Die Welt in der Krise
Es ist Frühjahr 2009 und die Welt steckt mitten in einer Rezession. Für das Gesamtjahr rechnet der Internationale Währungsfonds mit einem Rückgang des Weltwirtschaftswachstums um 1,3 % – das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegszeit. Über eine Billiarde Euro aus diversen Konjunkturprogrammen können die Rezession nicht aufhalten, sondern nur Katastrophen verhindern. Und die noch schlechtere Nachricht: Deutschland steht das Schlimmste erst bevor, wie ein Blick auf die Arbeitslosenquote nahelegt. Gewöhnlich hinkt Deutschland der Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft hinterher. Während die Arbeitslosenquote in den USA seit 2007 unaufhörlich ansteigt, freute man sich hier noch im Winter 2008/09 über die vorläufig geringste Anzahl an Arbeitslosen. Kein Wunder, dass in Deutschland viele mit Erstaunen zusehen, wie in den USA das Schreckgespenst Rezession an die Wand gemalt wird. Unser Land kann sich aber von der Dynamik der Weltwirtschaft nicht abkoppeln, schließlich ist es Spezialist für die Produktion von Investitionsgütern. Geht es den Unternehmen anderswo schlecht, fragen sie keine Güter aus Deutschland mehr nach und die Arbeitslosigkeit steigt auch hier.
„Deutschland steht heute nicht am Ende, sondern am Beginn seiner schwersten Konjunkturkrise seit der Weltwirtschaftskrise.“
Neben der Rezession sehen wir uns einer Finanzkrise gegenüber, wie wir sie seit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr erlebt haben. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch aus makroökonomischer Sicht ist eines augenfällig: Die Amerikaner konsumierten zu viel und sparten zu wenig. Viele Menschen lebten auf Kredit, anstatt ihr Geld auf die Bank zu bringen, damit es Unternehmen zur Finanzierung der Investitionen borgen konnten. Daher blieb den USA nur eines übrig: Sie mussten Kapital aus dem Ausland importieren, indem sie z. B. Schuldverschreibungen und Aktien emittierten, die von den ausländischen Anlegern gekauft wurden. Dies führte dazu, dass im Jahr 2008 der Nettokapitalimport der USA auf 790 Milliarden Dollar angewachsen war.
„Das Land schwimmt wie ein Korken auf den Wogen der Weltwirtschaft, der vom Auf und Ab der Wellen heftig geschüttelt wird.“
Das immer höhere Angebot an amerikanischen Wertpapieren konnte nur an den Mann gebracht werden, indem die Emittenten immer höhere Renditen in Aussicht stellten. Zudem hatten die Amerikaner viele ihrer Immobilien auf Pump gekauft, da diese scheinbar laufend an Wert gewannen. Im Juni 2006 platzte jedoch die Immobilienblase. Viele Hausbesitzer konnten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen. Diese besicherten so genannte Collateralized Debt Obligations (CDOs). CDOs sind Wertpapiere, die letztendlich einen Anspruch z. B. auf die Rückzahlungsströme von Hypothekendarlehen verbriefen. Einfach gesagt: Kann jemand seine Hypothek nicht mehr bezahlen, erhält auch der CDO-Investor kein Geld. Nun hatten aber sehr viele große Banken in CDO-Papiere investiert. Wie sich herausstellte, sollten das viele dieser Banken nicht überleben.
Zu wenig Haftung, zu wenig Eigenkapital
Wie konnte es zur Finanzkrise kommen? Einer der Gründe liegt in der Haftungsbeschränkung: Sie macht es möglich, Gewinne für sich zu behalten und Verluste an andere weiterzureichen. Geht z. B. eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH in Konkurs, sehen die Gläubiger bzw. die Steuerzahler im schlimmsten Fall von ihrem Geld keinen Cent mehr. Geht es einer Firma hingegen gut, fällt der Profit dem Eigenkapitalgeber zu. Amerikanische Investmentbanken haben dies erkannt und nur noch mit minimalem Eigenkapital „gespielt“ – im Jahr 2006 lagen die durchschnittlichen Eigenkapitalquoten bei 3–4,5 %. Erwirtschafteten die Banken Geld, gaben sie es lieber als Dividende an die Eigentümer weiter, statt das Eigenkapital aufzustocken, sodass dieses in schwierigeren Zeiten als Polster gedient hätte. Ganz im Gegenteil wurde hohes Eigenkapital nicht gerne gesehen, da die Rendite auf das von den Eigentümern bereitgestellte Kapital sinkt, je höher das Eigenkapital ist.
Schulden waren selbstverständlich
In Amerika haben nicht nur die Banken gezockt, sondern auch Privatpersonen. Wenn Sie in Deutschland einen Kredit für ein Haus aufnehmen, müssen Sie für einen Teil der Kaufsumme selbst aufkommen. Und wenn Sie sich die Raten nicht mehr leisten können, haften Sie nicht nur mit der Immobilie, sondern auch mit Ihrem sonstigen Vermögen. Das ist in Amerika anders: Die Banken begannen, die Hauskäufe vollständig zu finanzieren. Im Konkursfall fiel ihnen außerdem nur das Haus zu; das Arbeitseinkommen des Schuldners blieb unangetastet. So kann der Käufer nur gewinnen: Entweder hat er am Ende eine eigene Immobilie oder er steht genauso gut bzw. schlecht da wie vorher.
„Was in der Krise an Verlusten aufgetürmt und an spekulativen Geschäftsmodellen bekannt wurde, übersteigt alle Vorstellungen und legt in der Tat den Vergleich zwischen der Finanzwelt und einer Spielbank nahe.“
Die Amerikaner gingen davon aus, dass die Häuserpreise immer weiter und weiter ansteigen würden, das Eigentum glaubten sie nach ein paar Jahren mit Gewinn wieder verkaufen zu können. Als die Preise fielen, schickten die Kreditnehmer einfach den Hausschlüssel an die Banken – eine Vorgehensweise, die sich im Begriff „Jingle Mail“ (Glöckchenpost) niedergeschlagen hat. Die Banken selbst hatten wenig Wahl: Mit einer Novelle Bill Clintons zum „Community Reinvestment Act“ wurden sie gezwungen, auch sozial Schwächeren Kredite zu gewähren. Taten sie es nicht, erhielten sie von den Aufsichtsbehörden schlechte Bewertungen.
Heiße Kartoffeln
Die Banken mussten sich etwas überlegen, um ihre Kredite an sozial Schwache, so genannte Subprime-Kredite, loszuwerden. Sie verbrieften die Kreditansprüche, splitterten sie in verschiedene Bonitätskategorien auf und verkauften sie am Kapitalmarkt weiter – es entstanden Mortgage Backed Securities (MBS). Natürlich erwarben die anderen Kapitalmarktteilnehmer diese nur zu einem geringen Preis und trennten sich bald wieder von ihnen. Keiner wollte die heißen Kartoffeln behalten. Die Investmentbanken mischten gute und schlechte MBS, teilten sie auf verschiedene Töpfe auf und verbrieften sie nochmals zu den bereits erwähnten CDOs. Bei jeder neuen Verbriefung verdienten die Banken ein Honorar. Die daraus hervorgegangenen Produkte – also Ansprüche auf Ansprüche auf Ansprüche – verstand am Ende keiner mehr.
„Das Unglück brach über die Welt herein, weil sich der Bazillus der Haftungsbeschränkung von Amerika aus über die Welt verbreitet und die Finanzmärkte infiziert hat.“
Die Ratingagenturen sahen ihnen dabei zu, da sie von den Investmentbanken und nicht von den Käufern der CDOs bezahlt wurden. Wie wenig Einblick diese Agenturen haben, sieht man am Beispiel Lehman Brothers. Die Bank erhielt noch eine Woche vor dem Zusammenbruch die sehr gute Note A+. Die Aufsichtsbehörden genehmigten die obskuren Finanzprodukte, weil sie den Banken im eigenen Land keine Wettbewerbsnachteile aufbürden wollten.
Das große Bankensterben
Im Sommer 2007 sahen sich die Ratingagenturen dann aber doch gezwungen, immobilienbesicherte Schuldverschreibungen herabzustufen, sodass diese teilweise dramatisch an Wert verloren. Die britische Bank Northern Rock bekam die Auswirkungen als erste zu spüren – die anderen Banken wollten ihr kein Geld mehr leihen, weil sie annahmen, dass Northern Rock aufgrund der hohen Wertpapierverluste nicht mehr kreditwürdig sei. Im Februar 2008 musste die Bank schließlich verstaatlicht werden.
„In Amerika ist man der Dumme, wenn man keine Schulden macht.“
Auch die deutsche Sachsen LB und andere Landesbanken gerieten in Bedrängnis. Im September 2008 kam es zur Verstaatlichung der beiden größten Hypothekenbanken der Welt, Fannie Mae (FNMA) und Freddie Mac (FHLMC). Und als kurz danach die bis dahin profitable US-Investmentbank Lehman Brothers pleiteging und bekannt wurde, dass sie vom US-Finanzministerium keine Hilfe erwarten durfte, wurde die Finanzkrise akut. Das Ergebnis: 83 Banken meldeten im Jahr 2008 Konkurs an, wurden verstaatlicht oder von anderen Unternehmen übernommen.
Rettungsversuche
Im Oktober 2008 befassten sich der G7-Gipfel in Washington und die EU-Konferenz in Paris mit der Frage, wie man das Bankensystem retten könne. Die USA schnürten ein Rettungspaket in Höhe von 1,7 Billionen Dollar, Deutschland will 578 und Großbritannien 571 Milliarden Euro aufwenden. Insgesamt sind weltweit 4,1 Billionen Euro in Form von Bürgschaften, Krediten, Subventionen und Eigenkapital vorgesehen. Damit ist es jedoch nicht getan. Die Banken müssten dringend ihre Eigenkapitalbasis stärken. Doch sie wollen sich nicht helfen lassen, da sie ihre Entscheidungen ohne Beeinflussung des Staates treffen möchten. Zudem dürfen Vorstandsmitglieder von Banken in Deutschland bei Inanspruchnahme von Staatshilfen höchstens 500 000 € pro Jahr verdienen – ein empfindlicher Einschnitt.
„Die Manager sträuben sich aufgrund der Beschneidung ihrer Gehälter gegen die Annahme des staatlichen Geldes, auch wenn sie für ihre Ablehnung allerlei andere Gründe vorschieben.“
Die Banken versuchen, sich zu sanieren, indem sie einfach weniger Kredite an Unternehmen vergeben. Doch die deutschen Unternehmen benötigen diese Kredite für die Produktion von Investitionsgütern dringend – die Kreditklemme führt zu einem Einbruch in der Realwirtschaft. Zum Bankenrettungspaket kommen daher in den Jahren 2008–2010 noch Konjunkturprogramme zur Belebung der Wirtschaft in Höhe von 1,1 Billionen Euro in den G-20-Staaten dazu, in Form von Steuersenkungen, Transferleistungen und Unternehmenskäufen durch den Staat. Doch genau wie Rauschgift bringen diese Programme nur kurzfristig Besserung. Auf lange Sicht bewirken die daraus resultierenden Staatschulden genau das Gegenteil.
Wege zu einem besseren Bankensystem
Zuerst müssen die Staatsausgaben die Not lindern, danach heißt es, die Eigenkapitalregulierung in Angriff zu nehmen. Die Tatsache, dass sich Banken gegenseitig kein Geld mehr leihen und daher zu wenig Liquidität im Markt ist, ist nur das Symptom einer zu geringen Eigenkapitaldecke der Banken. Der Staat muss sich an den Banken beteiligen und die Eigenkapitalquoten haben auch langfristig ein höheres Mindestmaß zu erfüllen. Mit Bürgschaften alleine ist es nicht getan. Für sein Investment soll der Staat Aktien erhalten, die er – sofern sich das System erholt – mit Gewinn wieder verkaufen kann und muss. Um Mindeststandards für Finanzprodukte durchzusetzen, bedarf es einer internationalen Harmonisierung der Regulierungsregeln.
„Bildlich gesprochen hat Amerika Opium zu sich genommen und leidet jetzt an Entzugserscheinungen, weil der Fluss des Opiums versagt.“
Genauso wie die Aktionäre eines Unternehmens dank der Haftungsbeschränkung nur an den Gewinnen, nicht aber an den Verlusten beteiligt sind, erhalten Manager einen Bonus, wenn alles gut läuft, wohingegen ihnen in schlechten Zeiten das Gehalt nicht gekürzt wird. So werden sie dazu animiert, hohe Risiken einzugehen, da sie ja dabei nicht verlieren können. Das muss sich ändern. Zwar sollte sich der Staat selbst nicht in die Entlohnungssysteme einmischen. Aber die Aktionäre werden sich darum kümmern, wenn erst einmal mehr von ihrem eigenen Geld – in Form einer höheren Eigenkapitalquote – auf dem Spiel steht.
„Es kann nicht sein, dass auf den Finanzmärkten weiterhin Wilder Westen gespielt wird.“
Die Bilanzierung nach IFRS (International Financial Reporting Standard) erlaubt, Wertpapiere in der Bilanz mit dem Kurswert anzusetzen. Steigen diese, werden demnach Gewinne gezeigt, die niemals realisiert wurden. Nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) ist es anders: Hier muss immer der niedrigere der beiden Werte Marktwert und historischer Ankaufswert ausgewiesen werden. Dieses so genannte Niederstwertprinzip ist dem IFRS-Prinzip vorzuziehen.
„Der Staat hat viele Aufgaben in der Marktwirtschaft. Der Eingriff in die Entlohnungssysteme der Privatwirtschaft gehört aber bestimmt nicht dazu.“
Die Ratingagenturen müssen ab sofort von den Kunden bezahlt werden, nicht mehr von den bewerteten Unternehmen. Zudem sollten sie selbst beaufsichtigt und die Kriterien ihrer Beurteilungen transparent gemacht werden. Die Staaten müssen das mehrmalige Verbriefen von Ansprüchen verbieten, da sonst niemand mehr die daraus entstehenden Produkte versteht. Zudem ist vorzuschreiben, dass jede Bank beispielsweise nur 80 % der von ihr verbrieften Ansprüche weiterverkaufen darf.