Die bisher größte Neuromarketing-Studie
Dass sich die herkömmliche Marktforschung ziemlich oft irrt, beweisen die zahlreichen Flops bei der Entwicklung neuer Produkte. Das Problem: Die Marktforschung bildet nicht das ab, was die Verbraucher wirklich denken und fühlen. Nun tritt das Neuromarketing auf den Plan – mit dem Potenzial, eine Revolution anzuzetteln. Den Beweis dafür liefert eine Studie, die an Umfang ihresgleichen sucht und die zeigt, was im Kopf der Konsumenten vorgeht, wenn sie Werbung oder ein Produkt sehen. Dazu wurden die derzeit besten Apparate für Gehirnscans genutzt: ein Magnetresonanztomograf (MRT) und ein Elektroenzephalograf für die so genannte Steady-State-Topography (SST), bei der Gehirnwellen in Echtzeit aufgenommen werden.
Der Mensch handelt nicht rational
Der MRT misst die magnetischen Eigenschaften von Hämoglobin, das den Sauerstoff im Blut transportiert. Die Forscher können damit ermitteln, wie viel sauerstoffreiches Blut durch das Gehirn strömt. Strengt sich eine Gehirnregion besonders an, benötigt sie auch besonders viel Blut. Damit lässt sich feststellen, welche Gehirnareale gerade aktiv sind. Die Studie begann 2004, dauerte fast drei Jahre und verschlang ca. sieben Millionen Dollar. Tausende von Probanden, 200 Forscher, zehn Professoren, Ärzte und eine Ethikkommission wurden eingebunden.
„Neuromarketing ist ein einfaches Instrument, das zu ergründen hilft, was Verbraucher denken, wenn sie einem Produkt oder einer Marke begegnen, und das uns mitunter auch hilft, die hinterhältigen Methoden zu erkennen, die Marketingleute zu unserer Verführung benutzen, ohne dass wir es merken.“
Durch die Befragung und einen anschließenden Gehirnscan von Rauchern stellte das Forscherteam fest, dass der Mensch keineswegs so rational handelt, wie er denkt. Denn trotz großer Hinweise auf den Zigarettenschachteln, dass Rauchen Krebs und andere Krankheiten verursacht, sinkt die weltweite Zahl der Raucher nicht. Auf die Frage, ob die Warnungen abschrecken würden, antworteten die meisten Probanden mit Ja. Der Gehirnscan zeigte jedoch etwas anderes: Die Warnungen aktivierten das Suchtzentrum im Gehirn. Verspürt der Mensch Verlangen nach etwas, wie Alkohol oder Nikotin, wird dieses Areal von Blut durchströmt. Ist das Suchtzentrum einmal stimuliert, will es befriedigt werden. In diesem Fall verlangte der Körper nach Nikotin. Das Geld für die Anti-Raucherkampagnen ist also vollkommen fehlinvestiert.
Produktplatzierungen müssen integriert sein
Unternehmen geben horrende Summen für das Sponsoring aus, beispielsweise von Fernsehsendungen. American Idol etwa hat drei Hauptsponsoren: Cingular Wireless, Ford Motor Company und Coca-Cola. Jedes dieser Unternehmen zahlt schätzungsweise mehr als 26 Millionen Dollar dafür und wird in unterschiedlicher Weise in die Sendung eingebunden. Coca-Cola ist am häufigsten präsent, als Getränk für die Juroren, mit Stühlen und Sofas, die Cola-Flaschen nachgebildet sind, oder durch Coca-Cola-rote Wände im Vorsingraum. Wer anruft und abstimmen will, kann dies nur von einem Cingular-Wireless-Handy aus tun. Zudem bietet das Unternehmen Live-Mitschnitte als Klingelton an. Ford hingegen ist nicht direkt in die Sendung eingebunden und zeigt sich nur in 30-Sekunden-Spots.
„Ob es Ihnen gefällt oder nicht, wir alle verhalten uns laufend auf eine Weise, für die es keine eindeutige oder logische Erklärung gibt.“
Laut SST erinnerten sich die Probanden besser an Coca-Cola als an Cingular. Für Ford sah es ganz schlecht aus: Die Probanden konnten nach der Sendung sogar weniger mit dem Markennamen verbinden als davor. Die Coca-Cola-Werbung hat Ford einfach aus der Erinnerung verdrängt. Mit dem Einsatz von 26 Millionen Dollar verlor das Unternehmen also noch Marktanteile. Fazit: Produktplatzierungen sind nur dann wirkungsvoll, wenn sie in die jeweilige Handlung integriert werden, wie es bei Coca-Cola und Cingular der Fall war.
Das will ich auch!
Bei einer Untersuchung von Makaken, einer Affenart, bei der ein italienisches Forscherteam herausfinden wollte, wie das Gehirn die Motorik steuert, wurden die Spiegelneuronen entdeckt. Diese Neuronen werden aktiv, wenn ein Makake bei einem anderen eine Handlung mit einem Objekt beobachtet, und wecken in ihm das Bedürfnis, die Handlung ebenfalls auszuführen. MRT und SST haben gezeigt, dass auch beim Menschen solche Spiegelneuronen aktiv sind, wenn er eine Handlung beobachtet. Aus diesem Grund steigen auch Ihnen die Tränen in die Augen, wenn ein armes Mädchen im Film weint. Und: Dank der Spiegelneuronen ahmen wir andere Menschen nach. Zum Teil sind sie dafür verantwortlich, dass wir etwas kaufen. Ein Fotomodell in einer Zeitschrift oder auf einem Plakat weckt beim Betrachter das Gefühl, genauso aussehen und wirken zu wollen. Verstärkt wird die kaufauslösende Wirkung durch das Dopamin, eine suchterzeugende Substanz, die das Gehirn im Moment des Kaufens ausschüttet.
Logos müssen nicht sein
Eine weitere Erkenntnis der Gehirnscan-Studien besagt, dass unterschwellige Botschaften wirkungsvoller als Logos sind. Nicht grundlos werden sie von den Zigarettenherstellern seit dem Verbot der Tabakwerbung im großen Stil genutzt. Statt das Marlboro-Logo zu verwenden, werden beispielsweise Bars im typischen Marlboro-Rot ausgestattet, mit Fliesen, die Teilen des Logos nachempfunden sind. Der Verbraucher assoziiert mit solchen Farben oder typischen Bildern, wie dem eines Cowboys, sofort die Zigarettenmarke und das von ihr propagierte Gefühl der Freiheit. Die Gehirnscans während der Neuromarketing-Studie zeigten eindeutig, dass Bilder eines gut aussehenden Cowboys oder eines leuchtend roten Ferraris sofort das Suchtzentrum im Gehirn stimulieren. Besonders überraschend war, dass die logofreien Bilder stärker stimulierten als die Kombination Logos und Bilder auf Zigarettenschachteln. Das Gehirn ist bei unterschwelligen Botschaften weniger wachsam als bei expliziter Werbung. Wenn wir wissen, dass wir es mit Zigarettenwerbung zu tun haben, wissen wir auch, dass unsere Gesundheit gefährdet und Rauchen teuer ist. Wir nehmen uns in Acht und sind damit weniger empfänglich für die Werbung.
Rituale und Religion
Mitarbeiter der Imbisskette Subway belegen die Sandwichs immer in der gleichen Reihenfolge. Verbraucher mögen solche Rituale, weil sie etwas Vertrautes inmitten der heutigen Schnelllebigkeit schaffen. Hinzu kommt bei vielen Ritualen das Zugehörigkeitsgefühl zu all den Menschen, die es ebenfalls pflegen.
„Produkte, die fester Bestandteil eines Programminhalts sind, verstärken nicht nur die Erinnerung an das Produkt, sie verringern auch unsere Fähigkeit, uns an andere Marken zu erinnern.“
Rituale sind fester Bestandteil jeder Religion. Dass Marken, die wie eine Religion aufgebaut werden, stärker sind und besser im Gedächtnis haften bleiben als Marken, die nicht mit religiösen Elementen arbeiten, wurde in einer weiteren Gehirnscan-Untersuchung nachgewiesen. Dabei hat man die Probanden mit Kultmarken wie Apple, Guinness, Ferrari oder Harley Davidson sowie mit religiösen Bildern konfrontiert. Im Vergleich dazu wurden auch emotional schwache Marken wie Microsoft oder BP gezeigt. Ein Ergebnis der Untersuchung war, dass das Gehirn beim Anblick starker Marken viel stärker aktiviert wird als beim Anblick schwacher Marken. Zudem aktivieren starke Marken die gleichen Gehirnregionen wie religiöse Bilder – und dies in gleicher Intensität.
Somatische Marker
Sie kaufen Mineralwasser im Supermarkt und entscheiden sich beispielsweise für Perrier, weil die Marke für Klasse, Qualität, für Frankreich, gutes Essen und überhaupt für Lebensqualität steht. Dazu müssen Sie Perrier noch nicht einmal getrunken haben. Ihr Gehirn hat alle diese Informationen, vermittelt durch Werbung, gespeichert.
„Der Nachahmungstrieb ist ein wesentlicher Erklärungsfaktor dafür, warum wir kaufen, was wir kaufen.“
Das Gehirn sammelt und archiviert im Lauf des Lebens unzählige Erlebnisse und Erfahrungen. So merkt es sich beispielsweise, dass die Berührung eines heißen Kochtopfes Schmerz verursacht. Selbst wenn die Brandblase auf dem Finger längst verheilt ist, bleibt der Zusammenhang zwischen Ereignis und Gefühl im Gehirn gespeichert. Dieses Phänomen wird somatischer Marker genannt. Und genau diese abgespeicherten Eindrücke sind es, die auch Kaufentscheidungen beeinflussen.
Multisensorik
Unternehmen bemühen sich bewusst darum, solche somatischen Marker im Gehirn der Konsumenten festzusetzen. Dabei arbeiten sie mit Bildern, Gerüchen, Farben oder Tönen, die Assoziationen zum Produkt wecken.
„Werbefachleute bemühen sich, wenn sie unsere Aufmerksamkeit erregen wollen, um überraschende, ja schockierende Assoziationen zwischen zwei ganz verschiedenen Dingen.“
Der Toilettenpapierhersteller Andrex beispielsweise warb mit einem jungen Labrador und erzielte damit größeren Absatz als Konkurrent Kleenex. Das Hundebaby weckt Assoziationen zu jungen Familien und kleinen Kindern. Die Gehirnscan-Experimente haben eindeutig bewiesen, dass Bilder und Gerüche oder Bilder und Töne in Kombination positiver aufgenommen werden, als wenn sie separat betrachtet, gehört oder gerochen werden. Auch die Erinnerung an eine Marke verstärkt sich in der Kombination von Bild und Ton. Entscheidend ist dabei immer, dass es sich um einen positiven somatischen Marker handelt.
Gehirnscans für Produktentwicklungen
Jahr für Jahr bringen Unternehmen weltweit neue Produkte auf den Markt. Ein Großteil davon floppt. Für viele Unternehmen ist das ein Rätsel, da sie im Vorfeld die Märkte sorgfältig analysiert und die Kunden befragt haben. So fragte die Ford Motor Company die amerikanischen Verbraucher nach ihren Wunschmerkmalen für ein Auto. Diese Wünsche wurden dann im „amerikanischen Auto“ berücksichtigt – das aber leider niemand kaufen wollte. Die Erklärung liefert auch hier die Untersuchung der Gehirnaktivitäten.
„Der Einzelhandel der Zukunft? Er wird nach Honigmelonen, Zitronengras und Mandarinen duften.“
Bei einer Testreihe zeigte das Forscherteam den Probanden Fernsehsendungen. Wiederum unterschieden sich die Befragungsergebnisse im Vorfeld von dem, was im Gehirn tatsächlich passierte. Während z. B. die geplante Sendung Quizmania bei der Befragung negativ bewertet wurde und kaum jemand sie sich ansehen wollte, zeigte das Gehirn beim Betrachten trotzdem starke Aktivitäten. Im Gegensatz dazu war das Gehirn kaum involviert, als sich die Testpersonen die Sendung The Swan anschauten – im Vorfeld befragt hatten sie sich positiv dazu geäußert. Der spätere Erfolg oder Misserfolg der Sendungen gab den Gehirnscans Recht: The Swan wurde ein Flop, während Quizmania nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Australien, Brasilien und anderen Ländern erfolgreich läuft. Unternehmen sind also gut beraten, künftig in die Gehirne der Verbraucher zu schauen, bevor sie ein neues Produkt auf den Markt bringen.
Verkauft Sex wirklich besser?
Viele Unternehmen schwören nach wie vor auf die angeblich verkaufsfördernde Wirkung von Erotik. Zu Recht?
„Die herkömmliche Marktforschung wird an Bedeutung verlieren, während Neuromarketing zum wichtigsten Hilfsmittel werden wird, um den Erfolg oder den Misserfolg eines Produkts vorherzusagen.“
Studien haben gezeigt, dass sich Konsumenten später zwar gut an die erotischen Bilder erinnern, jedoch kaum an die damit beworbenen Marken. Die Erotik lenkt also vom eigentlichen Produkt ab, statt es im Gedächtnis des Verbrauchers zu verankern.
Anders ist es mit Kontroversen über erotische Werbung, wie sie beispielsweise die Modemarke Calvin Klein ausgelöst hat. Legendär ist die 1980 lancierte Werbung mit der damals 15-jährigen Brooke Shields, die sagte: „Nichts kommt zwischen mich und meine Calvins.“ Weitere provokante Werbespots und Anzeigen folgten später mit anderen Topmodels. Manche Kampagnen mussten wegen der erotischen Darstellung von Teenagern eingestellt werden. Die Medien bauschten das Ganze auf und bescherten dem Unternehmen damit kostenlose Werbung, der Umsatz stieg rasant.
„Irgendwann in der Zukunft wird der Sex in der Werbung sozusagen in den Untergrund gehen. Die Werbung wird subtiler und raffinierter werden.“
Die Lehre, die sich daraus ziehen lässt: Wenn schon Sex, dann sollte er provokant, aber nicht explizit in der Werbung eingesetzt werden. Weil heute im Grunde schon alles gezeigt wurde, wird die Werbung beim Einsatz von Erotik in Zukunft eher subtil zu Werke gehen müssen. Das Gehirn reagiert stärker, wenn die Fantasie angesprochen wird.