Finden Sie Ihre Schwachstellen
Wahrscheinlich sind Sie weder James Bond noch Hans Hasenfuß – jeder Mensch ist in manchen Situationen tapfer und in anderen nicht. Wer das so nicht akzeptieren will oder das Gefühl hat, zu oft vor dem inneren Schweinehund zu kuschen, der muss sich zuerst selbst unter die Lupe nehmen. Suchen Sie gezielt nach Ihren Schwachstellen und halten Sie sie fest. Seien Sie bei der Analyse aber wirklich ehrlich – wer sich in die Tasche lügt, gehört erst gar nicht zu den Tapferen. Also: Vor wem haben Sie Angst?
- Vor dem Chef: Dann drücken Sie sich wohl gern vor Unterredungen, sind ein Meister im Fehler-Vertuschen, schleimen sich beim Vorgesetzten ein, meckern aber lautstark über ihn, wenn er nicht dabei ist.
- Vor Kunden, Kollegen, Mitarbeitern: Dann drückt sich Ihre Angst folgendermaßen aus: Sie sagen nicht, wenn Ihnen etwas nicht passt, halten bei Teambesprechungen lieber den Mund, Feedback und Teamgeist sind Ihnen ein Gräuel, Informationen behalten Sie erst mal für sich, und Kunden, die Sie den letzten Nerv kosten, kriegen von Ihnen trotzdem noch Streicheleinheiten.
- Vor Veränderungen: Umstrukturierungen finden Sie generell schlecht, mit technischen Neuerungen stehen Sie von Anfang an auf Kriegsfuß, Ihr Engagement für Änderungen hört bei der ersten Überstunde auf, Risiko ist etwas für andere, und Sie hätten gerne bis zum Rentenalter den immergleichen Schreibtisch.
Ist Ihr Unternehmen tapferkeitsfreundlich?
Haben Sie sich in einem dieser drei Typen wiedererkannt? Dann sollte als Nächstes die Analyse Ihrer Firma folgen. Werden Flexibilität, Kreativität oder Pioniergeist verlangt, existiert eine positive Fehler- und eine offene Feedbackkultur, gibt es ein echtes Wir-Gefühl und klare, motivierende Unternehmensziele, dann arbeiten Sie in einem tapferkeitsfreundlichen Unternehmen. Tapferkeitsfeindliche Unternehmen dagegen ersticken förmlich an ihrer Bürokratie, können mit Konflikten nicht umgehen und legen keinen Wert auf Kommunikation oder Teamgeist. Die hochtrabenden Firmenwerte existieren, wenn überhaupt, auf dem Papier.
„Jeder Mensch, auch der vermeintlich feige, hat im Grunde einen sehr mutigen Pol in sich.“
Als Tapferer in einem tapferkeitsfeindlichen Unternehmen kämpfen Sie gegen Windmühlen. Zwar können Sie als feiger Mitarbeiter ganz gut mitschwimmen, aber wohl fühlen Sie sich dabei nicht und der James Bond in Ihnen liegt quasi auf der Intensivstation. Als Hasenfuß in einem tapferkeitsfreundlichen Unternehmen haben Sie dagegen alle Chancen, Ihr Mut-Potenzial endlich auszuschöpfen. Wenn Sie an sich arbeiten, können Sie ins Lager der Durchstarter wechseln.
Chef, der Allmächtige
Dass der Boss mehr Macht hat als Sie, liegt in der Natur der Sache. So schlimm ist das gar nicht, solange Sie nicht den Duckmäuser spielen und ihn damit zur Macht-Demonstration reizen. Erst dann legen Chefs Allüren an den Tag. Gut möglich, dass eine dabei ist, die bei Ihnen wie ein K.-o.-Schlag wirkt.
„Die Mitarbeiterrolle bedient sich in frappanter Weise des Verhaltensrepertoires des angepassten Kind-Ichs.“
Das geht schon los, wenn der Chef Sie bei einem Besprechungstermin warten lässt, dann erst mal eine Selbstdarstellung abgibt („Mein alter Freund, der Innenminister, und ich …“) oder auf vertraulich macht („Ich sag Ihnen, in der Vorstandssitzung gestern …“). Lassen Sie sich davon ebenso wenig beeindrucken wie von Stirnrunzeln oder Ins-Wort-Fallen, während Sie Ihr Anliegen vorbringen. Wenn Sie gut vorbereitet ins Gespräch gehen, laufen auch Chef-Taktiken wie der Vergleich mit anderen Kollegen, Erpressung („Wenn Sie darauf bestehen, muss ich XY tun“), kurze Abfertigung („Wir behalten das mal im Auge“) oder Beschwichtigungen ins Leere. Bestehen Sie auf der Wichtigkeit Ihres Anliegens, aber verkneifen Sie sich unbedingt Wut, die Masche „hilfloses Hascherl“ oder gar Tränen – dann nimmt der Boss Sie gar nicht mehr ernst.
„Sie sollten realistisch abwägen, was die Tapferkeit Sie schlimmstenfalls kostet.“
Im Grunde spielt der Chef ja auch nur seine Rolle, genauso wie Sie die Ihre. Sein Verhalten kommt, psychologisch gesprochen, aus dem Eltern-Ich (kritisch, strafend, streng oder beschützend) während Sie aus dem Kind-Ich agieren: spontan oder angepasst, weinerlich oder trotzig. Es steht aber nirgends, dass das immer so bleiben muss. Tapferkeit beginnt damit, erwachsen zu werden, sich also aus verkrusteten Verhaltensmustern der Kindheit zu schälen. Locken Sie das Erwachsenen-Ich aus den Tiefen Ihrer Persönlichkeit, das hilft Ihnen rational, vernünftig und problemlösungsorientiert zu handeln – auf Augenhöhe mit Ihrem Chef.
Keine Harmonie um jeden Preis
Der Kollege am Nebentisch nervt mit endlosen, lautstarken Telefonaten, der Kunde mit Extrawünschen und pampigen Bemerkungen – und was machen Sie? Sie schweigen und lächeln. Aber innen, da fühlen Sie sich wie ein Dampfkessel, der gleich in die Luft fliegt. Denken Sie mal zurück: In Ihrer Familie war vermutlich Harmonie das Maß aller Dinge und wer dagegen aufbegehrte, bekam keinen Gute-Nacht-Kuss. Klar, Harmonie fühlt sich so schön kuschelig an. Im wirklichen Leben aber wird es nie so sein, dass jeder Sie immer lieb hat.
„Viele Mitarbeiter machen sich unreflektiert ohnmächtiger, als sie sind. Und damit im gleichen Atemzuge ihren Chef mächtiger, als beiden gut tut.“
Es geht nicht um blinde Kampfbereitschaft, sondern um intelligente Tapferkeit. Drei Regeln, an die Sie sich im Umgang mit Kunden, Kollegen und Mitarbeitern halten können:
- Gegenseitige Erwartungen festlegen: Wenn jeder weiß, was der andere sich unter der Zusammenarbeit vorstellt, und man strittige Bereiche von vornherein klärt, gibt es hinterher kein böses Erwachen, keinen Vertrauensverlust. Das komische Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden, bleibt aus.
- Offen mit Kritik und Feedback umgehen: Es geht um die Sache, deshalb ist gute und faire Kritik wichtig. Voraussetzung dafür ist, dass das Feedback zeitnah kommt, dass Ich-Botschaften verwendet werden und das Verhalten, nicht der Mensch kritisiert wird. Als Kritisierter hören Sie erst mal genau zu, fahren nicht gleich die Krallen aus und fragen nach, was genau mit der Kritik gemeint ist. Noch besser: Sie bitten selbst frühzeitig um ein Feedback.
- Sich rechtzeitig verabschieden: Eine Trennung will gut überlegt sein, aber manchmal bleibt nichts anderes übrig, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, sich psychisch zu ruinieren. An einer Firma, der Sie innerlich bereits gekündigt haben (übrigens: Feigheit pur), sollten Sie ebenso wenig festhalten wie an einem Mitarbeiter, der keine Leistung bringt oder einem Kunden, der für einen Miniauftrag das ganze Team blockiert.
Mut gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Kollegen
Nicht nur untergebene Mitarbeiter kennen Tapferkeitsschwächen, auch so mancher Chef kämpft damit. Wenn Sie selbst ein Team leiten, dann drücken Sie sich nicht vor Mitarbeitergesprächen, nutzen Sie diese Feedback-Chance regelmäßig, d. h. mindestens halbjährlich. Halten Sie aber keine Monologe – Chef und Mitarbeiter sprechen gleichberechtigt und zwar möglichst konkret, etwa über einen Auftrag, eine Arbeitssituation, ein Projekt. Geht es um eine Bewertung, differenzieren Sie: nicht alles kann gut oder sehr gut sein, auch eine mittelmäßige Leistung muss als solche genannt werden. Am Ende steht eine Zielvereinbarung, damit jede Seite genau weiß, was künftig zu tun oder zu lassen ist.
„Auch ein Team fährt besser, wenn die Tapferkeitsregeln zwischen Kollegen gelten.“
Verbiegen Sie sich auch vor einem Kunden nicht. Zwar sollten Sie hier schon ein wenig großzügiger sein und ihn nicht gleich bei der ersten Unstimmigkeit vor die Türe setzen. Wenn Sie sich aber gar nicht mehr grün sind, ist auch hier die Trennung die bessere Alternative. Vorher allerdings versuchen Sie, sich in die Lage des Kunden zu versetzen, ihm genau zuzuhören und sein Verhalten zu hinterfragen. Vielleicht haben Sie zu Beginn ja feige das Kleingedruckte unter den Tisch fallen lassen oder bei auftauchenden Problemen zu lange mit dem Feedback gewartet.
„Es ginge uns allen besser, wenn wir die Zukunft aktiv und tapfer gestalten, anstatt sie durch Jammern und Verdrängen einigen wenigen Wichtigtuern zu überlassen!“
Tapferkeit unter Kollegen bedeutet letztlich: Loyalität. Jammern Sie nicht über den „fiesen Kerl“ im Nebenzimmer, gehen Sie zu ihm und besprechen Sie sachlich, wo es hakt. Beim Chef zu petzen ist genau so falsch, wie über den Kollegen herzuziehen, während er gerade nicht im Büro sitzt. Ganz mies ist es, jemandem wichtige Informationen vorzuenthalten. Wenn Ihr Team in einer brenzligen Situation steckt und Sie der Einzige sind, der das Damoklesschwert bedrohlich schaukeln sieht, dann äußern Sie Ihre Bedenken tapfer und rechtzeitig, auch wenn Sie sich damit kurzfristig unbeliebt machen. Später wird man Sie dafür loben.
Alles Neue ist eine Chance
Mal ehrlich: Die Zukunft interessiert sich nicht dafür, ob Sie sich vor ihr fürchten oder nicht. Sie kommt sowieso, als demografischer Wandel, als digitales Zeitalter, oder in Form der Lerngesellschaft. Es gibt nur eine richtige Strategie im Umgang mit der Zukunft: sich mit ihr zu arrangieren. Gehen Sie aber auch auf ältere Mitarbeiter zu und profitieren Sie von deren Erfahrung. Und wenn Sie selbst schon älter sind, dann missbrauchen Sie das nicht als Ausrede: Es ist bewiesen, dass auch Menschen in der zweiten Lebenshälfte noch jede Menge Bildung in ihr Gehirn schaufeln können.
„Machen Sie Großinventur und misten Sie irrationale Glaubenssätze, die längst überholt, aber bei Ihnen immer noch handlungsleitend sind, aus.“
Mit Knock-out-Sätzen wie „Früher war alles besser“ oder „Das machen wir doch immer schon so“ nehmen Sie sich selbst aus dem Rennen. Erinnern Sie sich? Das hat Ihre Oma auch schon gesagt und Sie fanden das ziemlich daneben. Mutige Menschen formulieren ganz anders: Ich kann mein Leben lang dazulernen, vieles ist heute besser und ich kann selber vieles verbessern. Entwerfen Sie einen genauen Plan, nach dem Sie vorgehen, um sich das nötige Wissen anzueignen. Überstürzen Sie dabei nichts und bremsen Sie mutig die unrealistischen Zeitvorgeben Ihres Chefs.
Tapferkeit nur wollen reicht nicht
Wer sich Tapferkeit aneignen will, muss sie einfach mal ausprobieren. So lernen Sie dazu und können das Gelernte schrittweise im Alltag umsetzen. Hier noch die wichtigsten Schritte beim Tapferkeitstraining:
- Finden Sie Ihre Achillesferse. Notieren Sie sich, was genau Ihnen Angst macht, was die anderen von Ihnen erwarten, was Ihr Angsthasenverhalten hervorruft, aber auch, in welcher Situation Sie richtig mutig waren.
- Fassen Sie einen Entschluss. Suchen Sie sich die Situation aus, in der Sie künftig Tapferkeit beweisen wollen, und machen Sie einen konkreten Plan, wann und wie das stattfinden soll und womit Sie sich anschießend belohnen.
- Steigern Sie den Schwierigkeitsgrad. Zunächst reicht es schon, dass Sie den Kopf heben, Ihrem Gegenüber in die Augen blicken und deutlich sprechen. Später stellen Sie sachliche, lösungsorientierte Fragen. Schließlich holen Sie aktiv Feedback ein.
- Beweisen Sie Ihren Mut. Sagen Sie offen, was Ihnen nicht passt, stellen Sie berechtigte Forderungen, widersprechen Sie, wo es angebracht ist, erledigen Sie unangenehme Unterredungen sofort, gehen Sie neue Aufgaben beherzt an und trennen Sie sich von allem, was Sie nicht weiterbringt.
„Wenn Sie in einer Situation tapfer waren, dann können Sie es auch in jeder beliebigen anderen sein.“
Verpassen Sie Hans Hasenfuß einen Maulkorb und kehren Sie den James Bond in Ihnen heraus. Zivilcourage ist angesagt – weil am Ende nur die Tapferen gewinnen.
Dr. Claudia Harss ist Coach und Beraterin. Als Geschäftsführerin der Twist Consulting Group begleitet sie Zusammenschlüsse und Umstrukturierungen großer Firmen. Dr. Karin von Schumann ist Dipl.-Psychologin und arbeitet als Managementberaterin mit den Schwerpunkten Kommunikation, Auftreten und Selbstmarketing.