So genial wie Einstein - Schlüssel zum kreativen Denken

Buch So genial wie Einstein - Schlüssel zum kreativen Denken

Klett-Cotta,


Rezension

Der Leser erfährt viel in diesem Werk von Howard Gardner. Vor allem über das Leben seiner „Pro­tag­o­nis­ten“, über Freud, Einstein, Picasso, Stravinsky, T. S. Eliot, Martha Graham und Gandhi wird ausführlich berichtet. Im Vergleich ihrer Persönlichkeiten, ihres familiären Backgrounds, ihres Lebensweges und ihres kreativen Auftrags wird vieles klar. Eine ganz und gar schlüssige und allgemein gültige Erklärung für kreatives Denken bleibt uns der Autor allerdings schuldig. Dennoch bekommt man einen Einblick in die Vo­raus­set­zun­gen, die zumindest bei den bemühten sieben Meistern der Moderne zu Ruhm und Ehre geführt haben. Gardner pflegt einen gut verständlichen Sprachstil und hat sein Buch klar und übersichtlich gegliedert, sodass auch punktuell in­ter­essierte Leser auf ihre Kosten kommen. Wer den Hintergründen kreativen Denkens auf die Spur kommen möchte (und für die eigene Persönlichkeit entsprechende Analysen vornehmen will), dem legt BooksInShort das überzeugende Buch als Lektüre ans Herz.

Take-aways

  • Wenn wir die Genialität der modernen Meister begreifen, haben wir die Chance, menschliche Kreativität zu verstehen.
  • Der men­schlichen Kreativität auf die Spur zu kommen setzt voraus, bestimmte Persönlichkeitsmerk­male und Bedürfnisse zu analysieren.
  • Hochbegabte Persönlichkeiten müssen immer auch im Kontext ihrer Zeit gesehen werden.
  • Kreative Menschen bewahren sich ihr kindliches Denken.
  • Spätere Genies zeigten schon als Kinder ausgeprägte Begabungen.
  • Kreative Menschen haben oftmals keine Scheu, sich selbst ins Abseits zu manövrieren: Sie wollen marginal sein.
  • Es ist nicht unerheblich, dass viele Meister der Moderne sich kannten und zeitbedingt gleichen Strömungen und Ereignissen unterlagen.
  • Erst wenn das Talent einer Domäne zugeordnet und von der Mitwelt bewertet und geschätzt wird, spricht man von Kreativität.
  • Stellt man kreative Persönlichkeiten einander gegenüber, fallen bestimmte Gemein­samkeiten auf.
  • Sowohl biologisch als auch psy­chol­o­gisch sind kreative Menschen nicht anders als viele andere, deren Kreativität man aber nicht erkennt.
 

Zusammenfassung

Alles Zufall oder was?

Warum ist eine Person kreativ und eine andere nicht? Und warum ist der Kreative genau in seinem Bereich kreativ und nicht in einem anderen? Es waren zweifellos viele ein­fall­sre­iche Köpfe, die die Moderne eingeleitet haben. Stel­lvertre­tend für sie stehen die sieben „modernen Meister“, die un­ter­schiedliche Betäti­gungs­felder repräsentativ vertreten: Freud, Einstein, Picasso, Stravinsky, T. S. Eliot, Martha Graham und Gandhi. Kennt man ihre geistigen Fähigkeiten, ihre Beson­der­heiten, ihren Charakter und ihren sozialen Hintergrund, fällt es leichter, ihrem kreativen Potenzial auf die Spur zu kommen und Schlussfol­gerun­gen für das Phänomen Kreativität im Allgemeinen zu ziehen.

„Kreative Menschen wollen kreativ sein (...) und sie richten ihr Leben so ein, dass sich die Wahrschein­lichkeit einer Serie kreativer Durchbrüche erhöht.“

Von der Sozial­wis­senschaft aus betrachtet steht dabei die Suche nach En­twick­lungsmustern im Vordergrund. Woran lag es, dass sie, jeder auf seinem Gebiet, Dinge ins Rollen brachten? Gibt es eine Richtschnur, an der sich Kreativität messen lässt? Für die Su­perge­hirne des 20. Jahrhun­derts jedenfalls kann man Gemein­samkeiten feststellen, z. B. in ihrer Persönlichkeitsstruk­tur und ihren Bedürfnissen. Natürlich hat sie auf der einen Seite auch ihre Zeit geprägt – an­der­er­seits ist es ihnen gelungen, ihren Zeitläuften einen Stempel aufzudrücken. Drei Punkte sind dabei relevant und stehen als Kreativitätsdreieck in Wech­sel­beziehung: das kreative Individuum, die Disziplin, in der es arbeitet, und das Umfeld, in dem es lebt.

Dem Geheimnis auf der Spur

Gewährt uns das Kreativitätsdreieck tiefere Einblicke? Im übertragenen Sinne ja, denn es gibt uns ein Werkzeug an die Hand, wie wir die kreativen Denker des 20. Jahrhun­derts genauer beleuchten können. Auf der persönlichen Ebene werden in­tellek­tuelle Stärken und Schwächen untersucht. Wie war das mit den Aussen­beziehun­gen und den El­tern-Kind-Verbindun­gen? Es wird der Grad an Marginalität durch­leuchtet und nach Höhen und Tiefen im kreativen Prozess Ausschau gehalten. Stimmt das mit der Zehn­jahres-Regel? Auf der Ebene der Domäne geht es um die Art der Sym­bol­sys­teme, um kreative Ver­fahrensweisen, den Status der Paradigmen und ihre In­no­va­tion­sempfänglichkeit während der Schaf­fenspe­ri­o­den. Die Ebene des Feldes schliesslich zeigt uns die Beziehungen zu Mentoren, Gegnern und Freunden. Wie hat der Meister sich mit der Öffentlichkeit auseinander gesetzt? Bestimmen hi­er­ar­chis­che Strukturen den Funk­tion­s­mech­a­nis­mus des Feldes? Im Idealfall stimmen persönliche Ebene, Domäne und Feld überein. Will heissen: Es passt alles, eines ergänzt das andere, das Zusam­men­spiel klappt. Dann entsteht in solch einem Milieu schon mal ein Wunderkind.

From the cradle to the grave

Begabung ist eine Vo­raus­set­zung für Kreativität. Alle sieben Meister waren hochbegabte Kinder. Sich an kos­mopoli­tis­chen Schauplätzen aufzuhalten, war typisch für sie. Auch sich auszu­gren­zen, sich „marginal zu machen“, gehört dazu. Man kann den Beweis für ein kreatives Leben auch daran erkennen, dass diesen Menschen auch im Alter viele Möglichkeiten offen stehen und sie diese nutzen. T. S. Eliot ist das markanteste Beispiel dafür, denn er wechselte nacheinan­der vom Dichter zum Schrift­steller, zum Dramatiker, zum Lit­er­aturkri­tiker. Auch Martha Graham, Picasso und Stravinsky blieben buchstäblich bis zum letzten Tag ihres Lebens kreativ.

Der schöpferische Durchbruch, oder: Mit dem Kopf durch die Wand

Welchen bi­ol­o­gis­chen Background haben Kreative? Und wie war das mit den Momenten in ihrem Leben, die man als Durchbruch bezeichnen kann? Betrachtet man den Werdegang der sieben Meister, darf man nicht ausser Acht lassen, dass sie sich z. T. kannten. Da war gegen­seit­ige Bee­in­flus­sung und Inspiration möglich. Gerade für kreative Köpfe wäre es ver­wun­der­lich, würden sie sich nicht vom Genius des anderen bee­in­flussen lassen. Sind Sie kreativ? Dann müssten Sie einer Un­ter­suchung zufolge spezielle Charak­tereigen­schaften aufweisen wie Selb­stver­trauen, Unabhängigkeit, Sensibilität, Scharfsinn, Ehrgeiz. Oder haben sich diese positiven Merkmale bei Ihnen entwickelt, eben weil Sie kreativ sind?

„Der entschei­dende - und umstrittene - Punkt ist, dass nichts an sich kreativ oder nicht-kreativ ist. Was als Kreativität gilt, ist wesentlich gemein­schafts- oder kul­turbe­d­ingt.“

In jedem Fall ist das Streben nach Macht und Geld die Antrieb­s­feder für Kreativität, da sind sich Psy­cho­analyse und amerikanis­cher Be­hav­ior­is­mus einig. Kreative Menschen wollen den schöpferischen Durchbruch. Darauf fokussieren sie ihr Leben. Sie wollen Probleme lösen, Produkte gestalten und neue Fragen formulieren. Jene besondere Kreativität, die zum Schluss etwas ganz Einmaliges darstellt, wird daraus aber erst, wenn die Umwelt die schöpferische Leistung auch als solche anerkennt.

Wer sagt, was Sache ist?

Kann man Kreativität analysieren? Jedenfalls braucht es viele Disziplinen dazu. Psychologen allein reichen dazu nicht aus. Vielleicht liegt es ja in der Biologie des Einzelnen, ob er ein kreatives Genie wird oder nicht. Dann gibt es die ausser­per­son­ale Ebene, die müssen Historiker, Philosophen und Forscher künstlicher Intelligenz durch­leuchten. Und weil jeder Kreative sein Spezial­ge­biet hat, muss man entsprechende Experten bemühen. Let­z­tendlich wird noch ein Feld­spezial­ist benötigt, um endlich die besten Vo­raus­set­zun­gen für eine umfassende Forschung über Kreativität beieinander zu haben. Wichtige Fest­stel­lung: Die anerkannt Kreativen sind nicht die „grösseren Menschen“, vielmehr sind es die Umstände, die dem einen oder anderen Kreativen zum in­ter­na­tionalen Durchbruch verhelfen.

Kreativität und die Welt der Wis­senschaft

Warum waren Freud und Einstein so genial? Beide sind sie wis­senschaftliche Theoretiker, Denker im Dienst men­schlicher Erkenntnis. Sie haben neue Systeme erdacht und entwickelt, der eine mit der Darstellung des Unbewussten, der andere mit der Relativitätstheorie. Dennoch sind beide absolut gegensätzliche Persönlichkeiten. Freud ist ein Sprachgenie und mit Hilfe der Sprache drückt er aus, was er in den Tiefen der men­schlichen Natur entdeckt. Räumliche und logische Inhalte finden wir in seinem System nicht. Einstein war dagegen kein Freund grosser Worte. Dafür beherrschte er visuell-räumliche Bilder und lo­gisch-math­e­ma­tis­che Strukturen. Beiden gemeinsam ist, dass sie:

  • neue Denkrich­tun­gen oder Denksysteme erfanden,
  • mit Enttäuschungen fertig werden mussten,
  • ihr Ziel nicht aus den Augen verloren haben,
  • auf privates (Ehe-)Glück verzichteten,
  • das kindliche Bewusstsein sehr hoch einschätzten,
  • aber keineswegs Menschen mit kindischen Zügen waren.

Kreativität und die Welt der Künste

Wo fängt die Moderne an? Wenn es um Kunst geht, ist die Antwort klar: bei Picasso, T. S. Eliot und Stravinsky. Sie sind die Kultfiguren des 20. Jahrhun­derts. In­tellek­tuell sind sie un­ter­schiedlich begabt, Religion bedeutet nur Eliot und Stravinsky etwas, politisch bieten sie alle Varianten, vom kon­ser­v­a­tiven Eliot bis zum Anarchisten Picasso. Gemein­samkeiten lassen sich aber auch hier finden:

  • ihre bürgerlichen Familien,
  • ihr Leben in den jeweiligen Zentren ihrer Kunst – London und Paris,
  • Menschen, die ihnen sehr nahe standen und die Entwicklung ihrer bahn­brechen­den Werke bee­in­flussten,
  • jugendliche Partner im greisen Alter.
„Es wäre erstaunlich, wenn hochbegabte schöpferische Menschen die neuartigen Vorstel­lun­gen anderer nicht in der einen oder anderen Form ins eigene Werk einbezögen.“

Ausserdem schufen alle drei nicht Problemlösungen und Denkprozesse fürs Lehrbuch, sondern „neue Werke innerhalb einer Gattung“. Sie waren Meister ihres Faches, verwendeten alte Strukturen neu, schufen etwas ganz Eigenes, Un­ver­wech­sel­bares daraus. Und zum Schluss gefiel ihre Leistung nicht nur ihnen selbst, sondern wurde auch von ihren Zeitgenossen honoriert. Darüber darf nicht vergessen werden: Alle waren sie Handwerker, die täglich an ihrer Leinwand oder ihrem Schreibtisch sassen, um zu arbeiten. Aber: Ohne Publikum läuft nichts, nicht in diesen Genres. Letztlich also brauchten sie den Kontakt zur Öffentlichkeit. Das kostet Kraft und fol­gerichtig ver­schafften sich alle drei die Möglichkeiten, sich für bestimmte Zeit immer wieder in ihr Sch­neck­en­haus zurückziehen zu können.

Kreativität und die Welt der „Live“-Darsteller

Ihre körperliche Präsenz, ihr Charisma, das war es, was Martha Graham und Mahatma Gandhi zu den grossen Meistern ihrer Domäne machte. Ihre physische Erscheinung war notwendig, ebenso wie die spontane Reaktion des Publikums. „Mein Wirkungs­feld ist die Tat“, sagte Mahatma Gandhi, und das trifft in gleicher Weise auf Martha Graham zu. Beide un­ter­schei­det allerdings die Konsequenz ihres Wirkens. Grahams Tänze waren for­mvol­len­dete Rituale, und wenn sie Fehler machte, hatte das weniger dramatische Folgen. Bei Gandhi ging es um das Leben von Menschen. Grahams Kunst war die Interaktion ihres Körpers mit Musik, Idee und Design. Ghandi hingegen war in erster Linie „Kopfmensch“, er musste sein Vorgehen abwägen, jedes Detail genau durchdenken, die Folgen seines Tuns abschätzen. Seine Kreativität war mit einem grossen Risiko verbunden. Aber wie bei den anderen Meistern finden sich auch in Grahams und Gandhis Leben Parallelen:

  • Beide kamen aus einem strengen moralischen Elternhaus.
  • Der frühe Tod des Vaters bee­in­flusste ihre jeweilige Persönlichkeit.
  • Ihre Ideen waren zeitlich begrenzt.
  • Ihr Körper war das Instrument ihrer Ver­wirk­lichung.
  • Um der Belastung durch äussere Einflüsse etwas ent­ge­gen­zuset­zen, mussten sie sich zeitweise von der Bühne ihres öffentlichen Lebens zurückziehen.
„Kreative Leistungen in den ver­schiede­nen Tätigkeits­bere­ichen, so meine These, lassen sich nicht über einen Leisten schlagen.“

Als wichtige Un­ter­schei­dung kann die Tatsache angesehen werden, dass der Zweck in Grahams Tanz in sich selbst ruhte, während Gandhis Handlungen als Mittel zum Zweck dienten. Allein Gandhi war derjenige unter den sieben modernen Meistern, der den Menschen an sich ansprach, ungeachtet seiner gesellschaftlichen oder beruflichen Zugehörigkeit.

Talent, kindliches Denken und Konkurrenz: der Schlüssel zum kreativen Durchbruch?

Gibt es den Prototypen des kreativen Denkers? Zwar lassen sich für die sieben Meister der Moderne zahlreiche Gemein­samkeiten aufzeigen, von der Region, aus der sie stammen, über ihre Fam­i­lien­si­t­u­a­tion bis zur Zehn­jahres-Regel ihres Durchbruchs. Aber sicher existieren ebenso viele Kreative, auf die dieses Schema nur bedingt zutrifft. Wichtig scheint, dass das Kind zu Durch­hal­tev­ermögen und Tüchtigkeit erzogen wird. Genies haben den Mut zur Ausgrenzung und den Egoismus, sich mit Freunden nur so lange zu umgeben, wie sie ihnen nutzen. Und sie im richtigen Moment fallen zu lassen. Kreative sind keine Faulenzer, die plötzlich und zufällig einen Geis­tes­blitz haben, der sie berühmt macht. Es sind harte Arbeiter, die Unmengen produzieren. Jeder Kreative bringt es in seiner Domäne zur Meis­ter­schaft, nachdem er sich als Kind dafür in­ter­essiert und später jahrzehn­te­lang in eben diesem kulturell relevanten Fach arbeitet. Kreative schaffen, jeder in seinem Bereich, ein neues Sym­bol­sys­tem. Der eine verwendet dafür Worte, andere brauchen Formeln, Klänge, Farben oder die Körpersprache. Man bekommt sie also nicht alle unter einen Hut. Darüber hinaus findet man für die sieben Meister mindestens fünf ver­schiedene Tätigkeits­for­men:

  1. Problemlösung (Einstein),
  2. Entwicklung eines neuen Denkmodells, das All­ge­meingut wird (Einstein und Freud),
  3. Produktion von Werken nach eigenen Ideen, Vorstel­lun­gen oder Gefühlen (Picasso, Stravinsky, Eliot und Graham),
  4. Veröffentlichung der Darstellung (Graham),
  5. Handeln mit erhöhtem Risiko (Gandhi).

Über den Autor

Als Psychologe an der Harvard University, Professor an der Graduate School of Education und Forscher am Boston Veterans Ad­min­is­tra­tion Medical Center schlägt Howard Gardner mit dem vor­liegen­den Buch in der Erforschung kreativer Prozesse neue Wege ein. Er wurde aus­geze­ich­net mit dem Grawemeyer Award in Education wegen seiner Theorien der multiplen In­tel­li­gen­zen sowie dem National Psychology Award for Excellence in the Media für seine verständliche Schreib­weise.