Eine neue Phase der Weltwirtschaft
Der technologische Fortschritt, der uns Informationen in Sekundenschnelle rund um den Erdball schicken lässt, und die Globalisierung, die ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten spinnt: Beide Phänomene sorgen für sinkende Kosten, doch zugleich erhöhen sie die Verwundbarkeit der Unternehmen, wie die Krise von 2009 gezeigt hat. In turbulenten Zeiten werden ganze Branchen in Mitleidenschaft gezogen, und die Zahl der ökonomischen Schocks nimmt zu – Chaos wird in Zukunft zum Normalzustand. Folgende Faktoren erhöhen das Gefahrenniveau:
- Technologischer Fortschritt: Die Informationstechnologie ist die Grundlage der weltweiten Vernetzung. Das Internet hat die Gesetze des Handels verändert, Meinungen können in Sekundenschnelle ausgetauscht werden. „Disruptive Technologien“ lösen vorhandene Technologien ab und revolutionieren so den Markt, wie z. B. die Digitalfotografie, E-Books oder Musikdownloads.
- Der Aufstieg der Schwellenländer: Länder außerhalb der USA und Europas fordern die Vormachtstellung ebendieser Mächte heraus. Staaten wie Brasilien, Russland, Indien, China und die Ölförderländer im Nahen Osten mausern sich von Außenseitern zu ernstzunehmenden Kräften der Weltwirtschaft.
- Hyperwettbewerb: Wenn Innovationen ständig den Status quo neu definieren, ist für nachhaltige Wettbewerbsvorteile kein Platz mehr. Unternehmen müssen ihre Wettbewerbsposition laufend neu aufbauen.
- Staatsfonds: Dies sind staatliche Investmentfonds, die Billionen von Dollars verwalten. Sie sind unsagbar potent, zuweilen undurchsichtig und provozieren protektionistische Verhaltensweisen in den westlichen Märkten.
„Wir behaupten, dass Turbulenzen, ja starke Turbulenzen mit dem daraus folgenden Chaos, allen Risiken und massiver Unsicherheit künftig der Normalzustand der Wirtschaft sind.“
Diese Entwicklungen bringen nicht nur ein erhöhtes Risiko mit sich – also einschätzbare Unsicherheit –, sondern auch echte Unsicherheit, die sich nicht versichern lässt. Der Bericht Global Trends 2025: A Transformed World des National Intelligence Council zeichnet das Bild einer Welt voller Chaos und Gewalt. Die Unsicherheit könnte aufgrund der Verbreitung von Nuklearwaffen, der wachsenden Weltbevölkerung, des Klimawandels und der Zahl der politisch instabilen Länder zunehmen. Konjunkturzyklen sind kaum noch vorhersehbar, und unter den Verbrauchern macht sich Furcht breit.
„Wir plädieren nicht für konservative Risikovermeidung, sondern für einen wachen, klugen Ansatz, der das Unternehmen vor den zerstörerischen Kräften der Turbulenz schützt und trotzdem mutig seine Interessen vorantreibt.“
Wenn nichts mehr prognostizierbar ist, macht es keinen Sinn, eine Unternehmensstrategie für den Aufschwung und eine für den Abschwung in der Schublade zu haben. Denn das regelmäßige Auf und Ab der Märkte wird immer wieder durch unvorhergesehene Turbulenzen gestört.
Sie können aber auch nicht einfach jedes Risiko vermeiden. Ihr Unternehmen braucht eine Strategie, um sein Überleben zu sichern. Diese muss Sie in die Lage versetzen, Turbulenzen und die damit verbundenen Verwundbarkeiten und Chancen rasch zu erkennen.
Falsche Reaktionen
Vermeiden Sie im Krisenfall diese häufigen Fehler:
- Zuteilung der Ressourcen ohne Rücksicht auf Strategie und Kultur: Entscheidungen in Krisenzeiten müssen den gewandelten Kundenerwartungen Rechnung tragen. Behalten Sie dabei die zentralen Werte Ihres Unternehmens im Auge.
- Pauschale Kürzungen über alle Bereiche: Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip schwächen Ihr Unternehmen langfristig. Streichen Sie Jobs und Ressourcen punktgenau, und zwar so, dass sie beim nächsten Aufschwung immer noch Marktführer bleiben bzw. werden können.
- Schnellschüsse: Fähige Mitarbeiter zu entlassen und das Forschungsbudget auszuradieren, mag die Zahlungsfähigkeit kurzfristig erhöhen. Gründen Sie Ihre Entscheidungen aber nicht nur auf dem Hier und Jetzt. Das zukünftige Wachstum muss immer gesichert bleiben.
- Einschnitte bei Marketing, Branding und Produktentwicklungen: Gerade in Krisenzeiten ist Marketing von größter Bedeutung. Vermeiden Sie Einschnitte, sonst räumen Sie das Feld für Ihre Mitbewerber.
- Falsche Preisgestaltung und Kundenservice: Natürlich sollten Sie Ihren Kunden in der Krise die Kaufentscheidung für Ihr Produkt durch Spezialangebote erleichtern. Hüten Sie sich aber vor Preisschlachten! Überlegen Sie lieber, wie sich Ihr Angebot durch Zusatzleistungen oder neue Produktgrößen aufwerten lässt. Kümmern Sie sich um jene Kunden, die nicht auf Schnäppchen aus sind, sondern für Fachwissen bezahlen.
- Mangelnde Wertschätzung für Lieferanten und Vertriebspartner: Wenn Sie in der Krise Ihre Geschäftspartner vergraulen, stehen Sie im Aufschwung plötzlich allein da. Bieten Sie Ihren Partnern Schulungen an, fragen Sie sie nach Vorschlägen zur Produktverbesserung und konzentrieren Sie sich auf wenige Lieferanten.
Das Chaotics-Modell
Entscheidungen, bei denen Sie nur auf ihr Bauchgefühl hören, sind in der Krise ebenso fehl am Platz wie der gewöhnliche Strategieansatz, wonach man mit Planungsmodellen versucht, die Zukunft vorherzusagen. Sie brauchen stattdessen ein Frühwarnsystem für außerordentliche Chancen und Gefahren sowie eine Szenarienplanung mit Verteidigungs- und Angriffsstrategien.
„Die Informationstechnologie gehört zu den treibenden Faktoren der Globalisierung, sie hat die weltweite Verflechtung extrem beschleunigt.“
Mit dem Frühwarnsystem lassen sich sowohl Warnhinweise erkennen als auch Schwachstellen identifizieren. Erziehen Sie Ihre Belegschaft zur Wachsamkeit – den meisten unliebsamen Überraschungen in den Unternehmen gingen nämlich Warnsignale voraus, doch wurden diese von den Verantwortlichen nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Fragen Sie sich, wo es im Unternehmen blinde Flecken gibt, ob Sie sich an anderen Branchen ein Beispiel nehmen können und welcher Ihrer Konkurrenten die Warnsignale wohl am besten wahrnimmt.
„Es gibt nicht eine Strategie für alle. Und genau deshalb sind generelle Kürzungen so unangebracht.“
Befragen Sie als Geschäftsführer Ihre Führungskräfte und Fachleute sowie interne und externe Stakeholder zu deren Einschätzung der weiteren Entwicklung. Aus den Schlüssen, die Sie daraus ziehen, planen Sie Schlüsselszenarien – mindestens je eines für den schlimmsten, den besten und den wahrscheinlichsten Fall.
„Die Rezession erzwingt längst überfällige Veränderungen in den Abläufen.“
Achten Sie bei der Szenarienplanung auf die Anwendungsbereiche und Analysezeitpunkte – schließlich haben sich die Gegebenheiten in der Vergangenheit rasant verändert. Ermitteln Sie Trends, Turbulenzen und chaotische Kräfte der Branche. Jedem Ihrer Szenarien ordnen Sie nun angemessene strategische Reaktionen zu. Danach beurteilen Sie sowohl die positiven als auch die negativen Seiten jedes Szenarios und gewichten sie nach deren Eintrittswahrscheinlichkeit.
„Natürlich muss sich jedes Unternehmen, das für Kunden mit weniger Geld in der Tasche attraktiv bleiben will, sehr genau überlegen, welche Möglichkeiten infrage kommen und wie sich die entsprechenden Maßnahmen auswirken würden.“
Bedenken Sie, dass weder Sie noch jemand anders die Zukunft vorhersagen kann. Wenn Sie also eine strategische Richtung wählen, dann mischen Sie Chancen und Risiken so, wie sie für Ihr Unternehmen und Ihren Risikoappetit angemessen sind. Mit der gewählten Strategie sollten Sie auf verschiedenste Vorfälle adäquat reagieren können.
„Ihre Kunden werden sich wahrscheinlich ändern, deswegen müssen auch Sie sich ändern.“
Die Chaotics-Management-Verhaltensweisen
- Finanzen: Kürzen Sie Dividenden und verschieben Sie Aktienrückkäufe, Preisanhebungen und einen eventuellen Börsengang. Lagern Sie IT-Dienstleistungen und alle nicht zum Kerngeschäft gehörenden Tätigkeiten aus. Versorgen Sie den Vorstand schneller mit Informationen, besuchen Sie Unternehmensniederlassungen häufiger und akquirieren Sie andere Firmen, wenn der Kaufpreis niedrig ist. Bleiben Sie Ihren verlässlichen Banken und Investoren treu, statt neue Finanzierungspartnerschaften einzugehen.
- Herstellung: Analysieren Sie die Kostenstruktur. Kürzen Sie die Investitionen für Kapazitätserweiterungen, prüfen Sie die Versandtermine und die Lagerbestände. Lagern Sie das Logistik- und Lieferkettenmanagement aus. Bieten Sie funktionsübergreifende Schulungen und Boni für Produktivitätsgewinne an. Überstunden und der Lagerumschlag müssen erhöht werden.
- Einkauf: Nutzen Sie Größenvorteile, indem Sie sich auf einige wenige Lieferanten konzentrieren. Beurteilen Sie die Lieferanten in puncto Qualität, Service, Pünktlichkeit und Preisgestaltung. Geschätzte Lieferanten erfahren nun eine bevorzugte Behandlung. Lassen Sie die Beziehung zu ihnen aber nicht zu kuschelig werden!
- Personal: In der Krise sinkt die Arbeitsmoral. Sie bietet aber auch eine Gelegenheit, sich von Problemfällen zu trennen. Sie sollten zwar weiterhin neue Mitarbeiter einstellen und sie schulen, für den Fall, dass die Konjunktur wieder anzieht. Doch sollten die Einstellungskriterien strikter sein – immerhin ist es in der Krise leichter, bestens ausgebildetes Personal zu finden. Kommunizieren Sie offen mit Ihren Mitarbeitern und geben Sie den Spitzentalenten einen guten Grund zu bleiben. Mit Beförderungen sollte aber erst einmal abgewartet werden.
- Marketing: Krisenzeiten sind Zeiten für neue Geschäftsmodelle und Marketingstrategien. Der Verkauf orientiert sich mehr denn je an genau definierten Zielgruppen. Doch Achtung, der Markt hat sich verändert: Verbraucher sind bestens informiert, greifen zu billigeren Hausmarken statt zu Markenprodukten und kaufen im Internet. Für Ihr Unternehmen heißt das: Kosten senken und Servicepakete schnüren. Ob Sie kleinere Portionen fürs gleiche Geld anbieten, die Preise senken, dem Produkt ein Extra hinzufügen oder bei der Qualität des Produktes sparen, müssen Sie in jedem Fall einzeln abwägen. Was tun die Wettbewerber? Konzentrieren Sie sich auf Ihre Kernkunden und versuchen Sie, bessere Geschäfte mit ihnen zu machen. Das Augenmerk liegt auf Treueaktionen, Kundenkontakten und Verhandlungsgeschick. Budgetieren Sie genügend Mittel für die Marktforschung. Und gefährden Sie Ihre Premiummarken nicht, indem Sie Ihre Produkte bzw. Dienstleistungen zu Dumpingpreisen verschleudern. Nutzen Sie lieber die Gelegenheit, schwache Marken abzustoßen.
Chaotics-Management implementieren
In fünf Schritten verankern Sie diese Chaotics-Management-Verhaltensweisen im Unternehmen:
- Stellen Sie sicher, dass Ihre aktuelle Geschäftsstrategie und Ihr Geschäftsmodell angemessen sind.
- Fragen Sie sich, ob Sie Ihre Strategie auch in chaotischen Zeiten umsetzen können.
- Analysieren Sie alle Unternehmensbereiche auf Veränderungsbedarf.
- Implementieren Sie die Chaotics-Verhaltensweisen.
- Bewerten Sie die Verhaltensweise immer wieder neu und ändern Sie sie bei Bedarf.