Warum das Gehirn Geschichten liebt
Geschichten sind das ideale Medium, um Informationen zu transportieren – und das natürlichste. Denn das Gehirn speichert seine Erfahrungen ebenfalls in Form von Geschichten. Allerdings wird hierbei nicht jede einzelne von ihnen in einem eigenen Ordner abgelegt, sondern immer nur das Grundmuster, das verschiedene Storys vereint. Solche Muster können dann beliebig variiert werden.
„Unser Gehirn verpackt, speichert und ruft Informationspakete als Geschichten ab.“
Einmal gespeichert, werden die Geschichten hierarchisch geordnet. Am wichtigsten sind existenzielle Geschichten, die den Menschen selbst und seinen Platz in der Welt betreffen. Die nächste Stufe umfasst Geschichten des kulturellen und sozialen Umfelds. Als Letztes kommen die konkreten persönlichen Erlebnisse. Der Umgang mit Geschichten ist uns also von Kindheit an vertraut, und wir nehmen sie, sofern wir einen Bezug zu ihnen haben, weitaus willkommener auf als trockene Zahlen, Fakten und Diagramme.
„Als mittelständische Unternehmer können wir das Heldenschema dazu verwenden, die Geschichten unserer Dienstleistungen und Nischenprodukte spannender zu erzählen.“
Fürs Marketing heißt das: Konstruieren Sie einfache Geschichten, deren zugrunde liegende Muster Ihre Zielpersonen unbewusst und schnell erkennen. Verwechseln Sie einfache Geschichten aber nicht mit einfachen Lösungen: Der Einfachheit geht eine Fülle voraus, die Sie anschließend um alles Überflüssige reduzieren.
„Die Methode Storytelling ist deshalb so anwenderfreundlich, weil sie zur Grundausstattung jedes Menschen gehört und bei jedem Akt des Verführens und Beeinflussens automatisch zur Anwendung kommt.“
Storytelling ist eine vielfältige Aufgabe. Sie beschränkt sich nicht auf das Schreiben oder Erzählen von Geschichten zu Werbezwecken, sondern geht weit darüber hinaus: Sie können Ihr komplettes Unternehmen als Gesamtinszenierung konzipieren, die Ihre Kunden zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten stimmig mit einbezieht.
Fünf Glaubenssätze
Marketing per Storytelling beruht auf folgenden Grundsätzen:
- Marketing hat den Zweck, das menschliche Verhalten derart zu beeinflussen, dass der Empfänger das präsentierte Produkt, die Dienstleistung oder die Idee zu den definierten Bedingungen kauft.
- Um das menschliche Verhalten zu beeinflussen, müssen Sie Ihr Angebot mit einer Geschichte transportieren, die auf Akzeptanz und Resonanz stößt.
- Je besser Sie die Wirkungen der einzelnen Elemente Ihrer Geschichte oder Inszenierung kennen, desto gezielter können Sie diese einsetzen und aufeinander abstimmen.
- Da das menschliche Verhalten hauptsächlich vom Unbewussten gesteuert wird, muss die Geschichte Zeichen und Symbole enthalten, die ebendieses Unbewusste ansprechen.
- Das Know-how dazu eignen Sie sich weniger mit Lehrbüchern an, sondern vielmehr indem Sie gute Geschichten lesen.
Elemente Ihrer Geschichte
Definieren Sie den Ort, das Umfeld, die Epoche, in der Ihre Geschichte spielt, und den Zeitraum, den sie abdecken soll. Das kann eine bloße Momentaufnahme sein oder auch eine lang andauernde Entwicklung. Bestimmen Sie die Charaktere (wobei sich ein Charakter durch seine Handlungen offenbart) sowie einen Konflikt. Verwenden Sie Symbole aus der Kultur Ihrer Zielgruppe. Symbole verweisen auf eine begrenzte Anzahl archetypischer Verhaltensweisen, in denen sich das Unbewusste wiedererkennt. Machen Sie sich mit dem Hintergrund Ihrer Geschichte vertraut, sodass Sie nicht auf Klischees verfallen oder Stilbrüche begehen. Immer gut sind Geschichten, die mitten aus dem Leben gegriffen sind. Aber auch fantastische Geschichten verfehlen ihre Wirkung nicht, wenn sie im Kern eine archetypische Grundhandlung beschreiben. Meistens folgen Geschichten diesem Grundschema: Der Protagonist hat Prüfungen zu bestehen oder Konflikte zu meistern, aus denen er gestärkt hervorgeht und zum Helden wird. Auf seinem Weg stehen ihm Helfer zur Seite, er hat aber auch Feinde, die ihm das Leben schwer machen.
„Um die Methode Storytelling einzuführen, empfiehlt es sich, an eine Geschichte anzuknüpfen, die bei der entsprechenden Zielgruppe einen hohen Bekanntheitsgrad hat.“
Sammeln Sie so viele Geschichten wie möglich, um das Rad nicht neu erfinden zu müssen. Dann geht es nur noch um eine zielgruppengerechte und unverwechselbare Ausschmückung des Grundmusters. Bauen Sie ruhig einige Geheimnisse in Ihre Geschichte ein. Nichts ist langweiliger als totale Transparenz. Lassen Sie ihr bewusst einige Unschärfen für individuelle Interpretationen. Besonders anziehend sind Geschichten, die an Kindheits- und Jugenderlebnisse andocken sowie allgemein an Ersterlebnisse – natürlich solche, die positiv besetzt sind.
„Wichtig ist, dass sich das Publikum in einer guten Geschichte wiedererkennt.“
Planen Sie gerade als Storytelling-Anfänger möglichst genau und ausführlich. Seien Sie aber trotzdem offen für weitere Inspirationen und Zufälle. Ein schönes Beispiel: Wissen Sie, wie es zu dem Elch kam, mit dem Ikea in Deutschland wirbt? In Eching bei München öffnete die erste Ikea-Filiale außerhalb Skandinaviens ihre Pforten – und ein Spaßvogel kam auf die Idee, den Ort Elching zu nennen.
Marketing im Sex- und Jugendwahn
Sex sells? Nicht unbedingt. Sexuelle Stimuli sollten Sie nur dann einsetzen, wenn diese tatsächlich einen Bezug zum Produkt haben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie davon ablenken, langweilen oder sogar Abwehr erzeugen. Wenn es sinnvoll ist und der kulturelle Rahmen es erlaubt, können Sie freilich auch erotische Elemente einbauen. Die erfolgreichsten erotischen Geschichten sind aber eher geistig-sinnlicher Natur, sie spielen raffiniert mit unseren Sehnsüchten, Wünschen und Ängsten und decken eine größere emotionale Bandbreite ab als plakative Sexdarstellungen.
„Bevor eine Geschichte den Bestsellerstatus erreicht, wird sie nur von einem kleinen Kreis Eingeweihter erzählt, den wir sorgsam pflegen sollten.“
Youth sells? Auch nicht unbedingt. Zumindest verfügen die über 50-Jährigen über die dicksten Brieftaschen. Und die zücken sie nur, wenn Sie ihnen Geschichten erzählen, in denen sie sich wiederfinden. Die Krux besteht darin, dass es den meisten Werbern an Erfahrung mit dem dritten Lebensalter mangelt. Hören Sie daher älteren Menschen zu und lesen Sie deren Geschichten.
Das Urthema finden
Finden Sie für Ihre Geschichte ein passendes existenzielles Grundthema, beispielsweise Leben und Tod, Ankunft und Abschied, Liebe und Hass, Gut und Böse, Versuchung oder Verwandlung. Letzteres eignet sich etwa für Prozesse, in denen es um Veränderungen geht, seien es Unternehmensfusionen oder Verhaltensänderungen.
„Sind Grundgedanke, Regeln und Kerngeschichte erst einmal gesetzt, ergibt sich vieles wie von selbst.“
Finden Sie als Nächstes die passende Bühne für Ihr Zielpublikum. Das ist ein Ort, der Ihre potenziellen Kunden geprägt hat, etwa der Heimatort, die Nachbarschaft, die Ausbildungsstätte oder ein Urlaubsziel.
Welche Figuren könnten die Helden, die Vorbilder, die Widersacher oder die Helfer verkörpern? Welche speziellen Ersterlebnisse hat Ihre Zielgruppe? Dazu gehört nicht nur die erste Liebe, sondern z. B. auch der erste Urlaub ohne Eltern, das erste Vorstellungsgespräch, erste Jugendsünden, ein erster großer Sieg, eine erste Niederlage oder das erste selbst verdiente Geld. Welche Favoriten hat Ihre Zielgruppe? Gibt es Lieblingsorte, -speisen, -düfte, -bücher, -filme oder -kleider? Welche Besonderheiten hat Ihre Zielgruppe? Denken Sie etwa an die wirtschaftliche Lage, an Schicksalsschläge oder weltanschauliche Rituale.
Storytelling in der Praxis
Wenn Sie zu Marketingzwecken eine Geschichte komponieren, orientieren Sie sich an folgenden Schritten:
- Besichtigen Sie den Schauplatz und gleichen Sie Ihre Grundideen mit denen Ihres Auftraggebers ab. Auch im Internet können Sie entsprechende Informationen über das Setting finden.
- Entwickeln Sie zunächst die Haupthandlung, den Plot der Geschichte. Holen Sie sich Anregungen, indem Sie Entsprechungen suchen: Was für ein Held, Tier, Helfer, Fahrzeug usw. wäre Ihr Produkt bzw. Ihre Dienstleistung?
- Suchen Sie nach Anregungen in Filmen oder Büchern, in denen es um etwas Vergleichbares geht.
- Finden Sie Möglichkeiten, in Ihrer Inszenierung an Erfahrungen aus der Kindheit und Jugendzeit Ihrer Zielgruppe anzuknüpfen.
- Sorgen Sie dafür, dass die Kulissen, Requisiten und Nebenrollen stimmig sind und stilistisch zueinanderpassen.
- Die besten Erzähler sind die, die das Produkt oder die Leistung selbst erfahren haben. Sorgen Sie daher für entsprechende Erlebnisse. Als ein Hotelier merkte, dass seine Gäste mit Vorliebe kleine Aschenbecher mitgehen ließen, in denen das Logo des Hotels eingebrannt war, machte er sich die Klauerei zunutze: Er ließ die Aschenbecher in hoher Auflage preisgünstig in China anfertigen und platzierte sie an Orten, an denen sie „gefahrlos“ mitgenommen werden konnten – als perfekte Werbeträger und Anker für Geschichten.
Leitfragen für Ihre Geschichte
Wenn Sie eine Geschichte suchen, um eine Corporate Identity oder ein gewünschtes Produktimage zu transportieren, ordnen Sie Ihre Gedanken mit den folgenden Fragen:
- Welche Geschichte erzählt Ihr Produkt momentan? Warum existiert es, wem oder was ähnelt es, was macht es einzigartig und attraktiv, was ist sein Verhängnis, worauf beruht seine Anziehungskraft?
- Welche Geschichte soll es zukünftig erzählen und welche Kunden sollen es mögen? Stellen Sie sich deren Geschlecht, Alter, Interessen, Leidenschaften, Abneigungen, Urlaubsgewohnheiten usw. vor.
- Aufgrund welcher Lebensmotive kaufen Ihre Kunden das Produkt? Ist es das Streben nach Macht, Erfolg oder Unabhängigkeit? Ist es Neugier oder Idealismus? Oder das Bedürfnis nach Anerkennung, Ordnung, Familienleben, körperlicher Fitness, Ruhe, emotionaler Harmonie oder Entspannung?
„Das ‚Hotel zum schwarzen Pudel‘ braucht keinen neuen Namen, sondern eine passende Geschichte.“
Diese Ordnungsmuster helfen, die passende Geschichte zu finden, sie sind aber natürlich keineswegs vollständig oder verbindlich.
Inspirierende Umgebungen
Passen Sie auch Ihre Räumlichkeiten den Geschichten an, die Sie Ihren Kunden erzählen wollen, und richten Sie sie entsprechend ein.
„Würde sich jemand die Mühe machen, die Wartezimmer von Dienstleistern zu sichten und nach Kriterien von Storytelling zu bewerten, wäre das Ergebnis vernichtend.“
Ein Beispiel: In einigen Londoner Bars sind die Toiletten einer Hollywood-Garderobe nachempfunden. Dort können die Damen – statt wie üblich endlose Warteschlangen zu bilden – gemütlich etwas trinken, mit ihrer Freundin auf einem Plüschhocker plaudern und sich fühlen wie im Film.
Oder das Beispiel Umkleidekabinen: Fühlen Sie sich darin manchmal auch wie in einem stickigen Aufzug und möchten so schnell wie möglich wieder raus? Viel mehr Charme haben doch Umkleidekabinen, die mit einem Sofa und attraktiver Beleuchtung ausgestattet sind und in denen der Kunde außerdem seine Lieblingsmusik und -kulisse wählen kann.
„Unternehmen müssen nicht Produkte und Leistungen managen, sondern ihre Kunden.“
Kommunikativ sehr inspirierend ist auch das Wartezimmer eines Friseurs, zu dessen Einrichtung ein Flipperautomat, ein Kühlschrank mit Getränken zur Selbstbedienung, eine Pinnwand mit Kleinanzeigen und eine Ecke mit Ansichtskarten der Kunden gehört.