Eine Wirtschaftsmacht mit eigenem Gesicht
China entwickelt sich zum wichtigsten Wirtschaftsmotor der Welt. Zwar lauern im Reich der Mitte noch immer viele Gefahren, etwa die wirtschaftliche Überhitzung, Umweltzerstörung oder Produktpiraterie. Doch für die meisten westlichen Unternehmer überwiegen die Chancen.
„Ein Chinese wird Ihnen als westlichem Geschäftspartner erst Vertrauen und Freundschaft schenken, wenn Sie eine private Beziehung zu ihm aufgebaut haben.“
Um diese wahrzunehmen, müssen Sie sich intensiv mit der chinesischen Mentalität auseinandersetzen. Nicht Gesetze, sondern ungeschriebene moralische Regeln bilden in China die Grundlage für Verhandlungen. Diese sind untrennbar mit der Person verbunden. Politische Hintergründe und die Familie spielen oft eine entscheidende Rolle. Verhandlungspartner suchen zunächst Gemeinsamkeiten und kommunizieren abwartend. Der Schwerpunkt liegt bei Verhandlungsbeginn auf dem sozialen Austausch. Wichtig dabei: Die Chinesen müssen ihr Gesicht wahren. Kritik wird nicht offen geäußert. Wenn Konflikte auftreten, wird versucht, sie auf der Basis persönlicher Beziehungen zu regeln, nicht mithilfe von Vertragstexten.
Verhandlungspartner kennenlernen
Die chinesische Kultur ist traditionell kollektiv und familiär geprägt. Doch auch in China wird die Groß- allmählich von der Kleinfamilie abgelöst. Westlichen Geschäftsleuten bietet sich die Chance, die entstehenden Lücken zu füllen: Wo sich Familienmitglieder nicht mehr wie früher gegenseitig helfen, können Sie einem Geschäftspartner Hilfe anbieten, wenn er sie benötigt, und so eine langfristige Beziehung aufbauen. Wenn Sie es mit einem Entscheidungsträger zu tun haben, glänzen Sie mit Fachkenntnissen in seinem Interessengebiet. Loben Sie ihn gegenüber Dritten, ohne dass es aufgesetzt und anbiedernd wirkt. Filtern Sie gezielt alle Informationen aus dem Alltag Ihres Partners heraus, die Ihnen nutzen könnten: z. B. die Zahl und das Alter seiner Kinder, Hobbys oder die bevorzugte Zigarettenmarke. Wenn Sie Geschenke machen oder annehmen, entsteht dabei immer ein Wechselspiel gegenseitiger Verpflichtungen. Achten Sie darauf, nicht bei Ihrem Geschäftspartner in der Schuld zu stehen, sonst werden Sie leicht erpressbar.
„Sie sollten bedenken, dass China nicht nur eine sehr alte Kultur besitzt, sondern dass die mehrere tausend Jahre alte feudale Herrschaft den Menschen auch ein sehr scharfes Gespür für Abhängigkeiten verliehen hat.“
Entwickeln Sie Verständnis für chinesische Sichtweisen und Strategien. Wenn Sie z. B. eine Bitte abschlagen oder ein Produkt als zu schlecht verarbeitet zurückweisen, bleibt ein chinesischer Geschäftsmann hartnäckig und verhandelt weiter – fast so, als hätte er Sie gar nicht gehört. Tatsächlich geht er davon aus, dass Sie nur den Preis weiter drücken oder andere Bedingungen aushandeln möchten. Chinesen sagen niemals Nein und nur selten uneingeschränkt Ja. Stattdessen halten sie sich in Verhandlungen alle Möglichkeiten offen: um bessere Konditionen auszuhandeln, sich lautlos zurückzuziehen oder die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Im Westen hat ihnen dieses Verhalten den Ruf der Unehrlichkeit eingebracht. Oft ist es aber nur Selbstschutz gegenüber Vorgesetzten oder der Wunsch, das Gegenüber nicht zu kränken. Darüber hinaus sind chinesische Verhandlungspartner oft sehr schweigsam. Dahinter steckt die Maxime „Nur drei Sätze reden“: viel fragen und aufmerksam zuhören, um wichtige Informationen zu sammeln. Versuchen Sie, es genauso zu machen. Wer viel redet, gibt unnötig viel preis.
Strategisch vorgehen
Nicht alle chinesischen Geschäftsleute beherrschen die englische Sprache verhandlungssicher. Engagieren Sie in solchen Fällen einen qualifizierten Dolmetscher. Dieser fungiert auch als Kulturvermittler und kann Verhandlungen zu Ihren Gunsten beeinflussen. Überprüfen Sie seine Referenzen – illoyale Dolmetscher richten oft große Schäden an, wenn sie der Gegenseite zuspielen. Falls Sie Ihren Geschäftspartner nach Europa einladen, verwöhnen Sie ihn und nehmen Sie, wenn irgend möglich, persönlich am Rahmenprogramm teil.
„Jede Art des Beifalls dient dem Erreichen eines Ziels: Man will beim Gegenüber einen guten Eindruck hinterlassen.“
Machen Sie sich vor dem ersten Treffen mit der üblichen Rollenverteilung in einem chinesischen Verhandlungsteam vertraut und üben Sie, vielleicht mit einem chinesischen Experten, ähnliche Rollen ein:
- Der Verhandlungsführer leitet, koordiniert und entscheidet die Fachfragen.
- Das „Weiße Gesicht“ spielt den zustimmenden Part: Verständnisvoll und interessiert, gibt er Ihnen das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein.
- Das „Rote Gesicht“ spielt die ablehnende Rolle: Er blockiert, widerspricht und versucht, Sie einzuschüchtern, ohne einen Abbruch der Verhandlungen zu riskieren.
- Der kompromisslose Verhandlungspartner bleibt in allen Punkten hart und nimmt ggf. nicht endgültig festgelegte Preiszusagen zurück.
- Der Kontrolleur dokumentiert, fasst zusammen und gibt festgefahrenen Gesprächen neuen Schwung.
„Bekommt ein Käufer keine Gelegenheit zum Handeln, wird er sich übervorteilt fühlen.“
Schreiben Sie ein Drehbuch, in dem Sie festlegen, wer in welcher Situation was sagt. Und setzen Sie bei wichtigen Entscheidungen ruhig auf Ihre Mitarbeiterinnen: Chinesische Männer sind in der Gegenwart von Frauen entspannter und machen eher Fehler. Sie unterschätzen das weibliche Geschlecht und möchten Frauen instinktiv beschützen. Am Ende Ihrer Vorbereitungen entwickeln Sie ein ideales, ein normales und ein Worst-Case-Szenario für Ihr Geschäft. Definieren Sie genau, wie weit Sie gehen können, um nicht selbst in den Miesen zu landen. Halten Sie für jedes Szenario einen Plan B, d. h. eine Alternative zum Weiterverhandeln bereit.
Langsame Annäherung
Lassen Sie über die Verhandlungen Protokoll führen und dieses von beiden Seiten unterschreiben. Nur so können Sie verhindern, dass wichtige Abmachungen bei Vertragsabschluss „vergessen“ werden und zeitraubende Nachverhandlungen erfordern. Nutzen Sie kleine Täuschungsmanöver, um Verhandlungen in die gewünschte Richtung zu lenken und Ihr Gegenüber besser kennenzulernen. Sie können z. B. bewusst einen winzigen Berechnungsfehler zugunsten des Geschäftspartners einbauen und ihn erst kurz vor Verhandlungsende „bemerken“. Ziel solcher und ähnlicher Taktiken ist es, Ihr Gegenüber abzulenken und zu testen. Passen Sie auch Ihre Körpersprache an: Vermeiden Sie direkten Blickkontakt, da Chinesen diesen als bedrohlich empfinden. Lassen Sie sich Ihrerseits von reglosen Mienen nicht aus der Ruhe bringen. Chinesen sind geübt darin, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Nicken Sie, wann immer es angebracht ist: In China ist das kein Ausdruck von Unterwürfigkeit, sondern verdeutlicht aufrichtiges Interesse.
„Eine Geschäftsverhandlung ist wie ein Musikstück: Sie müssen die Melodie und den Rhythmus erfassen.“
Um Chinesen zu überzeugen, müssen Sie ihr Vertrauen gewinnen. Geben Sie sich während der Verhandlungen aufrichtig und bescheiden. In den Pausen sollten Sie dagegen herzlich auftreten, auf Ihren Gesprächspartner zugehen und z. B. über Kleidung – Chinesen sind sehr statusbewusst –, gemeinsame Hobbys oder Kindererziehung plaudern. Bedenken Sie, dass in chinesischen Firmen 80 % der Zeit für die Pflege sozialer Beziehungen draufgehen und nur 20 % fürs Fachliche.
Preisverhandlungen
Chinesische Geschäftsleute haben zu Recht den Ruf, gnadenlose Preisdrücker zu sein. Knüpfen Sie nötige Zugeständnisse deshalb immer an Bedingungen, nach dem Motto: „Wir verkaufen zum Preis x, aber nur wenn Sie mir die Menge y abnehmen.“ Erfinden Sie Vorwände, etwa dass Sie nicht befugt seien, Preise zu senken. Oder bieten sie zum Ausgleich zusätzliche Dienstleistungen an. Wenn Ihnen die Forderungen des chinesischen Geschäftspartners übertrieben erscheinen, sagen Sie es ihm nicht direkt auf den Kopf zu. Bringen Sie ihn lieber durch indirekte Fragen aus dem Konzept: „Wie viele Konkurrenzunternehmen in China stellen ähnliche Produkte her wie Sie? Wie viel teurer als Ihr Wettbewerber sind Sie?“ Preisverhandlungen bestehen immer aus den folgenden vier Schritten:
- Preis anbieten: Lassen Sie sehr viel Spielraum nach unten. Chinesen brauchen das Erfolgserlebnis, den anfänglich genannten Preis kräftig zu drücken. Bieten Sie Ihrem Verhandlungspartner auch die Wahl zwischen mehreren Preisgestaltungsoptionen.
- Preisangebot verhandeln: Erklären Sie Ihre Kostenkalkulation. Diskutieren Sie erst die Wünsche des Kunden und dann den Preis. Oder lassen Sie sich seinen Preis nennen und bieten ihm dann, was er dafür erhalten würde (schlechtere Qualität, längere Lieferfristen usw.).
- Preis drücken: Nennt ein Chinese einen Wucherpreis, bitten Sie ruhig um ein faires Angebot. Notfalls brechen Sie die Verhandlungen ab. Ansonsten können Sie seinen Preis mit Zusatzangeboten, z. B. der Aussicht auf eine langfristige Zusammenarbeit, reduzieren.
- Zugeständnisse machen: Gehen Sie Ihrem Verhandlungspartner entgegen, ohne sich ihm zu weit zu nähern. Steigern Sie ganz allmählich die Schwierigkeit, Ihnen Zugeständnisse zu entlocken. Je langsamer Sie auf Forderungen eingehen, desto eher entwickelt Ihr Gegenüber ein Gefühl dafür, wann für Sie das Ende der Fahnenstange erreicht ist.
Druck und Gegendruck
Viele Chinesen versuchen, nach dem 20. Strategem des berühmten Generals Tan Daoji Druck auszuüben. Es lautet: „Das Wasser trüben, um die Fische zu ergreifen“. Es geht dabei darum, Wettbewerber gegeneinander auszuspielen, um selbst als lachender Dritter dazustehen. Notfalls müssen Sie in einem solchen Fall Ihre Mitbewerber kontaktieren und gemeinsam vor Ihrem Verhandlungspartner auftreten. Lassen Sie es ihn aber niemals spüren, wenn Sie unter Zeitdruck stehen. Bleiben Sie gelassen. Ihr Gegenüber möchte die Verhandlungen genauso schnell zu Ende führen wie Sie. Versuchen Sie u. U., auf dessen Vorgesetzte, Ehepartner oder Freunde Einfluss zu nehmen. Sobald der Prozess ins Stocken gerät, müssen Sie den Grund dafür herausfinden und Missverständnisse ausräumen. Oft empfiehlt sich der Einsatz eines Vermittlers, der mit den Kulturen beider Seiten vertraut ist.
„Wie ein geschickter Angler sollten Sie, sobald der Fisch angebissen hat, ihn ganz langsam aus dem Wasser ziehen. Denn ziehen Sie die Angel mit einem Ruck aus dem Wasser, kann der Fisch entkommen.“
Was aber tun, wenn die Gegenseite eine Ermüdungstaktik fährt und ständig neue Vertreter zu den Verhandlungen schickt? Ziehen Sie sich zurück und überlassen Sie das Verhandeln vorübergehend einem untergeordneten Kollegen ohne Entscheidungsbefugnisse. Manche Chinesen spielen auch Unverständnis vor und bitten Sie, alles noch einmal zu erklären. Oder sie weichen aus, geben vor, sich bei Vorgesetzten rückversichern oder erst noch diverse Behördengänge machen zu müssen. Es kann sogar vorkommen, dass sie Sie bitten mitzugehen. Gehen Sie nicht darauf ein! Ziel dieser und anderer Taktiken ist es, Sie nervös zu machen. Sie sollten nun Gegendruck ausüben und z. B. einmal gemachte Zusagen zurücknehmen.
Nach dem Geschäft ist vor dem Geschäft
Ein Vertragstext ist für Chinesen nur ein Orientierungspunkt. Sehr zum Ärger westlicher Geschäftsleute versuchen sie im Nachhinein fast immer, Änderungen auszuhandeln. Das ist kein Drama, solange Sie die Kontrolle darüber behalten. Legen Sie im Vertrag selbst fest, an welchen Punkten Änderungswünsche möglich sind. Oder kalkulieren Sie diese von Anfang an mit ein, z. B. indem Sie kürzere Lieferfristen angeben als eigentlich benötigt. Bittet Ihr Lieferant dann um eine Verlängerung, können Sie im Gegenzug Zugeständnisse von ihm verlangen. Im Geschäft mit Chinesen gilt allgemein: Die Zeit arbeitet für Sie. Ohne tragfähige Beziehungen geht gar nichts, und Freundschaften brauchen Zeit. Pflegen Sie Ihre Kontakte. Rufen Sie diese unabhängig vom Geschäftlichen ab und zu an, erkundigen Sie sich nach ihrem Befinden und bieten Sie Ihre Hilfe an. Der Erfolg wird Ihnen Recht geben.