Arbeit ist ein Umweg nach oben
Arbeiten Sie auch wie ein Besessener für Ihre Firma? Warum eigentlich? Damit Ihr Boss einen Vermerk in der Personalakte macht, der vielleicht Ihre nächste Beförderung beschleunigt? Tatsächlich bemühen sich täglich Millionen von Menschen, genau diesen Weg zu gehen, weil ihnen dieses Verhalten schon von den Eltern vorgelebt wurde („wenn du dies tust, darfst du auch jenes …“) – und weil es legitim erscheint. Dabei ist das der Weg der Ausbeutung. Er nützt vor allem Ihren Vorgesetzten und der Firma und ist somit ethisch genauso fragwürdig wie der direkte Weg: Jener, der nur Ihnen und Ihrer Karriere dient.
Vergessen Sie Ihre Kinderstube
Doch wie geht es direkt nach oben? Zuerst müssen Sie Ihre Hemmungen überwinden und Ihre gute Erziehung vergessen. Egoismus gilt immer noch als Untugend, selbst wenn er anderen nicht schadet. Haben Sie diese konservative Prägung erst einmal überwunden, ist der Weg frei. Sie sind nicht mehr anfällig für den Irrglauben, eine Belohnung sei zwingend an eine Leistung geknüpft. Von nichts kommt nichts, das stimmt zwar weiterhin – aber Ihre Leistung besteht eben nicht mehr darin, sich vor den Karren Ihrer Vorgesetzten spannen zu lassen. Stattdessen wenden Sie Ihre wertvolle Zeit dafür auf, Ihrer Laufbahn wirkungsvoll den Weg zu ebnen. Es gibt viel zu wenig wirklich fähige Manager, als dass für Direkt-Karriere-Typen wie Sie kein Plätzchen mehr übrig wäre.
Vergessen Sie Managementtheorien
Allerdings wird Sie niemand unterstützen, denn Sie weichen vom „rechten Pfad“ ab. Anstatt den korrekten Aufstieg über die steilste Steigung zu nehmen, wählen Sie die verborgene Abkürzung. Eigentlich stellen Sie sich damit gegen vorherrschende Managementtheorien, doch die sind ohnehin komplett erstunken und erlogen – und stützen bloß die Unternehmen, nicht Sie. Daher müssen Sie Ihre Karrierestrategie ebenso für sich behalten wie Ihr Harmoniebedürfnis. Dieses gilt es als Nächstes kaltzustellen. Wer Chef werden will, muss es sich abgewöhnen, auf die Liebe seiner Mitmenschen zu warten. Die wenigsten Chefs tun das. Sollten Sie mal einem solchen harmoniesüchtigen Manager begegnen, können Sie ihn dazu benutzen, Ihre Aufgaben zu übernehmen. Für ein wenig Liebe und gute Worte.
„Das Unternehmen kann an zu schnellen Beförderungen oder gar Gratiskarrieren nicht interessiert sein. Deshalb stellt die Personalabteilung lauter Hürden auf, die ein Bewerber um eine Führungsposition in großer Zahl überspringen muss.“
Die meisten Unternehmen bauen einen riesigen Apparat aus Hierarchie, Bürokratie, Kodizes und Dünkel auf, um ihre Manager darüber hinwegzutäuschen, dass der Hauptgrund für eine Beförderung gar nicht Leistung ist – sondern oft die schlichte Notwendigkeit, eine Stelle zu besetzen. Auf Führungsqualität wird Wert gelegt, deshalb wird sie in Assessments aufwändig getestet. Hier kommt es vorrangig darauf an, auf Knopfdruck Chefgetue zu simulieren. Auch nutzlose Seminare für die Alphatiere werden inszeniert – mit dem einzigen Zweck, die Führungselite abzuschotten. Wer eingeladen wird, hat die Initiation erhalten, und die vor der Tür bleiben dumm.
Spielen Sie verrückt
Wenn Personalabteilungen den idealen Manager beschreiben, zählen sie natürlich nur Eigenschaften auf, die dem Unternehmen dienlich sind. Zuerst kommt die Firma, zuletzt der Angestellte. Verschwiegen wird, was für die Direkt-Karriere notwendig ist: ein guter Blender zu sein, nur sich selbst zu loben, penetrant gegenüber den Vorgesetzten und misstrauisch gegenüber der Firmenkultur zu sein. Denken Sie immer daran: Ihr Egoismus ist nicht schlecht – er ist lebensnotwendig angesichts des übermächtigen Egoismus Ihres Arbeitgebers, der genauso ein Marktteilnehmer ist wie Sie. Sie müssen Ihren Egoismus allerdings effizient einsetzen.
„Männer sind viel egoistischer als Frauen und deshalb als Direkt-Karrieristen umso erfolgreicher, je mehr Frauen im Unternehmen arbeiten und deshalb den Wettbewerbsdruck senken.“
Im Arbeitsleben wird vieles gemacht, von dem alle wissen, dass es nicht funktioniert. So werden irrsinnig hohe Sollziele gesetzt, ohne dass sich Widerspruch regt. Das führt immer wieder zu der Einschätzung des Managements, die Mitarbeiter wären faul und müssten zur Arbeit geprügelt werden. Dieses Misstrauen ist nur eine von vielen Unsinnigkeiten, die zum verrückten Managementalltag gehören.
„Wenn Ihnen Ihr Unternehmen irgendetwas rund um Ihre Karriere kommentiert, so ist es wahrscheinlich Gehirnwäsche zum Nutzen Ihres Unternehmens. Da ist Ihr schärfstes Misstrauen angebracht!“
Um schnell aufzusteigen, müssen Sie selbst verrückt spielen. Je nachdem, auf welcher Sprosse der Karriereleiter Sie sich gerade befinden, betreten Sie eine andere Stufe des Wahnsinns. In den Seminaren war davon natürlich nie die Rede, aber wie man es auch dreht und wendet: Neurotiker üben über andere Menschen Macht aus, indem sie ihre Neurosen als Zwang einsetzen. Nach dem Motto: Wenn du mir nicht gibst, was ich möchte, schreie ich, notfalls stundenlang und ohrenbetäubend. Das wirkt, wenn man ein Kind ist – und eigentlich auch sonst.
Machen Sie aus Trieben Drive
Manager der untersten Ebene müssen vor allem ihr Personal unter Druck setzen und mit Stress versorgen. Mit Hyperaggressivität und cholerischen Anfällen versetzen sie andere in Angst. Von der nächsten Stufe wird ein fanatischer Ordnungssinn erwartet, wie er auch bei Zwangsneurotikern bekannt ist. Die Topmanager wiederum, die ständig alles umwerfen wollen, führen sich gern wie Hysteriker auf, während Firmenchefs als Motivationsgurus und omnipräsente Heilsbringer die personifizierten Maniker darstellen.
„Es wird immer übersehen, dass das verrückte Management aus verschiedenen Verrücktheiten besteht. Eine Karriere verlangt, dass Sie die alle mitmachen können!“
Diese verdächtige Übereinstimmung der verschiedenen Managertypen mit echten Geistesgestörten wurde sogar wissenschaftlich untersucht und verifiziert. Man kann sagen: Während erfolglose Psychopathen in der Anstalt landen, machen die erfolgreichen Karriere bis zur Chefetage. Es sind Typen, die aus ihren Trieben den richtigen Drive entwickeln konnten. Bei diesem ganzen Theater können Sie auch mitspielen. Aber nur spielen, sonst verlieren Sie die Kontrolle!
Unteres Management: Stress machen
Als Manager auf der untersten Ebene gelten Sie nur etwas, wenn Sie Druck machen. Was von Ihnen nicht angeschoben wurde, darf gar nicht existieren. Belasten Sie sich nicht mit irgendwelchem Blödsinn wie Empathie, emotionaler Intelligenz oder Motivation – solche Führungsqualitäten sind selten, und sie entwickeln sich (wenn überhaupt) nur im Lauf der Zeit – Zeit, die Sie nicht haben. Viel schneller geht es aufwärts, wenn Sie anderen effektiv in den Hintern treten. Und das kann bei Weitem nicht jeder.
„Die Kräfte, die normale Menschen in Konflikt mit Gesellschaft und Gesetzen bringen, bändigen Manager in nützlicher Weise für ihren eigenen Erfolg.“
Bemühen Sie sich nicht, als leuchtendes Vorbild voranzuschreiten; verweisen Sie nur monoton auf die Zielvorgaben. Ob Sie was können, spielt keine Rolle – Sie sind nicht der Dirigent, sondern allenfalls ein Metronom, das stupide, aber unüberhörbar den Takt angibt. In den Momenten, in denen Sie Ihrem Team nicht die Zielvorgaben in die Ohren brüllen, müssen sie Ihrem Chef verkünden, dass Ihre Abteilung das Soll nicht nur erfüllen, sondern übererfüllen wird. Ihre Mitarbeiter werden Sie vielleicht hassen, aber Ihr Chef liebt sie dafür, weil Sie seine an sich unmöglichen Vorgaben plötzlich erstrebenswert erscheinen lassen. Außerdem stehen Sie gegenüber allen anderen Abteilungen als toller Kerl da. Vermutlich erreichen Sie Ihr Ziel nicht, aber danach fragt hinterher sowieso niemand mehr.
„Das Falten ist deutlich einfacher als das Entfalten. Außerdem gelingt es jedem Jungmanager, während am Entfalten Hunderte Idealisten jahrelang herumprobieren – es aber letztlich meist nicht zuwege bringen.“
Das Antreiben funktioniert vor allem durch die Verbreitung von Angst. Sie können z. B. ab und zu einen Mitarbeiter mithilfe eines inszenierten Problems zur Schnecke machen. Beantragen Sie ruhig seine Versetzung – wenn Sie ihn als ungeeignet brandmarken, nimmt ihn ohnehin niemand, und alles bleibt beim Alten. Nur eines wird sich ändern, und dies zu Ihrem Vorteil: Ihr Team wird sich von Herzen wünschen, dass Sie aufsteigen …
Mittleres Management: ordnen und Nein sagen
Als Mittelmanager müssen Sie plötzlich ein anderer sein: ein Spaßverderber, Kontrolleur und Grenzenzieher. Wie die Eltern zum Kind verhält sich der Mittelmanager zum Manager. Wenn Sie also zuvor noch ein energiegeladener Antreiber waren, müssen Sie jetzt ruhig und entschlossen dagegenhalten. Eine echte Herausforderung, aber als Direkt-Karrierist spielen Sie ja alles nur, und mit Leichtigkeit eignen Sie sich nun die nächste Rolle an. Die Koordination der Abteilungen ist eine Aufgabe, die einem graue Haare wachsen lassen kann. Aber nicht Ihnen, denn Sie wollen ja schnell weiter.
„Manager haben es viel schwerer als Schauspieler, weil die nur einen kleinen Teil der Zeit auf der Bühne stehen. Der Manager bleibt fast ganz auf der Bühne.“
Um nicht negativ aufzufallen – das Wichtigste im mittleren Management –, beschränkt sich Ihr Tun darauf, zu sparen, zu protokollieren, Risiken zu minimieren und immer wieder zu allem Nein zu sagen. Damit erzwingen Sie Ordnung in Ihrem Bereich. Wenn alles ruhig ist und sich jeder mit den Fesseln arrangiert hat, ziehen Sie diese systematisch enger. Ihre untergebenen Abteilungsleiter können Sie ruhig noch etwas schärfer herunterputzen, das regt nur deren Tatendrang an. Halten Sie sich dabei nicht mit Fachkenntnis auf – reduzieren Sie jede Entscheidung auf eine Zahl. Beim Reporting schimpfen Sie stets über die schlechten Werte. Sind diese mal gut, argwöhnen Sie, die Ziele hätten wohl zu niedrig gelegen.
Executive Management: fälschen und mogeln
Die Veränderungswut auf dieser Karrierestufe ist natürlich nur Scharade: Anstatt wie Ihre Obervorgesetzten ständig alles umzuwerfen, tun Sie nur so. Gleichzeitig schlagen Sie lautstark mit den Flügeln und zetern darüber, dass die bösen Mittelmanager Ihre tollen Änderungspläne durch Renitenz zerschellen lassen. Auf dieser Ebene geht es vor allem um Harmonie: Alle, die bis hierher gelangt sind, müssen sich dem Spielführer mit dem großen Plan unterordnen, damit das Team siegt. Direkt-Karriere können Sie so natürlich vergessen. Darum spielen Sie das öde Spiel auch nur vordergründig mit.
„Ihre Mitarbeiter fühlen sich ohnmächtig und frustriert. Das ist das sichere Zeichen, dass Sie fest im Sattel sitzen.“
Teamarbeit in Ihrem Sinn heißt: Wälzen Sie alles auf die anderen ab. Ihren eigenen Bereich tatsächlich zu verändern und zu optimieren, würde viel zu lange dauern; dafür fehlt Ihnen die Zeit. Anstatt wirklich Probleme zu lösen, kaschieren Sie die Symptome und initiieren Projekte, die Problemlösungen erarbeiten sollen. Bis diese gefunden sind, sitzen Sie schon längst woanders. Und erweist sich ein Problem als zu lästig, setzen Sie eben flugs einen Vice President ein, der als Sonderbeauftragter anderen die schwere Verantwortung abnimmt und herumwühlt. Und sprechen Sie um Himmels willen nicht von Problemen: Es sind natürlich „Herausforderungen“. Mit etwas Eigenlob haben Sie binnen Jahresfrist die Beförderung.
Oberboss: Gott spielen
Auf der obersten Ebene, als Vorstand, müssen Sie wieder ganz andere Register ziehen: Sie spielen den Narzissten, der durch die Welt geht wie durch einen Selbstbedienungsladen. Lassen Sie sich bewundern und ordnen Sie dem alles unter – die Kontinuität der Arbeit, die Zuverlässigkeit, die Ehrlichkeit. Sie sind der große Schauspieler, süchtig nach Beifall, der jeden Abend ein neues Stück mit neuer Besetzung dominiert. Sie führen kein Projekt zu Ende, sondern geben es schon nach Kurzem gelangweilt ab, um sich Neuem zu widmen. Das Schönste daran: Auch wenn die Schmierenkomödie Ihre Vasallen anekelt, klatschen müssen sie doch.
„Echte Veränderung ist Knochenarbeit. Sie müssen den Wandel ja nur vortäuschen. Sie empören sich anschließend laut, dass nichts passiert und denken sich etwas Neues aus.“
Und so schalten und walten Sie an der Spitze: Sie verbreiten vor allem Begeisterung. Das ist das beste Produkt, das es auf der Welt gibt. Mit Euphorie lässt sich am meisten Geld gewinnen, wie z. B. die Entstehung der Dotcom-Blase zeigt. Wenn alles wieder zusammenkracht, sollten Sie längst das Unternehmen und evtl. auch die Branche gewechselt haben. Denn nach der Ernüchterung am Markt fängt regelmäßig die harte Arbeit an – und die wollen Sie sich als Direkt-Karrierist ja bekanntlich ersparen. Der Hype muss nur lange genug andauern, damit Sie Ihre Aktienoptionen versilbern können.
„Leitsätze müssen sehr kurz sein, weil sie auf Kaffeetassen gedruckt werden sollten. Wählen Sie schwarze Pötte, die nicht immer ausgewaschen werden müssen.“
So sollten Sie übrigens Ihre gesamte Karriere betrachten: nicht unter dem Gesichtspunkt der nötigen Arbeit, denn das ist langsam, zermürbend und unwägbar; sondern im Hinblick auf die Möglichkeiten, die darin stecken. Diese Möglichkeiten müssen Sie lautstark herumposaunen. Vermeiden Sie jedoch, den Neurotiker zu sehr zu verinnerlichen – sonst merken Sie irgendwann nicht mehr, dass Sie Gott nur spielen. Der Fall danach ist tief.
Prof. Dr. Gunter Dueck ist Cheftechnologe bei IBM Deutschland und hat bereits mehrere Bücher über den alltäglichen Wahnsinn im Management geschrieben, darunter Wild Duck, Lean Brain Management und Abschied vom Homo oeconomicus.