Business in China: Vom Traum zum Trauma
Es ist eine wirtschaftliche und persönliche Tragödie: Eginhard Vietz, ein erfolgreicher, mittelständischer Unternehmer aus Niedersachsen, wagt in den 80er Jahren den Sprung auf den chinesischen Markt. Er hat eine innovative Technik zum Schweißen von Pipelines entwickelt, und Chinas Volkswirtschaft dürstet nach Öl. Jahrelang verhätscheln ihn chinesische Geschäftsleute und Parteiführer. 2004 lässt er sich zu einem Joint Venture überreden, das die Maschinen vor Ort produzieren soll. Bald merkt er, dass etwas nicht stimmt. Er beobachtet, wie einige Angestellten zu einem nicht weit entfernten Fabrikgebäude fahren, das dem eigenen bis aufs Haar gleicht. In der Halle stehen Kopien seiner Zeichnungen und Maschinen. Vietz wechselt die betrügerische Belegschaft aus und versucht es erneut. Dann stiehlt ein ehemaliger Vertrauter den Tresor mit wichtigen Papieren und den Hauptrechner. Alle Versuche, die Diebe vor Gericht zu bringen, scheitern. Vietz ist überzeugt: Die Betrüger wurden von höchster Stelle gedeckt.
„In wohl kaum einem anderen Staat der Welt wird das Gefühl der Größe so einhellig geteilt wie in China.“
Dabei hat er noch Glück gehabt. Für viele enden die Verheißungen des riesigen chinesischen Markts im Bankrott. Wieder andere sehen ihren guten Ruf bedroht, wenn Produktpiraten aus Fernost äußerlich identische, aber qualitativ minderwertige Produkte verkaufen. In Kambodscha etwa überschwemmen Plagiate des deutschen Motorsägenherstellers Stihl trotz eines offiziellen Einfuhrverbotes den Markt. Im Namen der Qualitätsmarke wird der Regenwald illegal abgeholzt. Waldarbeiter verlieren aufgrund fehlender Sicherungsvorrichtungen der Billigimitate ihre Gliedmaßen. Moralische Skrupel sind den Kopierern offenbar fremd: Egal ob Bremsbeläge aus Torf, mit giftigen Farben bemaltes Spielzeug oder tödliche Medikamente – all diese Produkte made in China bedrohen nicht nur die Existenz westlicher Unternehmen, sondern auch die Gesundheit und das Leben unzähliger Menschen. Es ist daher mehr als legitim, nach den kulturellen und gesellschaftlichen Ursachen für diese menschenverachtende Profitgier zu fragen.
Mit Kriegslist zum Erfolg
Die 36 Strategeme über die Kriegskunst, die auf den General Tan Daoji im 4. Jahrhundert zurückgehen, sind ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der chinesischen Gesellschaft. Jeder Chinese saugt sie quasi mit der Muttermilch auf, und auch bei Verhandlungen mit westlichen Geschäftspartnern spielen sie eine zentrale Rolle. Zwei Beispiele:
- Den Tiger vom Berg in die Ebene locken: Der westliche Verhandlungspartner wird aus seinem vertrauten Terrain herausgelockt, üppig bewirtet und mit Alkohol abgefüllt. Ist er wehrlos in ungewohnten Gefilden unterwegs, kann man ihn umso leichter übertölpeln. Vertragsklauseln im Nachhinein zu monieren, ist zwecklos, denn es gilt die Gerichtssprechung des Ortes, in dem der Vertrag unterzeichnet wurde.
- Mit dem Messer eines anderen töten: Zieht sich die Verhandlung hin, ziehen Chinesen gerne ein angeblich besseres Angebot eines Wettbewerbers aus dem Ärmel. Sie spielen Konkurrenten so lange gegeneinander aus, bis sie ihr Optimalziel erreicht haben. Es ist eine moderne Konkubinenwirtschaft: Der Feudalherr lockt die Schönsten mit der Aussicht auf Juwelen und sieht lächelnd zu, wie sie sich gegenseitig fertigmachen.
Begriffe entführen und Know-how transferieren
Das Strategem „Hijacking der Begriffe“ ist eine neuartige Variante der alten Kriegskunst: Wie beim Schach nehmen die Chinesen die Züge und Argumente der Gegenseite vorweg und setzen sie so schachmatt. Ein Meisterstück des Begriffs-Hijacking gelang dem Leiter der Germanistik-Abteilung an der Pekinger Beida-Universität: Konfuzius habe die Idee der Aufklärung lange vor dem ersten Europäer verbreitet – eine abstruse Behauptung, die das perplexe Publikum sprachlos zurückließ. Ein anderes Beispiel ist das Thema geistiges Eigentum: Gebetsmühlenartig wiederholen die Chinesen, nach der konfuzianischen Lehre mache eine gute Kopie dem Erschaffer des Originals Ehre. Urheberrechte würden deshalb in ihrer Kultur keine Rolle spielen. Fakt ist aber, dass viele chinesische Kaiser eine Art Copyright auf ihre Schriften einforderten. Die Produktpiraterie in China ist keinesfalls ein Ausdruck kultureller, sondern vielmehr wirtschaftlicher Zwänge. Ohne sie gäbe es kein chinesisches Wirtschaftswunder.
„Wo materielle Güter eine so dominante Rolle spielen wie in China, da übt die Verheißung, sie auf einen Schlag zu vermehren, einen besonderen Reiz aus.“
Für den Zugang zu ihrem Markt verlangen die Chinesen einen hohen Tribut. Die bevorzugte Währung ist technisches Know-how. Nach Einschätzung von Experten geht hier der größte Tafelsilbertransfer aller Zeiten vonstatten: Westliche Investoren haben 800 Milliarden Dollar in 400 000 chinesische Fabriken gesteckt. 130 deutsche Hochschulen kooperieren mit chinesischen Universitäten, ohne dass für sie etwas Nennenswertes herausschaut. Und viele der 30 000 chinesischen Studenten in Deutschland sind mit dem direkten Auftrag unterwegs, so viel Know-how wie möglich auszuspionieren. Die Regierung hilft per Gesetz nach, wenn ihr der Transfer nicht schnell genug geht. So hat sie z. B. erlassen, dass 70 % aller in China aufgestellten Windkraftanlagen vor Ort gefertigt werden müssen. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis den Erfindern der Technologie die Puste ausgeht.
Konfuzius’ Erben
Der Morallehre des chinesischen Philosophen Konfuzius sind abstrakte Werte oder gar die Hoffnung auf ein Jenseits völlig fremd. Was zählt, ist die Identifikation mit dem nationalen Erbe, die totale Unterwerfung unter die hierarchische Ordnung und die Frage, wie man es hier und jetzt zu Geld bringen kann. Die chinesische Haltung gegenüber allen Fragen des Lebens ist zutiefst pragmatisch, und jede Handlung, die keine Aussicht auf materiellen Gewinn birgt, gilt als verrückt. Chinesen schütteln verständnislos den Kopf über westliche Abenteuertouristen, die in den Bergen Tibets mit dem Fahrrad unterwegs sind. Kritik an der Volksrepublik kann nach dieser Lesart nur ein Motiv haben: Neid auf deren wirtschaftlichen Erfolg. Vom Reformer Deng Xiaoping stammt der Spruch: „Es ist egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist, wenn sie nur Mäuse fängt.“ Oder um es mit Konfuzius zu sagen: „Ob eine schwarze Katze Unglück bringt, hängt davon ab, ob man ein Mensch ist oder eine Maus.“
China über alles
Im 15. Jahrhundert riet ein hoher Beamter vom Aufbau einer Kriegsschiffsflotte ab. China habe es nicht nötig, „mit Wölfen und Schweinen zu kämpfen“. Chinesen nennen Westler umgangssprachlich „Großnasen“ oder „fremde Teufel“. Sie diskriminieren in der Volksrepublik lebende Minderheiten wie die Uiguren oder Tibeter und behandeln Afrikaner im wahrsten Sinne wie Tiere. Natürlich gibt es auch in den USA und Europa Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Was die chinesische Variante jedoch so beängstigend macht, ist das Fehlen jeglicher Gegenbewegung.
„Es ist ein perfekter Mix aus Schlichtheit und Raffinement, der die Kriegslist zu einer allen anderen Systemen überlegenen Waffe macht.“
Die Kommunistische Partei (KP) nutzt den Nationalstolz der Chinesen gezielt als Blitzableiter. Seit Jahren schürt sie mit geschickter Propaganda den Hass auf die Japaner. Um aus der „Olympiade der Opfer“ des Zweiten Weltkrieges als Sieger hervorzugehen, redet sie sogar den Massenmord an den europäischen Juden klein. Ihr Motto: Opfer tun kein Unrecht, Opfer kritisiert man nicht. Als 1999 NATO-Raketen die chinesische Botschaft in Belgrad trafen, schlug den Ausländern auf den Straßen Pekings blanker Hass entgegen. Für die Partei war nach diesem Testfall klar: Wenn nötig, ließe sich das im ganzen Land schwelende Protestpotenzial schnell auf ein äußeres Ziel ablenken.
Feudale Kader
91 % der Chinesen mit einem Vermögen von mehr als zehn Millionen Euro sind Töchter oder Söhne höherer Parteikader. Hinter dieser Zahl verbirgt sich die hässliche Seite des chinesischen Wirtschaftswunders: Mächtige KP-Funktionäre und ihre Familien gebärden sich wie Feudalherren, die Mittelschicht buckelt nach oben und tritt nach unten, während Millionen von enteigneten Bauern, Fabrik- und Wanderarbeitern in einem Sumpf aus Korruption und Herrschaftswillkür versinken. Nur wenige Richter besitzen eine juristische Ausbildung. Die meisten sind Teil eines mafiösen Netzwerks, das weder dem einfachen Bürger noch ausländischen Geschäftsleuten den Hauch einer Chance lässt.
„Politik wird in Peking hinter hohen Mauern gemacht. Und niemand von denen, die diesseits dieses Walles leben, weiß wirklich, was dahinter passiert.“
Die Feudalherrschaft hat in China eine 2400-jährige Tradition. Daran hat auch das kommunistische Intermezzo im 20. Jahrhundert nichts geändert. Überall im Land begegnen einem die Zeichen einer undurchlässigen Klassengesellschaft: Parteikader werden ohne Rücksicht auf Ampeln oder Vorfahrtsregeln durch die Städte kutschiert. Ob in Restaurants oder an Urlaubsstränden – überall genießen sie weit abseits vom gemeinen Volk ein Leben im Luxus. Westliche Besucher, die sich nicht an die hierarchische Etikette halten, werden mit Verachtung bestraft. Viele Beobachter setzen ihre Hoffnungen in die wachsende Mittelschicht in China. Je größer sie werde, so ihre Einschätzung, desto stärker werde der Ruf nach sozialen Reformen. Sie verkennen aber den „faustischen Pakt“ der Mittelklasse mit den Machthabern: Geld gegen Mundhalten, so lautet das Angebot der KP an die vergleichsweise wohlhabende städtische Bevölkerung. Die übergroße Mehrheit nimmt es dankend an.
Innovieren statt imitieren
In Solingen eröffnete 2007 das „Museum Plagiarius“. Zu sehen sind hier 250 Produkte made in Germany und ihre Kopien, von Klobürsten über Mozartkugeln bis hin zu Potenzpillen. Zwischen den Exponaten hängen Plakate mit Sprüchen wie: „Die Bremsscheiben waren gefälscht. Echt sind nur die 13 Knochenbrüche.“ Die Macher der Ausstellung haben erkannt, dass man den Dieb nicht besänftigen kann. Man muss ihn beschämen. Zugleich machen sie deutlich, dass der innovative Westen den imitierenden Chinesen um Längen voraus ist. Denn Flexibilität, Eigeninitiative und Selbstverantwortung werden in der chinesischen Gesellschaft rigoros bestraft. Die Schüler pauken Unmengen an Stoff, ohne ihn zu reflektieren oder darüber zu diskutieren. Immer mehr Kinder zerbrechen an den hohen Erwartungen ihrer Eltern und landen mit schweren seelischen Störungen in der Psychiatrie. Eine in China tätige deutsche Psychoanalytikerin spricht gar von einer „kranken Gesellschaft“.
Ein Appell an westliche Werte
Manch ein Westler kann seinen Neid kaum verbergen, wenn er sieht, wie schnell und kompromisslos die Chinesen millionenschwere Entscheidungen treffen und riesige Infrastrukturprojekte aus dem Boden stampfen. Nur, zu welchem Preis?
„Die nationale Kooperation unter technisch hoch entwickelten Partnern ist asiatischen Abenteuern vorzuziehen.“
Der Westen hat sich seine offenen, demokratischen Gesellschaften hart erkämpft. Wenn die Planung eines Wohngebiets bei uns länger dauert als in China, dann liegt das auch daran, dass eine Mehrheit der Bevölkerung davon profitieren soll. Das chinesische Modell kennt solche Rücksichten nicht und regt daher nicht zur Nachahmung an. Dies erkennen auch die rohstoffreichen Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien, in denen die Chinesen seit Jahren auf Schatzsuche gehen und deren Bevölkerung sich durch das imperialistische, ausbeuterische Gebaren vor den Kopf gestoßen fühlt. Zugleich verliert das Reich der Mitte für westliche Investoren an Reiz. Hersteller von Qualitätsware wie etwa der Stofftierproduzent Steiff haben sich bereits zurückgezogen. Weitere westliche Investoren werden diesem Beispiel in den nächsten Jahren folgen. Auch die Opfer der Produktpiraterie sehen nicht mehr tatenlos zu. Sie engagieren Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Plagiate aufzuspüren und zu verhindern. Entscheidend ist aber, dass wir die Angst vor dem angeblich asiatischen Jahrhundert überwinden und uns unsere Werte bewusst machen. Dann werden die kreativen und nachhaltigen Lösungen auch im 21. Jahrhundert aus dem Westen kommen.