Die China-Falle

Buch Die China-Falle

Abgezockt im Reich der Mitte

Fischer Tb,


Rezension

Mit dem Jour­nal­is­ten Jürgen Bertram schreibt jemand über China, der dort oft bitter enttäuscht wurde. Während seiner Ko­r­re­spon­den­ten­zeit in Peking erlebte er, wie arrogante und korrupte Beamte für jede noch so kleine Gefälligkeit die Hand aufhielten, wie sie ethnische Min­der­heiten gängelten und den Ärmsten der Armen die letzte Würde nahmen. Er sah eine Gesellschaft, in der die nackte Profitgier alles und ein einzelnes Men­schen­leben nichts bedeutet. Die vielen Gesprächspartner aus Wirtschaft und Wis­senschaft, die Bertram für diese beispiel­lose Abrechnung interviewt hat, stoßen ins gleiche Horn: Das Reich der Mitte, so der Tenor, ist für die Mehrheit aller westlichen Geschäftsleute ein Mil­lio­nen­grab. Am Ende lacht immer der Chinese und macht sich mit dem Tafelsilber des Westens davon. Ein übertriebenes Urteil, kulturblind oder gar rassistisch? Genau das fragte der Autor sich und andere Chinakenner auch immer wieder. Seine Antwort: Nein, es ist leider die ungeschminkte Wahrheit. BooksInShort empfiehlt das pes­simistis­che Buch als Gegenstimme zur allgemeinen China-Eu­phorie. Lesenswert ist es vor allem für Unternehmer, die mit einem Engagement in China liebäugeln oder dort bereits tätig sind.

Take-aways

  • Immer mehr westliche Geschäftsleute ziehen sich enttäuscht aus China zurück.
  • Sie werden übertölpelt, auss­pi­oniert und bestohlen, ohne dass die Täter je rechtlich belangt würden.
  • In China gefälschte Motorsägen, Bremsbeläge oder Pillen bedrohen das Leben unzähliger Menschen.
  • Indem sie sich auf ihr kon­fuzian­is­ches Erbe berufen, recht­fer­ti­gen die Chinesen jede Gaunerei.
  • Die Regierung schürt einen fanatischen Na­tion­al­is­mus, um von inneren Problemen abzulenken.
  • Korrupte Parteikader und Geschäftsleute verlangen vom Westen Tribut in Form von Know-how-Trans­fer.
  • Chinesische Kader behandeln das Volk wie Feu­dal­her­ren ihre Leibeigenen.
  • Flexibilität, Eigenini­tia­tive und Selb­stver­ant­wor­tung werden rigoros bestraft.
  • Das chinesische Modell ist nicht nachah­menswert; In­no­va­tio­nen gedeihen weiterhin am besten in einem offenen, demokratis­chen Klima.
  • Der Westen muss sich auf seine Werte besinnen, nur so wird er die kreativen und nach­halti­gen Lösungen der Zukunft entwickeln.
 

Zusammenfassung

Business in China: Vom Traum zum Trauma

Es ist eine wirtschaftliche und persönliche Tragödie: Eginhard Vietz, ein er­fol­gre­icher, mittelständischer Unternehmer aus Nieder­sach­sen, wagt in den 80er Jahren den Sprung auf den chi­ne­sis­chen Markt. Er hat eine innovative Technik zum Schweißen von Pipelines entwickelt, und Chinas Volk­swirtschaft dürstet nach Öl. Jahrelang verhätscheln ihn chinesische Geschäftsleute und Parteiführer. 2004 lässt er sich zu einem Joint Venture überreden, das die Maschinen vor Ort produzieren soll. Bald merkt er, dass etwas nicht stimmt. Er beobachtet, wie einige Angestell­ten zu einem nicht weit entfernten Fabrikgebäude fahren, das dem eigenen bis aufs Haar gleicht. In der Halle stehen Kopien seiner Zeichnungen und Maschinen. Vietz wechselt die betrügerische Belegschaft aus und versucht es erneut. Dann stiehlt ein ehemaliger Vertrauter den Tresor mit wichtigen Papieren und den Haup­trech­ner. Alle Versuche, die Diebe vor Gericht zu bringen, scheitern. Vietz ist überzeugt: Die Betrüger wurden von höchster Stelle gedeckt.

„In wohl kaum einem anderen Staat der Welt wird das Gefühl der Größe so einhellig geteilt wie in China.“

Dabei hat er noch Glück gehabt. Für viele enden die Verheißungen des riesigen chi­ne­sis­chen Markts im Bankrott. Wieder andere sehen ihren guten Ruf bedroht, wenn Pro­duk­t­pi­raten aus Fernost äußerlich identische, aber qualitativ min­der­w­er­tige Produkte verkaufen. In Kambodscha etwa überschwem­men Plagiate des deutschen Motorsägen­her­stellers Stihl trotz eines offiziellen Ein­fuhrver­botes den Markt. Im Namen der Qualitätsmarke wird der Regenwald illegal abgeholzt. Wal­dar­beiter verlieren aufgrund fehlender Sicherungsvor­rich­tun­gen der Bil­ligim­i­tate ihre Gliedmaßen. Moralische Skrupel sind den Kopierern offenbar fremd: Egal ob Bremsbeläge aus Torf, mit giftigen Farben bemaltes Spielzeug oder tödliche Medikamente – all diese Produkte made in China bedrohen nicht nur die Existenz westlicher Unternehmen, sondern auch die Gesundheit und das Leben unzähliger Menschen. Es ist daher mehr als legitim, nach den kulturellen und gesellschaftlichen Ursachen für diese men­schen­ver­ach­t­ende Profitgier zu fragen.

Mit Kriegslist zum Erfolg

Die 36 Strategeme über die Kriegskunst, die auf den General Tan Daoji im 4. Jahrhundert zurückgehen, sind ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der chi­ne­sis­chen Gesellschaft. Jeder Chinese saugt sie quasi mit der Muttermilch auf, und auch bei Ver­hand­lun­gen mit westlichen Geschäftspartnern spielen sie eine zentrale Rolle. Zwei Beispiele:

  • Den Tiger vom Berg in die Ebene locken: Der westliche Ver­hand­lungspart­ner wird aus seinem vertrauten Terrain her­aus­ge­lockt, üppig bewirtet und mit Alkohol abgefüllt. Ist er wehrlos in ungewohnten Gefilden unterwegs, kann man ihn umso leichter übertölpeln. Ver­tragsklauseln im Nachhinein zu monieren, ist zwecklos, denn es gilt die Gerichtssprechung des Ortes, in dem der Vertrag un­terze­ich­net wurde.
  • Mit dem Messer eines anderen töten: Zieht sich die Verhandlung hin, ziehen Chinesen gerne ein angeblich besseres Angebot eines Wet­tbe­wer­bers aus dem Ärmel. Sie spielen Konkur­renten so lange gegeneinan­der aus, bis sie ihr Optimalziel erreicht haben. Es ist eine moderne Konku­bi­nen­wirtschaft: Der Feudalherr lockt die Schönsten mit der Aussicht auf Juwelen und sieht lächelnd zu, wie sie sich gegenseitig fer­tig­machen.

Begriffe entführen und Know-how trans­ferieren

Das Strategem „Hijacking der Begriffe“ ist eine neuartige Variante der alten Kriegskunst: Wie beim Schach nehmen die Chinesen die Züge und Argumente der Gegenseite vorweg und setzen sie so schachmatt. Ein Meisterstück des Be­griffs-Hi­jack­ing gelang dem Leiter der Ger­man­is­tik-Abteilung an der Pekinger Beida-Uni­ver­sität: Konfuzius habe die Idee der Aufklärung lange vor dem ersten Europäer verbreitet – eine abstruse Behauptung, die das perplexe Publikum sprachlos zurückließ. Ein anderes Beispiel ist das Thema geistiges Eigentum: Gebetsmühlenartig wiederholen die Chinesen, nach der kon­fuzian­is­chen Lehre mache eine gute Kopie dem Erschaffer des Originals Ehre. Urhe­ber­rechte würden deshalb in ihrer Kultur keine Rolle spielen. Fakt ist aber, dass viele chinesische Kaiser eine Art Copyright auf ihre Schriften ein­forderten. Die Pro­duk­t­pi­ra­terie in China ist keinesfalls ein Ausdruck kultureller, sondern vielmehr wirtschaftlicher Zwänge. Ohne sie gäbe es kein chi­ne­sis­ches Wirtschaftswun­der.

„Wo materielle Güter eine so dominante Rolle spielen wie in China, da übt die Verheißung, sie auf einen Schlag zu vermehren, einen besonderen Reiz aus.“

Für den Zugang zu ihrem Markt verlangen die Chinesen einen hohen Tribut. Die bevorzugte Währung ist technisches Know-how. Nach Einschätzung von Experten geht hier der größte Tafel­sil­ber­trans­fer aller Zeiten vonstatten: Westliche Investoren haben 800 Milliarden Dollar in 400 000 chinesische Fabriken gesteckt. 130 deutsche Hochschulen kooperieren mit chi­ne­sis­chen Universitäten, ohne dass für sie etwas Nen­nenswertes her­auss­chaut. Und viele der 30 000 chi­ne­sis­chen Studenten in Deutschland sind mit dem direkten Auftrag unterwegs, so viel Know-how wie möglich auszus­pi­onieren. Die Regierung hilft per Gesetz nach, wenn ihr der Transfer nicht schnell genug geht. So hat sie z. B. erlassen, dass 70 % aller in China aufgestell­ten Wind­kraftan­la­gen vor Ort gefertigt werden müssen. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis den Erfindern der Technologie die Puste ausgeht.

Konfuzius’ Erben

Der Morallehre des chi­ne­sis­chen Philosophen Konfuzius sind abstrakte Werte oder gar die Hoffnung auf ein Jenseits völlig fremd. Was zählt, ist die Iden­ti­fika­tion mit dem nationalen Erbe, die totale Un­ter­w­er­fung unter die hi­er­ar­chis­che Ordnung und die Frage, wie man es hier und jetzt zu Geld bringen kann. Die chinesische Haltung gegenüber allen Fragen des Lebens ist zutiefst pragmatisch, und jede Handlung, die keine Aussicht auf materiellen Gewinn birgt, gilt als verrückt. Chinesen schütteln verständnislos den Kopf über westliche Aben­teuer­touris­ten, die in den Bergen Tibets mit dem Fahrrad unterwegs sind. Kritik an der Volk­sre­pub­lik kann nach dieser Lesart nur ein Motiv haben: Neid auf deren wirtschaftlichen Erfolg. Vom Reformer Deng Xiaoping stammt der Spruch: „Es ist egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist, wenn sie nur Mäuse fängt.“ Oder um es mit Konfuzius zu sagen: „Ob eine schwarze Katze Unglück bringt, hängt davon ab, ob man ein Mensch ist oder eine Maus.“

China über alles

Im 15. Jahrhundert riet ein hoher Beamter vom Aufbau einer Kriegss­chiffs­flotte ab. China habe es nicht nötig, „mit Wölfen und Schweinen zu kämpfen“. Chinesen nennen Westler um­gangssprach­lich „Großnasen“ oder „fremde Teufel“. Sie diskri­m­inieren in der Volk­sre­pub­lik lebende Min­der­heiten wie die Uiguren oder Tibeter und behandeln Afrikaner im wahrsten Sinne wie Tiere. Natürlich gibt es auch in den USA und Europa Rassismus und Frem­den­feindlichkeit. Was die chinesische Variante jedoch so beängstigend macht, ist das Fehlen jeglicher Gegen­be­we­gung.

„Es ist ein perfekter Mix aus Schlichtheit und Raffinement, der die Kriegslist zu einer allen anderen Systemen überlegenen Waffe macht.“

Die Kom­mu­nis­tis­che Partei (KP) nutzt den Na­tion­al­stolz der Chinesen gezielt als Blitz­ableiter. Seit Jahren schürt sie mit geschickter Propaganda den Hass auf die Japaner. Um aus der „Olympiade der Opfer“ des Zweiten Weltkrieges als Sieger her­vorzuge­hen, redet sie sogar den Massenmord an den europäischen Juden klein. Ihr Motto: Opfer tun kein Unrecht, Opfer kritisiert man nicht. Als 1999 NATO-Raketen die chinesische Botschaft in Belgrad trafen, schlug den Ausländern auf den Straßen Pekings blanker Hass entgegen. Für die Partei war nach diesem Testfall klar: Wenn nötig, ließe sich das im ganzen Land schwelende Protest­poten­zial schnell auf ein äußeres Ziel ablenken.

Feudale Kader

91 % der Chinesen mit einem Vermögen von mehr als zehn Millionen Euro sind Töchter oder Söhne höherer Parteikader. Hinter dieser Zahl verbirgt sich die hässliche Seite des chi­ne­sis­chen Wirtschaftswun­ders: Mächtige KP-Funktionäre und ihre Familien gebärden sich wie Feu­dal­her­ren, die Mit­telschicht buckelt nach oben und tritt nach unten, während Millionen von enteigneten Bauern, Fabrik- und Wan­der­ar­beit­ern in einem Sumpf aus Korruption und Herrschaftswillkür versinken. Nur wenige Richter besitzen eine juristische Ausbildung. Die meisten sind Teil eines mafiösen Netzwerks, das weder dem einfachen Bürger noch ausländischen Geschäftsleuten den Hauch einer Chance lässt.

„Politik wird in Peking hinter hohen Mauern gemacht. Und niemand von denen, die diesseits dieses Walles leben, weiß wirklich, was dahinter passiert.“

Die Feu­dal­herrschaft hat in China eine 2400-jährige Tradition. Daran hat auch das kom­mu­nis­tis­che Intermezzo im 20. Jahrhundert nichts geändert. Überall im Land begegnen einem die Zeichen einer undurchlässigen Klas­sen­ge­sellschaft: Parteikader werden ohne Rücksicht auf Ampeln oder Vor­fahrt­sregeln durch die Städte kutschiert. Ob in Restaurants oder an Urlaubsstränden – überall genießen sie weit abseits vom gemeinen Volk ein Leben im Luxus. Westliche Besucher, die sich nicht an die hi­er­ar­chis­che Etikette halten, werden mit Verachtung bestraft. Viele Beobachter setzen ihre Hoffnungen in die wachsende Mit­telschicht in China. Je größer sie werde, so ihre Einschätzung, desto stärker werde der Ruf nach sozialen Reformen. Sie verkennen aber den „faustischen Pakt“ der Mit­telk­lasse mit den Machthabern: Geld gegen Mundhalten, so lautet das Angebot der KP an die ver­gle­ich­sweise wohlhabende städtische Bevölkerung. Die übergroße Mehrheit nimmt es dankend an.

Innovieren statt imitieren

In Solingen eröffnete 2007 das „Museum Plagiarius“. Zu sehen sind hier 250 Produkte made in Germany und ihre Kopien, von Klobürsten über Mozartkugeln bis hin zu Poten­zpillen. Zwischen den Exponaten hängen Plakate mit Sprüchen wie: „Die Bremss­cheiben waren gefälscht. Echt sind nur die 13 Knochenbrüche.“ Die Macher der Ausstellung haben erkannt, dass man den Dieb nicht besänftigen kann. Man muss ihn beschämen. Zugleich machen sie deutlich, dass der innovative Westen den im­i­tieren­den Chinesen um Längen voraus ist. Denn Flexibilität, Eigenini­tia­tive und Selb­stver­ant­wor­tung werden in der chi­ne­sis­chen Gesellschaft rigoros bestraft. Die Schüler pauken Unmengen an Stoff, ohne ihn zu re­flek­tieren oder darüber zu diskutieren. Immer mehr Kinder zerbrechen an den hohen Erwartungen ihrer Eltern und landen mit schweren seelischen Störungen in der Psychiatrie. Eine in China tätige deutsche Psy­cho­an­a­lytik­erin spricht gar von einer „kranken Gesellschaft“.

Ein Appell an westliche Werte

Manch ein Westler kann seinen Neid kaum verbergen, wenn er sieht, wie schnell und kom­pro­miss­los die Chinesen mil­lio­nen­schwere Entschei­dun­gen treffen und riesige In­fra­struk­tur­pro­jekte aus dem Boden stampfen. Nur, zu welchem Preis?

„Die nationale Kooperation unter technisch hoch en­twick­el­ten Partnern ist asiatischen Abenteuern vorzuziehen.“

Der Westen hat sich seine offenen, demokratis­chen Gesellschaften hart erkämpft. Wenn die Planung eines Wohngebiets bei uns länger dauert als in China, dann liegt das auch daran, dass eine Mehrheit der Bevölkerung davon profitieren soll. Das chinesische Modell kennt solche Rücksichten nicht und regt daher nicht zur Nachahmung an. Dies erkennen auch die rohstof­fre­ichen Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien, in denen die Chinesen seit Jahren auf Schatzsuche gehen und deren Bevölkerung sich durch das im­pe­ri­al­is­tis­che, aus­beu­ter­ische Gebaren vor den Kopf gestoßen fühlt. Zugleich verliert das Reich der Mitte für westliche Investoren an Reiz. Hersteller von Qualitätsware wie etwa der Stofftier­pro­duzent Steiff haben sich bereits zurückgezogen. Weitere westliche Investoren werden diesem Beispiel in den nächsten Jahren folgen. Auch die Opfer der Pro­duk­t­pi­ra­terie sehen nicht mehr tatenlos zu. Sie engagieren Unternehmen, die sich darauf spezial­isiert haben, Plagiate aufzuspüren und zu verhindern. Entschei­dend ist aber, dass wir die Angst vor dem angeblich asiatischen Jahrhundert überwinden und uns unsere Werte bewusst machen. Dann werden die kreativen und nach­halti­gen Lösungen auch im 21. Jahrhundert aus dem Westen kommen.

Über den Autor

Jürgen Bertram war lange Jahre als ARD-Ko­r­re­spon­dent in Peking und Singapur tätig. Heute hält er bei Firmen, Han­del­skam­mern und deutsch-chi­ne­sis­chen Vere­ini­gun­gen regelmäßig Vorträge zur Her­aus­forderung aus Fernost.