Verschwendung erkennen – und beseitigen
Das synchrone Produktionssystem folgt der Just-in-time-Philosophie: Alle benötigten Teile werden in notwendiger Stückzahl hergestellt und weitergegeben. Nichts wird verschwendet, nichts irgendwo zwischengelagert. Wer sich auf dieses System einlässt, muss daher alle Geschäftsprozesse überdenken und neu organisieren. Der Lohn: die Weltspitze der eigenen Branche – nach drei bis fünf Jahren, bei Konzernen spätestens nach acht Jahren. Keineswegs ist das synchrone Produktionssystem nur für produzierende Unternehmen geeignet. Es lässt sich in allen Branchen anwenden, denn auch Dienstleister – etwa Stadtverwaltungen oder Krankenhäuser – verfügen über Produktionssysteme, und diese ähneln sich viel stärker als oft gedacht.
„Das synchrone Produktionssystem ist eine Strategie zur vollständigen Reform der Unternehmenskonstitution.“
Die Grundannahmen des synchronen Produktionssystems haben die Managementphilosophie der Nachkriegszeit über den Haufen geworfen. Toyota und andere japanische Unternehmen zeigen seit den 80er-Jahren, wie es gelingt, Verschwendung zu erkennen, überflüssige Kosten zu eliminieren, Durchlaufzeiten zu verkürzen und so den Gewinn zu erhöhen. Die Produktion ist der Dreh- und Angelpunkt, um auch Entwicklung, Einkauf und Vertrieb zu optimieren. Das synchrone Produktionssystem
- reduziert die Durchlaufzeiten,
- sorgt für mehr Qualität durch reduzierte Ausschuss- und Nacharbeitsquote und
- erhöht die Produktivität jedes einzelnen Mitarbeiters.
„6 S“ und die geglättete Produktion
Seiri, Seiton, Seisô, Seiketsu, Shitsuke und Shûkan – wer diese sechs „S“ umsetzt, hat bereits viel auf den Weg gebracht, um das synchrone Produktionssystem einzuführen. Gestalten Sie die Arbeitsprozesse im Sinne der „6 S“ und Sie erhöhen Qualität, Sicherheit und Produktivität. Eine gute Produktion ist immer ordentlich und sauber und dient als Schaufenster für das gesamte Unternehmen. Alles beginnt mit
- Seiri, dem Aussortieren: Je mehr überflüssige Teile sich an der Linie befinden, desto mehr überflüssige Arbeit geschieht.
- Seiton, das Aufräumen, folgt direkt im Anschluss: Alle Mitarbeiter brauchen einen klaren Überblick.
- Seisô, das Reinigen, ist der nächste Schritt, denn Prüfen ist gleich Reinigen. Wer bis in die letzten Ecken putzt, entdeckt auch kleinste Mängel und Störungen.
„Alle bisherigen Geschäftsprozesse müssen komplett neu bewertet und einem umfassenden Paradigmenwechsel unterworfen werden.“
Sind diese drei „S“ umgesetzt, geht es an
- Seiketsu, die Erhaltung des geordneten und sauberen Status. Es braucht frische und aufgeräumte Linien. Erhalten wird dieser Zustand durch
- Shitsuke, die nötige Disziplin. Sie wird von den Arbeitern getragen, muss aber vom Meister eingeführt und koordiniert werden.
- Shûkan, Gewöhnung, ist erreicht, wenn es allen Mitarbeitern zur Gewohnheit geworden ist, ihre Aufgaben richtig und exakt durchzuführen.
„Eine beträchtliche Verkürzung der Durchlaufzeiten hat oberste Priorität.“
Am effizientesten produziert, wer jeden Tag die gleiche Stückzahl an Gütern herstellt. Aus dieser idealen Zahl lässt sich eine Taktzeit ableiten. Sie misst, wie viel Arbeitszeit pro Stück benötigt wird. Will man 10 000 Stück im Monat erzeugen, ergibt sich bei 20 Arbeitstagen zu je 480 Minuten Arbeitszeit eine Taktzeit von 0,96 Minuten. Wer die angestrebte Taktzeit erreicht, verfügt über eine geglättete Produktion und erreicht damit den Idealzustand für das synchrone Produktionssystem. Denn die geglättete Produktion optimiert die Lagerbestände – und nichts ist schädlicher für das synchrone Produktionssystem als unnötige Lager.
„In einem guten Unternehmen sind mit Sicherheit auch Ordnung und Sauberkeit auf einem hohen Niveau.“
Die Vorstufe der geglätteten Produktion ist die nivellierte Produktion. Hier wird noch nicht die Taktzeit, aber die nötige Tagesteilmenge an erzeugten Produkten erreicht. Um die für die Nivellierung nötigen Umrüstzeiten zu minimieren, bedarf es eines großen Personaleinsatzes. Diese Überstunden werden auf lange Sicht aber wieder ausgeglichen. Wer die geglättete Produktion erreicht, reduziert die Herstellungskosten und kann zugleich optimal auf individuelle Kundenwünsche eingehen.
Einzelstückfluss: die magische Ziffer 1
Die magische Ziffer des synchronen Produktionssystems ist die 1 – jedes Stück wird einzeln gefertigt, einzeln transportiert und einzeln weitergegeben. Dafür müssen die Anlagen so konstruiert werden, dass sie nur Einzelstückfluss zulassen. Statt Losgrößen bestimmter Teile in möglichst hoher Zahl auf Halde zu produzieren, entstehen so in der Fließfertigung Schritt für Schritt fertige Produkte. Der Weg zum synchronen Produktionssystem führt über den Aufbau einer Fließfertigung. Vom Vormaterial bis zum fertigen Produkt muss ein kontinuierlicher Fluss herrschen.
„Das Lager ist die Wurzel allen Übels.“
Herkömmliche Produktionsbetriebe erleben oft Überschwemmungen, ohne dass es unmittelbar bemerkt wird: Die Bearbeitungsstationen liegen ungünstig zueinander, der Produktionsfluss ist intransparent. Bilden Sie U-Linien: Stellen Sie Maschinen in der Reihenfolge der Arbeitsgänge, aber gegen den Uhrzeigersinn auf – das kommt Rechtshändern entgeg. Prüfen Sie die Durchlaufzeiten in Ihrem Werk. Kurze Durchlaufzeiten ermöglichen es, Märkte zielsicher zu bedienen.
„Unternehmen müssen es schaffen, die benötigten Teile in notwendiger Stückzahl zum geforderten Zeitpunkt in Fließfertigung zu erzeugen.“
Menschliche und maschinelle Arbeit müssen unter allen Umständen voneinander getrennt werden. Alle Beteiligten müssen über die gleiche Informationsbasis verfügen. Dafür braucht es ein visuelles Management: optische und akustische Warnsignale in der Produktion, die Arbeiter betätigen und in deren Folge die Meister die Linie anhalten.
Öfter mal umrüsten
Das größte aller Verschwendungsübel ist dasjenige aufgrund von Überproduktion, und die wiederum ist gleichbedeutend mit Produktion in großen Fertigungsmengen. Sollen die sogenannten Losgrößen schrumpfen, müssen wiederum die Umrüstzeiten verkürzt werden. Das betrifft vor allem die Umrüstvorgänge, bei denen die Produktionslinie angehalten werden muss. Zeit gespart werden kann auch über die Produktionslinie hinaus, nämlich beim Transport zwischen den Linien, der Logistik. Versierte Logistiker manövrieren zwischen Lager und Montagelinie und zwischen den Arbeitsplätzen. Diese Aufgabe können nur fähige Arbeiter erfüllen, die möglichst flexibel auf Veränderungen reagieren können.
„Das wichtigste Ziel des visuellen Managements besteht darin, vor Ort erkennbar zu machen, ob die Situation normal oder gestört ist.“
Kennzeichnungen werden oft unterschätzt. Doch sie sind wichtig, hauchen sie doch Normen und Standards erst Leben ein. Erstellen Sie ein genaues Handbuch der Adressen, Behälter, Verpackungsarten. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte: Erstens ist der Auslieferungsplatz kein Auslieferungslager, denn es gibt kein Lager mehr. LKW werden möglichst direkt am Auslieferungsplatz beladen, das Aufhäufen fertig montierter Teile fällt weg. Zweitens müssen alle Mitarbeiter den Unterschied zwischen Warenhäusern und Stellflächen begriffen haben: Warenhäuser stellen Teile übersichtlich ausgeschildert bereit und fungieren damit als wichtiger Teil des Informationsmanagements im synchronen Produktionssystem. In Stellflächen dagegen lagern Teile, die im nachgelagerten Prozess nicht benötigt werden.
Produktion ohne Spielraum
Ein synchrones Produktionssystem entspricht genau den Bedürfnissen des Marktes. Der Markt – besser gesagt: der Kunde – bestimmt deshalb die Taktzeit der Produktion. Diese Taktzeit erhält man, indem man die Tagesarbeitszeit durch die benötigte Tagesstückzahl teilt. Die Produktion verläuft am besten als leichtes Nachziehen hinter der Taktzeit. Keinesfalls darf zu schnell produziert werden. Synchrone Produktion bedeutet immer Produktion ohne Spielraum. Folgt auf das Ende der Produktion des einen Produkts der Beginn für die Herstellung des nächsten, teilt sich also die gesamte Arbeitszeit gemäß der Taktzeit ein, werden die wahren Engpässe in der Produktion sichtbar und können behoben werden. Jedes einzelne Teil muss in der jeweiligen Bearbeitungsstation in der Taktzeit gefertigt werden. Hier hilft der „Schrittmacher“: mittels Leuchtanzeigen, Markierungen oder Anzeigetafeln für Produktionskennzahlen wird sichtbar gemacht, ob der Takt stimmt.
„Der Markt gibt die Taktzeit für die Produktion vor.“
Oberstes Ziel ist, Verschwendung auszulöschen. Das Stückzahlenmanagement hilft dabei, es erfasst die Herstellungskosten und senkt diese. Dazu braucht es:
- die grafische Darstellung des Faktenstands als Diskussionsgrundlage für das Team,
- eine kompromisslose Einhaltung der Lieferzeiten und
- eine Stückzahlenmanagementgrafik, in der die Produktionsstückzahlen stündlich neu und aktuell eingetragen werden.
Standards sorgen für Qualität
Ohne standardisierte Arbeit gibt es kein synchrones Produktionssystem. Für jeden Arbeitsschritt, für jeden Bewegungsablauf in der Produktionskette müssen Standards geschaffen werden – und zwar immer mit dem Ziel, Bewegungsabläufe zu synchronisieren und Arbeitsabläufe zu verbessern. Die Taktzeit ist bereits das erste Element der standardisierten Arbeit, das zweite Element ist die Bewegungsabfolge in Montage und Bearbeitung. Das dritte ein standardisierter und möglichst kleiner Puffer zwischen den einzelnen Stationen.
„Die Produkte sind der Extrakt der Gesamtkonstitution des Unternehmens.“
Wie finden Sie nun hierfür Standards? Alle Schritte an jeder Anlage erfassen Sie in einem Grundmuster. Darauf aufbauend gestalten Sie ein Arbeitsverteilungsblatt, welches die Arbeitssituation auf einen Blick darstellt. Gleichzeitig hält ein Standardarbeitsplatz die Standards des Meisters für eine Linie fest. In der Arbeitsanleitung legt der Meister schließlich exakt dar, wie die standardisierte Arbeit zu erfolgen hat.
„Wir selbst sind es, die die Anlagen zu dem gemacht haben, was sie sind. Anlagen lügen nicht.“
Mangelnde Qualität hat mit mangelnder Visualisierung zu tun. Nur wenn jedes unzureichende Teil erkennbar wird, wenn jede Kennzahl, die auf den roten Bereich zusteuert, sichtbar ist, wird Ihre Produktion höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Und nur eine hochqualitative Produktion kann hochqualitative Produkte herstellen. Erkennen Sie Ihre Produkte als Extrakt der Gesamtverfassung Ihres Unternehmens. Besser als von Produktqualität zu sprechen, ist es also, von Produktionsqualität zu sprechen. Dazu müssen die Arbeiter jedes Prozesses bereits den nachgelagerten Prozess als Kunden sehen – ein Kunde, dem kein mangelhaftes Produkt geliefert werden darf.
Von Push zu Pull
Wie das Produkt ist auch der Zustand der Anlagen ein Spiegelbild Ihres Unternehmens. Wartung heißt nicht einfach nur, auf die Anlagen zu achten, sondern absolute Verfügbarkeit zu jedem Zeitpunkt gewährleisten. Das beginnt mit der Reinigung. Eine Reinigung bedeutet immer auch Prüfung und ist bereits gleichzusetzen mit dem Beheben von Störungen. Tauchen Defekte in einem herkömmlichen Produktionssystem auf, wird das defekte Teil gefunden und ausgetauscht. Im synchronen Produktionssystem genügt das nicht. Hier wird die Ursache ermittelt, die hinter der Störung steckt, damit die Störung nicht wieder auftritt. Nichts anderes ist echtes Instandsetzen. Hier kommt Kanban zum Einsatz. Kanban ist eigentlich nur ein Stück Papier mit der Auskunft, was in welcher Form und Stückzahl herangezogen werden soll. Alles in allem ist dieses Werkzeug aber eine Revolution der Produktion. Denn Kanban ersetzt das herkömmliche, verschwenderische Push-System und verwandelt es in eine nachfüllende Produktion, ein Pull-System.
„Kanban ist ein Werkzeug zur Reduzierung der Herstellungskosten.“
Im Push-System schieben sich die Teile vom vor- in den nachgelagerten Prozess. Die gesamte Produktion fußt also auf Planung und Erwartung. Das Kanbansystem dagegen minimiert die Umlaufbestände. Der nachgelagerte Prozess holt sich aktiv die Teile, die er benötigt, in der geforderten Stückzahl und just in time. Ein solches System revolutioniert die gesamte Produktionsweise, weil es nur in einer Fließfertigung mit kleinen Losgrößen und geglätteter Produktion funktionieren kann.