Upanischaden

Buch Upanischaden

Arkanum des Veda

Indien, um 500 v. Chr. bis Zeitenwende
Diese Ausgabe: Verlag der Weltreligionen,


Worum es geht

Die geheimen Lehren des Hinduismus

Der Hinduismus ist eine sehr alte Religion, deren Wurzeln bis in prähistorische Zeiten zurückreichen. Über Jahrhun­derte hinweg wurden die wichtigsten religiösen Lehren ausschließlich mündlich weit­ergegeben; erst viel später kam es zu schriftlichen Fixierungen. So entstanden die Veden, die zentralen religiösen Schriften des Hinduismus. Zu ihnen zählen die Up­anis­chaden, religiöse Texte aus ver­schiede­nen Quellen und mit den un­ter­schiedlich­sten Themen, seien es nun Schöpfungsmythen, Riten zur Zeugung eines Sohnes oder philosophis­che Überlegungen über die Kräfte in der Welt. Ursprünglich waren die Up­anis­chaden religiöses Geheimwis­sen der Brahmanen, das diese nur im engsten Kreis mündlich an ihre Schüler weitergaben. Im Unterschied zu anderen Texten der Veden geht es in den Up­anis­chaden nicht vorrangig um Rituale, sondern um philosophisch-mys­tis­ches Wissen. Vieles in diesen alten Schriften mutet den heutigen Leser ziemlich fremd und seltsam an. Einiges ist auch für Fachleute nicht mehr verständlich – zu bruchstückhaft und unsicher ist die Überliefer­ung. Dennoch sind die Up­anis­chaden auch im 21. Jahrhundert eine spannende Lektüre. Sie zeigen uns nicht nur eine ferne und längst vergangene Welt, sondern werfen zugleich Fragen auf, über die es sich auch heute noch nachzu­denken lohnt.

Take-aways

  • Die Up­anis­chaden gehören zu den zentralen religiösen Schriften des Hinduismus.
  • Inhalt: In allen Lebewesen wohnt das Ursubjekt. Es hat auch die Welt erschaffen. Die Menschen, die das Ursubjekt kennen, finden nach dem Tod in ihm ihre Ruhe, die anderen werden wiederge­boren. Meditation ist ein Weg, das Ursubjekt zu finden.
  • Behandelt werden die zentralen Themen des men­schlichen Lebens: Zeugung, Geburt, Tod und die Frage, was danach folgt.
  • Nicht die Verehrung göttlicher Mächte, sondern das Wohlergehen der Menschen steht im Vordergrund.
  • Die Sprache der Up­anis­chaden ist sehr bildhaft; viele dieser Bilder sind heute nicht mehr verständlich.
  • Die Up­anis­chaden entstanden zwischen dem fünften und dem ersten Jahrhundert v. Chr.
  • Ursprünglich handelte es sich um mystisches Geheimwis­sen, das von Brahmanen direkt an ihre Schüler weit­ergegeben wurde.
  • Die Überliefer­ung der Up­anis­chaden durfte lange Zeit nur mündlich erfolgen, damit das Wissen nicht in falsche Hände geriet.
  • Deshalb sind viele Texte verstümmelt oder gänzlich unverständlich.
  • Zitat: „Fürwahr, am Anfang existierte hier nur das eine Ursubjekt (), nichts sonst war, das damals bewusst um sich geblickt hätte. Dieses Ursubjekt dachte bei sich: ‚Ich will mir Gefilde () schaffen!‘“
 

Zusammenfassung

Die Erschaffung der Welt aus dem Menschen

Am Anfang gab es nur Ātman, das Ursubjekt. Es schuf Himmel, Erde und den Mann. Aus dem Mann entstand das, was in der Welt ist: aus seinen Körperhaaren die Pflanzen, aus seinem Denkvermögen der Mond, aus seinem Atem der Tod, aus seinem Samen die Gewässer auf der Erde. Als diese Mächte auf der Erde einen Ort suchten, wo sie wohnen konnten, gab ihnen Ātman erst einen Bullen, dann einen Hengst. Doch da wollten die Mächte nicht wohnen. Da gab ihnen Ātman den Mann. Die Mächte erfüllten ihn und schenkten ihm seine Fähigkeiten: Das Feuer gab ihm die Sprechfähigkeit, der Wind den Atem, die Sonne die Sehkraft, die Him­mel­srich­tun­gen die Hörkraft. Die Pflanzen wurden zu seinen Körperhaaren, der Mond zum Denkvermögen, der Tod zum Atem, die Gewässer zu Sperma. Schließlich drang auch das Ursubjekt selbst durch den Scheitel in den Kopf des Mannes ein; dort wohnt es nun als das Selbst jedes Menschen.

Weitere Schöpfungsmythen

Am Anfang gab es nur den Tod. Er beschloss, körperlich zu sein. Als er ein Loblied sang, entstand Salzwasser. Aus dem Salz bildete sich die Erde. Der Tod selbst wurde zu Feuer, Sonne und Wind. Zusammen mit der Sprechfähigkeit zeugte er alles, was heute existiert. Anschließend verwandelte sich der Tod in ein Pferd. Deshalb werden heute noch Pferdeopfer dargebracht. Den übrigen Gottheiten sind andere Tiere geweiht.

„Fürwahr, am Anfang existierte hier nur das eine Ursubjekt (...), nichts sonst war, das damals bewusst um sich geblickt hätte. Dieses Ursubjekt dachte bei sich: ‚Ich will mir Gefilde (...) schaffen!‘“ (S. 11)

Am Anfang gab es nur das Ursubjekt Ātman in Gestalt eines Menschen. Das Ursubjekt hatte Angst, weil es allein war. Aber dann wurde ihm klar, dass es gerade aus diesem Grund keine Angst haben musste, denn es gab ja nichts, wovor es sich zu fürchten hatte. Aber weil es allein war, hatte es auch keine Freude an seinem Dasein. Deshalb teilte es sich und verwandelte sich in ein Paar. Aus dieser Verbindung entstand alles, was existiert.

Geburt, Tod und Jenseits

Die wichtigste Kraft des Menschen und der Welt ist das Denken, es steckt hinter allem. Ein Mann erlebt drei Geburten: Die erste findet statt, wenn sich das Sperma in eine Frau ergießt, die zweite, wenn sie einen Sohn zur Welt bringt, die dritte, wenn er stirbt. Nach seinem Tod gelangt der Mensch zum Mond. Das ist der Eingang in den Himmel. Der Mond lässt den Ver­stor­be­nen nicht gleich ein, sondern stellt ihm die Frage: „Wer bist du?“ Hierauf muss der Tote mit einem rituellen Text antworten, in dem er um die Befreiung vom Tod bittet. Gibt er nicht die richtige Antwort, so kehrt er mit dem Regen auf die Erde zurück, wo er als Tier oder Mensch wiederge­boren wird – je nachdem, wie er sein früheres Leben geführt hat und wie viel Wissen er besitzt. Wer auf die Frage des Mondes die richtige Antwort weiß, darf in den Himmel. Dort wandert er durch die Bereiche ver­schiedener Gottheiten und muss einen See überqueren. Das gelingt ihm nur mithilfe seines Denkvermögens. Wer nicht genug Wissen hat, versinkt darin. Außerdem muss der Tote danach noch den Fluss mit dem Namen Alterslos überwinden. Wenn er dies geschafft hat, lässt er alles hinter sich, seine Verdienste ebenso wie seine Schuld. Nun empfangen ihn himmlische Nymphen, die ihn zu Brahmā geleiten, der höchsten Macht. Auch diese stellt ihm einige Fragen. Wenn der Tote die richtigen Antworten weiß, geht er in Brahmās Reich ein und ist damit aus dem Kreislauf von Tod und Wiederge­burt her­ausgenom­men.

Eine andere Darstellung von Tod und Wiederge­burt

Es hängt vom Lebenswan­del eines Menschen hier auf der Erde ab, ob er nach dem Tod gleich in den Urgrund eingeht oder noch einmal den Kreislauf von Geburt und Tod durchlaufen muss. Die Menschen, die in ihrem Leben nicht viel Weisheit erlangt haben, steigen nach dem Tod mit dem Rauch in den Himmel auf. Nachdem sie dort einige Zeit verbracht haben, fallen sie mit dem Regen wieder zurück auf die Erde. Als Pflanzen entstehen sie aus der Erde neu. Die Pflanzen, die nicht gegessen werden, haben es schwer, in den Kreislauf des Sterbens und Werdens wieder hineinzukom­men. Die Pflanzen, die gegessen werden, verwandeln sich in Sperma und gelangen so wieder in eine Frau, um erneut auf die Welt zu kommen. Wer in seinem früheren Leben untadelig war, kann auf eine Wiederge­burt in einer der höheren Kasten hoffen, vielleicht sogar als Brahmane. Wer dagegen kein gutes Leben geführt hat, muss nun dafür zahlen: Er wird als Hund, Schwein oder Unberührbarer wiederge­boren.

Naciketas und der Tod

Naciketas, ein junger Brahmane, wird von seinem Vater dem Tod übe­rant­wortet und gelangt zum Totengott Yama. Weil er Brahmane ist, gewährt ihm Yama drei Wünsche. Als Erstes möchte Naciketas wieder zu seinem Vater zurückkehren. Dieser Wunsch wird ihm gewährt. Als Zweites lässt sich Naciketas das Opferfeuer erklären. Auch das ist kein Problem. Als Drittes jedoch möchte der junge Brahmane wissen, wie es nach dem Tod mit den Menschen weitergeht. Denn das, sagt Naciketas, sei eine Frage, die alle Menschen beschäftigt. Dieses Geheimnis jedoch gibt Yama gar nicht gerne preis. Das Thema sei selbst für Götter fast zu schwer, meint er, und Naciketas solle sich lieber Reichtum, eine große Nachkom­men­schaft und ein langes Leben wünschen. Doch Naciketas lässt nicht locker: Was nützen ihm Reichtum, Nachkommen und ein langes Leben, wenn er nicht weiß, was danach auf ihn wartet? Schließlich gibt Yama nach und beantwortet ihm seine Frage: Wer nicht weise ist und nicht über den Tod nachdenkt, wird in einem ewigen Kreislauf immer von Neuem wiederge­boren. Die Weisen dagegen verlassen diesen Kreislauf und finden nach dem Tod ihre Ruhe. Weise wird der Mensch durch Meditation. Sie hilft ihm, Brahman und Ātman zu erkennen. Brahman ist der Urgrund, der alles durchdringt, und Ātman das göttliche Selbst, das in allen Lebewesen wohnt. Wer solche Weisheit erringt und seine Begierden aufgibt, der steht nicht mehr unter der Herrschaft des Todes – er wird unsterblich.

Der Kampf zwischen Göttern und Dämonen

Einmal wollten die Götter die Litanei beim Opfer schöner singen als die Dämonen. Deshalb baten sie die Sprechfähigkeit, die Litanei anzustimmen. Die Sprechfähigkeit war gerne dazu bereit und stimmte das Lied an. Die Dämonen wurden übertroffen, doch sie wollten nicht als Verlierer dastehen. Deshalb fuhren sie dazwischen und zerstörten den Gesang. Und daher rührt es, wenn die Menschen heute Schlechtes reden. Die Götter baten daraufhin nacheinan­der die Atemkraft, die Sehkraft, die Hörkraft und das Denkvermögen, die Litanei anzustimmen. Doch es war immer dasselbe Spiel, jedes Mal fuhren die Dämonen dazwischen und zerstörten alles. Schließlich baten die Götter die Atemkraft, die im Mund wohnt. Gegen sie konnten die Dämonen nichts ausrichten. Weil sie gegen die Dämonen gefeit war, rettete die Atemkraft des Mundes auch die übrigen Kräfte vor dem Tod. So verwandelte sich die Sprechfähigkeit in Feuer, die Sehkraft wurde zur Sonne, aus der Hörkraft entstanden die Horizonte, aus dem Denkvermögen der Mond. Diese Dinge sind ewig, und ihnen kann der Tod nichts mehr anhaben. Die Kraft des Atems liegt allem zugrunde.

Der Streit der Kräfte

Die Kräfte des Menschen stritten sich darüber, wer von ihnen am wichtigsten wäre. Der Gott Prajāpati sollte den Streit schlichten und entschied, dass die Kräfte nacheinan­der den Körper verlassen sollten. Die wichtigste Kraft sei diejenige, die damit das Leben des Körpers bedrohe. So verschwand als Erste die Sprechfähigkeit, aber der Mensch lebte weiter – als ein Stummer. Auch ohne Sehkraft, ohne Hörkraft und ohne Denkvermögen konnte der Mensch weiterleben. Erst als die Atemkraft den Menschen verlassen wollte, geriet dieser in Gefahr. Nun merkten die übrigen Kräfte, dass es ohne Atemkraft nicht geht, und erklärten sie zur wichtigsten Kraft im Menschen. Wenn der Mensch auch sehen, hören und denken kann, ist es doch der Atem, der ihm die Kraft gibt. Wenn der Mensch seinen Körper verlässt, dann ist es der Atem, der ihn mit zum Himmel nimmt und ihm dort Un­sterblichkeit verschafft. Der Atem ist die Lebenskraft des Menschen. Aus dem Atem kommen alle seine anderen Fähigkeiten. Wenn der Mensch schläft, ohne zu träumen, dann sammeln sich alle seine Kräfte im Atem. Sobald er aufwacht, kehren sie an ihren eigentlichen Platz zurück. Wichtig ist aber auch die Denkfähigkeit. Der Mensch gewinnt Erken­nt­nisse aus seinen Sinnen, seiner Zeu­gungskraft und aus der Fähigkeit, sich zu bewegen, aber das alles gelingt nur, wenn er auch Denkfähigkeit besitzt.

Geschichten vom Brahmanen Yājñavalkya

Auf einem Fest des Königs Janaka kamen viele Brahmanen zusammen. Janaka wollte sie alle auf die Probe stellen. Er zeigte ihnen 1000 Kühe, die mit Gold behängt waren, und sagte ihnen, die Kühe sollten demjenigen unter ihnen gehören, der die weisesten Worte sprechen könne. Keiner der anwesenden Brahmanen wagte es, die Tiere für sich zu beanspruchen. Doch plötzlich befahl Yājñavalkya einem seiner Schüler, die Kühe zu holen. Nun wollten die anderen natürlich prüfen, ob er den Preis verdiente. Nacheinan­der stellten sie ihm viele Fragen über den Aufbau des Weltalls, die Götter und viele andere Themen. Tatsächlich wusste Yājñavalkya auf alles eine kluge Antwort, sodass er die Kühe schließlich behalten durfte.

„Denken ist das Auge der Welt. Wissen ihre Grundlage. Das brahman ist Denken.“ (S. 17)

König Janaka wollte von Yājñavalkya wissen, was beim Tod mit einem Menschen geschieht. Yājñavalkya erklärte es ihm: Wenn der Mensch stirbt, kann er nichts mehr wahrnehmen. Das heißt, er ist in diesem Moment nicht mehr nach außen orientiert, wie sonst im Leben, sondern er beginnt, mit sich selbst eins zu werden. Dann verlässt sein Wesenskern den Körper. Dieser Wesenskern ist gleich mit Brahman, dem Urgrund. Mit dem Tod erhält er eine neue, vol­lkommenere Gestalt. Der Urgrund ist unsterblich und frei von allem Leid. Der Mensch kann ihn durch Meditation schon in diesem Leben erkennen. Wer einmal den Urgrund erkannt hat, dem bedeutet irdischer Besitz nichts mehr. Das ist der Grund, weshalb gelehrte Brahmanen manchmal alle Wünsche nach Reichtum und Nachkommen aufgeben und als Bettler leben.

„Die Kraft des Atems ist die Lebenss­panne, die Lebenss­panne die Kraft des Atems.“ (S. 32)

Vor seinem Tod wollte Yājñavalkya sein Erbe zwischen seinen Frauen Maitreyī und Kātyāyanī aufteilen. Doch Maitreyī war mit dem Besitz nicht zufrieden, sie wollte lieber wissen, wie sie Un­sterblichkeit erlangen konnte. Also weihte Yājñavalkya sie in sein Wissen ein: Un­sterblichkeit liegt nicht im Reichtum. Das Wesentliche aller Dinge ist ihr innerster Kern. Den Wesenskern kann man erst erfassen, wenn man weiß, dass es ihn gibt – so wie man auch einen Trom­melk­lang nur als solchen erkennen kann, wenn man weiß, was eine Trommel ist und wie sie klingt. Nach dem Tod gibt es nur noch den einen Wesenskern, darin ist alles eins. Jede In­di­vid­u­alität ist aufgehoben. Alles ist im Ursubjekt vereint.

Riten für Leben und Tod

Op­fer­rituale können dabei helfen, den Liebhaber der untreuen Ehefrau eines Brahmanen zu verfluchen. Dazu zündet der Brahmane nachts ein Feuer an, opfert Butter und spricht bestimmte Formeln. Falls ein Opfer zu scheitern droht, gibt es andere Rituale und Formeln, mit denen man sich doch noch den Erfolg sichern kann. Mit weiteren Riten kann man vor der Zeugung bestimmen, ob ein Sohn oder eine Tochter geboren wird und welche Begabungen das Kind hat. Für eine gelehrte Tochter etwa sollen Mann und Frau gemeinsam Sesamreis mit Butter essen, für einen gelehrten Sohn braucht es Rindfleisch vom Stierkalb oder vom Bullen und außerdem zusätzliche Riten beim Zeugungsakt. Wird dann der Sohn geboren, führt der Vater direkt nach der Geburt weitere Riten durch. Auch wenn der Vater einige Zeit verreist war, begrüßt er bei der Rückkehr seinen Sohn mit einem rituellen Text. Liegt der Vater im Sterben, dann überträgt er in einem Ritual alle seine Kräfte und Fähigkeiten auf den Sohn, der sie annimmt. Doch falls sich der Vater danach wider Erwarten noch einmal erholt, lässt sich diese Übertragung nicht mehr zurücknehmen. Der Vater gilt nun als ein Toter und muss entweder unter der Aufsicht des Sohnes leben oder als Obdachloser umher­wan­dern.

Brahman und Ātman: Ursubjekt und Urgrund

Ātman, der Wesenskern eines Menschen, ist das, was er sieht, wenn er ins Wasser oder in einen Spiegel schaut. Der Wesenskern ist ewig und vollkommen. Er ist auch das, was man im Traum von sich selbst sieht. Wenn der Mensch krank wird oder stirbt, bleibt der Wesenskern unberührt. Aus ihm ist alles entstanden, was es in der Welt gibt. Der Laut für das All, den Urgrund Brahman, ist „Om“. Der Urgrund ist Nahrung, Atem, Denkvermögen, Erkennen und Freude. Wer das begreift, wird ein gutes Leben führen und Nachkommen haben. Durch Meditation wird der Mensch dem Urgrund gleich und lässt die Illusion des Daseins hinter sich. Durch den Laut „Om“ und durch Meditation kann der Mensch den Urgrund wahrnehmen. Meditation sorgt außerdem für die körperliche Gesundheit des Menschen. Nur wer sich so von der Materie befreit, wird Ruhe finden. Wer das nicht tut, verstrickt sich in sie und bleibt dieser Erde verhaftet.

Zum Text

Aufbau und Stil

Insgesamt gibt es um die 300 Up­anis­chaden; noch bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden immer wieder neue verfasst. Die vorliegende Sammlung umfasst die zwölf Up­anis­chaden, die schon in vorchristlicher Zeit entstanden sind. Diese alten Up­anis­chaden bilden zusammen mit anderen Schriften die Veden, die zentralen religiösen Texte des Hinduismus. Die Up­anis­chaden tragen jeweils einen Titel und sind in Kapitel, Un­terkapi­tel und Absätze un­ter­gliedert. Ein Teil der Up­anis­chaden ist in Versform, ein Teil in Prosa verfasst. Dabei ist die Länge der einzelnen Texte sehr un­ter­schiedlich, es gibt ganz kurze, aber auch sehr um­fan­gre­iche Up­anis­chaden. Ebenso variieren die Themen stark. Viele der Texte sind in Dialogform verfasst, als Gespräche zwischen Lehrer und Schüler. Dabei fallen vor allem die zahlreichen Wieder­hol­un­gen auf: Ein einzelner Gedanke wird immer wieder in ganz ähnlicher Form wiederholt, oder ein und dieselbe Geschichte wird an ver­schiede­nen Stellen mehrfach erzählt. Die Sprache der Up­anis­chaden ist oft sehr bildhaft und poetisch. Viele der Metaphern und An­spielun­gen sind deutlich zeitbezogen. Darum sind einige der Texte für den heutigen Leser nicht oder nur sehr schwer verständlich.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Die zwei zentralen Mächte in den Up­anis­chaden sind Brahman und Ātman. Brahman, der Urgrund, ist ewig, unkörperlich und unveränderlich und die Grundlage von allem, was existiert. Jedes Lebewesen trägt einen Teil des Urgrundes in sich, als Ātman, dem in­di­vidu­ellen Selbst.
  • Die Vorstellung vom Urgrund zeigt Parallelen zu monothe­is­tis­chen Religionen: Letztlich ist es eine einzige Kraft, die allem zugrunde liegt. Allerdings ist der Urgrund, anders als in anderen Religionen, nicht per­son­ifiziert als Göttergestalt zu verstehen, sondern als eine Art ewige Energie, die in allen Lebewesen wohnt.
  • Im Zentrum der Up­anis­chaden steht nicht die Verehrung göttlicher Mächte, sondern vielmehr das Wohlergehen der Menschen – sowohl im Diesseits (Rituale für Erfolg und Nachkom­men­schaft) als auch im Jenseits (Durch­brechen der ewigen Kreisläufe, Eingehen in den Urgrund). Entsprechend nehmen grundsätzliche Fragen des men­schlichen Daseins großen Raum ein: Zeugung, Geburt, der Sinn des Lebens und diverse Vorstel­lun­gen eines Daseins nach dem Tod sowie die Frage, was man tun kann, um dieses positiv zu bee­in­flussen.
  • Die Up­anis­chaden zeigen ein noch recht archaisches Weltbild: Das Schicksal des Einzelnen lässt sich durch bestimmte Riten positiv bee­in­flussen. Naturkräfte wie etwa die Sonne werden als Gottheiten verehrt.
  • Die Autoren der Up­anis­chaden sehen die Welt als eine Abfolge von Zyklen: Alle Lebewesen sind in ewige Kreisläufe verstrickt, aus denen sie sich nur durch Weisheit befreien können. Alle Kräfte auf der Erde und im Weltall können sich in andere verwandeln, alle sind miteinander verbunden und bilden eine große Einheit. Grundsätzlich eins ist auch alles Lebende auf der Erde, ob nun Mensch, Tier oder Pflanze. Ein Mensch kann nicht nur als Mensch, sondern auch als Pflanze oder Tier wiederge­boren werden.

His­torischer Hintergrund

Der Hinduismus und seine Entwicklung

Der Hinduismus ist als Religion vor allem in Südostasien verbreitet und dort in erster Linie in Indien, seinem Ur­sprungs­land. Im Vergleich zu anderen Wel­tre­li­gio­nen zeigt der Hinduismus ein eher un­ein­heitliches Bild. Der Begriff „Hinduismus“ fasst ver­schiedene religiöse Kulte zusammen, die einander zwar ähneln, aber durchaus auch un­ter­schiedliche Lehrmei­n­un­gen vertreten. Diese Kulte sind sehr alt. Der Hinduismus ist wohl im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrech­nung entstanden, doch seine Wurzeln reichen noch in die prähistorische Zeit zurück. Auch die Veden, die heiligen Schriften des Hinduismus, stammen aus vorchristlicher Zeit.

Im Gegensatz zu den anderen Wel­tre­li­gio­nen gibt es im Hinduismus keinen Re­li­gion­ss­tifter. Die Hindus verehren ver­schiedene Gottheiten und Naturkräfte, die sich jedoch alle auf Brahman, den Urgrund, zurückführen lassen. Als Ātman, das in­di­vidu­elle göttliche Selbst, ist der Urgrund in jedem Lebewesen gegenwärtig.

Eine zentrale Rolle spielt die Vorstellung der Wiederge­burt: Nach dem Tod kehrt der Mensch in anderer Form auf die Erde zurück, als Pflanze, Tier oder wiederum als Mensch. Nur wer ein gutes Leben geführt hat, wird aus diesem Kreislauf her­ausgenom­men und kann in den Urgrund eingehen. Eine wichtige Rolle spielen die Gurus, die andere Menschen anleiten und ihnen ihre Weisheit vermitteln. Sie sind Brahmanen, stammen also aus der höchsten Kaste. Das Kas­ten­sys­tem bestimmt noch immer die Gesellschaft in Indien: Jeder Mensch wird in eine bestimmte Kaste hineinge­boren; sie gibt seine gesellschaftliche Stellung vor und bestimmte in früheren Zeiten auch den Beruf.

Entstehung

Die zwölf alten Up­anis­chaden sind vermutlich zwischen dem fünften und dem ersten Jahrhundert v. Chr. im nördlichen Indien entstanden. Sie sind in Sanskrit verfasst, der alten Rit­u­al­sprache der Hindus. Auch das Wort „upanisad“ ist Sanskrit und bedeutet wörtlich „sich in der Nähe nieder­set­zen“ (im übertragenen Sinn auch „etwas in Beziehung setzen“).

Ursprünglich handelt es sich bei den Up­anis­chaden um Geheimwis­sen, das von religiösen Lehrern an die Schüler weit­ergegeben wurde. Der Lehrer rezitierte die Up­anis­chaden aus dem Gedächtnis; die Weitergabe durfte nur mündlich erfolgen, damit das Wissen nicht in falsche Hände geriet. Der Lehrer durfte auch nicht allzu laut sprechen; die Schüler mussten sich ganz in seine Nähe setzen, um ihn zu verstehen – daher rührt möglicher­weise der Titel des Werks.

Erst nach jahrhun­derte­langer mündlicher Weitergabe wurden die Texte auch schriftlich fixiert. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die überliefer­ten Up­anis­chaden nicht den ursprünglichen Inhalten entsprechen, sondern dass sie in dieser langen Zeit zahlreiche Veränderungen und Verz­er­run­gen erfahren haben. Vermutlich gab es ursprünglich noch viel mehr Up­anis­chaden, die verloren gegangen sind, weil diejenigen, die die Texte noch auswendig wussten, starben, bevor sie ihr Wissen weitergeben konnten. Die Sammlung über eine lange Zeit und die vielfache Autorschaft sind auch die Gründe, weshalb sich in den Up­anis­chaden sehr widersprüchliche Aussagen finden, etwa zur Entstehung der Welt oder zum Leben nach dem Tod. Mit der mündlichen Überliefer­ung ist wohl auch zu erklären, dass einige Passagen kaum verständlich sind; sie wurden mit der Zeit verstümmelt, und ihre ursprüngliche Bedeutung lässt sich nicht mehr rekon­stru­ieren.

Wirkungs­geschichte

Die Up­anis­chaden nehmen innerhalb der Veden eine Son­der­stel­lung ein: Im Unterschied zu den übrigen Schriften, die sich überwiegend mit der korrekten Ausführung religiöser Rituale befassen, liegt der Schwerpunkt der Up­anis­chaden auf dem mys­tisch-philosophis­chen Hintergrund des Hinduismus. Sie greifen also eine zum Entste­hungszeit­punkt völlig neue Thematik auf. Die Idee einer Wiederge­burt z. B. wird in den Up­anis­chaden zum ersten Mal formuliert. Entsprechend tief greifend war ihre Wirkung: Ihr Einfluss auf den Hinduismus lässt sich nicht überschätzen. Im alten Indien orientierte sich sogar die Geset­zge­bung nach ihnen. Im frühen Mittelalter sank ihre Bedeutung, doch durch die mus­lim­is­chen Eroberungen in Indien kam es ab etwa 1400 zu einer Rückbesinnung auf die alten Traditionen und damit auch zu einer Wieder­ent­deck­ung der dazugehörenden Texte.

Im 17. Jahrhundert wurden die Up­anis­chaden erstmals ins Persische übersetzt, ab Anfang des 19. Jahrhun­derts auch in andere Sprachen. Ins Deutsche übertragen wurde der Text erstmals 1832. „Es ist die be­lohnend­ste und erhabenste Lektüre, die (...) auf der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens sein“, urteilte der deutsche Philosoph Arthur Schopen­hauer – allerdings stand ihm nur die lateinische Übersetzung der persischen Version zur Verfügung, die stark überarbeitet war und vom Urtext abwich.

Über den Autor

Wer die Up­anis­chaden verfasst hat, lässt sich nicht mehr mit Bes­timmtheit sagen. Sicher ist, dass viele ver­schiedene Autoren mit ihren Texten zu diesem Werk beigetragen haben. Mit einiger Gewissheit handelt es sich bei den Autoren um Rischis – Brahmanen, die als besonders weise angesehen wurden und die jüngere Brahmanen als Schüler in den religiösen Lehren un­ter­richteten. Einigen von ihnen schreibt die hin­duis­tis­che Tradition eine Abstammung direkt von den Göttern zu. Die Rischis brachten die wichtigsten Lehren des Hinduismus in eine feste Textform. Im Hinduismus ist man überzeugt davon, dass die Rischis zwar nicht alle, aber doch zahlreiche Texte der Veden in einem höheren Be­wusst­sein­szu­s­tand direkt als göttliche Offenbarung empfangen haben. Deshalb dürfen sie auch nicht von anderen verändert werden. Diese Texte gaben die Rischis – zunächst ausschließlich mündlich – an ihre Schüler weiter. Daraus sind über die Jahrhun­derte hinweg die Up­anis­chaden in ihrer heutigen Form entstanden. Einige Rischis werden in den Up­anis­chaden namentlich erwähnt und spielen auch als Handelnde in den Texten eine Rolle. Da liegt die Vermutung nahe, dass sie selbst oder ihre Schüler diese Texte verfasst haben. Am häufigsten tritt der Brahmane Yājñavalkya auf, von dem man gleich mehrere Geschichten lesen kann. Auch Gespräche des Rischis Vājaśravasa sind in den Up­anis­chaden überliefert. Sein Sohn Naciketas wird in den Up­anis­chaden als sein Schüler erwähnt; vielleicht hat er die Texte fest­ge­hal­ten. Mit Gargi, einer Weisen, gehört auch eine Frau zu den poten­ziellen Autoren der Up­anis­chaden. Möglicher­weise ist Gargi identisch mit der Philosophin Maitreyī, der Frau und Schülerin Yājñavalkyas.