Unentbehrlich im Umgang mit Menschen
Keine Gesellschaft funktioniert ohne Vertrauen. Schon morgens, wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen, vertrauen Sie darauf, dass die Ingenieure im Wasserwerk ihre Arbeit tun. In der Autowerkstatt verlassen Sie sich auf die ordnungsgemäße Ausführung der Reparatur, deren Details Sie nicht kontrollieren können. Wenn Sie einen Rechtsanspruch haben, können Sie ihn bei Gericht durchsetzen – das ist Systemvertrauen. Oft kennen Sie die Person nicht einmal, der Sie sich anvertrauen. Ohne Systemvertrauen würde Chaos herrschen. Vertrauen vereinfacht viele Dinge und entlastet uns. Menschen, die kein Vertrauen haben, müssten alles selbst machen und wären psychisch und emotional bald isoliert.
Grundkomponenten des Vertrauens
Klassische Vertrauensverhältnisse im Wirtschaftsleben sind beispielsweise das zu Ihrem Steuer- oder Finanzberater. Aber auch das Übertragen einer Aufgabe an einen Mitarbeiter oder die Beratung eines Kunden erfordern Vertrauen. Zum Vertrauen gehören:
- Vertrautheit: Sie kennen einander, und zwar nicht erst seit kurzer Zeit.
- Gegenseitigkeit: Der Vertrauensgeber erwartet eine Gegenleistung. Beispiel: Sie geben einem anderen eine spezielle Information, oder Sie vertrauen dem gesundheitliche Geheimnisse an.
- Loyalität: Sie gehen davon aus, dass derjenige, dem Sie Vertrauen schenken, Ihnen wohlgesinnt ist.
- Kompetenz: Sie erwarten, dass Ihr Gegenüber die ihm anvertraute Aufgabe erfüllen kann.
„Ohne Vertrauen sind wir ganz auf uns selbst zurückgeworfen und müssen alles in die eigene Hand nehmen.“
Mangel an Kompetenz ist verzeihlich und führt nicht automatisch zu Vertrauensverlust. Mangel an Loyalität hingegen schon.
Vertrauen ist Gefühlssache
Vertrauen impliziert immer die Möglichkeit des Missbrauchs. Wer Vertrauen schenkt, macht sich verwundbar. Die Detailkontrolle ist ausgeschlossen: Wenn Sie sich jede kleine Maßnahme eines Mitarbeiters berichten lassen, vertrauen Sie ihm nicht. Umgekehrt kann großes Vertrauen große Dinge bewirken, auf die Sie ansonsten gar keinen Einfluss hätten. Das nennt man die „Hebelwirkung des Vertrauens“. Vertrauen ist ein mächtiger Motivator. Wenn Sie großzügig Vertrauen schenken, können Sie andere Menschen zu altruistischen Handlungen oder Ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen veranlassen, aber auch potenzielle Kunden zum Kauf oder zur Auftragsvergabe.
„Wer Ihnen vertraut, der will etwas von Ihnen. Er erwartet eine Gegenleistung.“
Vertrauen hat außerdem eine neurologische Komponente. Wie nachgewiesen wurde, steigt beim Vertrauensnehmer das hormonelle Wohlgefühl (aufgrund der Oxytocin-Ausschüttung). Vertrauen ist keine reine Nutzenkalkulation. Wenn Vertrauen im Spiel ist, werden auch kleinere Gewinne als beglückend empfunden. Jedoch lassen wir uns wegen eines drohenden Vertrauensverlusts manche Gewinnchance entgehen, die wir nach rein ökonomischer Ratio wahrnehmen würden: Wir fürchten nicht nur einen Verlust, sondern auch das Gefühl, betrogen zu werden („betrayal aversion“).
„Ohne fundamentales Wohlwollen ist kein Vertrauen möglich.“
Vertrauen ist eingebettet in soziale Beziehungen. Stehen Menschen unter Beobachtung, sind sie bestrebt, eine gute Reputation aufzubauen; sie wollen als vertrauenswürdig gelten. Innerhalb von Gruppen herrscht ein höheres Maß von Vertrauen; Gruppenmitglieder werden bevorzugt. Erhöht sich der Außendruck auf Gruppen, wie etwa bei ethnischen Minderheiten, so steigt auch das Gruppenvertrauen.
„Der Vertrauensvorschuss gegenüber Unbekannten, wie wir ihn in unserer anonymen Massengesellschaft nur allzu gut kennen und tagtäglich praktizieren, erfordert ein Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen.“
Eine besondere Form einer Gruppe sind die Mitarbeiter einer Firma oder eines Teams. Hier wechseln die Zusammensetzungen öfter, und durch Beförderungen ändern sich die Loyalitäten. In solchen flexiblen Gruppen ist es natürlich und notwendig, eine Fassade von Vertrauenswürdigkeit aufzubauen und gleichzeitig Vertrauensbeziehungen nicht zu eng zu gestalten. Bei mittlerer oder kühlerer Betriebstemperatur ist ein Vertrauensverlust weniger schmerzhaft.
Vertrauen aufbauen
Piloten stellen sich den Passagieren vor jedem Flug namentlich vor: Sich persönlich zu kennen, schafft Vertrauen. Von einem Straßenhändler mit verspiegelter Sonnenbrille würde man sich jedoch kaum etwas andrehen lassen. Wenn Sie Vertrauen zu jemandem aufbauen wollen, machen Sie sich bekannt, indem Sie nach Gemeinsamkeiten suchen: ähnliche Herkunft, ähnlicher Werdegang, Hobbys, Interessen usw. Stiften Sie eine Verbindung, äußern Sie sich anerkennend über Ihr Gegenüber, aber ohne übertriebene Schmeichelei. Für Vertrauen braucht es keinen besonderen Grund, für Misstrauen schon. Übertreibung etwa weckt Argwohn. Fühlt sich ein Kunde oder Mitarbeiter verstanden und akzeptiert, können Sie ihn gezielter beraten oder motivieren.
„Vertrauen gibt es nur, wenn der andere in der Lage ist, Ihr Vertrauen für sich auszunutzen.“
Gesundes Selbstvertrauen ist eine gute Voraussetzung, um Vertrauen zu schaffen. Dieses bildet sich sozusagen auf leisen Sohlen, nicht indem die eigene Vertrauenswürdigkeit lauthals gepriesen wird. Sogar Einwände gegen sich selbst können die Glaubwürdigkeit steigern, solange Sie nicht zum notorischen Bedenkenträger werden. Zeigen Sie lediglich Problembewusstsein oder nehmen Sie mögliche Kritik vorweg. Vertrauen einsammeln wie Fallobst können Sie, wenn andere Vertrauen verlieren: In der jüngsten Finanzkrise wurden Milliardensummen von den Geschäftsbanken zu den Sparkassen transferiert.
Besondere Vertrauensverhältnisse
Beim Experten (Arzt, Rechtsanwalt, Börsenguru usw.) steht auf den ersten Blick die Kompetenz im Vordergrund. Sie wird benötigt, um ein schwieriges oder komplexes Problem zu lösen, der klassische Fall von Vereinfachung und Entlastung. Aber im Hinblick auf das Vertrauen gilt auch die Kompetenz nichts, wenn die persönliche Wertschätzung fehlt. Vertrauenerweckende Experten nehmen sich darum die Zeit, die Materie zu erklären. „Ich mach das schon für Sie!“ wirkt nicht vertrauenswürdig.
„Menschen fassen am ehesten Vertrauen, wenn sie etwas mit Ihnen verbindet.“
Reputations- und Imageaufbau ist eine langwierige Sache. Verlässlichkeit und Sorgfalt in kleinen Dingen dürfen das angestrebte Image nicht konterkarieren. Mit schlampigen E-Mails in fehlerhaftem Deutsch würden Sie als Rechtsanwalt oder Werbetexter das Vertrauen in Ihre Kompetenz untergraben. Wenn ausnahmsweise einmal wenig Zeit zur Verfügung steht und es gleichzeitig um viel Geld geht, lässt sich u. U. auch mit großspurigem Auftreten Vertrauen gewinnen. Typischerweise funktioniert das, wenn die Not oder die (Gewinn-)Erwartungen groß sind, so etwa mit Diätangeboten, Börsentipps und im Immobiliengeschäft.
Vertrauen nutzen
Ist das Vertrauen einmal aufgebaut, will man es auch nutzen. Einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, bedeutet immer auch, einen anderen zu vereinnahmen. Wenn Sie z. B. in Arbeitsverhältnissen hohe Erwartungen zum Ausdruck bringen, wird das in der Regel ein großer Leistungsansporn sein.
„Vertrauen und Kontrolle schließen sich keineswegs aus. Ja, sie bedingen einander.“
Spüren Sie dagegen als Vertrauensnehmer, dass die Erwartungen unklar formuliert oder zu hoch gesetzt sind, sollten Sie das klären. Offenheit ist geradezu ein Merkmal eines Vertrauensverhältnisses. So lassen sich evtl. auch später noch unterschiedliche Erwartungen oder das Dazwischentreten unvorhergesehener Umstände klären, damit das Vertrauensverhältnis geschützt bleibt.
„Manchmal fließt Ihnen das Vertrauen auch einfach zu, weil andere versagt haben.“
In einem beruflichen oder vertraglichen Vertrauensverhältnis wird auch Verantwortung abgegeben: Wenn ein Subunternehmer Schutzbestimmungen verletzt, muss man als Unternehmer dafür nicht unbedingt geradestehen. Einerseits festigt sich Vertrauen, wenn es wiederholt genutzt wird. Andererseits sind gerade im Beruf Vertrauensverhältnisse in der Regel nicht von langer Dauer. Vertrauensüberschüsse werden immer sehr genau bilanziert und sollten so schnell wie möglich ausgeglichen werden. Mit der Zeit verlieren sie an Wert.
„Durch Offenheit bleiben Sie vertrauenswürdig, ja unter Umständen stärken Sie sogar Ihre Vertrauenswürdigkeit.“
Bei einem übergroßen Vertrauensvorschuss besteht die Gefahr, in die Vertrauensfalle zu geraten. Sie haben zu viel Verantwortung abgegeben oder den Vertrauensnehmer falsch eingeschätzt und sind an einen Betrüger oder Hochstapler geraten. Der harmlosere Fall ist, wenn Sie das Vertrauen eines äußerst misstrauischen Menschen gewonnen haben; der legt dann ungeheure Erwartungen in Sie. Der Umgang mit enttäuschtem Vertrauen ist sehr problematisch. Weil sich viele Menschen persönlich verletzt fühlen und sich nicht mit der Täuschung abfinden wollen, halten sie irrationalerweise an solchen Vertrauensverhältnissen fest und schützen so ihr Ego.
Verspieltes Vertrauen
Wie man manchmal mit kleinen, sogar unbeabsichtigten Gesten beim Aufbau einer Beziehung Vertrauen gewinnen kann, so können Lappalien, kleine Unachtsamkeiten zu einem Vertrauensverlust führen: Einem Kunden wird eine bestimmte Serviceleistung erbracht, einem anderen nicht, und dieser bekommt die Ungleichbehandlung mit. Manchmal genügt schon eine zwar scherzhaft gemeinte, aber eben doch dumme Bemerkung. Oftmals erodiert das Vertrauen einfach stillschweigend; der Kunde zieht sich zurück, ohne dass man es wahrnimmt.
„Muss ein Verantwortlicher seine Position räumen, dann zeigt das, dass Sie den Vertrauensbruch missbilligen.“
Weil gerade in beruflichen Zusammenhängen selten durchweg mit offenen Karten gespielt wird, kann ein schleichender Vertrauensverlust auch dann eintreten, wenn sich jemand, dem eine komplexe Aufgabe anvertraut wurde, als unsicher erweist oder wenn der Vertrauensgeber meint, die Voraussetzungen für das Vertrauensverhältnis hätten sich verändert. Das ist bei Positionswechseln wie Beförderungen häufig der Fall. Besonders wenn man sich von neuen Loyalitäten mehr verspricht, lässt man die alten „auslaufen“.
„Jemand, der seinen Fehler bagatellisiert, kann nicht erwarten, dass er Vertrauen zurückgewinnt.“
Eklatant ist natürlich der offene Vertrauensbruch, die blanke Illoyalität. Aber auch ein zu weit gehendes, verantwortungsloses und unkontrolliertes Vertrauen kann dazu führen, dass der Vertrauensnehmer die Bodenhaftung verliert. Er macht, was er will, und schädigt u. U. den Vertrauensgeber. Personen mit hochkomplexen, nicht durchschaubaren Aufgaben, etwa einem Fußballtrainer oder Manager, kann von einem Tag auf den anderen das Vertrauen entzogen werden, auch ohne konkretes Fehlverhalten oder nachweisbare Schuld.
Vertrauen zurückgewinnen
Verlorenes Vertrauen kann mithilfe verschiedener Maßnahmen zurückgewonnen werden:
- Sie machen einen radikalen Neuanfang mit konkreten Schritten: Auswechslung von Personen (weil Vertrauen personen- und nicht strukturgebunden ist), evtl. Neuverteilung von Kompetenzen, vertrauensbildende Einbindung der Betroffenen.
- Sie räumen Fehler unumwunden ein, entschuldigen sich und bieten ggf. Entschädigung an. Bagatellisieren, sich rausreden, Verantwortung abwälzen, in Salamitaktik nur das zugeben, was sich keinesfalls abstreiten lässt – all das zerstört evtl. noch vorhandenes Vertrauen restlos.
- Auch die Zeit kann Vertrauenswunden heilen, wenn man nicht drängt oder sich aufdrängt, sondern einfach versucht, sich zu bewähren. Manchmal stellt das Gegenüber auch fest, dass gar keine oder nur vergleichsweise schlechtere Alternativen existieren und gibt entzogenes Vertrauen wieder zurück.