Kasino-Kapitalismus

Buch Kasino-Kapitalismus

Wie es zur Finanzkrise kam, und was jetzt zu tun ist

Econ,


Rezension

Achtung, warm anziehen: Die wahre Krise steht uns laut Hans-Werner Sinn erst noch bevor. Der Präsident des deutschen ifo Instituts für Wirtschafts­forschung ortet die Ursachen der Rezession sowohl bei den Banken als auch bei der Politik und nimmt in der Frage, wem der Schwarze Peter zuzuschieben ist, kein Blatt vor den Mund. Sinn ar­gu­men­tiert wis­senschaftlich präzise, ohne in mühsamen Jargon zu verfallen, und er schafft es, komplexe Phänomene einfach zu erklären. Wenn man seinem Buch etwas vorwerfen kann, dann dass es bereits etwas spät kommt und der Aktualität notge­drun­gen hin­ter­her­hinkt. Die de­tail­lierte Chronologie der Finanzkrise im Anhang hätte man sich sparen können, die „Wege zu einem besseren Fi­nanzsys­tem“ hingegen kommen mit knapp 20 Seiten eher zu kurz. Trotzdem: eines der best­fundierten Bücher über die Krise, meint BooksInShort und empfiehlt es Anlegern, Jour­nal­is­ten und allen, die im Finanzwesen tätig sind.

Take-aways

  • 2009 haben wir es mit einer Wirtschaft­skrise zu tun, die gerade erst ihren Anfang genommen hat.
  • 83 Banken gingen im Jahr 2008 in Konkurs, wurden ver­staatlicht oder von anderen Unternehmen übernommen.
  • Bil­lio­nen­schwere Kon­junk­tur­pro­gramme und Banken­ret­tungspakete lindern nur die ersten Auswirkun­gen der Krise.
  • Die Eigenkap­i­talquote der Banken muss angehoben werden.
  • Ratin­ga­gen­turen müssen von ihren Kunden bezahlt werden, nicht mehr von den bewerteten Unternehmen.
  • Mehrstu­figes Verbriefen von Ansprüchen gehört verboten.
  • Banken sollen nur einen bestimmten Anteil der von ihnen verbrieften Ansprüche weit­er­verkaufen dürfen.
  • Das Banken­sys­tem muss in­ter­na­tional reguliert werden, damit Min­dest­stan­dards für Fi­nanzpro­dukte durchge­setzt werden können.
  • Wertpapiere müssen wieder nach dem „Nieder­st­wert­prinzip“ bilanziert werden. In die Höhe getriebene Kurswerte verfälschen die Bilanzen.
  • Der Staat soll sich nicht in Ent­loh­nungssys­teme einmischen – aber die Aktionäre.
 

Zusammenfassung

Die Welt in der Krise

Es ist Frühjahr 2009 und die Welt steckt mitten in einer Rezession. Für das Gesamtjahr rechnet der In­ter­na­tionale Währungsfonds mit einem Rückgang des Weltwirtschaftswach­s­tums um 1,3 % – das schlecht­este Ergebnis in der Nachkriegszeit. Über eine Billiarde Euro aus diversen Kon­junk­tur­pro­gram­men können die Rezession nicht aufhalten, sondern nur Katas­tro­phen verhindern. Und die noch schlechtere Nachricht: Deutschland steht das Schlimmste erst bevor, wie ein Blick auf die Ar­beit­slosen­quote nahelegt. Gewöhnlich hinkt Deutschland der Entwicklung der amerikanis­chen Wirtschaft hinterher. Während die Ar­beit­slosen­quote in den USA seit 2007 unaufhörlich ansteigt, freute man sich hier noch im Winter 2008/09 über die vorläufig geringste Anzahl an Ar­beit­slosen. Kein Wunder, dass in Deutschland viele mit Erstaunen zusehen, wie in den USA das Schreck­ge­spenst Rezession an die Wand gemalt wird. Unser Land kann sich aber von der Dynamik der Weltwirtschaft nicht abkoppeln, schließlich ist es Spezialist für die Produktion von In­vesti­tionsgütern. Geht es den Unternehmen anderswo schlecht, fragen sie keine Güter aus Deutschland mehr nach und die Ar­beit­slosigkeit steigt auch hier.

„Deutschland steht heute nicht am Ende, sondern am Beginn seiner schwersten Kon­junk­turkrise seit der Weltwirtschaft­skrise.“

Neben der Rezession sehen wir uns einer Finanzkrise gegenüber, wie wir sie seit der Weltwirtschaft­skrise 1929 nicht mehr erlebt haben. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch aus makroökonomischer Sicht ist eines augenfällig: Die Amerikaner kon­sum­ierten zu viel und sparten zu wenig. Viele Menschen lebten auf Kredit, anstatt ihr Geld auf die Bank zu bringen, damit es Unternehmen zur Fi­nanzierung der In­vesti­tio­nen borgen konnten. Daher blieb den USA nur eines übrig: Sie mussten Kapital aus dem Ausland importieren, indem sie z. B. Schuld­ver­schrei­bun­gen und Aktien emittierten, die von den ausländischen Anlegern gekauft wurden. Dies führte dazu, dass im Jahr 2008 der Net­tokap­i­talimport der USA auf 790 Milliarden Dollar angewachsen war.

„Das Land schwimmt wie ein Korken auf den Wogen der Weltwirtschaft, der vom Auf und Ab der Wellen heftig geschüttelt wird.“

Das immer höhere Angebot an amerikanis­chen Wert­pa­pieren konnte nur an den Mann gebracht werden, indem die Emittenten immer höhere Renditen in Aussicht stellten. Zudem hatten die Amerikaner viele ihrer Immobilien auf Pump gekauft, da diese scheinbar laufend an Wert gewannen. Im Juni 2006 platzte jedoch die Im­mo­bilien­blase. Viele Haus­be­sitzer konnten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen. Diese besicherten so genannte Col­lat­er­al­ized Debt Obligations (CDOs). CDOs sind Wertpapiere, die let­z­tendlich einen Anspruch z. B. auf die Rück­zahlungsströme von Hy­pothek­endar­lehen verbriefen. Einfach gesagt: Kann jemand seine Hypothek nicht mehr bezahlen, erhält auch der CDO-In­vestor kein Geld. Nun hatten aber sehr viele große Banken in CDO-Papiere investiert. Wie sich her­ausstellte, sollten das viele dieser Banken nicht überleben.

Zu wenig Haftung, zu wenig Eigenkap­i­tal

Wie konnte es zur Finanzkrise kommen? Einer der Gründe liegt in der Haf­tungs­beschränkung: Sie macht es möglich, Gewinne für sich zu behalten und Verluste an andere weit­erzure­ichen. Geht z. B. eine Ak­tienge­sellschaft oder eine GmbH in Konkurs, sehen die Gläubiger bzw. die Steuerzahler im schlimmsten Fall von ihrem Geld keinen Cent mehr. Geht es einer Firma hingegen gut, fällt der Profit dem Eigenkap­i­tal­ge­ber zu. Amerikanis­che In­vest­ment­banken haben dies erkannt und nur noch mit minimalem Eigenkap­i­tal „gespielt“ – im Jahr 2006 lagen die durch­schnit­tlichen Eigenkap­i­talquoten bei 3–4,5 %. Er­wirtschafteten die Banken Geld, gaben sie es lieber als Dividende an die Eigentümer weiter, statt das Eigenkap­i­tal aufzu­s­tocken, sodass dieses in schwierigeren Zeiten als Polster gedient hätte. Ganz im Gegenteil wurde hohes Eigenkap­i­tal nicht gerne gesehen, da die Rendite auf das von den Eigentümern bere­it­gestellte Kapital sinkt, je höher das Eigenkap­i­tal ist.

Schulden waren selbstverständlich

In Amerika haben nicht nur die Banken gezockt, sondern auch Pri­vat­per­so­nen. Wenn Sie in Deutschland einen Kredit für ein Haus aufnehmen, müssen Sie für einen Teil der Kaufsumme selbst aufkommen. Und wenn Sie sich die Raten nicht mehr leisten können, haften Sie nicht nur mit der Immobilie, sondern auch mit Ihrem sonstigen Vermögen. Das ist in Amerika anders: Die Banken begannen, die Hauskäufe vollständig zu finanzieren. Im Konkursfall fiel ihnen außerdem nur das Haus zu; das Ar­beit­seinkom­men des Schuldners blieb unange­tastet. So kann der Käufer nur gewinnen: Entweder hat er am Ende eine eigene Immobilie oder er steht genauso gut bzw. schlecht da wie vorher.

„Was in der Krise an Verlusten aufgetürmt und an speku­la­tiven Geschäftsmodellen bekannt wurde, übersteigt alle Vorstel­lun­gen und legt in der Tat den Vergleich zwischen der Finanzwelt und einer Spielbank nahe.“

Die Amerikaner gingen davon aus, dass die Häuserpreise immer weiter und weiter ansteigen würden, das Eigentum glaubten sie nach ein paar Jahren mit Gewinn wieder verkaufen zu können. Als die Preise fielen, schickten die Kred­it­nehmer einfach den Hausschlüssel an die Banken – eine Vorge­hensweise, die sich im Begriff „Jingle Mail“ (Glöckchenpost) niedergeschla­gen hat. Die Banken selbst hatten wenig Wahl: Mit einer Novelle Bill Clintons zum „Community Rein­vest­ment Act“ wurden sie gezwungen, auch sozial Schwächeren Kredite zu gewähren. Taten sie es nicht, erhielten sie von den Auf­sichts­behörden schlechte Bewertungen.

Heiße Kartoffeln

Die Banken mussten sich etwas überlegen, um ihre Kredite an sozial Schwache, so genannte Sub­prime-Kred­ite, loszuwerden. Sie verbrieften die Kreditansprüche, splitterten sie in ver­schiedene Bonitätskat­e­gorien auf und verkauften sie am Kap­i­tal­markt weiter – es entstanden Mortgage Backed Securities (MBS). Natürlich erwarben die anderen Kap­i­tal­mark­t­teil­nehmer diese nur zu einem geringen Preis und trennten sich bald wieder von ihnen. Keiner wollte die heißen Kartoffeln behalten. Die In­vest­ment­banken mischten gute und schlechte MBS, teilten sie auf ver­schiedene Töpfe auf und verbrieften sie nochmals zu den bereits erwähnten CDOs. Bei jeder neuen Verbriefung verdienten die Banken ein Honorar. Die daraus her­vorge­gan­genen Produkte – also Ansprüche auf Ansprüche auf Ansprüche – verstand am Ende keiner mehr.

„Das Unglück brach über die Welt herein, weil sich der Bazillus der Haf­tungs­beschränkung von Amerika aus über die Welt verbreitet und die Finanzmärkte infiziert hat.“

Die Ratin­ga­gen­turen sahen ihnen dabei zu, da sie von den In­vest­ment­banken und nicht von den Käufern der CDOs bezahlt wurden. Wie wenig Einblick diese Agenturen haben, sieht man am Beispiel Lehman Brothers. Die Bank erhielt noch eine Woche vor dem Zusam­men­bruch die sehr gute Note A+. Die Auf­sichts­behörden genehmigten die obskuren Fi­nanzpro­dukte, weil sie den Banken im eigenen Land keine Wet­tbe­werb­snachteile aufbürden wollten.

Das große Banken­ster­ben

Im Sommer 2007 sahen sich die Ratin­ga­gen­turen dann aber doch gezwungen, im­mo­bilienbesicherte Schuld­ver­schrei­bun­gen her­abzustufen, sodass diese teilweise dramatisch an Wert verloren. Die britische Bank Northern Rock bekam die Auswirkun­gen als erste zu spüren – die anderen Banken wollten ihr kein Geld mehr leihen, weil sie annahmen, dass Northern Rock aufgrund der hohen Wert­pa­pierver­luste nicht mehr kreditwürdig sei. Im Februar 2008 musste die Bank schließlich ver­staatlicht werden.

„In Amerika ist man der Dumme, wenn man keine Schulden macht.“

Auch die deutsche Sachsen LB und andere Lan­des­banken gerieten in Bedrängnis. Im September 2008 kam es zur Ver­staatlichung der beiden größten Hy­potheken­banken der Welt, Fannie Mae (FNMA) und Freddie Mac (FHLMC). Und als kurz danach die bis dahin profitable US-In­vest­ment­bank Lehman Brothers pleiteging und bekannt wurde, dass sie vom US-Fi­nanzmin­is­terium keine Hilfe erwarten durfte, wurde die Finanzkrise akut. Das Ergebnis: 83 Banken meldeten im Jahr 2008 Konkurs an, wurden ver­staatlicht oder von anderen Unternehmen übernommen.

Ret­tungsver­suche

Im Oktober 2008 befassten sich der G7-Gipfel in Washington und die EU-Kon­ferenz in Paris mit der Frage, wie man das Banken­sys­tem retten könne. Die USA schnürten ein Ret­tungspaket in Höhe von 1,7 Billionen Dollar, Deutschland will 578 und Großbritannien 571 Milliarden Euro aufwenden. Insgesamt sind weltweit 4,1 Billionen Euro in Form von Bürgschaften, Krediten, Sub­ven­tio­nen und Eigenkap­i­tal vorgesehen. Damit ist es jedoch nicht getan. Die Banken müssten dringend ihre Eigenkap­i­tal­ba­sis stärken. Doch sie wollen sich nicht helfen lassen, da sie ihre Entschei­dun­gen ohne Bee­in­flus­sung des Staates treffen möchten. Zudem dürfen Vor­standsmit­glieder von Banken in Deutschland bei Inanspruch­nahme von Staat­shil­fen höchstens 500 000 € pro Jahr verdienen – ein empfind­licher Einschnitt.

„Die Manager sträuben sich aufgrund der Beschnei­dung ihrer Gehälter gegen die Annahme des staatlichen Geldes, auch wenn sie für ihre Ablehnung allerlei andere Gründe vorschieben.“

Die Banken versuchen, sich zu sanieren, indem sie einfach weniger Kredite an Unternehmen vergeben. Doch die deutschen Unternehmen benötigen diese Kredite für die Produktion von In­vesti­tionsgütern dringend – die Kred­itk­lemme führt zu einem Einbruch in der Re­al­wirtschaft. Zum Banken­ret­tungspaket kommen daher in den Jahren 2008–2010 noch Kon­junk­tur­pro­gramme zur Belebung der Wirtschaft in Höhe von 1,1 Billionen Euro in den G-20-Staaten dazu, in Form von Steuersenkun­gen, Trans­fer­leis­tun­gen und Un­ternehmenskäufen durch den Staat. Doch genau wie Rauschgift bringen diese Programme nur kurzfristig Besserung. Auf lange Sicht bewirken die daraus re­sul­tieren­den Staatschulden genau das Gegenteil.

Wege zu einem besseren Banken­sys­tem

Zuerst müssen die Staat­saus­gaben die Not lindern, danach heißt es, die Eigenkap­i­tal­reg­ulierung in Angriff zu nehmen. Die Tatsache, dass sich Banken gegenseitig kein Geld mehr leihen und daher zu wenig Liquidität im Markt ist, ist nur das Symptom einer zu geringen Eigenkap­i­taldecke der Banken. Der Staat muss sich an den Banken beteiligen und die Eigenkap­i­talquoten haben auch langfristig ein höheres Mindestmaß zu erfüllen. Mit Bürgschaften alleine ist es nicht getan. Für sein Investment soll der Staat Aktien erhalten, die er – sofern sich das System erholt – mit Gewinn wieder verkaufen kann und muss. Um Min­dest­stan­dards für Fi­nanzpro­dukte durchzuset­zen, bedarf es einer in­ter­na­tionalen Har­mon­isierung der Reg­ulierungsregeln.

„Bildlich gesprochen hat Amerika Opium zu sich genommen und leidet jetzt an Entzugser­schei­n­un­gen, weil der Fluss des Opiums versagt.“

Genauso wie die Aktionäre eines Un­ternehmens dank der Haf­tungs­beschränkung nur an den Gewinnen, nicht aber an den Verlusten beteiligt sind, erhalten Manager einen Bonus, wenn alles gut läuft, wohingegen ihnen in schlechten Zeiten das Gehalt nicht gekürzt wird. So werden sie dazu animiert, hohe Risiken einzugehen, da sie ja dabei nicht verlieren können. Das muss sich ändern. Zwar sollte sich der Staat selbst nicht in die Ent­loh­nungssys­teme einmischen. Aber die Aktionäre werden sich darum kümmern, wenn erst einmal mehr von ihrem eigenen Geld – in Form einer höheren Eigenkap­i­talquote – auf dem Spiel steht.

„Es kann nicht sein, dass auf den Finanzmärkten weiterhin Wilder Westen gespielt wird.“

Die Bi­lanzierung nach IFRS (In­ter­na­tional Financial Reporting Standard) erlaubt, Wertpapiere in der Bilanz mit dem Kurswert anzusetzen. Steigen diese, werden demnach Gewinne gezeigt, die niemals realisiert wurden. Nach dem deutschen Han­dels­ge­set­zbuch (HGB) ist es anders: Hier muss immer der niedrigere der beiden Werte Marktwert und his­torischer Ankaufswert ausgewiesen werden. Dieses so genannte Nieder­st­wert­prinzip ist dem IFRS-Prinzip vorzuziehen.

„Der Staat hat viele Aufgaben in der Mark­twirtschaft. Der Eingriff in die Ent­loh­nungssys­teme der Pri­vatwirtschaft gehört aber bestimmt nicht dazu.“

Die Ratin­ga­gen­turen müssen ab sofort von den Kunden bezahlt werden, nicht mehr von den bewerteten Unternehmen. Zudem sollten sie selbst beauf­sichtigt und die Kriterien ihrer Beurteilun­gen transparent gemacht werden. Die Staaten müssen das mehrmalige Verbriefen von Ansprüchen verbieten, da sonst niemand mehr die daraus entste­hen­den Produkte versteht. Zudem ist vorzuschreiben, dass jede Bank beispiel­sweise nur 80 % der von ihr verbrieften Ansprüche weit­er­verkaufen darf.

Über den Autor

Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschafts­forschung und Ordinarius an der LMU München. Der renommierte Ökonom hat u. a. die Bestseller Ist Deutschland noch zu retten? und Das grüne Paradoxon geschrieben.