Wissen, worum es geht
Wenn Sie ein Projekt leiten, müssen Sie zuallererst Inhalte und Ziele mit den Auftraggebern klären. Nach der klassischen Methode werden Sie auf der Sachebene vorgehen und das sogenannt „magische Dreieck“ aus Qualität, Zeit und Kosten aufstellen. Damit stecken Sie den äußeren Rahmen ab.
„Bei einem Arztbesuch erwartet kein Mensch eine Spritze, bevor nicht die Diagnose vorliegt. Warum sollte das bei einem Projekt anders sein?“
Für kleine und mittlere Projekte ist dieses Vorgehen ausreichend. Ist Ihre neue Herausforderung jedoch komplexer, müssen Sie die verschiedenen Erwartungen herausarbeiten, die Ihre Auftraggeber an das Projekt haben. Um explizite und implizite, oft unbewusste Motivationen zu identifizieren, können Sie die Kano-Methode anwenden (nach ihrem Erfinder Noriaki Kano benannt): Dazu recherchieren Sie bereits festgelegte Erwartungen in Pflichtenheften, Protokollen oder E-Mails und legen diese Ihrem Auftraggeber schriftlich vor. Befragen Sie ihn zusätzlich nach noch nicht angesprochenen Aspekten, denn das sind oft die selbstverständlichsten. Und sammeln Sie alles, was guter Qualität womöglich im Wege steht. Mit dieser Methode entlarven Sie u. U. auch ein zum Scheitern verurteiltes Projekt und können dankend ablehnen.
Wer sind Ihre Stakeholder?
Bei einem internationalen Projekt haben Sie es neben dem eigenen Team mit vielen anderen, weltweit handelnden Personen zu tun. Von der Wahrnehmung und Meinung dieser Stakeholder hängt Ihr Projekterfolg ab. Wenn Sie Ihre Stakeholder richtig verstehen, können Sie diese leichter bewegen, in Ihrem Interesse zu agieren. Natürlich können Sie gleich zu Beginn alle Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen eindeutig festlegen. Damit lernen Sie aber nicht die Personen hinter den Funktionen kennen. Dieses Vorgehen verspricht deshalb nur Erfolg, wenn alle Beteiligten bereits miteinander vertraut sind und schon zusammen gearbeitet haben.
„Erst wenn wir mit anderem Verhalten konfrontiert werden, fällt uns die eigene kulturelle Prägung auf.“
In anderen Fällen empfiehlt sich eine Stakeholder-Analyse. Damit machen Sie sich die ungeschriebenen Regeln des Systems bewusst und erkennen Wechselwirkungen. Sammeln Sie Ihre subjektiven Eindrücke zu allen Stakeholdern und bewerten Sie namentlich deren Haltung und Einfluss in einer vertraulichen Tabelle. Um Hinweise auf Macht- und Störpotenziale in Ihrem Projekt zu erhalten, legen Sie ein Stakeholder-Portfolio in Diagrammform an, in dem Sie den Einfluss von Kritikern, Nörglern, Unterstützern und Nachwuchsleuten darstellen. Verwenden Sie keine vorgefertigten Listen und vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl.
Unterschiedliche Arbeitskulturen respektieren
Um als Projektleiter auf dem internationalen Parkett zu überzeugen, müssen Sie mit einer ganzen Menge unterschiedlicher Einstellungen, kultureller Werte und individueller Bedürfnisse jonglieren. Werden Sie zum ersten Mal mit einer fremden Lebensart konfrontiert, ist ein Kulturschock vorprogrammiert. Oft reagieren im Ausland tätige Projektleiter dementsprechend: Sie ignorieren Unterschiede, distanzieren sich oder kopieren Verhalten unreflektiert. Diese Wege führen selten zum Erfolg. Machen Sie sich bewusst, dass es nicht nur eine richtige Art gibt, Dinge zu tun – im Gegenteil, viele Wege führen zum Ziel.
„Der Kulturschock ist keine Erfindung von Psychologen, sondern reales Erleben aller international tätigen Projektleiter.“
Nutzen Sie als Hilfsmittel die Kulturanalyse und beschreiben Sie Ihre ausländischen Partner anhand typischer Merkmale wie Individualisierung, Gefühlsausdruck und Machtdistanz. Beantworten Sie dabei Fragen wie folgende:
- Steht der Mensch oder ein Kollektiv im Mittelpunkt?
- Ist expressive Gestik und Mimik üblich, oder übt man eher emotionale Zurückhaltung?
- Beinhaltet Verantwortung auch Entscheidungsbefugnis oder müssen Entscheidungen weiter oben abgestimmt werden?
„Hüten Sie sich vor Fertiglisten. Ihr Projekt ist speziell und keine Konfektionsware.“
Stellen Sie eine Skala auf, um Ihre Projektpartner einzuordnen und deren Wertvorstellungen zu verstehen. Erst wenn Sie kulturelle Besonderheiten berücksichtigen, können Sie vor Ort wirklich etwas bewegen.
Risiken identifizieren und minimieren
Ein typisches Szenario: Sie fordern Ihr Team in Übersee auf, Ihnen potenzielle Risiken schriftlich mitzuteilen. Leider ist der Rücklauf unbefriedigend, die Aussagen sind vage. Mangels Fakten können Sie keine Risiken ermitteln, obwohl Sie sicher sind, dass es welche gibt. Vielleicht traut sich Ihr Gegenüber nicht, offen Kritik zu äußern und möchte Sie vor einem Gesichtsverlust bewahren. Oder eine stillschweigende Person leitet bereits heimlich geeignete Maßnahmen gegen ein vermeintliches Risiko ein. Womöglich haben Sie mit einer Risikoschleife mehr Erfolg als mit Ihrer vertrauten, unmittelbaren Herangehensweise: Integrieren Sie die wiederkehrende Bearbeitung von Risiken in regelmäßige Meetings, und führen Sie persönliche Gespräche, um Unausgesprochenes aufzuspüren. Ganz wichtig: Trennen Sie Risiken und Bewertung! Denn was dem einen als große Gefahr erscheint, ist für den anderen eine besondere Herausforderung. Tipp: Vertrauen Sie Ihrer Intuition und lernen Sie zuzuhören. Die Ergebnisse können Sie in einer Risikomatrix dokumentieren und aktualisieren.
Vertrauen aufbauen, Zusammenhalt festigen
Denken Sie, dass zu Beginn Regeln und Orientierung erwartet werden? Das ist typisch deutsch. Entsprechend organisiert und präzise gestalten Sie das Kick-off-Meeting. Zum Kennenlernen und Abstimmen von Prozessen bleibt damit aber nur wenig Zeit. So kann kein Vertrauen entstehen, denn das ist an persönliche Beziehungen gekoppelt.
„Der Glaube an das Gute im Menschen und an die Selbstregulierungskräfte der Natur ehrt Sie – bringt Sie allerdings nicht zum Ziel.“
Bieten Sie Ihren Partnern deshalb Raum, sich und ihre Kultur vorzustellen und sorgen Sie damit für gegenseitiges Verständnis. Interaktive Übungen und Rituale festigen den Zusammenhalt. Lassen Sie einen Teil des Treffens von den Eingeladenen aktiv mitgestalten. Ein Stolperstein bei der Teamfindung ist die Machtdistanz, also der Abstand zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten. Während in Kulturen mit geringer Machtdistanz Informationen als Holschuld gelten, werden sie bei hoher Machtdistanz als Bringschuld angesehen. Denken Sie deshalb daran, Mitarbeiter aus Ländern wie China und der arabischen Welt aktiv zu informieren.
„Der flexible Einsatz von Führungsstilen je nach der Kultur zeichnet Sie als einen guten Projektleiter aus.“
Im Worst-Case-Szenario hat der Kick-off stattgefunden, doch vor Ort funktionieren weder Telefone noch Computer. Kommunikation ist so nicht möglich. Wenn Sie jetzt zu viel Druck machen, schaffen Sie sich leicht Gegner. Doch auch ein unverbindliches Laisser-faire bringt Sie nicht weiter, sondern macht Sie zum Spielball. Bei Organisations- und Qualitätsproblemen müssen Sie in jedem Fall umgehend handeln, und zwar stets „wertschätzend in der Person und konsequent in der Sache“. Überzeugen Sie Ihr Team vom Sinn und Zweck glaubwürdiger Statusberichte, und fordern Sie diese aktiv ein.
Projekte durchführen
Wenn unerwartet Probleme auftreten, z. B. Abläufe ins Stocken geraten, kommen Projektleiter schon Mal in Versuchung, den rettenden Feuerwehrmann zu spielen. Doch Halt: Jede Stunde, die Sie statt Ihrer Mitarbeiter ausführend tätig sind, fehlt Ihnen zur Überwachung und Steuerung des Projekts. Mag ein kurzer Auftritt vor Ort manchmal Wunder wirken, sollten Sie sich aus dem operativen Geschäft weitestgehend zurückhalten. Delegieren Sie Aufgaben und Verantwortung – sonst schwächen Sie Ihr Team, das doch aus kompetenten Mitgliedern besteht. Stellen Sie sicher, dass Schnittstellen zwischen den Beteiligten funktionieren und nicht einer auf das Ergebnis eines anderen wartet. Gegenseitige Blockaden können Sie mit der Methode des Simultaneous Engineering aufheben: Lassen Sie Ergebnisse gleichzeitig entwickeln. Prüfen Sie zudem im Projektstrukturplan, ob alle Aufgaben noch klar und die Verantwortlichen hinreichend definiert sind. Greifen Sie nur selbst als Feuerlöscher ein, wenn es wirklich brennt!
Mit Change-Requests auf Kurs bleiben
Sie haben beim Soll-Ist-Vergleich festgestellt, dass Ihre Termine aus dem Ruder laufen und Aufgaben im angestrebten Zeitraum nicht zu erledigen sind. Keine Panik! Anstatt die Dinge laufen zu lassen oder zu improvisieren, reichen Sie einen Change-Request ein. Mit diesem schriftlichen Änderungsantrag können Sie Ihr Projekt wieder auf Kurs bringen. Ein Change-Request enthält Informationen zum Problem, zur Änderung, zu den Auswirkungen bei Nichtumsetzung und zu Kosten und Qualität bei Umsetzung. Mit dem Werkzeug bleiben Sie Steuermann und handeln proaktiv, statt die Fäden aus der Hand zu geben. Lassen Sie sich Budgetüberschreitungen schriftlich bestätigen und achten Sie darauf, bestehende Verträge einzuhalten.
Erfolgreich führen im virtuellen Raum
Zeitzonen und Kontinente lassen sich dank moderner Kommunikationstechnik mittlerweile gut überbrücken. Trotzdem kann es passieren, dass Sie im Team ein echtes Gemeinschaftsgefühl vermissen. Verstecken Sie sich nicht hinter der Technik, sondern geben Sie Ihrem Projekt eine persönliche Note. Das gelingt z. B., indem Sie regionale Auftaktmeetings veranstalten und Sie (oder ein Stellvertreter) vor Ort auftreten. Verstehen Sie sich als Netzwerker und Bindeglied zwischen den Standorten. Führung in interkulturellen Projekten zeichnet sich dadurch aus, dass Sie Ihren Führungsstil individuell an die jeweiligen Werte und Gegebenheiten anpassen, statt bloß sach- oder personenbezogen zu führen.
„Entscheidend für das Zusammenfinden des Teams und Ihre Rolle als Teamleiter ist die Dimension der Machtdistanz.“
Wenn Sie Ihre Mitarbeiter stärken möchten, vermitteln Sie Ihnen ein visionäres Bild vom Projektziel. Treten trotzdem zwischenmenschliche Konflikte auf, bringen Sie die streitenden Parteien zusammen und versuchen Sie, das Problem gemeinsam zu lösen. Wenn Sie und Ihr Team aus den Unterschieden Kraft schöpfen möchten, sollten Sie lernen, Ihre Zusammenarbeit offen zu reflektieren. Forschen Sie gemeinsam nach Ursachen für Missverständnisse und erarbeiten Sie konkrete Lösungen. Bei Unsicherheiten können Sie einen externen Moderator einschalten.
Projekt beendet – Ziel erreicht?
Ein gemeinsamer Projektabschluss im Team wäre schön, bleibt in der Realität aber oft Utopie. Meist sind die Beteiligten bereits in neue Projekte involviert. Planen Sie deshalb das Projektende rechtzeitig und sorgen Sie für eine geordnete Übernahme in einem Abnahmegespräch. Es lohnt sich, Kontakte bis zum Schluss und darüber hinaus zu pflegen.
„Der richtige Fluss von Informationen ist der Erfolgsfaktor im Projektmanagement.“
Um Ihre Erfahrungen für künftige Projekte bereit zu stellen, sollten Sie zudem ein Übernahmegespräch gestalten. Dokumentieren Sie Ihr eigenes Wissen und das Ihres Teams in sogenannten „lessons learned“. Ein einfaches Mittel ist eine Internetplattform, wo sich jeder selbst einbringen kann. Aufwändiger, aber wirksamer sind (Telefon-)Interviews und Workshops mit den Beteiligten. Machen Sie klar, dass gutes Wissensmanagement künftige Aufwände und Reisekosten spart! Ein Tipp: Planen Sie kleine Nachgespräche bereits zu den einzelnen Meilensteinen, steht Ihnen das Wissen umgehend zur Verfügung.
„Beugen Sie vor – rennen Sie nicht zweimal gegen dieselbe Wand.“
Wenn Ihre Auftraggeber kurz vor Schluss eine Projektevaluation fordern und Sie die Erreichung der Ziele beweisen müssen, können Sie ganz pragmatisch Stichproben erheben. Bei einfachen, messbaren Effekten kann das durchaus zu einer verwertbaren Aussage führen. Liegen die Dinge jedoch schwieriger, kommen Sie um eine systematische Evaluation nicht herum.
„Projektevaluation ist die Visitenkarte für Ihre Projektleiterleistung – lassen Sie sich das nicht entgehen.“
Sammeln Sie ausreichend Daten z. B. über Kosten und Umsatzzahlen, die Sie einem Vorher-nachher-Vergleich unterziehen. Qualitative Effekte wie die Benutzerfreundlichkeit einer Software können Sie am besten mit Interviews oder Fragebögen messen. Setzen Sie auch hier kulturspezifische Werkzeuge ein, sonst erhalten Sie geschönte Daten!
Dr. Lothar Gutjahr begleitet als Mediator, Qualitätsauditor und Coach Führungskräfte und internationale Teams. Der Psychologe Christoph Nesgen ist selbstständiger Trainer und Berater mit den Themen Führung und Teamentwicklung. Beide Autoren sind für die Unternehmensberatung Konzepte GmbH tätig.