Vertrauen

Buch Vertrauen

Wie man es aufbaut. Wie man es nutzt. Wie man es verspielt.

Haufe,


Rezension

Vertrauen ist immer im Spiel: beim Verkaufen, beim Bewerben, beim Kar­ri­eremachen, beim Führen und beim Delegieren von Ve­r­ant­wor­tung. Matthias Nöllke geht seine Un­ter­suchung zunächst ziemlich empirisch an: Er beginnt mit der Vorstellung etlicher Ver­such­sanord­nun­gen aus der sozial­wis­senschaftlichen Spielthe­o­rie. Im weiteren Verlauf greift er aber überwiegend auf allgemeine Erfahrungen und Weisheiten zum Thema Vertrauen und Ver­trauens­bruch zurück und ordnet sie sys­tem­a­tisch nach Fallgruppen. So mutiert das Buch nach dem reichlich akademis­chen Einstieg zu einem recht handfesten Ratgeber, vor allem in den Schlusskapiteln. Nöllke befasst sich ausschließlich mit wirtschaft­srel­e­van­ten Ver­trauensfra­gen; Ehe und Familie – ein weites Feld – sind aus­ge­blendet. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die bei ihrer Arbeit auf das Vertrauen anderer angewiesen sind.

Take-aways

  • Vertrauen ist für das Funk­tion­ieren von Wirtschaft und Gesellschaft un­ent­behrlich.
  • Jede Delegation von Aufgaben und jede Auf­tragserteilung setzt Vertrauen voraus.
  • Vertrauen vereinfacht und entlastet, vor allem bei komplexen Sachver­hal­ten.
  • Die Grund­kom­po­nen­ten des Vertrauens sind Ver­trautheit (man kennt sich), Gegen­seit­igkeit, Loyalität und Kompetenz.
  • Auch als Experte müssen Sie sich persönliche Wertschätzung erarbeiten; Kompetenz reicht nicht, um Vertrauen zu gewinnen.
  • Vertrauen lässt sich mithilfe von Gemein­samkeiten aufbauen und benötigt Zeit.
  • Vertrauen ist ein Motivator. Sie können damit Mitarbeiter zu Höchstleis­tun­gen anspornen.
  • Als Ver­trauen­snehmer in einem Arbeitsverhältnis sollten Sie die Erwartungen vorgängig klären.
  • Loyalitätsbrüche oder kleine Un­acht­samkeiten können Vertrauen schleichend zerstören.
  • Zurückgewinnen lässt sich Vertrauen nur durch einen Neuanfang, durch Reue, Entschädigung und Einbindung der Betroffenen.
 

Zusammenfassung

Un­ent­behrlich im Umgang mit Menschen

Keine Gesellschaft funk­tion­iert ohne Vertrauen. Schon morgens, wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen, vertrauen Sie darauf, dass die Ingenieure im Wasserwerk ihre Arbeit tun. In der Au­tow­erk­statt verlassen Sie sich auf die ordnungsgemäße Ausführung der Reparatur, deren Details Sie nicht kon­trol­lieren können. Wenn Sie einen Recht­sanspruch haben, können Sie ihn bei Gericht durchsetzen – das ist Sys­temver­trauen. Oft kennen Sie die Person nicht einmal, der Sie sich anvertrauen. Ohne Sys­temver­trauen würde Chaos herrschen. Vertrauen vereinfacht viele Dinge und entlastet uns. Menschen, die kein Vertrauen haben, müssten alles selbst machen und wären psychisch und emotional bald isoliert.

Grund­kom­po­nen­ten des Vertrauens

Klassische Ver­trauensverhältnisse im Wirtschaft­sleben sind beispiel­sweise das zu Ihrem Steuer- oder Fi­nanzber­ater. Aber auch das Übertragen einer Aufgabe an einen Mitarbeiter oder die Beratung eines Kunden erfordern Vertrauen. Zum Vertrauen gehören:

  • Ver­trautheit: Sie kennen einander, und zwar nicht erst seit kurzer Zeit.
  • Gegen­seit­igkeit: Der Ver­trauensge­ber erwartet eine Gegen­leis­tung. Beispiel: Sie geben einem anderen eine spezielle Information, oder Sie vertrauen dem gesund­heitliche Geheimnisse an.
  • Loyalität: Sie gehen davon aus, dass derjenige, dem Sie Vertrauen schenken, Ihnen wohlgesinnt ist.
  • Kompetenz: Sie erwarten, dass Ihr Gegenüber die ihm anvertraute Aufgabe erfüllen kann.
„Ohne Vertrauen sind wir ganz auf uns selbst zurückgeworfen und müssen alles in die eigene Hand nehmen.“

Mangel an Kompetenz ist verzeihlich und führt nicht automatisch zu Ver­trauensver­lust. Mangel an Loyalität hingegen schon.

Vertrauen ist Gefühlssache

Vertrauen impliziert immer die Möglichkeit des Missbrauchs. Wer Vertrauen schenkt, macht sich verwundbar. Die De­tailkon­trolle ist aus­geschlossen: Wenn Sie sich jede kleine Maßnahme eines Mi­tar­beit­ers berichten lassen, vertrauen Sie ihm nicht. Umgekehrt kann großes Vertrauen große Dinge bewirken, auf die Sie ansonsten gar keinen Einfluss hätten. Das nennt man die „Hebel­wirkung des Vertrauens“. Vertrauen ist ein mächtiger Motivator. Wenn Sie großzügig Vertrauen schenken, können Sie andere Menschen zu al­tru­is­tis­chen Handlungen oder Ihre Mitarbeiter zu Höchstleis­tun­gen veranlassen, aber auch potenzielle Kunden zum Kauf oder zur Auf­tragsver­gabe.

„Wer Ihnen vertraut, der will etwas von Ihnen. Er erwartet eine Gegen­leis­tung.“

Vertrauen hat außerdem eine neu­rol­o­gis­che Komponente. Wie nachgewiesen wurde, steigt beim Ver­trauen­snehmer das hormonelle Wohlgefühl (aufgrund der Oxy­tocin-Ausschüttung). Vertrauen ist keine reine Nutzenkalku­la­tion. Wenn Vertrauen im Spiel ist, werden auch kleinere Gewinne als beglückend empfunden. Jedoch lassen wir uns wegen eines drohenden Ver­trauensver­lusts manche Gewin­n­chance entgehen, die wir nach rein ökonomischer Ratio wahrnehmen würden: Wir fürchten nicht nur einen Verlust, sondern auch das Gefühl, betrogen zu werden („betrayal aversion“).

„Ohne fun­da­men­tales Wohlwollen ist kein Vertrauen möglich.“

Vertrauen ist eingebettet in soziale Beziehungen. Stehen Menschen unter Beobachtung, sind sie bestrebt, eine gute Reputation aufzubauen; sie wollen als vertrauenswürdig gelten. Innerhalb von Gruppen herrscht ein höheres Maß von Vertrauen; Grup­pen­mit­glieder werden bevorzugt. Erhöht sich der Außendruck auf Gruppen, wie etwa bei ethnischen Min­der­heiten, so steigt auch das Grup­pen­ver­trauen.

„Der Ver­trauensvorschuss gegenüber Unbekannten, wie wir ihn in unserer anonymen Mas­sen­ge­sellschaft nur allzu gut kennen und tagtäglich prak­tizieren, erfordert ein Vertrauen in die gesellschaftlichen In­sti­tu­tio­nen.“

Eine besondere Form einer Gruppe sind die Mitarbeiter einer Firma oder eines Teams. Hier wechseln die Zusam­menset­zun­gen öfter, und durch Beförderungen ändern sich die Loyalitäten. In solchen flexiblen Gruppen ist es natürlich und notwendig, eine Fassade von Vertrauenswürdigkeit aufzubauen und gle­ichzeitig Ver­trauens­beziehun­gen nicht zu eng zu gestalten. Bei mittlerer oder kühlerer Be­trieb­stem­per­atur ist ein Ver­trauensver­lust weniger schmerzhaft.

Vertrauen aufbauen

Piloten stellen sich den Passagieren vor jedem Flug namentlich vor: Sich persönlich zu kennen, schafft Vertrauen. Von einem Straßenhändler mit ver­spiegel­ter Son­nen­brille würde man sich jedoch kaum etwas andrehen lassen. Wenn Sie Vertrauen zu jemandem aufbauen wollen, machen Sie sich bekannt, indem Sie nach Gemein­samkeiten suchen: ähnliche Herkunft, ähnlicher Werdegang, Hobbys, Interessen usw. Stiften Sie eine Verbindung, äußern Sie sich anerkennend über Ihr Gegenüber, aber ohne übertriebene Schme­ichelei. Für Vertrauen braucht es keinen besonderen Grund, für Misstrauen schon. Übertreibung etwa weckt Argwohn. Fühlt sich ein Kunde oder Mitarbeiter verstanden und akzeptiert, können Sie ihn gezielter beraten oder motivieren.

„Vertrauen gibt es nur, wenn der andere in der Lage ist, Ihr Vertrauen für sich auszunutzen.“

Gesundes Selb­stver­trauen ist eine gute Vo­raus­set­zung, um Vertrauen zu schaffen. Dieses bildet sich sozusagen auf leisen Sohlen, nicht indem die eigene Vertrauenswürdigkeit lauthals gepriesen wird. Sogar Einwände gegen sich selbst können die Glaubwürdigkeit steigern, solange Sie nicht zum notorischen Bedenkenträger werden. Zeigen Sie lediglich Prob­lem­be­wusst­sein oder nehmen Sie mögliche Kritik vorweg. Vertrauen einsammeln wie Fallobst können Sie, wenn andere Vertrauen verlieren: In der jüngsten Finanzkrise wurden Mil­liar­den­sum­men von den Geschäftsbanken zu den Sparkassen trans­feriert.

Besondere Ver­trauensverhältnisse

Beim Experten (Arzt, Recht­san­walt, Börsenguru usw.) steht auf den ersten Blick die Kompetenz im Vordergrund. Sie wird benötigt, um ein schwieriges oder komplexes Problem zu lösen, der klassische Fall von Vere­in­fachung und Entlastung. Aber im Hinblick auf das Vertrauen gilt auch die Kompetenz nichts, wenn die persönliche Wertschätzung fehlt. Ver­trauen­er­weck­ende Experten nehmen sich darum die Zeit, die Materie zu erklären. „Ich mach das schon für Sie!“ wirkt nicht vertrauenswürdig.

„Menschen fassen am ehesten Vertrauen, wenn sie etwas mit Ihnen verbindet.“

Rep­u­ta­tions- und Imageaufbau ist eine langwierige Sache. Verlässlichkeit und Sorgfalt in kleinen Dingen dürfen das angestrebte Image nicht kon­terkari­eren. Mit schlampigen E-Mails in fehler­haftem Deutsch würden Sie als Recht­san­walt oder Werbetexter das Vertrauen in Ihre Kompetenz untergraben. Wenn aus­nahm­sweise einmal wenig Zeit zur Verfügung steht und es gle­ichzeitig um viel Geld geht, lässt sich u. U. auch mit großspurigem Auftreten Vertrauen gewinnen. Typ­is­cher­weise funk­tion­iert das, wenn die Not oder die (Gewinn-)Erwartungen groß sind, so etwa mit Diätangeboten, Börsentipps und im Im­mo­biliengeschäft.

Vertrauen nutzen

Ist das Vertrauen einmal aufgebaut, will man es auch nutzen. Einen Ver­trauensvorschuss zu gewähren, bedeutet immer auch, einen anderen zu vere­in­nah­men. Wenn Sie z. B. in Arbeitsverhältnissen hohe Erwartungen zum Ausdruck bringen, wird das in der Regel ein großer Leis­tungsans­porn sein.

„Vertrauen und Kontrolle schließen sich keineswegs aus. Ja, sie bedingen einander.“

Spüren Sie dagegen als Ver­trauen­snehmer, dass die Erwartungen unklar formuliert oder zu hoch gesetzt sind, sollten Sie das klären. Offenheit ist geradezu ein Merkmal eines Ver­trauensverhältnisses. So lassen sich evtl. auch später noch un­ter­schiedliche Erwartungen oder das Dazwis­chen­treten un­vorherge­se­hener Umstände klären, damit das Ver­trauensverhältnis geschützt bleibt.

„Manchmal fließt Ihnen das Vertrauen auch einfach zu, weil andere versagt haben.“

In einem beruflichen oder ver­traglichen Ver­trauensverhältnis wird auch Ve­r­ant­wor­tung abgegeben: Wenn ein Sub­un­ternehmer Schutzbes­tim­mungen verletzt, muss man als Unternehmer dafür nicht unbedingt ger­adeste­hen. Einerseits festigt sich Vertrauen, wenn es wiederholt genutzt wird. An­der­er­seits sind gerade im Beruf Ver­trauensverhältnisse in der Regel nicht von langer Dauer. Vertrauensüberschüsse werden immer sehr genau bilanziert und sollten so schnell wie möglich aus­geglichen werden. Mit der Zeit verlieren sie an Wert.

„Durch Offenheit bleiben Sie vertrauenswürdig, ja unter Umständen stärken Sie sogar Ihre Vertrauenswürdigkeit.“

Bei einem übergroßen Ver­trauensvorschuss besteht die Gefahr, in die Ver­trauensfalle zu geraten. Sie haben zu viel Ve­r­ant­wor­tung abgegeben oder den Ver­trauen­snehmer falsch eingeschätzt und sind an einen Betrüger oder Hochstapler geraten. Der harmlosere Fall ist, wenn Sie das Vertrauen eines äußerst mis­strauis­chen Menschen gewonnen haben; der legt dann ungeheure Erwartungen in Sie. Der Umgang mit enttäuschtem Vertrauen ist sehr prob­lema­tisch. Weil sich viele Menschen persönlich verletzt fühlen und sich nicht mit der Täuschung abfinden wollen, halten sie ir­ra­tionaler­weise an solchen Ver­trauensverhältnissen fest und schützen so ihr Ego.

Verspieltes Vertrauen

Wie man manchmal mit kleinen, sogar un­be­ab­sichtigten Gesten beim Aufbau einer Beziehung Vertrauen gewinnen kann, so können Lappalien, kleine Un­acht­samkeiten zu einem Ver­trauensver­lust führen: Einem Kunden wird eine bestimmte Ser­viceleis­tung erbracht, einem anderen nicht, und dieser bekommt die Un­gle­ich­be­hand­lung mit. Manchmal genügt schon eine zwar scherzhaft gemeinte, aber eben doch dumme Bemerkung. Oftmals erodiert das Vertrauen einfach stillschweigend; der Kunde zieht sich zurück, ohne dass man es wahrnimmt.

„Muss ein Ve­r­ant­wortlicher seine Position räumen, dann zeigt das, dass Sie den Ver­trauens­bruch miss­bil­li­gen.“

Weil gerade in beruflichen Zusammenhängen selten durchweg mit offenen Karten gespielt wird, kann ein schle­ichen­der Ver­trauensver­lust auch dann eintreten, wenn sich jemand, dem eine komplexe Aufgabe anvertraut wurde, als unsicher erweist oder wenn der Ver­trauensge­ber meint, die Vo­raus­set­zun­gen für das Ver­trauensverhältnis hätten sich verändert. Das ist bei Po­si­tion­swech­seln wie Beförderungen häufig der Fall. Besonders wenn man sich von neuen Loyalitäten mehr verspricht, lässt man die alten „auslaufen“.

„Jemand, der seinen Fehler bagatel­lisiert, kann nicht erwarten, dass er Vertrauen zurückgewinnt.“

Eklatant ist natürlich der offene Ver­trauens­bruch, die blanke Illoyalität. Aber auch ein zu weit gehendes, ve­r­ant­wor­tungsloses und un­kon­trol­liertes Vertrauen kann dazu führen, dass der Ver­trauen­snehmer die Bo­den­haf­tung verliert. Er macht, was er will, und schädigt u. U. den Ver­trauensge­ber. Personen mit hochkom­plexen, nicht durch­schaubaren Aufgaben, etwa einem Fußballtrainer oder Manager, kann von einem Tag auf den anderen das Vertrauen entzogen werden, auch ohne konkretes Fehlver­hal­ten oder nach­weis­bare Schuld.

Vertrauen zurückgewinnen

Verlorenes Vertrauen kann mithilfe ver­schiedener Maßnahmen zurückgewonnen werden:

  • Sie machen einen radikalen Neuanfang mit konkreten Schritten: Auswech­slung von Personen (weil Vertrauen personen- und nicht struk­turge­bun­den ist), evtl. Neu­verteilung von Kompetenzen, ver­trauens­bildende Einbindung der Betroffenen.
  • Sie räumen Fehler unumwunden ein, entschuldigen sich und bieten ggf. Entschädigung an. Bagatel­lisieren, sich rausreden, Ve­r­ant­wor­tung abwälzen, in Salami­tak­tik nur das zugeben, was sich keinesfalls abstreiten lässt – all das zerstört evtl. noch vorhandenes Vertrauen restlos.
  • Auch die Zeit kann Ver­trauenswun­den heilen, wenn man nicht drängt oder sich aufdrängt, sondern einfach versucht, sich zu bewähren. Manchmal stellt das Gegenüber auch fest, dass gar keine oder nur ver­gle­ich­sweise schlechtere Al­ter­na­tiven existieren und gibt entzogenes Vertrauen wieder zurück.

Über den Autor

Matthias Nöllke ist pro­movierter Literatur- und Kom­mu­nika­tion­swis­senschaftler und seit Jahren als Journalist tätig, u. a. für den Bayerischen Rundfunk und für Die Zeit. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und Ratgeber, darunter Machtspiele, Schlagfer­tigkeit und So managt die Natur.