte ein. Nichts ist lang­weiliger als totale Transparenz. Lassen Sie ihr bewusst einige Unschärfen für in­di­vidu­elle In­ter­pre­ta­tio­nen. Besonders anziehend sind Geschichten, die an Kindheits- und Ju­gen­der­leb­nisse andocken sowie allgemein an Er­ster­leb­nisse – natürlich solche, die positiv besetzt sind.

„Wichtig ist, dass sich das Publikum in einer guten Geschichte wieder­erkennt.“

Planen Sie gerade als Sto­ry­telling-Anfänger möglichst genau und ausführlich. Seien Sie aber trotzdem offen für weitere In­spi­ra­tio­nen und Zufälle. Ein schönes Beispiel: Wissen Sie, wie es zu dem Elch kam, mit dem Ikea in Deutschland wirbt? In Eching bei München öffnete die erste Ikea-Fil­iale außerhalb Skan­di­naviens ihre Pforten – und ein Spaßvogel kam auf die Idee, den Ort Elching zu nennen.

Marketing im Sex- und Jugendwahn

Sex sells? Nicht unbedingt. Sexuelle Stimuli sollten Sie nur dann einsetzen, wenn diese tatsächlich einen Bezug zum Produkt haben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie davon ablenken, langweilen oder sogar Abwehr erzeugen. Wenn es sinnvoll ist und der kulturelle Rahmen es erlaubt, können Sie freilich auch erotische Elemente einbauen. Die er­fol­gre­ich­sten erotischen Geschichten sind aber eher geistig-sinnlicher Natur, sie spielen raffiniert mit unseren Sehnsüchten, Wünschen und Ängsten und decken eine größere emotionale Bandbreite ab als plakative Sex­darstel­lun­gen.

„Bevor eine Geschichte den Best­seller­sta­tus erreicht, wird sie nur von einem kleinen Kreis Eingewei­hter erzählt, den wir sorgsam pflegen sollten.“

Youth sells? Auch nicht unbedingt. Zumindest verfügen die über 50-Jährigen über die dicksten Brief­taschen. Und die zücken sie nur, wenn Sie ihnen Geschichten erzählen, in denen sie sich wiederfinden. Die Krux besteht darin, dass es den meisten Werbern an Erfahrung mit dem dritten Lebensalter mangelt. Hören Sie daher älteren Menschen zu und lesen Sie deren Geschichten.

Das Urthema finden

Finden Sie für Ihre Geschichte ein passendes ex­is­ten­zielles Grundthema, beispiel­sweise Leben und Tod, Ankunft und Abschied, Liebe und Hass, Gut und Böse, Versuchung oder Verwandlung. Letzteres eignet sich etwa für Prozesse, in denen es um Veränderungen geht, seien es Un­ternehmensfu­sio­nen oder Verhaltensänderungen.

„Sind Grundgedanke, Regeln und Kerngeschichte erst einmal gesetzt, ergibt sich vieles wie von selbst.“

Finden Sie als Nächstes die passende Bühne für Ihr Zielpub­likum. Das ist ein Ort, der Ihre poten­ziellen Kunden geprägt hat, etwa der Heimatort, die Nach­barschaft, die Aus­bil­dungsstätte oder ein Urlaubsziel.

Welche Figuren könnten die Helden, die Vorbilder, die Widersacher oder die Helfer verkörpern? Welche speziellen Er­ster­leb­nisse hat Ihre Zielgruppe? Dazu gehört nicht nur die erste Liebe, sondern z. B. auch der erste Urlaub ohne Eltern, das erste Vorstel­lungs­ge­spräch, erste Jugendsünden, ein erster großer Sieg, eine erste Niederlage oder das erste selbst verdiente Geld. Welche Favoriten hat Ihre Zielgruppe? Gibt es Liebling­sorte, -speisen, -düfte, -bücher, -filme oder -kleider? Welche Beson­der­heiten hat Ihre Zielgruppe? Denken Sie etwa an die wirtschaftliche Lage, an Schick­salss­chläge oder weltan­schauliche Rituale.

Sto­ry­telling in der Praxis

Wenn Sie zu Mar­ket­ingzwecken eine Geschichte komponieren, orientieren Sie sich an folgenden Schritten:

  1. Besichtigen Sie den Schauplatz und gleichen Sie Ihre Grundideen mit denen Ihres Auf­tragge­bers ab. Auch im Internet können Sie entsprechende In­for­ma­tio­nen über das Setting finden.
  2. Entwickeln Sie zunächst die Haupthand­lung, den Plot der Geschichte. Holen Sie sich Anregungen, indem Sie Entsprechun­gen suchen: Was für ein Held, Tier, Helfer, Fahrzeug usw. wäre Ihr Produkt bzw. Ihre Di­en­stleis­tung?
  3. Suchen Sie nach Anregungen in Filmen oder Büchern, in denen es um etwas Ver­gle­ich­bares geht.
  4. Finden Sie Möglichkeiten, in Ihrer In­sze­nierung an Erfahrungen aus der Kindheit und Jugendzeit Ihrer Zielgruppe anzuknüpfen.
  5. Sorgen Sie dafür, dass die Kulissen, Requisiten und Nebenrollen stimmig sind und stilistisch zueinan­der­passen.
  6. Die besten Erzähler sind die, die das Produkt oder die Leistung selbst erfahren haben. Sorgen Sie daher für entsprechende Erlebnisse. Als ein Hotelier merkte, dass seine Gäste mit Vorliebe kleine As­chen­becher mitgehen ließen, in denen das Logo des Hotels eingebrannt war, machte er sich die Klauerei zunutze: Er ließ die As­chen­becher in hoher Auflage preisgünstig in China anfertigen und platzierte sie an Orten, an denen sie „gefahrlos“ mitgenommen werden konnten – als perfekte Werbeträger und Anker für Geschichten.

Leitfragen für Ihre Geschichte

Wenn Sie eine Geschichte suchen, um eine Corporate Identity oder ein gewünschtes Pro­duk­tim­age zu trans­portieren, ordnen Sie Ihre Gedanken mit den folgenden Fragen:

  1. Welche Geschichte erzählt Ihr Produkt momentan? Warum existiert es, wem oder was ähnelt es, was macht es einzigartig und attraktiv, was ist sein Verhängnis, worauf beruht seine Anziehungskraft?
  2. Welche Geschichte soll es zukünftig erzählen und welche Kunden sollen es mögen? Stellen Sie sich deren Geschlecht, Alter, Interessen, Lei­den­schaften, Abneigungen, Urlaub­s­ge­wohn­heiten usw. vor.
  3. Aufgrund welcher Lebens­mo­tive kaufen Ihre Kunden das Produkt? Ist es das Streben nach Macht, Erfolg oder Unabhängigkeit? Ist es Neugier oder Idealismus? Oder das Bedürfnis nach Anerkennung, Ordnung, Fam­i­lien­leben, körperlicher Fitness, Ruhe, emotionaler Harmonie oder Entspannung?
„Das ‚Hotel zum schwarzen Pudel‘ braucht keinen neuen Namen, sondern eine passende Geschichte.“

Diese Ord­nungsmuster helfen, die passende Geschichte zu finden, sie sind aber natürlich keineswegs vollständig oder verbindlich.

In­spiri­erende Umgebungen

Passen Sie auch Ihre Räum­lichkeiten den Geschichten an, die Sie Ihren Kunden erzählen wollen, und richten Sie sie entsprechend ein.

„Würde sich jemand die Mühe machen, die Wartezimmer von Di­en­stleis­tern zu sichten und nach Kriterien von Sto­ry­telling zu bewerten, wäre das Ergebnis vernichtend.“

Ein Beispiel: In einigen Londoner Bars sind die Toiletten einer Hol­ly­wood-Garder­obe nachemp­fun­den. Dort können die Damen – statt wie üblich endlose Warteschlangen zu bilden – gemütlich etwas trinken, mit ihrer Freundin auf einem Plüschhocker plaudern und sich fühlen wie im Film.

Oder das Beispiel Umk­lei­dek­abi­nen: Fühlen Sie sich darin manchmal auch wie in einem stickigen Aufzug und möchten so schnell wie möglich wieder raus? Viel mehr Charme haben doch Umk­lei­dek­abi­nen, die mit einem Sofa und attraktiver Beleuchtung aus­ges­tat­tet sind und in denen der Kunde außerdem seine Lieblingsmusik und -kulisse wählen kann.

„Unternehmen müssen nicht Produkte und Leistungen managen, sondern ihre Kunden.“

Kom­mu­nika­tiv sehr in­spiri­erend ist auch das Wartezimmer eines Friseurs, zu dessen Einrichtung ein Flip­per­automat, ein Kühlschrank mit Getränken zur Selb­st­be­di­enung, eine Pinnwand mit Kleinanzeigen und eine Ecke mit An­sicht­skarten der Kunden gehört.

Über den Autor

Werner T. Fuchs leitet eine Mar­ketinga­gen­tur in Hünenberg. Zudem ist er Dozent, Referent, und Fach­buchau­tor. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Hirn­forschung und Sto­ry­telling.