Absurde Globalisierung
Die Globalisierung existiert nur deswegen noch, weil so viele Menschen ihre Augen vor dem verschließen, was sie wirklich ist: eine riesige Transportmaschinerie zulasten von Mensch und Umwelt. Nicht nur die Produkte, die über den gesamten Erdball verschifft, gefahren und geflogen werden, sind in ständiger Bewegung, sondern auch der Arbeitsmarkt. Unternehmen verschieben Jobs aus den Industrieländern dorthin, wo Arbeitskräfte für einen Bruchteil westlicher Gehälter arbeiten müssen, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen.
„Mal ehrlich: Was halten Sie von der Globalisierung? Sie ist ein Witz. Oder eine Katastrophe. Je nach Perspektive.“
Der globalisierte Mensch konsumiert das Gut nicht mehr dort, wo es produziert wird. Unternehmen zahlen Löhne und Gehälter nicht mehr an den Orten, wo ihre Absatzmärkte sind. Die Globalisierung schafft keineswegs mehr Werte, es wird nicht mehr produziert, nur mehr transportiert, und dies zulasten der Umwelt. Woran die Globalisierung vor allem krankt, ist der gedankenlose Umgang mit ihr, und zwar vonseiten der Unternehmen ebenso wie der Verbraucher. Letztere kaufen Äpfel aus Neuseeland und wissen nicht, dass ein neuseeländischer Apfel 27 % mehr Energie verbraucht als ein deutscher.
Globalisierung ist kein Schicksal
Anders als viele Wirtschaftsexperten behaupten, ist die Globalisierung ein umkehrbarer Prozess. Sie ist kein Schicksal, dem der Mensch machtlos ausgeliefert ist. Die USA machen es vor: Mit dem Slogan „Buy American!“ wurde dort im Sommer 2009 mit einer groß angelegten Werbekampagne gegen die Globalisierung mobil gemacht und diese als Wohlstandsfeind angeklagt. Inzwischen sollen die Amerikaner tatsächlich wieder vermehrt heimische Produkte konsumieren. Europäische Firmen berichten, dass sie bei Ausschreibungen gegenüber amerikanischen Firmen kaum noch eine Chance haben, auch wenn sie kostengünstiger sind. Protektionismus ist aber nur eines von vielen Mitteln, um den Prozess der Globalisierung zu bremsen.
„Die Globalisierung ist so etwas wie Radioaktivität. Wir können sie nicht sehen. Nur ihre Folgen.“
Die letzte Wirtschaftskrise stellte eine Art Notbremse dar, denn es war die Globalisierung, die den weltweiten Verkauf fauler Kredite ermöglichte. So gravierend die durch die Krise verursachten Schäden auch waren, sie wären noch gravierender gewesen, wenn die Krise erst einige Jahre später ausgebrochen wäre. Möglicherweise hätten dann auch Großbritannien, Frankreich oder Deutschland Staatsbankrott erklären müssen.
„Die Globalisierung ist nur durch ein hohes Maß an Intransparenz, Desinformation und Gleichgültigkeit möglich.“
Eine weitere Globalisierungsbremse sind die Logistikkosten. Der Ölpreis steigt und steigt. Damit werden vermeintliche Billigprodukte plötzlich teuer. Würden Unternehmen und Verbraucher sorgfältig kalkulieren, was Produkte aus Fernost wirklich kosten, würden sie wahrscheinlich doch zum heimischen Pendant greifen. Denn neben hohen Transportkosten, die in den Unternehmen oft nicht dem Produkt, sondern den Gemeinkosten zugerechnet werden, schlägt auch häufig die schlechte Qualität zu Buche, mit Reparatur- und Wartungskosten etwa.
Think global, act local
Globalisierung ist an sich weder gut noch schlecht. Entscheidend ist, wie besonnen die Menschen mit ihr umgehen. Nur wer selbst denkt und für sich entscheidet, wo es sich wirklich lohnt, im Ausland produzieren zu lassen oder ausländische Waren zu kaufen, sorgt für eine gesunde Entwicklung der Globalisierung. Wer beispielsweise gegen die wachsende Kohlendioxid-Emissionen auf die Straße geht, angetan mit einem in Bangladesch gefertigten Billig-T-Shirt, ist naiv. Indem es rund um den Erdball transportiert wurde, hat das T-Shirt eine tödliche Dosis CO2 produziert, und zwar tödlich für Bäume und für Menschen. In den USA sterben heute doppelt so viele Bäume wie 1955.
„Tatsächlich scheint es die Globalisierung darauf angelegt zu haben, möglichst viele Länder und Kontinente zwischen ihre einzelnen Wertschöpfungsstufen zu legen.“
Auch Unternehmen müssen nicht blind der Masse folgen. Einfach nur deshalb im Ausland einzukaufen, weil das nach außen hin fortschrittlich wirkt, hat schon manches Unternehmen das Leben gekostet. Einfache Massenprodukte, deren Herstellung viel Handarbeit erfordert, lassen sich in Billiglohnländern sicherlich gut und günstig einkaufen. Gleiches gilt für Produkte mit langen Bestellzyklen. Sobald aber kundenspezifische und innovative Produkte mit kurzen Bestellzyklen gefragt sind, sollten Sie die Hände von der globalen Beschaffung lassen. Gehen Sie Produkt für Produkt, Bauteil für Bauteil durch, was global und was besser national beschafft werden sollte. Und vor allem: Schauen Sie genau auf alle Kosten, auch auf jene, die durch spätere Reparaturen verursacht werden. Das gilt ebenfalls, wenn Sie ins Ausland liefern. Der schwäbische Saunenhersteller Körner beispielsweise erklärte, dass er trotz hoher Nachfrage aus dem Ausland sein Exportgeschäft zurückfahre. Garantiefälle beispielsweise auf Kreuzfahrtschiffen in Japan oder Kanada kosteten zu viel Geld.
Wir allen tragen die Verantwortung
Es ist einfach, Konzernen und Banken die Schuld an den Auswirkungen der Globalisierung in die Schuhe zu schieben. Denn auch den Verbraucher trifft Schuld: Jedem leuchtet ein, wie wenig Sinn es macht, Obst vom anderen Ende der Erde einfliegen zu lassen, wenn es der Bauer in der Nähe anbietet. Aber Unternehmen würden solche Äpfel, Birnen etc. nicht aus Übersee beschaffen, wenn sie niemand kaufen würde. Wenn sich etwas ändern und verbessern soll, dann muss jeder bei sich selbst beginnen.
„Im Gegensatz zu Europa glaubt Amerika nicht daran, dass die Globalisierung per se etwas Gutes ist.“
Sie denken, Sie allein können nichts ausrichten? Sie verdienen zu wenig, um regionale Produkte zu kaufen? Sie haben keine Zeit, die Milch beim Bauern, den Föhn im Elektrofachgeschäft und Lebensmittel im Tante-Emma-Laden zu kaufen? Vielleicht haben Sie diese Möglichkeiten wirklich nicht, aber überlegen Sie, ob Sie nicht wenigstens ein paar Produkte aus der Region kaufen können und hie und da doch mal den Laden um die Ecke unterstützen. Besser Sie leisten einen kleinen Beitrag als gar keinen. So kann auch der Einkäufer eines Unternehmen seinem Chef, der auf Teufel komm raus in Asien kaufen will, regelmäßig kostengünstige Angebote aus dem eigenen Land vorlegen. Je mehr Menschen das tun, desto mehr Macht üben sie aus gegen die wertvernichtende Globalisierung.
„Die internationale Verflechtung muss nicht verboten, sie muss optimiert werden.“
Wer Produkte kauft, die in Fernost gefertigt werden, trägt einen großen Teil der Schuld daran, dass deutsche Arbeitsplätze dorthin verlagert werden. Der BMW-Mitarbeiter, der einen Toyota fährt, muss sich nicht wundern, wenn er bald entlassen wird, weil hierzulande die Auftragslage immer schlechter wird. Die Globalisierung krankt am moralischen Verfall der Gesellschaft. Zugegeben: Moralisch zu handeln ist meist unbequem, weil es von dem abweicht, was die Masse tut. Moral ist eine rein persönliche Sache. Sie fragt nicht nach den Kosten, sondern danach, ob Sie mit den Konsequenzen Ihres Tuns leben können und möchten. Wer sich um den Klimawandel sorgt, sollte keine Sandalen aus Indien tragen.
Ohne Innovation kein Überleben
Wer in der globalisierten Welt überleben will, muss besonders preisgünstig oder besonders innovativ sein. Westliche Unternehmen machen oft den Fehler, den ersten Weg zu gehen. Das ist u. a. dem immensen Kostendruck geschuldet, dem sie ausgesetzt sind. Die für sie logische Konsequenz lautet: So viel wie möglich billig einkaufen, sodass hierzulande nur noch wenig zu tun ist, um das Produkt fertigzustellen. Damit lassen sich ohne Frage Kosten senken.
„Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Preis und Kosten. Vor der Globalisierung war dieser Unterschied unwesentlich. Jetzt ist er entscheidend.“
Weil das Produkt mit den vielen Standard-Billigkomponenten aber den hohen Qualitätsansprüchen der Konsumenten nicht mehr genügen kann, sind diese auch nicht bereit, weiterhin einen höheren Preis zu zahlen. Der Preis des Produkts muss also fallen, um Abnehmer zu finden. Immer weiter übrigens, denn die Konkurrenz schläft nicht. Diese Strategie hat bereits viele Unternehmen den Kopf gekostet. Weil die Preise in der Regel schneller sinken als die Kosten, löst sich der vermeintliche Kostenvorteil schnell in Luft auf. Nur wer innovativ arbeitet, kann Kunden einen Mehrwert bieten, der einen höheren Preis rechtfertigt.
„Wir können nicht billiger als Billigländer. Aber wir können innovativer.“
Dass nichtinnovative Unternehmen, die sich auf den Konkurrenzkampf mit Billiglieferanten einlassen, früher oder später sterben, kann man in der Logistikbranche beobachten. Spediteure, die nach wie vor ausschließlich transportieren, unterliegen einem harten Preiskampf mit ihren unzähligen Konkurrenten. Ein Transport, der früher 700 € kostete, wird heute schon für 150 € durchgeführt. Das hält niemand lange durch. Viele Unternehmen mussten bereits Fahrer entlassen, Fahrzeuge abmelden oder ihre Tore ganz schließen. Wer für seine Kunden jedoch innovative Leistungen um den Transport herum bietet, z. B. Endfertigung oder Lagerverwaltung, steht selbst in der Krise noch gut da. Der Umsatz der innovativen Unternehmen brach während der letzten Krise nur um durchschnittlich 6 % ein, während er bei reinen Transporteuren um die Hälfte sank.
Billigländer bleiben nicht billig
Märkte tendieren immer zum Gleichgewicht. Ein Billiglohnland bleibt immer nur eine gewisse Zeit billig, dann steigen auch hier die Preise. Nur dasjenige Unternehmen genießt wirklich einen Preisvorteil in einem Noch-Billig-Land, das als erstes dort einkauft oder investiert.
„Die Globalisierung erfordert den aufgeklärten, selbstverantwortlichen und gut informierten Konsumenten, der ihre Bluffs durchschaut, weil er sich so gut informiert.“
Heute gehen immer mehr Unternehmen nach Indien, China etc., um sich dort Kostenvorteile zu sichern. Das Ergebnis: Die Kosten für Ressourcen, Arbeitsleistung und Gehälter steigen schnell und treiben die Inflation nach oben. Und selbst wer zu den Pionieren in einem Billiglohnland zählt, muss das Lehrgeld, das er unweigerlich zahlen wird, gegen seine Kostenersparnisse aufrechnen. Die Infrastruktur ist mit Sicherheit unzureichend und verursacht Zusatzkosten. Das Personal ist schlecht qualifiziert und muss geschult werden. Ganz zu schweigen von den Anfängerfehlern. Ein deutscher Elektrozulieferer beispielsweise stand kurz nach Eröffnung seiner Dependance im chinesischen Suzhou vor verschlossenen Türen: Die Baugesellschaft, mit der das Unternehmen im Streit lag, hatte das Werk komplett stillgelegt. Die Gehälter der Arbeiter musste der Zulieferer natürlich weiterzahlen.
Selbst denken
Die Globalisierung ist im Grunde nur möglich, weil so viele Menschen nicht mitdenken. Sie glauben, alles würde schon nicht so schlimm werden. Solange alle anderen mitmachen, ist alles in Ordnung. Das ist aber ein weiteres Problem der Globalisierung: der Konformitätsdruck. Wenn alle anderen Jeans aus Bangladesch kaufen, kann ich das auch. Wenn jeder Zulieferteile in Vietnam kauft, muss es ja billig sein. Das gute Gefühl, zur Gruppe dazuzugehören, lähmt das Denkvermögen. Und gerade in der Globalisierung kann nur der überleben, der hinter die Kulissen schaut, hinterfragt und nicht Experten blind vertraut. Eine Jeans beispielsweise legt im Herstellungsprozess 19 000 Kilometer zurück. Müsste der Käufer den Preis für die Umweltverschmutzung mittragen, wäre die Hose unbezahlbar.
„Im Krieg, in der Krise und in der Globalisierung muss jeder sein eigener Experte sein und lernen, seinem eigenen Urteil zu vertrauen.“
Das Beispiel eines Baustoffherstellers illustriert, wie wichtig es ist, selbst zu denken. Von der Krise schwer getroffen, überlegte der Inhaber, sein Auslieferungslager von Süddeutschland nach Osteuropa zu verlagern, um Kosten für Löhne, Infrastruktur, Steuern und Verwaltung zu sparen. Um auf Nummer sicher zu gehen, engagierte er externe Berater, die diesen Schritt durchkalkulieren sollten. Sie kamen zum Ergebnis, dass sich die Auslagerung lohnt. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen, bat der Inhaber seinen Finanzvorstand, die Sache auch noch einmal durchzurechnen. Das Ergebnis: Die Verlagerung lohnt sich nicht. Der Grund: Die Berater gingen bei den Transportkosten von falschen Schätzungen aus. In Westeuropa gilt die Controllingkennziffer, dass eine Verlängerung der Transportstrecke um das 1,7-Fache die Transportkosten nur um den Faktor 1,4 erhöht. Konkrete Logistikangebote ergaben aber, dass die Kosten im Osten höher sind als im Westen. Der Schätzfehler machte eine Differenz von einer halben Million Euro im Jahr aus. Außerdem hatten die Berater nicht berücksichtigt, wie sehr Löhne und Gehälter durch die starke Nachfrage und Inflation tatsächlich steigen. Dieses Beispiel zeigt: Selbstdenken und Nachrechnen zahlen sich aus!